Opfermythos

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Als Opfermythos werden Erzählungen (gängige Sichtweisen auf historische oder aktuelle Tatsachen) bezeichnet, die von einem Kollektiv zu seiner Selbstdarstellung als Opfer herangezogen werden. Wobei die Verwendung des Begriffs "Mythos" darauf abzielt, den Gegenstand, als nicht unbedingt in historischer Wahrheit gründend, bloßzustellen.

Das Selbstverständnis vieler Kollektive (Völker, sozialer Gruppen, Religionsgemeinschaften usw.) wird durch die - tatsächliche oder eingebildete - eigene Rolle als Opfer in der Geschichte geprägt. Dieses kollektive Gefühl, Opfer von anderen Mächten oder dem Lauf der Geschichte zu sein, erleichtert den Umgang mit Verlusten, führt aber auch zu einer Abwehrhaltung, die es den Mitgliedern dieser Gruppen erschwert, sich unbefangen mit der eigenen Rolle in der Geschichte und der Gegenwart auseinanderzusetzen.

Opfermythen sind beliebt bei Personen mit Autoritärer Persönlichkeitsstruktur. Aus einer Art von "schlechter Gewohnheit" heraus überlässt man die Verantwortung fürs eigene Schicksal anderen. Das belegt unter anderem die starke Affinität rechter Theoriebildung zu Opfermythen jeder Art. Ein solcher, sehr weit verbreiteter Opfermythos, ist der der "Überfremdung".

Grundsätzlich kommt dem Opfermythos eine zentrale Bedeutung in der Schuldabwehr zu.

Inhaltsverzeichnis

Deutschland

Gerade in Deutschland spielten und spielen Opfermythen immer wieder eine zentrale Rolle in der Geschichtsbetrachtung, weshalb es hier auch explizit erwähnt werden muss. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert kam hier dem Antisemitismus eine große Bedeutung zu: Von Wirtschaftlicher Not bis hin zu politischer Instabilität wurde alles, was nicht so recht funktionieren wollte, einer "Anglo-Amerikanisch-Bolschewistisch-Jüdischen Weltverschwörung" zugeschrieben. Kapitalismus und Kommunismus wurden so "entlarvt" als Produkte jüdischer Zersetzungsarbeit. Einen weiteren großen Opfermythos jener Zeit bildet die sogenannte "Dolchstoßlegende", im Zusammenhang mit der Novemberrevolution 1918, wobei die hier ausgemachten "Täter", als Kommunisten, der zuvor beschriebenen umfassenden Jüdischen Weltverschwörung zugerechnet wurden.

Nach 1945 ging die Produktion der Opfermythen weiter, viele Deutsche stellten sich als Verführte; als Opfer der Nazis dar. Weitere beliebte Opfermythen, die in den Letzten Jahren auch immer wieder für Diskussion sorgten, sind der Bombenkrieg der Alliierten, die Vertreibung und der Winter 1946.

Sich als Opfer der aus dem Holocaust erwachesenen Schuld gegenüber den Opfern, insbesondere Juden zu sehen, ist einer der aktuelleren Deutschen Opfermythen. Im Umkehrschluss unterstellt man den Juden, den Holocaust als ihren Opfermythos zu instrumentalisieren. Ein Beispiel für solche Mythenbildung ist der von Martin Walser lancierte Begriff der Auschwitz-Keule. Um diese Vorstellungen zu "belegen," wird auch gerne die Politik Israels im Nahostkonflikt herangezogen, mit Verweis auf die, vermeintlich so offensichtliche, reine Opferrolle der Palästinenser darin. Die wohl bizarrste Ausprägung in dieser Richtung bildet die Holocaustleugnung.

Immer wieder versuchen nationalistisch motivierte Autoren, mit dem Verweis auf Deutsche Opfer, die Täterschaft der Deutschen im Nationalsozialismus zu relativieren, um so das Bild von Deutschland geradezurücken. Meist geben sich die Vertreter solcher Richtungen als unverstandene Aufklärer, abseits stehende Opfer von Zensur. Klassischer Einleitungssatz eines Opfermythos ist: "Aber man muss doch sagen dürfen…". Mit solcher Selbststilisierung wird ein privater Opfermythos entworfen, der als "Beleg" für die Vertretenen Thesen herangezogen wird. (Um dieses Selbstbild lückenlos konstruieren zu können, ignorieren die Vertreter solcher Richtungen oft völlig, dass ihnen nicht einmal widersprochen wird, wenn sie von tatsächlich unschuldigen Opfern sprechen)

Österreich

Österreichs traditionelles Verständnis als erstes Opfer Nazideutschlands (seit dem Anschluss 1938) kann man in diesem Zusammenhang auch als einen solchen Opfermythos sehen, mit der die Betroffenen jahrelang die Aufarbeitung der eigenen Mitverantwortung für den Nationalsozialismus abwehrten. Zumindest von offizieller Seite hat man sich davon in den letzten Jahren mehrheitlich abgesagt.

Psychologische Bewertung

Die gereifte Persönlichkeit versteht das Zusammenspiel von Opfer und Täter und kann somit beide Positionen einnehmen. Einseitige Betrachtungsweisen, in denen jemand nur Täter oder nur Opfer ist, weisen auf eine mangelnde psychische Integration hin. Der Wechsel von der Opfer- in die Täterrolle (und umgekehrt) ist im Rahmen des auf gesellschaftlicher Ebene aufgeführten Psychodramas häufig zu beobachten: Wer sich nachweislich in einer Opferrolle befindet, wird z.B. von staatlicher Seite unterstützt; wer hingegen nachweislich Täter ist, wird geächtet. Gesellschaftlich unterstützte Opfer gelangen somit wieder in eine Machtposition, die sie durch wiederholten Hinweis auf ihre Opferrolle erhalten, während Täter durch mangelnde gesellschaftliche Unterstützung zu Opfern werden und darin eine Legitimation für ihre Taten finden. Dieser Kreislauf kann nur mittels einer Integration beider Teile durchbrochen werden, d.h. jeder Mensch muss sich sowohl als Täter als auch als Opfer wahrnehmen können. Damit verbunden ist eine notwendige Verarbeitung eigener Schuldgefühle, für die sowohl in der Opferrolle als auch in der Täterrolle (jeweils durch Projektion auf andere Menschen bzw. Gruppen) kein Platz war.

Siehe auch

Quellen


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