Großbritannien

Großbritannien

Großbritannien (Great Britain), war seit 1707 die officielle Bezeichnung von England, Wales und Schottland, seit 1800 kamen noch Irland hinzu und die Inselgruppen um die 2 großen Hauptinseln; gewöhnl. aber nennt man G. das ganze britische Reich, das sich über alle Erdtheile erstreckt u. in welchem die Sonne nie untergeht. Dasselbe umfaßt in Europa: G. u. Irland mit den kleineren Inseln, den Grundstock des großen Reichs, wenig über 7500 QM. groß mit 271/2 Mill. E.; ferner: die Insel Helgoland, die engl. Warte der Elbe- und Wesermündung, die Festung Gibraltar, den Schlüssel zum mittelländ. Meere, Malta mit den Nebeninseln, die wichtigste Station im Centrum dieses Meeres, endlich die jonischen Inseln, den Schlüssel des adriat. Meeres. In Afrika sind britisch: Mombas, Capland, die Insel Mauritius (Isle de France), die Sechellen und Amiranten, Sierra Leona, Gambia, Goldcoast, die Inseln des Golfs von Benin, St. Helena, Ascension. In Amerika: die beiden Canada, Neubraunschweig, Neuschottland, Cap Breton, Prinz-Edwards-Insel. Neufundland, die Hudsonsbailänder u. die nordwestl. Gebiete; in Westindien: Antigua, Barbadoes, Dominica, Grenada, Jamaica, Montserrat, Nevis, St. Christoph, St. Lucia, St. Vincent, Tabago, Tortola, Anguilla, Trinidad, die Bahamas und Bermudas, ein Theil von Guiana und Honduras, die Falklandsinseln. In Asien: Hongkong, Ceylon, Labuan, Singapore, ein Theil von Borneo, Malacca, Martaban, Tavoy, Tenasserim, Aracan, Ghentah, Assaen, die Präsidentschaften von Bengalen, Madras u. Bombay; Sind und Pendschab; die Vasallenstaaten: Berar, Oude Mysore, Travankore, Satarah, das Gebiet des Nizam; im pers. Meerbusen Karek, Ormus, im arab. Socotara u. auf dem arab. Festlande Aden. In Australien: der ganze Continent Neuholland, Vandiemensland, Neuseeland; daß G. auch alle austral. Inseln anspricht, zeigte sich im vorigen Decennium, als eine hamburg. Gesellschaft die Chathamsinseln colonisiren wollte. Weil G. über so viele z. Thl. unbewohnte (z.B. das ungeheure Gebiet zwischen der Hudsonsbai, dem Eismeere und dem stillen Ocean), z. Thl. ungemessene Länder die Herrschaft ausübt oder anspricht, kann die Größe des ganzen Areals (British empire) kaum annähernd bestimmt werden; es umfaßt jedenfalls über 200000 QM. mit wenigstens 180 Mill. E. der verschiedensten Race, Nationalität und Bildung (siehe darüber die einzelnen Art., z.B. England, Canada, Gibraltar, Bahama, Bermudas, Australien etc.). Ebenso ist die Production dieser verschiedenen Länder u. Völker eine außerordentlich mannigfaltige, s. die einzelnen Artikel; hier haben wir es mit dem Grundstocke des großen Ganzen: England, Schottland und Irland zu thun. Ueber Englands natürl. Beschaffenheit u. Erzeugnisse s. England, Bd. II. S. 263; ihm ähnlich, doch weniger begünstigt, ist Schottland, wo das Gebirge einen großen Raum einnimmt, u. Irland mit seinen meilenlangen Torfmooren und Haiden. Der Getreide- u. Futterbau wird besonders in England und dem südl. Schottland cultivirt, der Flachsbau in Irland; die Viehzucht ist im blühendsten Zustande, vermag aber so wenig als der Ackerbau dem Bedürfnisse der Bevölkerung zu genügen, daher wird seit der Aufhebung der Einfuhrzölle eine ungeheure Masse Getreide, Schlachtvieh, Fleisch, Butter, Fett, Eier etc. eingeführt, ja der Verbrauch an Nahrungsmitteln hat sich seit dieser Zeit (1849) fast verdoppelt. Der Bergbau ist von außerordentl. Wichtigkeit und die ungeheure Industrie G.s beruht z. Thl. auf seinem unerschöpflichen Reichthum an Eisen u. Steinkohlen (an ersterem 2 Mill. Tonnen, Steinkohlen 35 Mill. Tonnen; die Tonne = 20 Ctr.). Von großer Wichtigkeit ist aber auch der Bergbau auf Kupfer (jährlich gegen 15000 Tonnen), Zinn (3000 Tonnen), Blei, Graphit, Galmei, Zink, Kobalt, Alaun etc.; auch an Quell- und Steinsalz ist Ueberfluß. Die engl. Industrie beschäftigt sich im großartigsten Maßstabe mit Baumwolle (bereits 1850 lieferten 25638716 Spindeln 650 Mill. Pfd. Garn, von dem ein Theil ausgeführt, der größere auf mehr als 300000 Maschinenstühlen (Power looms) verwoben wurde; Wolle (160 Mill. Pfd. jährlich), Flachs (über 100 Mill. Pfd.). Metallwaaren (im Werthe von mehr als 20 Mill. Pfd. Sterling). Hauptsitz der Industrie in Baumwolle ist die Grafschaft Lancaster, in Wolle Manchester, Leeds, Bradford, Halifax, Huddersfield etc., für Metallwaaren Birmingham, Sheffield, Colebrookdale etc., für Flachs Irland. Doch ist auch die Fabrikation von Seidewaaren, Hüten, Glas, Papier, Leder, Seife, chemischen Präparaten, z.B. Schwefel- und andern Säuren, Wedgewoodgeschirr, Bier, Branntwein etc. von außerordentl. Bedeutung. Die Verkehrswege sind vortrefflich und (die Landstraßen zum größeren Theile ausgenommen) sämmtlich durch Privatunternehmungen entstanden; in der ersten Hälfte von 1854 waren in England u. Wales 5965 engl. Ml. Eisenbahnen, in Schottland 994, in Irland 843 im Betrieb, welche Einnahmen von Personen u. Gütern: 8084475 Pfd. Sterl., 932744 Pfd. Sterl., 407383 Pfd. St. ergaben. Der brit. Handel umfaßt die ganze Erde u. beschäftigt 1264 Dampfschiffe, 25700 Segelschiffe, zusammen mit mehr als 4 Mill. Tonnen Gehalt; die Küstenschiffahrt unterhält über 300000 Schiffe mit mehr als 28 Mill. Tonnen Gehalt. Die Zahl der in brit. Häfen 1852 eingelaufenen Schiffe betrug 29884 zu 6730169 Tonnen, die der ausgelaufenen 31745 zu 6872581 Tonnen; die Küstenschiffahrt ergab ausgelaufene Schiffe 147422 zu fast 131/2 Mill., eingelaufene 121147 Schiffe zu fast 131/2 Mill. Tonnen. Der Werth der Gesammteinfuhr wurde 1852 auf 109345409 u. der Gesammtausfuhr auf 219545699 Pfd. Sterl. gewerthet. Eingeführt werden hauptsächl. Rohstoffe: Baumwolle, Wolle, Seide, Hanf, Flachs, Schiffsbauholz, Talg, Theer, Schwefel, Salpeter, Kupfererz, Knochen, Guano, Häute etc. und Nahrungsmittel: Thee, Kaffee, Zucker, Wein, Branntwein, Getreide, Fleisch, Eier, Butter etc., Tabak; ausgeführte Fabrikate: aus Baumwolle, Wolle und Seide, Maschinen, Messer, Scheeren, Nadeln, Knöpfe, Werkzeuge verschiedener Art, Leder, Papier, Farbematerial, chem. Fabrikate etc. Die Einfuhr der Rohstoffe und der Nahrungsmittel (der nicht wie z.B. Wein, Rum, Tabak, Cigarren etc. als Luxusartikel betrachteten) unterliegt keiner hemmenden Beschränkung, eben so wenig die derjenigen Fabrikate, welche die Engländer selbst besser und wohlfeiler als die ausländischen Fabrikanten liefern; die Einfuhr concurrirender Artikel aber ist hoch genug besteuert. Finanzen. Die Jahreseinnahme des Staates betrug 1854 die Summe von 56888510 Pfd. Sterl. und würde ohne den Ausbruch des Krieges die Ausgabe um wenigstens 2 Mill. P sd. Sterl. überstiegen haben; die Haupteinnahmen liefern: Zölle, Accise, Stempel, die Einkommensteuer. Die fundirte Schuld betrug 1853 nicht weniger als 725566089 Pfd. Sterl., die irische 38975206 Pfd. Sterl., die erste erforderte jährlich 21894997 Pfd. St., die andere 1459957 Pfd. Sterl.; die unfundirte Schuld ist durch den Krieg namhaft gewachsen. Die große »Bank von England« steht mit dem Staatscredite in enger Beziehung, indem sie auf ein dem Staate gemachtes Anlehen fundirt ist, die Ueberschüsse der Staatseinnahmen empfängt, die Zinsen der Staatsschuld u. die Pensionen nach bestimmten Contracten ausbezahlt etc. Sie hat in der Regel circa 30 Mill. Pfd. Sterl. Noten im Umlauf u. einen Baarvorrath von 12 Mill. Pfd. Sterl. – Die Landmacht besteht (außer der mehr als 200000 Mann starken Armee der ostind. Compagnie) aus 130000 Mann aller Waffengattungen; aus der Miliz, zu der jeder 17.–45j. Mann zum Dienste ausgehoben werden kann, die aber nicht außerhalb G.s und Irlands verwendet werden darf (doch dürfen nach der neuen Milizbill Regimenter aus Freiwilligen formirt werden, welche als Garnisonstruppen in den europ. Festungen verwendbar sind), und im Nothfall aus dem allgem. Aufgebote. Die Conscription findet in England nicht statt, der Soldat muß angeworben werden, die Offizierspatente sind käuflich und deßwegen die Offiziersstellen fast durchschnittlich in den Händen der Geburts- u. Geldaristokratie. Die Seemacht bestand zu Anfang 1854 aus 191 Dampfern, 361 Segelschiffen mit 19331 Geschützen, ungefähr 36000 Matrosen u. Offizieren u. 15000 Marinesoldaten. – Münze: Pfd. Sterling (Sovereign) = 20 Schilling, 1 Schilling = 12 Pence (= 10 Sgr. 2 Pf. = 30 kr. C.-M.) die kleinsten Münzen sind der 1/2 Penny u. 1/4 Penny (Farthing). Gewicht: 1 Hundredweight oder Cent. (= 101,06 deutsche Zollpfd.) = 4 Quarters; 1 Quarter = 2 Stones, 1 Stone = 14 Pfd., 1 Pfd. – 16 Unzen; im Troygewicht sind 100 Pfd. = 74,64 Zollpfd. Längenmaße: 1 Yard – 3' od. 36'' (= 914,3835 frz. Millimetr.); Perch = 51/2, Yard; Furlong = 220 Yards; 1 Meile = 1760 Yards; die geograph. engl. Seemeile in der Schiffsrechnung = 1/60 geograph. Grad, die gewöhnliche engl. Seemeile = 1/20 Grad. Flächenmaße: 1 Acre = 4840 Quadrat Yards; die Rood = 1/4 Acre. Hohlmaße: 1 Gallon (= 4,543 Litr. oder = 229 Par. Kubikzoll) theilt sich in 4 Quarts, 8 Pints à 4 Gills; 2 Gallon sind = 1 Peck, 8 Gall. = 1 Bushel, 64 Gall. = 1 Quarter (daneben bestehen noch eine Menge Maße, nach welchen einzelne Gegenstände verkauft werden; die Namen dieser Maße sind in einzelnen Art. angegeben, vergl. z.B. Avoirdupoids, Barrel etc.). – Die Verfassung ist die constitutionell-monarchische. Die Krone ist durch die Acten von 1701 u. 1705 erblich im Hause Braunschweig-Lüneburg; sie vererbt nach dem Rechte der Erstgeburt und zwar immer in der älteren Linie, so daß nur unter Geschwistern das männliche Geschlecht dem weibl. vorgeht. Der König wird mit 18 Jahren volljährig; eine Regentschaft kann durch Testament oder das Parlament eingesetzt werden; der Thronerbe führt den Titel Prinz von Wales. Königin ist gegenwärtig Victoria, geb. d. 24. Mai 1819, Tochter des Herzogs von Kent, des 3. Sohnes Georgs III.; die Civilliste beträgt 385000 Pfd. St., ihrem Gemahl, Prinz Albert von Sachsen-Koburg, bewilligte das Parlament 30000 Pfd. St. Die höchsten Reichswürden sind: der Großhofmeister (Lord-High-Steward), nur in außerordentlichen Fällen ernannt; Großkanzler (Lord-High-Chancellor) u. Großsiegelbewahrer (Keeper of the great Seal); Großschatzmeister (L.-H.-Treasurer); Geheimsiegelbewahrer (L. of the privy Seal); Großkämmerer (L.-H.-Chamberlain), Großconnetable (L.-H.-Constable), nur temporär; Großmarschall (L. Earl Marshall), Großadmiral (L.-H.-Admiral), wie das Amt des Großschatzmeisters durch ein Collegium von 5 verwaltet. Diese Herren bilden mit den Prinzen des königl. Hauses, den Ministern, Erzbischöfen, dem Sprecher des Unterhauses und andern von der Krone ernannten Mitgliedern den Geheimen Rath (Privy Council), von welchem die Proclamationen, dringende Maßregeln während der Vertagung des Parlaments etc. ausgehen. Die Krone ernennt u. entläßt die Minister, die Offiziere der Flotte und Armee, die Hofbeamten, die Civilbeamten, ertheilt Pensionen, übt das Begnadigungsrecht, erklärt Krieg und schließt Frieden; der Monarch ist unverletzlich u. unverantwortlich. Die Verantwortlichkeit aller Regierungshandlungen trägt das Ministerium; dasselbe besteht aus dem: ersten Lord des Schatzes, dem Kanzler der Schatzkammer, dem Lordkanzler, den Staatssekretären des Innern, des Aeußern, der Colonien, des Kriegs, dem ersten Lord der Admiralität, dem Präsidenten des Handelsbureaus, aus dem Präsidenten des ostind. Bureaus und einigen andern Hof- und Titularbeamten, die jedoch mit der Leitung der Staatsgeschäfte nichts zu thun haben. Da bei der engl. Verfassung die Regierung von dem Parlamente abhängt, so müssen die Minister einem der beiden Häuser angehören und sich nach ihrer Ernennung wieder wählen lassen; das Ministerium geht deßwegen immer aus der Mehrheit des Parlaments hervor u. die einzelnen Minister vertreten einander im Parlamente gegenseitig. Die engl. Verfassung ist indessen keine sog. Charte, d.h. ein systematisch entworfenes und geordnetes Staatsgrundgesetz, sondern sie besteht aus einzelnen Grundgesetzen, die zu verschiedenen Zeiten gegeben wurden, sie besteht in den Verhältnissen, die sich zwischen Krone, Parlament, Adel und Gemeinden herausgebildet haben, Verhältnisse, die zum Theil nicht einmal auf schriftlichen Acten beruhen. Die wichtigsten Grundgesetze sind; die Charta libertatum von 1101, die Magna charta von 1215, die Petition of rights von 1627, die Acte Habeas corpus von 1679, die Declaration of rights von 1689, die Thronfolgeacten von 1701 und 1705, die schottische Unionsacte von 1705, die irische Unionsacte von 1800, die Emancipationsacte von 1829, die Reformacten von 1832; dazu kommen eine große Anzahl verschiedener Acten (von der Krone sanctionirter Bills) über Privat- und Corporationsrechte der mannigfaltigsten Art. Die gesetzgebende Gewalt ruht bei dem Parlamente, insofern jedes Gesetz von demselben nach den vorgeschriebenen Regeln discutirt und angenommen worden sein muß, bevor es durch die Sanction der Krone rechtskräftig wird. Das Parlament besteht aus dem Ober- und Unterhause. Das Oberhaus zählt ungefähr 340 Mitglieder, Pairs, welche diese Würde größtentheils erblich besitzen; es gehören aber auch 26 anglicanische Bischöfe u. Erzbischöfe zu ihnen. Die weltlichen Pairs gehören verschiedenen Rangstufen an, die aber die gleichen polit. Rechte haben: die königl. Prinzen, die Herzoge (Dukes), Markgrafen (Marqueses), Grafen (Earls), Vicegrafen (Viscounts), Barone (Barons). Die Würde sowie die Grundbesitzungen erbt der älteste Sohn; neue Pairs ernennt die Krone, ist jedoch bis jetzt sparsam verfahren. Die Pairs sind der eigentliche Adel (Nobility, noblemen); ihre polit. Berechtigung ist im Parlamente der des Unterhauses gleich, nur geht von dem letztern das Budget aus. Dagegen bildet das Oberhaus einen Gerichtshof bei Staatsprocessen, bei Criminalprocessen einzelner seiner Mitglieder, endlich ist es in einzelnen Fällen auch Appellhof, wo alsdann die Präsidenten der einzelnen Gerichtshöfe im Oberhause Sitz und Stimme haben. Das Unterhaus, Haus der Gemeinen, besteht aus gewählten Mitgliedern, seit der Reformacte von 1832 aus 500 Repräsentanten für England, 53 für Schottland, 105 für Irland, theils von den Grafschaften, theils von den Städten u. Universitäten gewählt; Wähler sind alle Einwohner von Städten, welche 10 Pfd. Sterl. Miethe einnehmen od. bezahlen, alle Grundbesitzer und Pächter, welche 10 Pfd. jährlichen reinen Einkommens haben; die Abstimmung bei den Wahlen ist mündlich und öffentlich, die Dauer eines Unterhauses 7 Jahre. In demselben sitzen die meisten jüngeren Mitglieder der engl. Aristokratie, die Pairssöhne, deren Väter noch leben, jedenfalls nur Leute. welche durch Reichthum und gesellschaftliche Stellung hohes Ansehen genießen, so daß nach der Sprechweise des Festlandes das engl. Unterhaus sehr aristokratisch zusammengesetzt wäre u. das um so mehr, da kein Mitglied ein Taggeld empfängt. In demselben finden die entscheidenden Parteikämpfe statt; verliert ein Ministerium die Mehrheit, so tritt es ab, weil das Unterhaus das Budget, das immer nur auf 1 Jahr bewilligt wird, in Händen hat. Präsident ist der von dem Hause gewählte Sprecher (Speaker); die Freiheit der Debatte ist unbeschränkt, der Geschäftsgang aber durch eine ziemliche Anzahl scrupulös beobachteter Vorschriften u. Gebräuche geregelt. Die eigentliche untere Verwaltung des Landes ist gewissermaßen selbständig. Dasselbe ist bekanntlich in Grafschaften getheilt; an der Spitze einer Grafschaft stehen der Sheriff und der Lordlieutenant, beides unbesoldete Ehrenämter und von der Krone verliehen. Der Lordlieutenant ist Commandant der Miliz, der Sheriff der eigentl. Inhaber der vollziehenden Gewalt, indem er die Urtheile der Geschwornen vollziehen läßt, die Gefängnisse beaufsichtigt, die Wahlen abhält etc. Die Friedensrichter (s. d.) üben die Polizei in einzelnen Districten, wählen in ihren Versammlungen die Kirchspielbeamten, verhaften die eines Verbrechens Verdächtigen, bestimmen die Bürgschaft, weisen Landstreicher aus etc. Noch größere Freiheit besitzen die Städte, wo die ganze Verwaltung in den Händen von 2 Ausschüssen liegt, dem Gemeinderath (Common Council) u. den Aldermen, mit einem wählbaren Mayor an der Spitze. Neben diesen Gemeinderechten bestehen die persönlichen jedes Briten; die »Habeas Corpus« Acte schützt ihn gegen willkürliche Verhaftung; jeder kann in Criminalsachen nur von Seinesgleichen gerichtet werden; Preß- und Redefreiheit, sowie das Versammlungs- u. Vereinsrecht ist gewährleistet, jedoch der Mißbrauch mit schweren Strafen bedroht. Es besteht vollständige Religionsfreiheit, nur förmlicher Atheismus ist verpönt. Die engl. Gerichtsverfassung hat sich ebenfalls sehr eigenthümlich und selbst ständig ausgebildet. Das engl. Recht besteht aus dem Common-law (Gewohnheitsrecht), dem Statute-law (die fast unzähligen durch Parlamentsacten erlassenen Gesetze) und den Vorgängen, Precedents, Fälle, welche eine Grundlage zum späteren Verfahren bei ähnlichen Verhältnissen bilden. Die Processe sind sehr kostspielig, für die ärmeren Volksklassen sind die Kosten geradezu unerschwinglich; denn die Hauptgerichte sind alle in London, dahin muß sich also jeder wenden, der einen bedeutenderen Proceß hat. Die Grafschafts- u. Städtegerichte der Sheriffs und Mayors etc. können nur in Streitsachen unter 40 Schilling entscheiden. Die Advocaten sind sehr zahlreich und theilen sich in Attorneys (s. d.) und Barristers (s. d.), genießen großes Ansehen und erwerben sich oft hohe Staatsämter und großes Vermögen. Die hohen Gerichte sind: die Königsbank (Kings-, gegenwärtig Queens- [Königin] bench); Exequer court u. Common pleas, von der Common pleas kann man an die Kingsbench, von dieser an die Court of chancery u. von da an das Oberhaus appelliren. Das Verfahren dieser Gerichtshöfe ist theils schriftlich, theils mündlich, letzteres immer bei der Hauptverhandlung; sie sind zusammengesetzt aus einem Präsidenten (Lord-Chief-Baron) und 3 Beisitzern. Daneben besteht noch das Kanzleigericht (Court of chancery) unter dem Großkanzler, dem Vicekanzler und 12 vortragenden Räthen, welche in Processen der Krone, Vormundschaftssachen, Concursen etc. sprechen und nach Billigkeitsgründen (daher court of equity) die Urtheile ändern, wenn keine bestimmten Gesetze oder Gewohnheitsrechte verletzt werden. Der Gerichtshof der Doctors commons (d.h. des röm. und canon. Rechts) entscheidet über Ehesachen, mitunter, z.B. im Krieg, über völkerrechtliche Fragen, da das Völkerrecht in seinen Bereich gehört. Die Nachtheile der Centralisation der Gerichte in London werden dadurch etwas gemildert, daß die Richter alle Vierteljahre in die verschiedenen Theile Englands reisen und kleinere, manchmal auch größere Processe schlichten (Quarter sessions); ihre Hauptthätigkeit bei diesen Reisen besteht jedoch in der Abhaltung der Schwurgerichte in Criminalsachen. Bevor der Richter anlangt, entscheidet die große Jury (grand jury, aus 24 Geschwornen bestehend), ob der verhaftete Angeklagte vor die kleine Jury (petty jury), das eigentliche Geschwornengericht, zu stellen ist. Dies besteht aus 12 Mitgliedern, die nach ihrer Ueberzeugung »schuldig« oder »unschuldig« sprechen; Einstimmigkeit der Geschwornen ist zum Ausspruche nöthig u. beim »schuldig« spricht der Richter das Urtheil nach dem Gesetz. Die Jury entscheidet auch in Preßprocessen, Ehebruchsprocessen, Injurienklagen etc. – Wie schon bemerkt, besteht in G. vollständige Religionsfreiheit; dessenungeachtet gibt es Staatskirchen; für England u. Irland (für letzteres dem Namen nach), ist es die sog. anglican. od. Hochkirche, für Schottland die presbyterianische. Zur Staatskirche bekennen sich die höheren Stände in England und der größere Theil des Landvolks, nicht aber der Städtebevölkerung, welche meistens den Dissenters, d.h. von der Hochkirche abweichenden Bekenntnissen, angehört; die Zahl der Katholiken wird auf 91/2 Mill. berechnet, von denen über 6 Mill. auf Irland kommen. Sie haben erst durch die Emancipationsacte die vollen bürgerl. Rechte erhalten, und erst 1850 hat Pius IX. den Katholiken in England Erzbischöfe u. Bischöfe gegeben, welche aber von der Regierung noch nicht anerkannt werden (selbst die irischen werden wohl thatsächlich aber nicht ausdrücklich anerkannt, weil die anglican. Kirche noch immer als die in Irland herrschende gilt; s. Irland). Die anglican. od. Hochkirche nähert sich in ihrer Dogmatik der reformirten, ihre Einrichtung ist aber hierarchisch. Die Stelle des Papstes nimmt der König ein; Primas von G. ist der Erzbischof von Canterbury, von England der von York; Irland hat einen Erzbischof von Dublin und einen von Armagh; neben diesen 4 Erzbischöfen gibt es 27 Bischöfe, von denen 24 dem eigentl. England angehören. Unter den Bischöfen stehen Decane und Pfarrer, erstere von der Regierung, letztere in der Regel von den Grundherren ernannt. Die Hochkirche ist der aristokrat. Regierung angepaßt und durch König Heinrich VIII. und Königin Elisabeth sowie durch das Parlament eingerichtet worden. Die Bischofssitze, Decanate und einzelne Pfarreien sind sehr reich dotirt; auch werden mehre kleinere Stellen oft in einer Hand vereinigt; denn die Hochkirche ist neben der Flotte u. dem Heere eine Versorgungsanstalt für die jüngeren Söhne des Adels. Die kleineren Stellen, welche mit Geistlichen aus dem Mittelstande besetzt werden, sind höchst ärmlich dotirt; eine eigene Steuer wird zur Unterhaltung der Kirchen umgelegt. Die Hochkirche ist ihrem Wesen entsprechend immer auf torystischer Seite; die Whigs haben es bisher nie gewagt, einen ernstlichen Angriff auf die in ihr herrschenden Mißverhältnisse zu unternehmen, wohl aber wird sie von den Presbyterianern, Wesleyanern, Baptisten etc. heftig befehdet, während der aus ihrer Mitte hervorgegangene Puseyismus (s. d.) sie innerlich aufzulösen droht. Mit der Hochkirche hängen die beiden Universitäten Oxford und Cambridge zusammen (s. Universitäten). Für den höheren Unterricht ist durch Universitäten, Grammar schools, Colleges u. Privatinstitute gut gesorgt, auch an Schulen für Techniker ist kein Mangel, dagegen ist das Volksschulwesen ziemlich vernachläßigt, wenn man es mit dem deutschen vergleicht. Kein Vater kann verpflichtet werden, sein Kind in eine Schule zu schicken, daher wächst auch die Mehrzahl der Kinder der Armen, der Fabrikarbeiter, Seeleute etc. ohne allen Unterricht auf. Daß es in England viele Arme gibt, ist eine bekannte Sache, jedoch sind darüber ganz übertriebene Meinungen im Umlauf. Irland ist allerdings die Heimath der Armuth in Folge der systematischen Beraubung der Irländer unter Elisabeth, Cromwell u. Wilhelm III.; dort mildert sich aber das Uebel durch die massenhafte Auswanderung, die in 10 Jahren über 11/2 Mill. betrug, wodurch die Arbeitslöhne beträchtlich gesteigert wurden. Schottland hat in den Hochlanden und auf den nahen Inseln viele Arme, dagegen sehr wenige im Niederlande, in England endlich gibt es Arme hauptsächlich nur in den Städten. Daß in einem vorzugsweise industriellen Staate, wie England ist, bei Geschäftsstockungen u. Handelskrisen eine vorübergehende allgemeine Arbeitslosigkeit und Noth eintreten kann, wie man sie in weniger industriellen Ländern nicht kennt, leuchtet ein, im Allgemeinen aber lebt der Arbeiter in England viel besser als in irgend einem anderen Lande (s. d. Art. Armentaxe). – Geschichte. Ueber England bis zur Eroberung (1066) durch die franz. Normannen s. »Angelsachsen«. Wilhelm I., der Eroberer, vertheilte 60215 Lehen unter seine Waffengefährten, so daß nur wenige Grundeigenthümer ihren Besitz retten konnten; die angelsächs. Nation wurde mit furchtbarer Strenge niedergehalten u. eine Militärherrschaft eingeführt. Die Dynastie Wilhelms I. st. jedoch bald aus und ihr folgte 1154 die verwandte der Plantagenet od. Anjou, die bis 1485 regierte. Heinrich II. (1154–89) besaß in Frankreich die Normandie und Anjou und erheirathete die Guyenne und Poitou, er bezwang auch einen Theil Irlands, errichtete ein stehendes Heer u. ein regelmäßiges Finanzsystem, sein Streben nach der Herstellung der unbeschränkten Königsmacht aber scheiterte an dem Widerstande der Kirche (s. Becket). Sein Sohn Richard I. Löwenherz (1189 bis 99) nahm am 2. Kreuzzuge Theil und wurde nach demselben in Frankreich beschäftigt, dessen Bruder Johann ohne Land (1199–1216) verlor fast alle Besitzungen in Frankreich bis auf Guyenne, verletzte aber alle Stände durch Gewaltthätigkeiten und Untreue, so daß sich alles gegen ihn vereinigte, als er von dem Papste Innocenz III. mit dem Banne belegt wurde. Der Adel erzwang von ihm 1215 die Magna charta, einen Schirmbrief gegen willkürliche Abgaben und Strafen sowie gegen Eingriffe in die Stadtrechte. Unter Heinrich III. (1216–72), der seinem Vater in mancher Hinsicht glich, verwirrte ein wechselvoller Kampf des hohen Adels mit dem Königthum das Reich, eine Art permanenter Revolution; das Geschwornengericht erhielt wieder allgem. Geltung, die Reichsversammlung (Parlament), aber wurde durch die Abgeordneten der Städte vervollständigt (1265). Sein Sohn Eduard I. (1272–1307) regelte das Parlament und die Gesetze, indem die angelsächs. und normänn. in Einklang gebracht wurden, was die Verschmelzung der Angelsachsen und Normannen zu der engl. Nation wesentlich förderte. Er unterwarf auch Wales u. bereitete die Vereinigung Schottlands mit England vor. Nach der schwachen Regierung Eduards II. (1307–27) bezwang Eduard III. (1327–77) die Schotten, fing mit dem Hause Valois in Frankreich den vieljährigen Erbfolgekrieg an, konnte aber trotz der Siege von Crecy und Maupertuis gegen das Ende seines Lebens seine Eroberungen in Frankreich nicht behaupten. Unter Eduard III. begann 1343 die Scheidung des Parlaments in ein Ober- u. Unterhaus u. hörte 1362 die franz. Sprache als Staatssprache auf. Richard II. (1377–99) hatte mit einem großen Bauernaufstand zu kämpfen und wurde nur durch die Bürgerschaft von London gerettet; die Folge war das Erlöschen der Leibeigenschaft; doch ist keine Acte bekannt, durch welche dieselbe förmlich aufgehoben worden wäre. Mit dem Parlamente lebte er fortwährend im Streit und als er die Oberhand zu gewinnen schien, empörte sich sein Vetter, der Herzog von Hereford aus dem Hause Lancaster, stürzte ihn und ließ ihn im Gefängniß ermorden. Dieser folgte ihm als Heinrich IV. (1399–1413); unter ihm wurden die ersten jedoch noch sehr unbestimmten Gesetze über die Grafschaftswahlen erlassen; sein Sohn Heinrich V. (1413–22), der die Ansprüche Eduards III. auf die franz. Krone wieder geltend machte und fast ganz Frankreich eroberte, st. zu frühe. Heinrich VI. (1422–61) verlor alle Eroberungen bis auf Calais und wurde durch seine Unfähigkeit die Ursache des 30jährigen Kampfes der Häuser Lancaster u. York (rothe und weiße Rose) um die Krone, ein welchem das königl. Haus und der größte Theil des alten Adels zu Grunde ging. Richard III., aus dem Hause York, blieb 1485 bei Losworth, der letzte Plantagenet, gegen Heinrich von Richmond, aus dem Geschlechte Tudor, das nun von 1485 bis 1603 den Thron inne hatte. Heinrich VII. (1485–1509) fand es möglich, in dem durch den langen Bürgerkrieg ermüdeten England eine fast unumschränkte Königsmacht herzustellen, welche sein Sohn Heinrich VIII. (1509 bis 47) dazu benutzte, in England eine eigenthümliche Form der Reformation einzuführen, welche Form unter Eduard VI. (1547–53) in der Art ausgebildet wurde, wie sie noch jetzt besteht. Unter Königin Maria (1553–58) erfolgte eine kurz dauernde kathol. Reaction, welche unter Elisabeth (1558–1603) einer um so durchgreifenderen protestantischen Platz machte. Diese Königin führte einen siegreichen Krieg mit Philipp II. von Spanien, unterstützte den Abfall der Niederlande u. legte den Grund zu dem Welthandel u. dem Colonialreiche Englands durch die Ansiedelungen in Nordamerika und die Gründung der ostind. Compagnie. Sie unterwarf Irland vollständig, richtete Maria Stuart, die Königin von Schottland, zu Grunde und bereitete die Vereinigung Schottlands mit England vor, indem sie ihren Vetter, den König Jakob von Schottland, den Sohn der hingerichteten Maria Stuart, zu ihrem Nachfolger ernannte. König Jakob I. (1603–25), aus dem Hause Stuart, lebte in beständigem Zwiste mit dem Parlamente, das schon in den letzten Jahren der Königin Elisabeth wieder freier aufgetreten war. Er haßte die Presbyterianer und wollte sie mit Gewalt der anglican. Kirche zuführen, noch mehr aber die Katholiken; einige Fanatiker unter denselben hatten den unsinnigen Versuch gemacht, den König sammt dem Parlamente in die Luft zu sprengen (Pulververschwörung 1605), wodurch sie ihren Glaubensgenossen schwere Verfolgungen bereiteten. Jakobs I. Sohn, Karl I. (1625–49) folgte denselben Regierungsgrundsätzen wie sein Vater, löste ein Parlament nach dem andern auf u. regierte endlich 11 Jahre ohne Parlament. Aber ein Krieg gegen Spanien wie ein anderer gegen Frankreich fielen unglücklich aus, die Erhebung der Abgaben verursachte allgemeine Unzufriedenheit u. als der König die schott. Presbyterianer zu dem anglican. Gottesdienst zwingen wollte, entstand ein Aufruhr, der sich bald über die engl. Gränze verbreitete. Der König berief nun das Parlament (1640) wieder ein, das sich aber bald der Regierungsgewalt bemächtigte und ein eigenes Heer unter die Waffen rief. Der König entfernte sich aus London u. sammelte gleichfalls ein Heer, dessen Kern die Landedelleute bildeten. Er siegte, bis Oliver Cromwell aus puritanischen Schwärmern eine unüberwindliche Truppe bildete, welche bei Marstonmoor u. Naseby (14. Juni 1645) das königl. Heer zersprengte. Der König flüchtete zu den Schotten, wurde aber von diesen an das engl. Parlament ausgeliefert. Dieses verlor seine Gewalt bald an das Militär oder vielmehr an dessen Führer Cromwell, der nun durch ein sog. Gericht des Unterhauses den König zum Tode verurtheilen u. den 30. Jan. 1649 hinrichten ließ. Das aufgestandene Irland wurde in einem gräuelvollen Kriege unterworfen, Karls gleichnamiger Sohn, den die Schotten als König gekrönt hatten, bei Dunbar und Worcester geschlagen und zur Flucht nach Frankreich genöthigt. Das Parlament hätte nun das Militär gerne entlassen, Cromwell aber sprengte das Parlament u. machte sich zum Protector der engl. Republik. Er löste mehre Parlamente auf, weil sie die Dictatur des Protectors antasten wollten, regierte aber kraftvoll u. mäßig (nur gegen die Katholiken verfuhr er mit blutigem Hasse), erließ die Navigationsacte, durch welche er den holländ. Zwischenhandel tödtlich traf, führte mit Holland, Spanien und den Raubstaaten glückliche Kriege und verschaffte England in Europa eine Achtung, die es vorher nie genossen hatte. Er st. den 3. Septbr. 1658; sein Sohn Richard konnte sich nicht behaupten, weil er seinem Vater in keiner Beziehung gleich war, u. England schien zum Schauplatz eines neuen Bürgerkriegs bestimmt, als General Monk aus Schottland nach London rückte und ein neues Parlament berief, welches im Mai 1660 den Sohn des hingerichteten Königs als Karl II. ausrief, was mit allgem. Jubel aufgenommen wurde, weil man die Herrschaft des Militärs und der hochmüthigen, vielmal heuchlerischen Puritaner herzlich satt hatte. Karl II. (1661–85) stieß bald auf heftigen parlamentarischen Widerstand, als seine Abneigung gegen das constitutionelle System bemerkt wurde. Da er zugleich in den Verdacht kam, daß er insgeheim der kath. Kirche anhänge und die Plane Ludwigs XIV. von Frankreich begünstige, brach der alte Haß gegen die Katholiken wieder furchtbar aus und der König mußte die Testarte erlassen, durch welche diesen der Zutritt zu allen bürgerl. und militär. Aemtern entzogen wurde. Die »Habeas corpus« Acte kam ebenfalls unter seiner Regierung zu Stande, weil der König bei dem wachen Haß gegen die Katholiken und dem gänzlich unpopulären, in Frankreichs Interessen geführten Krieg gegen Holland durch die drohende Haltung des Volks zur Nachgibigkeit gegen die Forderungen des Parlaments genöthigt war. Verschwörungen gegen seine Person sowie das offenkundige Bestreben vieler Whigs (die Parteinamen Whigs und Torys entstanden damals), eine demokrat. Revolution zu bewirken, stimmten später die öffentl. Meinung so um, daß Karl II., da er keine gesteigerten Geldforderungen machte, die letzten Jahre ohne Parlament regieren konnte. Sein Bruder u. Nachfolger (1685 bis 88), der kathol. Jakob II., hatte sogleich mit großem Mißtrauen zu kämpfen, was Karls natürl. Sohn, der Herzog von Monmouth, zu einem Aufstande benutzte, der ihn und viele seines Anhangs das Leben kostete. Jakob II. beutete seinen Sieg aus, schreckte seine Feinde und stellte eine beträchtliche Armee auf. Er rief jedoch durch die Aufhebung der Gesetze gegen die Katholiken den protest. Fanatismus ins Gewehr, die anglican. Bischöfe protestirten, doch er vergab nichts destoweniger Offiziersstellen und geistl. Pfründen an Katholiken, an welchem unklugen Verfahren ihn weder die Warnungen des Papstes noch die seines Bundesgenossen Ludwigs XIV. zu hindern vermochten. Die Emigranten und Jakobs II. eigener Schwiegersohn, der niederländ. Statthalter Wilhelm von Oranien, rüsteten eine Expedition nach England aus, wo eine Anzahl einflußreicher Herren ihren Beistand zugesagt hatten. Ludwig XIV. kannte die Lage genauer als Jakob II., statt aber mit seiner Armee den Oranier zu bedrohen, griff er Deutschland an und Jakob II. verlor den Thron, ohne daß sich in England ein Schwert für ihn erhob. Er kam als Flüchtling nach Frankreich, Wilhelm von Oranien aber wurde als Wilhelm III. mit seiner Gemahlin Maria König (1688–1702) u. befestigte seinen Thron durch den am Flusse Boyne 1690 über die Irländer erfochtenen Sieg. Unter ihm, obwohl sehr gegen seinen Willen, wurden die Rechte des Parlaments (durch die bill of rights) genau formulirt und die königl. Macht so weit beschränkt, daß dem König der Oberbefehl über die bewaffnete Macht nur je auf 1 Jahr eingeräumt wurde (bill of mutiny). Nachdem die inneren Kämpfe beendigt waren, nahm England sogleich nach außen eine hervorragende Stellung ein. Da Ludwig XIV. Jakob II. unterstützte, kam es zum Kriege, in welchem der engl. Sieg bei La Hogue dem frz. Uebergewicht zur See ein Ende bereitete. Gleichzeitig machte es die Stimmung des engl. Volkes Wilhelm III. möglich, die von ihm so lange angestrebte Coalition gegen Ludwig XI V. zu Stande zu bringen. Seine Nachfolgerin u. Schwägerin Anna (1702–14) führte durch Marlborough den Krieg, so lange es den Interessen G.s nützlich schien und gewann von Spanien das wichtige Gibraltar und Minorca, einige amerikan. Colonien u. den Assientotractat (s. d.). Unter Anna wurde 1707 Schottland mit England vereinigt u. die Erbfolge 1708 dem Hause Hannover (das durch Jakobs I. Tochter, Elisabeth von der Pfalz, mit dem Hause Stuart verwandt war) zugesichert. Georg I. (1714–27) hatte zwar einen Aufstand der Anhänger der Stuarts in Schottland zu bekämpfen, der aber nur zur Befestigung seiner Macht diente; unter ihm setzte der whigistische Minister Horace Walpole die 7jährige Parlamentsdauer durch und führte das Bestechungssystem ein, das noch bei den engl. Wahlen herrscht. Auch Georg II. (1727–60) regierte mit Whigs, welche zuletzt einem übertriebenen Friedenssysteme huldigten u. dadurch sowie durch ihren Nepotismus der Nation verächtlich wurden und fielen. In dem österr. Erbfolgekriege schritt G. zu Gunsten Oesterreichs ein, im 7jähr. zu Preußens, als Frankreich und Oesterreich sich verbündet hatten. Während dieses Krieges führte Chatham (der ältere Pitt) das Staatsruder und zeichnete den polit. Operationsplan vor, den England bis 1815 befolgte: Begründung der engl. Uebermacht zur See durch jedes Mittel, besonders durch die Eroberung der span., franz. und holländ. Colonien; geringe Theilnahme an europ. Continentalkriegen, Benützung derselben zur Schwächung eines Rivalen, indem dessen Feinde durch Subsidien und wohl auch durch Hilfscorps unterstützt werden, ohne daß sich jedoch England zu weit einläßt. So gewann es Canada u. durch Clive (s. d.) die Uebermacht in Ostindien u. vernichtete den franz. Handel fast gänzlich. Georg III. (1760–1820) verließ das bisherige System und regierte mit den Torys; Spanien gewährte er einen wohlfeilen Frieden, bestand aber, als wegen einseitiger Besteurung die nordamerikan. Colonien schwierig wurden, darauf, daß dieselben nöthigenfalls mit Waffengewalt zum Gehorsam angehalten würden. Der dadurch entstandene Krieg, an dem zuletzt Frankreich, Spanien und Holland gegen England Theil nahmen, kostete im Frieden von 1782 die nordamerikan. Colonien, belud das Land mit mehr als 100 Mill. Schulden und forderte ungeheure Anstrengungen, um G.s bedrohte Seeherrschaft zu retten. Gleichzeitig entstand ein furchtbarer Parteikampf zwischen Whigs und Torys, während sich zugleich die neue Partei der Radicalen ausbildete. Die franz. Revolution und der Krieg gegen das rasch aufstrebende Frankreich verdrängte jedoch alle Reformbestrebungen und diente durch die Unirung Irlands (1800) zur Befestigung der bisherigen Zustände; er endete 1815 mit dem vollständigen Triumphe Englands, der kaum durch den Krieg mit Nordamerika (1812–14) getrübt wurde. England behielt die eroberten Antillen und einen Theil von Guyana, das Cap, Ceylon, Isle de France, in Europa Helgoland, Gibraltar, Malta und die jonischen Inseln, hatte sein anmaßliches Seerecht durchgesetzt und arbeitet durch die Befreiung der Neger in den Colonien u. durch das Verbot des Sklavenhandels an dem Ruin der span. und portug. Colonien, auf deren Kosten es seine ostind. zu heben beabsichtigt. Der Gang der inneren u. äußeren Politik blieb sich auch unter Georg IV. (1820–30) gleich; in Ostindien wurden Birmanen u. Mahratten gedemüthigt u. das ungeheure Reich der ostind. Compagnie erweitert, auch vom Caplande aus gegen die Kaffern Land gewonnen, in Australien Colonien angelegt, die abgefallenen Colonien der Spanier und Portugiesen zuerst heimlich und dann öffentlich unterstützt. Dies geschah besonders durch Cannings Einfluß, der von 1822–27 die Leitung der äußeren Politik an sich brachte und den Continentalmächten, welche Englands unverhältnißmäßigen Einfluß zu dämmen suchten, durch Unterstützung der revolutionären Bewegungen Trotz bot. Nach seinem Tode trat in dieser Beziehung eine Pause ein, dagegen wurde Griechenland unterstützt und 1829 durch Wellington und Peel die Emancipation der Katholiken durchgesetzt, welche England 1830 vor einer Revolution bewahrte, indem sie den 9 Mill. Katholiken endlich die Bürgerrechte gab. Wilhelm IV. (1830–37) hielt das Whigministerium des Lord Grey in so weit, daß dieses 1832 die Reformbill durchsetzte, durch welche viele sog. »verfaulte« Flecken ihr Wahlrecht verloren, dagegen neu aufgekommene Städte dasselbe erhielten, wodurch die Aristokratie die unbedingte Verfügung über mehr als 100 Plätze im Unterhaus verlor, jedoch noch immer das Princip festgehalten wurde, daß die Landbevölkerung und die Corporationen ein Uebergewicht über die industrielle Bevölkerung behielten. Den 20. Juni 1837 bestieg Victoria den Thron; die Parteikämpfe haben sich fortgesponnen, aber noch nicht entwickelt, weil Torys und Whigs eigentlich nur mehr verschiedene Namen einer Partei, die Radicalen aber noch nicht stark genug sind, sich der Gewalt zu bemächtigen. Die Tendenz, den Gegensatz der religiösen Bekenntnisse für den Staat indifferent zu machen, die Industrie u. dadurch den Handel auf jede Weise zu begünstigen ist unverkennbar (s. Kornbill), aber eben so gewiß, daß das Gewicht der industriellen Bevölkerung immer bedeutender wird u. dem Radicalismus die Gewalt einzuhändigen droht. In der auswärtigen Politik ist manches gelungen, manches mißglückt; gegen Kaffern, Chinesen, die Amirs von Sindh, gegen die Sikhs wurden glückl. Kriege geführt, dagegen in Afghanistan ein Heer verloren (s. Afghanistan, China, Kaffern, Sind, Sikhs) u. Nordamerika in seiner Ausbreitung auf Kosten Mexikos nicht verhindert, weil G. den Kampf mit demselben nicht wagte. Lord Palmerston, der in den kürzlich verflossenen Revolutionsjahren die auswärtigen Angelegenheiten leitete, brachte England unberechenbaren Schaden; er begünstigte die Aufstände und bewies sich gegen befreundete Regierungen hochmüthig und feindselig, ohne es jedoch zu wagen, die Revolutionäre mit Macht zu unterstützen, wodurch er die Continentalmächte eigentlich dazu nöthigte, England nie mehr die Hauptrolle in europ. Angelegenheiten zu überlassen, sondern dasselbe entweder zu isoliren od. bei gemeinschaftl. Action so in Mitleidenschaft zu ziehen, daß es seine ganze Macht einsetzen muß, u. nicht mehr nach Belieben vorwärts oder rückwärts seine eigenen Wege gehen kann. Die histor. Schriften über G. sind zahllos, die geschätztesten: über die angelsächs. Periode Lappenberg und Kemble; über die normann. August Thierry und Turner; über die Reformationszeit Lingard; die Revolution Guizot und Dahlmann; über die Zeit der Stuarts Macaulay; über die Entwicklung der engl. constitutionellen Verfassung Hallam (vergl. Irland und Schottland).


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