Rhein, Rheingau

Rhein, Rheingau

Rhein, Rheingau. Vor allen andern europäischen Strömen birgt der Rheingott in seinen kühlen Schilflauben, in seinen tiefen Krystallgrotten, die erhabensten Schätze einer kaum zu ahnenden Vergangenheit. Als tändelnder Knabe entspringt er im Canton Graubündten den drei Sylphenarmen seiner tief unter den rhätischen Alpen und dem Crispalt vergrabenen Mutter, um sich später im fröhlichen Jugendübermuthe unsern des Städtchens Klingenau der schäkernden Aar zuzugesellen, welche sich bereits rechter, wie linker Hand tändelnden Gatten, wie Emme, Reuß, Limmat etc., in inniger Liebe antrauen ließ. Noch umtönen den wilden Alpensohn des Kuhreihens melodische Klänge: – aber von der mächtigen Sehnsucht in die Ferne verzehrt, spottet er des Schweizerheimwehs; vergebens thürmen sich ihm bei Schaffhausen die mächtigen Felsen entgegen; – er durchsprengt sie mit Riesenkraft, tritt hinter Basel als stattlicher Jüngling in Deutschlands üppige Auen, begrüßt segensreich, immer dem Norden zueilend, das Großherzogthum Baden, den Rheinkreis Baierns, Hessen-Darmstadt, Nassau und die preuß. Westprovinzen, feiert bei Mannheim den Freundschaftsbund mit dem sonnigen Neckar, und schließt bei Mainz die Alliance mit dem mürrischen Mainstrome. Stets herrlicher brüstet sich jetzt der R., denn er geht zum Hochzeitsgelage im Rheingau. Bräute hat er genug mitgebracht, denn er ist der Sultan unserer Flüsse; nennen wir nur: Wiebach, Elz, Murch, Pfinz, Nahe, Lahn, Mosel, – und die Lauter gilt sogar als geographische Grenzbarrière gegen Frankreich. So wandelt der hochzeitliche Zug immer weiter bei Bingen, Bacherach, St. Goar, Neuwied, Koblenz, Bonn, Kölln, Düsseldorf und Kleve vorüber, eine herrliche Prozession, – die Idee eines Raphael's, mit Titian's Farben und durch den Pinsel eines Claude Lorrain in's frische Frühlingsleben gerufen. Doch um den ganzen arabeskenartig ausgehauenen Rahmen dieses Altarbildes zu vollenden, muß der Maler seinen schönen Freundinnen auch den Rheingott in der letzten, traurigen Metempsychose als düsteren Holländer und entnervten, todtmüden Greis darstellen. Bei der Schenkenschanze theilt schon der Rheinstrom als ein unglückselig-bethörter König Lear sein unter- und überirdisches Fürstenthum zwischen seine zwei undankbaren Kinder: die Waal (südl.) und der Niederrhein (nördl.). Die Maas und die Yssel eilen herbei, um am Sterbebette des geschändeten Gottes die schöne Pflicht einer vergeblich tröstenden Cornelia zu übernehmen; der krumme und der alte Rhein weiß in seinem Verzweiflungswahnsinne kaum den Weg mehr in das Grab des Oceans zu finden; – doch bei Leyden enden seine Leiden; Arnheim, Utrecht, Amsterdam betrauern seine verfallene Größe, Rheinsberg und Katwyk op Rhyn tragen als verschämte Chorknaben die zuletzt erlöschenden Leichenkerzen, und endlich – sinkt er todtmüde und alterschwach in das Bett des Weltmeers! – 280 Stunden währte die Pilgrimreise des Rheines: so weiß er uns der lieblichen und grauenhaften Sagen und Legenden, die ihm auf seiner Wallfahrt begegneten, gar viele zu erzählen. Er liegt vor uns aufgeschlagen wie ein kostbar gemaltes, dicht beschriebenes, reich vergüldetes Meßbuch. Könige, Grafen, Ritter, Mönche, Gewerbsleute, Reisige, fahrende Sänger, Scholasten und Minnedirnen, – welche bunte, abenteuerliche Figuren auf jedem Blatte! Deuten wir hier nur kurz die kolorirten Anfangsbuchstaben des Laienbreviers, das wir nun auf dem Verdecke eines zierlichen Dampfschiffs oder auf dem Rücken eines rüstigen Maulthiers im Rheingaue rasch durchblättern. Vorerst der Eichelstein bei Mainz, Guttenberg's Denkmal, Schloß Johannisberg, die Burgen Ehrenfels und Koppe, Nieder-Ingelheim mit der Ballade von Eginhard und Emma, das Bingerloch und Hatto's Mäusethurm. Die Guirlanden der Scharlachreben führen nach Asmannshausen, nach dem Rheinstein und Falkenberg; der Feste Gudenfels gegenüber prangt die Pfalz; das sechsfache Echo vom Lurleyberg bricht sich donnernd an der Bank von St. Goar; idyllisch taucht die Insel Nonnenwörth aus den silbernen Wellen, eine niedliche Zofe, uns nach dem freundlichen Koblenz oder dem stolzen Ehrenbreitenstein einladend... Doch – überschreiten wir nicht die Grenzen des Rheingau's – nähern wir uns nicht dem poesieloseren Norden, damit wir das herrliche Bild des hier noch goldenen Stromes in seiner ganzen, farbenreichen Frische uns bewahren können! P.


http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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