Passierscheinabkommen

Passierscheinabkommen
Protokoll des Passierscheinabkommens vom 17. Dezember 1963 mit den Unterschriften von Erich Wendt (links) und Horst Korber (rechts)
Passierscheine mit Antragsformular

Die Passierscheinabkommen waren Vereinbarungen zwischen dem Senat von Berlin (West) und der Regierung der DDR. Sie regelten den Besuch von West-Berlinern im Ostteil der geteilten Stadt Berlin in den Jahren zwischen dem Mauerbau am 13. August 1961 und dem Viermächteabkommen über Berlin am 3. September 1971.

Der Unterhändler der Senatsverwaltung in West-Berlin Horst Korber und der DDR-Staatssekretär Erich Wendt unterzeichneten am 17. Dezember 1963 ein Passierscheinprotokoll, das erste Passierscheinabkommen.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Der stellvertretende Ministerpräsident der DDR, Alexander Abusch (SED), hatte zuvor am 5. Dezember 1963 in einem Schreiben an den Regierenden Bürgermeister West-Berlins, Willy Brandt (SPD), die Bereitschaft erklärt, Passierscheine auszugeben, um West-Berliner Bürgern wieder Verwandtenbesuche im Osten der Stadt zu ermöglichen. Damit reagierte er auf westliche Angebote. 28 Monate nach der Teilung der Stadt war es nun statthaft, Ost-Berliner Verwandte zwischen dem 19. Dezember 1963 und dem 5. Januar 1964 zu besuchen. Das Passierscheinabkommen, das mit Billigung der CDU-geführten Bundesregierung und der Westmächte zustande kam, war Ausgangspunkt einer neuen Deutschlandpolitik. Humanitären Erwägungen wurden damit ein gewisser Vorrang vor Statusfragen eingeräumt. Der damalige Pressechef und Brandt-Vertraute Egon Bahr brachte dies auf die Formel „Wandel durch Annäherung“. Insgesamt machten zum Jahreswechsel 1963/1964 etwa 700.000 West-Berliner rund 1,2 Millionen Besuche in Ost-Berlin.

Zu dieser Zeit gab es weder gegenseitige Anerkennung staatlicher Einrichtungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik noch offizielle Kontakte zwischen Behörden West- und Ost-Berlins. Daher stand man vor dem Problem, mit welchem Personal man die einzurichtenden Passierscheinstellen in West-Berlin besetzen wollte. Polizeiangehörige und vergleichbares Personal aus der DDR waren in West-Berlin wegen der Bedeutung solcher Schritte für den Berlin-Status nicht erwünscht. Als Lösung dieses Problems wurden scheinbare Mitarbeiter der Deutschen Post eingesetzt. Es handelte sich um gegenüber dem Westen als Postler legendierte, also mit Postuniformen und Ausweisen versehene, Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Mit dieser Lösung konnten beide Seiten das Gesicht wahren. Der Westen verhinderte amtliche Behördenvertreter aus dem Osten, der Osten konnte Staatsbedienstete zur Passierscheinerteilung einsetzen.

Bis 1966 folgten drei weitere Passierscheinabkommen mit der DDR:

  • Das 2. Passierscheinabkommen am 24. September 1964 (ab November 1964 erstmals mit Mindestumtausch von Devisen),
  • das 3. Passierscheinabkommen am 25. November 1965 und
  • das 4. Passierscheinabkommen am 7. März 1966 für Ostern und Pfingsten. Zwischen dem 7. und 20. April 1966 sowie zwischen dem 23. Mai und 5. Juni 1966 durften West-Berliner Verwandte in Ost-Berlin besuchen,

Danach blieb nur noch die Passierscheinstelle für dringende Familienangelegenheiten, also Härtefälle, erhalten. Von diesen Beschränkungen ausgenommen waren Geschäftsreisen, Reisen zur Leipziger Messe sowie Reisen auf Einladung amtlicher Stellen der DDR.

Viermächte-Abkommen

Das Viermächte-Abkommen über Berlin von 1971 und der Verkehrsvertrag vom 17. Oktober 1972 ersetzten später die bisherige Regelung des Personenverkehrs. Nunmehr war es den Bewohnern von West-Berlin wieder regelmäßig möglich, nicht nur Verwandte, sondern auch Bekannte im Ostteil der Stadt und auch in der gesamten DDR nach Erteilung eines „Berechtigungsscheins zum Empfang eines Visums“ zu besuchen. Es waren damit auch rein touristische Einreisen möglich.

Trivia

2002 produzierte das Deutschlandradio das dokumentarische Originalton-Hörspiel Apparat Herz (Buch und Regie: Helgard Haug und Daniel Wetzel von der Gruppe Rimini Protokoll), bei dem ausschließlich Archiv-Aufnahmen der täglichen „Sondersendungen zu Passierscheinfragen“ des RIAS während der ersten Phase im Winter 1963/1964 verwendet wurden – vor allem Telefonate von Bürgern mit dem federführenden Moderator Peter Herz über die Details der Verfahrensregeln und die Lage an den Grenzübergängen.

Literatur

Weblinks


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