Atlas der deutschen Volkskunde

Atlas der deutschen Volkskunde

Der Atlas der deutschen Volkskunde (ADV) war ein Forschungsprojekt über kulturelle Phänomene - meist aus dem Bereich des traditionellen Kanons der Volkskunde - im Deutschen Reich, in Österreich sowie in einigen damals deutschsprachigen Gebieten Ost- und Süd(ost)europas. Nach dem Vorbild der 1865 von Wilhelm Mannhardt durchgeführten Fragebogenaktion und des Deutschen Sprachatlas wurden zwischen 1930 und 1935 insgesamt fünf in 243 Hauptfragen unterteilte Fragebögen an 20.000 Gewährspersonen ausgeschickt. Durch eine enge Verbindung der ideologisch aufgeladenen Kategorien Volk und Raum sollte nachgewiesen werden, dass „trotz aller Mannigfaltigkeit (...) das deutsche Volk eine untrennbare Einheit“ sei (Fritz Boehm).

Die Ergebnisse der Befragungen wurden in insgesamt 120 (allerdings unkommentierte) Verbreitungskarten bis 1939 in sechs Lieferungen publiziert. Seit 1938 wurde an einer weiteren Auswertung im Rahmen des SS-Ahnenerbes gearbeitet[1]. Ab 1958 wurden die Antworten neu ausgewertet, die Karten der Neuen Folge mit einem umfangreichen quellenkritischen Kommentar versehen. Geleitet wurde die Auswertung nach dem 2. Weltkrieg vom Kölner Ordinarius für Germanistik, Matthias Zender. Eine größere Anzahl von Karten - vor allem zu Themen, die mit Tod, Begräbnis und Nachzehrerglauben zu tun hatten - wurden von Gerda Grober-Glück bearbeitet.

Die Ergebniskarten dienten wiederum einigen volkskundlichen Studien als Quelle, wie etwa die in der Nahrungsforschung vielbeachtete Studie „Alltags- und Festspeisen in Mitteleuropa“ von Günter Wiegelmann.

Der ADV war eines der größten geisteswissenschaftlichen Vorhaben und trug trotz der belastenden Ideologie wesentlich zur Profilierung der Volkskunde als Wissenschaft bei. Die Antwortkarten des Atlas befinden sich heute zum Teil in Rostock, Innsbruck und Bonn.

Inhaltsverzeichnis

Befragungsbeispiel

Als Beispiel sei hier die Frage 88 über die gebräuchliche Nahrung aufgeführt:
"Welche besonderen Speisen und Getränke erhalten
a) die bei der Getreidernte Beschäftigten?
b) die bei der Heuernte Beschäftigten?"

Als Erklärung und Orientierung für die fragenden Gewährspersonen wurde dazu erläutert:
„Es ist vielfach üblich, daß den in der Heu- oder Getreideernte Beschäftigten ein besonders gutes und reichliches Mahl zugedacht wird, da die anstrengende Arbeit erhöhte Kräfte verlangt. Mancherorts gibt es feststehende Gerichte, die zur Erntezeit verzehrt werden (Hefeklöße, Kartoffelfladen, Mehlsuppe u. a. m.). Auf diese besonderen, vom Alltäglichen abweichenden Speisen zielt unsere Frage ab, nicht aber auf die beim eigentlichen Erntefest üblichen Festspeisen. Wo ein Unterschied zwischen den zur Heuernte und den zur Getreideernte gegeben Speisen gemacht wird, bitten wir, darauf hinzuweisen.“ (Mitteilungen der Volkskundekommission der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaften (Fragetexte und Anleitungen für die Bearbeitung der ADV-Fragebogen) H. 2, 1931 S. 29.

Literatur

  • Klaus Fehn: Volksgeschichte im Dritten Reich als fächerübergreifende Wissenschaftskonzeption am Beispiel von Adolf Helbok. Ein Beitrag zur interdisziplinären Wissenschaftsgeschichte vor allem der Fächer Volkskunde, Landesgeschichte und Historische Geographie. In: Gunther Hirschfelder, Dorothea Schell u. Adelheid Schrutka-Rechtenstamm (Hgg.): Kulturen - Sprachen - Übergänge. Festschrift für H.L. Cox zum 65. Geburtstag, Köln/Weimar/Wien 2000, 567-580.
  • Heidi Gansohr-Meinel: „Fragen an das Volk“ Der Atlas der deutschen Volkskunde 1928-1945. Ein Beitrag zur Geschichte einer Institution, Würzburg 1993.
  • Friedemann Schmoll: Wie kommt das Volk in die Karte? Zur Visualisierung volkskundlichen Wissens im „Atlas der deutschen Volkskunde“, in: Helge Gerndt und Michaela Haibl (Hgg.): Der Bilderalltag. Perspektiven einer volkskundlichen Bildwissenschaft Münster [u.a.] (=Münchner Beiträge zur Volkskunde Nr. 33), 233-250.

Einzelnachweise

  1. Michael Kater, Das "Ahnenerbe" der SS. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches, Stuttgart 1974: 141.

Weblinks


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