Ottonische Buchmalerei

Ottonische Buchmalerei
Gero-Codex (Reichenau, um 970, Dedikationsbild: Der Schreiber Anno übergibt Gero das Werk).

Die ottonische Buchmalerei ist ein Stil der Buchmalerei, der sich zur Zeit der ottonischen Kaiser im Römischen Reich ausbildete. Da eine Epochenbezeichnung nach einer Herrscherdynastie neben der zeitlichen auch eine räumliche Eingrenzung bedeutet, spricht die Kunstwissenschaft außerhalb des Reiches von vor- oder auch frühromanischer Kunst. Die ottonische Buchmalerei folgt auf die karolingische und geht in die romanische Buchmalerei über.

Inhaltsverzeichnis

Entwicklung der ottonischen Buchmalerei

Mit dem Übergang der Königs- bzw. Kaiserwürde 919 an die Ottonen verlagerte sich auch der kulturelle Schwerpunkt des Reiches stärker in den sächsischen Raum. Mit der Ostsiedlung und der Gründung des Bistums Magdeburg wuchs besonders im Nordosten der Bedarf an prächtigen liturgischen Büchern. Stilistisch reicht die Epoche um einiges über die Regierungszeit des letzten ottonischen Kaisers, Heinrich II. bis gegen Ende des 11. Jahrhunderts hinaus. Neben den Kaisern trat besonders der hohe Klerus als Auftraggeber von Prachthandschriften auf, dessen Stellung durch das Reichskirchensystem gestärkt war.

Die frühen ottonischen Handschriften stehen noch deutlich in der karolingischen Tradition. Wie diesen liegt den ottonischen Prachthandschriften eine programmatische Bezugnahme auf die antike Tradition zugrunde, so dass diese Epoche in Anlehnung an die Karolingische Renaissance als Ottonische Renaissance bezeichnet wird. Gleichwohl wurde der antike Naturalismus und Illusionismus, der in karolingischer Zeit noch in einigen Handschriften adaptiert worden war, nun ganz einer stilisierten Formensprache geopfert. Die wichtigsten Bindeglieder zwischen karolingischer und ottonischer Buchmalerei waren St. Gallen, das Kloster Fulda sowie das Kloster Corvey an der Weser, das 815/822 als karolingische Gründung auf sächsischem Gebiet entstand und die franko-sächsische Schule fortführte. Eine Hofschule wie in karolingischer Zeit scheint es nicht mehr gegeben zu haben. Die wichtigsten Kunstzentren zur Zeit Ottos I. waren Köln, wo sich ein unverwechselbarer malerischer Stil mit byzantinischem Einfluss entwickelte, Trier, Regensburg und vor allem das Kloster Reichenau. Daneben waren Skriptorien in Mainz, Prüm, Echternach und andernorts tätig. Im 11. Jahrhundert kamen im bairisch-österreichischen Raum Tegernsee, Niederalteich, Freising und Salzburg hinzu.

Evangeliar Ottos III. (Reichenau, um 1000, Lukas der Evangelist).

Ein wichtiger Wegbereiter der ottonischen Buchmalerei war ein anonymer Künstler, der, teilweise im Auftrag König Ottos II., in Lorsch, Reichenau, Fulda und Trier wirkte. Auf der Reichenau entstanden um 970 aus seiner Hand unter anderem der Gero-Codex[1] und das Petershausener Sakramentar[2]. In den letzten Jahren des 10. Jahrhunderts war er an einer Trierer Handschriftengruppe beteiligt, die nach ihrer zentralen Handschrift, dem Egbert-Psalter[3], benannt ist und im Auftrag des Erzbischofs Egbert von Trier entstand. Das zweite große Manuskript dieser Gruppe, der Codex Egberti[4] (980–993) weist in der Ornamentik Parallelen zur Reichenauer Schule auf, zeigt in seinem Bilderzyklus und der Ikonographie jedoch auf antike und byzantinische Vorbilder.

Hitda-Evangeliar (Köln, um 1020, Jesus und die Jünger beim Sturm auf dem See Genezareth).

In Fulda entwickelte sich eine eigene Malerschule, die den karolingischen Stil der Ada-Gruppe besonders stark konservierte. Hauptwerke waren um 970–980 der Codex Wittekindeus[5] und das Göttinger Sakramentar[6]. Ende des 10. Jahrhunderts trat das unter Bischof Bernward aufblühende Hildesheim als Kunstzentrum in Erscheinung. Eine Kölner Handschriftengruppe um das Hauptwerk des Hitda-Evangeliars[7] (um 1020) steht in der Tradition der karolingischen Krönungsevangeliargruppe. Diese im frühen 11. Jahrhundert gefertigten Illustrationen zeigen darüber hinaus byzantinischen Einfluss.

Bamberger Apokalypse (Reichenau, um 1020, Maiestas Domini).

Etwa von 990 bis 1020 erreichte die ottonische Buchmalerei ihren Höhepunkt mit den wahrscheinlich auf der Reichenau entstandenen Werken der Liuthar-Gruppe, zu denen das Aachener[8] (um 990) und das Münchner Evangeliar Ottos III.[9] (um 1000), das Perikopenbuch Heinrichs II.[10] (1007–1012) und die Bamberger Apokalypse[11] (um 1020) gehören. Zehn Werke der Reichenauer Schule wurden 2003 von der UNESCO in die Liste des Weltdokumentenerbes aufgenommen. Ebenso bedeutende Werke der Liuthargruppe sind das Wolfenbütteler Perikopenbuch und das Hildesheimer Orationale.

Während der gesamten ottonischen Zeit war das Evangelistenbild ein zentrales Bildmotiv, daneben ragen das der Selbstdarstellung der Auftraggeber dienende Herrscherbild – häufig in Form eines Dedikationsbildes – und die Majestas Domini hervor. Dominierende Stilelemente sind symmetrische, flächige Darstellungen mit monumentalem Charakter. Viele der ottonischen Illustrationen sind ganzseitig, teilweise in zwei Bildfelder unterteilt. Große, überlange und ausdrucksvolle Figuren mit ekstatisch-suggestiver Gebärdensprache und der Mut zu leeren, einfarbigen Flächen − meist Goldgrund − kennzeichnen den charakteristischen Stil dieser Manuskripte, die im 20. Jahrhundert den Expressionismus stark beeinflusst haben. Räumliche Tiefe fehlt den Illustrationen völlig, insgesamt ist der Formenapparat der ottonischen Malerei stark reduziert.

Speyerer Evangeliar (Echternach, 1043–1046, Heinrich III. und Agnes vor der thronenden Maria).

Die frühe salische Zeit steht noch in der Kontinuität der ottonischen Epoche. Unter Kaiser Heinrich III. steigt die Echternacher Malschule zum führenden Skriptorium auf. Im kaiserlichen Auftrag entstanden in Echternach 1039–1043 ein Perikopenbuch[12], zwischen 1043 und 1046 ein Speyerer Evangeliar[13], das für den dortigen Dom bestimmt war, und zwischen 1050 und 1056 ein weiteres Evangeliar[14].

Siehe auch

Literatur

  • Gerhard Weilandt, Geistliche und Kunst. Ein Beitrag zur Kultur der ottonisch-salischen Reichskirche und zur Veränderung künstlerischer Traditionen im späten 11. Jahrhundert (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 35), Köln/Weimar/Wien 1992.
  • Kunibert Bering: Kunst des frühen Mittelalters (Kunst-Epochen, Band 2). Reclam, Stuttgart 2002. ISBN 3-15-018169-0
  • Peter Bloch/Hermann Schnitzler: Die ottonische Kölner Malschule. 2 Bde., L. Schwann, Düsseldorf 1967-1970.
  • Anton von Euw (Konzeption): Vor dem Jahr 1000. Abendländische Buchkunst zur Zeit der Kaiserin Theophanu (Ausst. Kat. Köln, Schnütgen-Museum 1991). Stadt Köln, Köln 1991. ISBN 978-3-9864752-1-5
  • Hermann Fillitz: Propyläen-Kunstgeschichte, Band 5: Das Mittelalter 1. Sonderauflage (Erstaufl. 1969) Propyläen-Verlag, Berlin 1990. ISBN 3-549-05105-0
  • Ernst Günther Grimme: Die Geschichte der abendländischen Buchmalerei. Köln, DuMont 3. Auflage 1988, ISBN 3-7701-1076-5
  • Claudia Höhl: Ottonische Buchmalerei in Prüm (Europäische Hochschulschriften. Reihe 28: Kunstgeschichte, Bd. 252). Diss. Berlin 1993. Peter Lang, Frankfurt u.a. 1996. ISBN 978-3-631-49281-9
  • Christine Jakobi-Mirwald: Das mittelalterliche Buch. Funktion und Ausstattung. Stuttgart, Reclam 2004, ISBN 3-15-018315-4
  • Hans Jantzen: Ottonische Kunst. 2. erweiterte und kommentierte Auflage. Reimer, Berlin 2002. ISBN 3-496-01069-X
  • Thomas Labusiak: Die Ruodprechtgruppe der ottonischen Reichenauer Buchmalerei. Bildquellen - Ornamentik - stilgeschichtliche Voraussetzungen (Denkmäler Deutscher Kunst). Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, Berlin 2009. 978-3-871572227
  • Lexikon des Mittelalters: Buchmalerei. 1983, Band 2, Sp. 837–893. [Beiträge von K. Bierbrauer, Ø. Hjort, O. Mazal, D. Thoss, G. Dogaer, J. Backhouse, G. Dalli Regoli, H. Künzl]
  • Henry Mayr-Harting: Ottonische Buchmalerei. Liturgische Kunst im Reich der Kaiser, Bischöfe und Äbte. Belser, Stuttgart 1991. ISBN 3-7630-1216-8
  • Carl Nordenfalk (Komm.): Codex Caesareus Upsaliensis. A facsimile edition of an Echternach Gospel-Book of the Eleventh Century. Haupt- u. Textbd., Stockholm 1971.
  • - : Die Buchmalerei im Mittelalter. Taschenbuchausgabe (1. Aufl.: 1957), Skira, Genf 1988.
  • Otto Pächt: Buchmalerei des Mittelalters. Eine Einführung. München, Prestel-Verlag 1985, ISBN 3-7913-0668-5.
  • Georg Swarzenski: Die Regensburger Buchmalerei des X. und XI. Jahrhunderts. Studien zur Geschichte der deutschen Malerei des frühen Mittelalters (Denkmäler der süddeutschen Malerei des frühen Mittelalters 1). Leipzig 1901.
  • - : Die Salzburger Malerei von den ersten Anfängen bis zur Blütezeit des romanischen Stils (Denkmäler der süddeutschen Malerei des frühen Mittelalters 2). Textd. u. Tafelmappe, Leipzig 1913.
  • Wilhelm Vöge: Eine deutsche Malerschule um die Wende des ersten Jahrtausends. Kritische Studien zur Geschichte der Malerei in Deutschland im 10. und 11. Jahrhundert (Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst. Ergänzungsheft 7). Trier 1891.
  • Ingo F. Walther, Norbert Wolf: Meisterwerke der Buchmalerei. Köln u. a., Taschen 2005, ISBN 3-8228-4747-X
  • Christoph Winterer: Das Fuldaer Sakramentar in Göttingen. Benediktinische Observanz und römische Liturgie (Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte 70). Diss. Heidelberg 2005. Imhof Verlag, Petersberg 2009. ISBN 978-3-86568-190-4
  • Norbert Wolf: Deutschlands großes Erbe. Die ottonischen Bilderhandschriften. Hrsg von Ingo F. Walther. 2. Auflage, Faksimile Verlag, Luzern 2007

Weblinks

 Commons: Ottonische Buchmalerei – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise und Signaturen der Handschriften

  1. Darmstadt, Hessische Landes- und Hochschulbibliothek, Cod. 1948.
  2. Heidelberg, Universitätsbibliothek, Salem IX.
  3. Cividale, Museo Archeol. Naz. Ms. CXXXVI.
  4. Trier, Stadtbibliothek, Cod. 24.
  5. Berlin, Staatsbibliothek, Ms. theol. lat. fol. 1.
  6. Göttingen, Staats- und Universitätsbibliothek, Bibl. Cod. theol. fol. 231.
  7. Darmstadt, Universitäts- und Landesbibliothek, Hs. 1640.
  8. Aachen, Domschatz.
  9. München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm. 4453.
  10. München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm. 4452.
  11. Bamberg, Staatsbibliothek, Msc.Bibl.140.
  12. Bremen, Staats- und Universitätsbibliothek, M. b. 21.
  13. Madrid, Escorial, Cod. Vitr. 17.
  14. Uppsala, Universitets Bibl., Cod. C 93.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Buchmalerei — aus dem Missale cisterciense (Wolfgang Missale) in der Stiftsbibliothek Rein/Österreich, 1493 Die Buchmalerei ist eine Kunstgattung, die sich mit der malerischen Gestaltung von Büchern und anderen Schriftwerken befasst. Der Begriff Buchmalerei… …   Deutsch Wikipedia

  • Buchmalerei — Buch|ma|le|rei 〈f. 18〉 handgemalter od. kolorierter Textschmuck in alten Handschriften u. Büchern * * * Buch|ma|le|rei, die: 1. <o. Pl.> Kunst der malerischen Ausschmückung von Handschriften in der Antike u. im Mittelalter. 2. gemaltes Bild …   Universal-Lexikon

  • Buchmalerei der Renaissance — Jean Fouquet: Stundenbuch des Jean Robertet (New York, Pierpont Morgan Library, M. 834) (Frankreich, um 1460–1465). Die Buchmalerei der Renaissance ist ein Stil der europäischen Buchmalerei. Die Renaissance ging im 15. Jahrhundert aus der Gotik… …   Deutsch Wikipedia

  • ottonische Kunst — ottonische Kunst,   die Kunst im Zeitalter der Ottonen (um 960 1024). Die unter den Saliern bis zum Regierungsantritt Heinrichs IV. (1056) entstandenen Werke werden als spätottonisch angeschlossen. Im Gegensatz zur vorausgehenden karolingischen… …   Universal-Lexikon

  • Ottonische Renaissance — Als Ottonische Renaissance wird teilweise die Anknüpfung an die byzantinische und spätantike Kunst während der politisch maßgeblich von den Ottonen beeinflussten 10. und 11. Jahrhunderten bezeichnet. Der Begriff ist nicht unproblematisch. Die… …   Deutsch Wikipedia

  • Karolingische Buchmalerei — Karl der Große mit den Päpsten Gelasius und Gregor I. im Sakramentar Karls des Kahlen (Hofschule Karls des Kahlen, um 870). Als karolingische Buchmalerei wird die Buchmalerei vom Ende des 8. bis zum späten 9. Jahrhundert bezeichnet, die im… …   Deutsch Wikipedia

  • Hauptwerke der ottonischen Buchmalerei — sind diejenigen illuminierten Manuskripte, die in ottonischer Zeit im ostfränkischen Reich entstanden und in der kunstgeschichtlichen Literatur als Werke von besonderem künstlerischem Rang herausgestellt werden (siehe besonders die in der… …   Deutsch Wikipedia

  • Byzantinische Buchmalerei — Die byzantinische Buchmalerei entwickelte sich aus der Buchillustration der Antike und setzte diese unmittelbar fort. Mit dem Fall Konstantinopels 1453 ging das Byzantinische Reich und mit ihm seine Kunst unter. Inhaltsverzeichnis 1 Historische… …   Deutsch Wikipedia

  • Gotische Buchmalerei — Jean de Bondol: Jean de Vaudetar präsentiert sein Werk, die Bible historiale als Geschenk König Karl V. (Frankreich, 1371/72).[1] Die Buchmalerei der Gotik ging von Frankreich und England aus, wo sie um 1160/70 einsetzte, während in Deutschland… …   Deutsch Wikipedia

  • Romanische Buchmalerei — Moralia in Iob (Cîteaux, 1109/11, R Initiale mit der Darstellung eines Kampfes mit einem Drachen). Die romanische Buchmalerei ist ein europäischer Stil der Buchmalerei, der gegen Ende des 11. Jahrhunderts aus der ottonischen Buchmalerei… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”