China

China

China, Sina, bei den Russen Khitai, in der officiellen Sprache der Chinesen Tschanghoa, die Blume der Mitte, oder Tai-tsin-kun, das Reich der reinen Herrschaft genannt, der Seelenzahl nach das erste, dem Umfange nach das zweite Reich der Erde, gränzt nördl. an Sibibirien, westl. an die Kirgisen, Buräten, die Khanate von Khokand und Badakschan, südl. an die vorderindischen Gebirgsländer Kaschmir, Nepal u. Butan, an die hinterindischen Staaten von Birma, Anam und Laos, östl. an den großen Ocean. Es umfaßt das eigentliche China, die Mandschurei, Mongolei, die sog. kleine Bucharei, Thian-schan-he-lu, Thian-schan-nan-lu, als Schutzstaaten Tibet, die Halbinsel Korea, den Archipel der Lieu-khieu Inseln, einen Flächeninhalt, der zu 250000 □M. mit 367 Mill. E. berechnet wird. Der reichste und wichtigste Theil des Reiches ist das eigentliche China, von der Mandschurei, dem centralen Hochasien, Hinterindien und dem großen Ocean umgeben; es erscheint als der östl. Abfall des centralen Hochlandes, von mächtigen Gebirgsketten durchzogen, die von dem Hochlande ausgehen; nur der nordöstl. Theil ist eine Tiefebene, in der die Hauptströme Chinas der Hoang-ho Jang-tse-kiang ihren Weg zum Meere suchen, während Cambodja, Menam, Irawaddi und Brahmaputra vom Hochlande südwärts in die hinterindische Halbinsel hinunterfließen. Das Klima von China ist ein sehr verschiedenes, was sowohl von seiner Erstreckung gegen Nord und Süd als der Erhebung des Bodens bis zur größten Gebirgshöhe abhängt; der größere Theil des Reiches hat gemäßigtes Klima, das sich im Südosten dem tropischen nähert. Dem Klima entsprechen die Erzeugnisse des Pflanzen- und Thierreiches, die alle europäischen Gattungen aufweisen, daneben aber durch Bambusrohr, Drachenbäume, Sandelholz, Zuckerrohr, Pfeffer u.s.w., sowie durch Tiger, Leoparden, Pfauen etc. die tropische Nachbarschaft beurkunden. Von den wildwachsenden Pflanzen ist die Gensengwurzel als einheimisches Arzneimittel von großer Wichtigkeit und die des Rhabarbers auch als Ausfuhrgegenstand. Die Baumwolle liefert den allgemeinen Kleidungsstoff, die Seide den luxuriösen; Reis ist das allgemeinste Nahrungsmittel, Thee von derselben Bedeutung wie bei uns geistige Getränke. Der Anbau des Bodens ist vortrefflich, auch die Viehzucht bis zu Huhn und Taube herab emsig und verständig betrieben; von großer Wichtigkeit ist die See- und Flußfischerei, wie denn überhaupt die Chinesen das Thier- und Pflanzenreich als Nahrungsquellen viel mehr ausbeuten und aus denselben viel mehr genießbar finden als die Europäer. Die Einwohnerzahl des gesammten Reichs wird wie oben gesagt auf 367 Mill. angegeben; diese bestehen in der Hauptmasse aus eigentlichen Chinesen, Mandschu (tungusischer Stamm), Mongolen, Tibetanern, Inselbewohnern, die zum Theil mit Malaien gemischt sind. Der Chinese beurkundet durch breites Gesicht, starke Backenknochen, enggeschlitzte Augen, untersetzten Bau seine mongolische Abkunft. Er ist ausdauernd, arbeitsam, hat ungewöhnliches mechanisches Geschick, erwirbt und spart mit Virtuosität, ist aber dabei verschmitzt, betrügerisch, feige, grausam und wollüstig. Fettleibigkeit und lange Nägel machen die Herren kenntlich, als welche die Hände nicht zu nägelgefährdenden Arbeiten gebrauchen und der Verdauung viele Muße widmen können. Das weibliche Geschlecht ist sehr untergeordnet; viele neugeborne Mädchen werden ausgesetzt oder in die Flüsse geworfen. Staatsreligion ist die des Kong-fu-tse (Confucius), angeblich die restituirte Religion der Vorfahren; weit aus der größte Theil der Einwohner hängt aber dem vielgestaltigen Buddhismus an und vornehme Chinesen wissen in der Regel nicht, ob und welche Religion sie haben; was die gegenwärtig siegreich vordringenden Revolutionäre für einen Glauben einführen wollen ist noch nicht zu entscheiden, obwohl sie Götzentempel und Götzenbilder zerstören und die Bonzen umbringen. Die Staatsverfassung ist despotisch; der Kaiser nennt sich »Sohn des Himmels« und ernennt seinen Nachfolger aus seinen Söhnen willkürlich; der Kaiser ist nicht nur der Herrscher Chinas, sondern auch dessen Patron bei den himmlischen Mächten, also selbst eine Art Gottheit, daher trifft China nach der Staatsreligion nur dann Unheil, wenn entweder der Kaiser die himmlischen Mächte persönlich erzürnt oder er seine Kinder (Unterthanen) nicht gehörig in Zucht hält und sie freveln läßt. Von dem Ministerrath stuft sich die Beamtenmacht vortrefflich geordnet und durch Pfauenfedern und farbige Knöpfe auf der Mütze ausgezeichnet bis zu dem Gemeindebeamten herab. Diese Herren (Mandarinen) müssen sehr viele und rigorose Prüfungen bestehen, wenn sie sich zu hohen Würden befähigen wollen. Hauptstadt und Residenz ist Pecking, der Drachensitz genannt, weil das kaiserliche Wappen ein Drache ist. Das Staatseinkommen wird theils in Geld, theils in Naturalien erhoben und soll 36 Mill. Taels (oder Leangs = 2 Thl. 11/2 Sgr. der T.) jährlich betragen haben; das Kriegsheer zählt nach den Listen der Kriegsmandarinen nicht weniger als 1200000 M.! Der Ausfuhrhandel ist sehr bedeutend, Hauptartikel sind: Thee, über 90 Mill. Pfd., Seide, Porzellan, Lackwaaren, Metallarbeiten, Rhabarber, Tusche, Drechslerwaaren, Papier. Eingeführt werden: Opium durch die Engländer, Glas, Wollentuch, Pelzwerk, Metallwaaren, auch Wein und Branntwein. Die Bildung der Chinesen ist eine uralte und weitvorgerückte, aber während ihrer Entwicklung stecken gebliebene; sie kannten vor uns den Compaß, das Schießpulver, die Buchdruckerkunst, die Glockengießerei, sind aber nun in allen diesen Künsten überflügelt. Nicht besser ist es ihnen in der Malerei, Porzellanbereitung, Lackwaarenfabrikation etc. gegangen. Dieses merkwürdige Stehenbleiben erklärt sich durch den wohlorganisirten, das ganze Volksleben bannenden Despotismus und das hermetische System der Absperrung gegen außen, wozu die natürlichen Gränzen des Reiches mithalfen. – Nach der alten Sage der Chinesen wanderten ihre Väter 100 Familien stark aus dem Quellgebiete des Hoangho in Hochasien in das Ostland herunter und gründeten dort ihren patriarchalischen Staat. Die Sage wird aber alsbald zur Mythe, nach welcher Götter und darauf Göttersöhne (unter diesen Fohi und Yao) fast zahllose Jahrtausende über das glückliche China herrschen. Die historische Zeit läßt man mit der Dynastie Hia (2002–1767 v. Chr.) beginnen, auf welche die der Schang folgt (1122 v. Chr.), eine Periode, die indessen noch keineswegs festgestellt ist. Weitere Dynastien folgten: die der Tscheu (1122–249 v. Chr.); der Tsin (249–206 v. Chr.); der Han (206 v.Chr.–220 n.Chr.); darauf Zerfall des Reiches in 3 Reiche und Wiedervereinigung 280 n. Chr. durch Wuti, den Stifter der Dynastie Tsin, von welcher das Reich genannt wird. 386 n. Chr. eroberten die Mongolen den nördl. Theil des Reichs und stifteten dort ein eigenes; die Wiedervereinigung 589 durch die Dynastie Sui (590–618), Tang (619–907), die sogen. 5 späteren Dynastien Heu-wu-tai (907–960), Sung (960 bis 1279). Diese Anzahl der Dynastien weist auf große innere Erschütterungen, die auch wirklich stattfanden, und gleichzeitig dauerte ein wechselvoller Kampf mit den mongol. Nachbarvölkern im Norden und Osten fort. Im J. 1279 gelang es Kublai Khan, dem Mongolen, dem Sohne Oktais, China zu erobern und das ganze Reich unter seinem Scepter zu vereinigen. Die Mongolenherrschaft dauerte bis 1368 und war jedenfalls so gut als die der früheren eingebornen Dynastien; während dieser Zeit betrat der erste Europäer, Marco Polo (s. d. A.), den chinesischen Boden. Im J. 1368 gelang es Tschu oder Taitsong die Mongolen zu vertreiben; er stiftete die Dynastie Ming (1368–1645), welche 1645 den Mandschu (d.h. Anführer), einem Tungusenstamme aus dem Amurland, weichen mußte. Unter diesen erreichte das chinesische Reich seine größte Ausdehnung, besonders unter Kanghi (1661–1722) und dessen Sohn Yungtsching (1722–1735). Unter den Mandschu fand das Christenthum Eingang und die Missionen der Jesuiten hatten solchen Erfolg, daß man die christlichen Gemeinden nach Hunderten zählte und die Bekehrung des ganzen Reiches erwartet werden durfte; namentlich war es der treffliche Kanghi, der den Jesuiten persönlich sehr wohlgewogen war. Aber schon sein Sohn, ein wollüstiger Wütherich, der auch seine eigene Familie nicht schonte, begann eine blutige Verfolgung und nun erneuerten sich die Martyrien im fernsten Osten, welche vor mehr als 1000 Jahren so viele römische Cäsaren im Westen der alten Welt verhängt hatten. Es erfolgten wohl einige Pausen der Verfolgung, im Ganzen genommen dauerte sie aber fort und 1815 wurde allen kath. Missionären der Zutritt in das Reich und allen Chinesen das Bekenntniß der kath. Religion bei Todesstrafe verboten, ohne daß jedoch das kaiserl. Edict durchgeführt werden konnte, weil die Missionäre insgeheim das Land betraten und durchwanderten und die bekehrten Chinesen dem Glauben treu blieben. Die herrschende Kolonialpolitik der Europäer trug diese Früchte; denn damals begnügte man sich nicht mit Handelsverbindungen in den andern Erdtheilen, sondern man suchte Eroberungen, welche dem Handel und zugleich directe der Staatskasse tributär werden sollten, und Ostindien lag China so wenig ferne, daß dessen Herrscher nothwendig die europäische Politik durchschauen mußten. 1821 bestieg Taokuang (d.h. Glanz der Vernunft) den Thron, und nachdem er mongolische und chinesische Unruhen glücklich niedergeschlagen hatte, wurde er 1839 mit den Engländern in Krieg verwickelt. Die Chinesen hatten die Gewohnheit Opium zu essen oder zu rauchen angenommen und die Leidenschaft für diesen Genuß ging so weit, daß die Engländer das Gift zu Tausenden von Centnern ein führten, und als die Waare verboten wurde, einschmuggelten. Der Kaiser wurde darüber zornig und wollte wohl auch eine gute Gelegenheit benutzen, um sich die zudringlichen und habsüchtigen Engländer vom Halse zu schaffen, gleichwie es seinen japanischen Nachbarn mit den Portugiesen gelungen war. Als seine Edicte von den »Barbaren« nicht beachtet wurden, verbot er allen Verkehr mit ihnen; aber der Handel mit Opium brachte schon die Sterlinge nach Millionen in die Hände der Engländer zurück und bildete ein so großes Gegengewicht gegenüber ihrem Theeeinkauf in C., daß England das Verkehrsverbot mit einer Kriegserklärung beantwortete. Der Kampf dauerte bis 1842 und mußte enden, sobald die Engländer Ernst machten. Die chines. Dschunken wurden durch die engl. Dampfschiffe zerstört, die an der See oder den großen Flüssen gelegenen Städte erobert, endlich der Kaiserkanal, der große Verkehrsweg des Reichs, gesperrt und die zweite Stadt desselben, Nanking, besetzt. Da machte Taokuang den 26. Aug. 1842 Frieden, bezahlte 21 Mill. Dollars, öffnete den Engländern außer Kanton die Häfen Amoy, Fu-tscheu-su, Ning-po und Schang-hai und trat Hongkong ab; Nordamerika und Frankreich erlangten bereits 1844 durch bloße Drohungen förmliche Handelsverträge. Diese Niederlage des Kaisers erschütterte das Ansehen des Thrones durch den ganzen Umfang des Reichs; 1850 folgte Taokuangs 4. Sohn Inschu seinem Vater in der Regierung; die Empörungen nahmen bald einen gefährlicheren Charakter an, als bisher der Fall gewesen, die geheimen Gesellschaften, die in China seit Jahrhunderten bestehen sollen, organisirten den Aufstand, der nun nordwärts bis in die Nähe Pekings vorgedrungen ist und nichts Geringeres proclamirt als die Entthronung des Kaisers und die Vertreibung der Mandschu. Ueber das Haupt oder die Häupter des Aufstandes, über ihre Religion, ihre Plane für die Reconstituirung des Reichs, falls sie die Mandschu vertrieben, wissen wir nichts Zuverlässiges, indem die Berichte der Nordamerikaner und vielnamigen Europäer einander durchgängig widersprechen. Jedenfalls hat die Isolirung Chinas aufgehört, es muß in den Weltverkehr eintreten, nicht nur in den mercantilen, sondern auch in den geistigen, und diese Entwicklung muß um so rascher und eingreifender wirken, als C. auch von Californien aus mit der europ. Civilisation in Berührung gebracht wird und Chinesen massenhaft in das Goldland hinüberwandern.


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