Positive Forderungsverletzung

Positive Forderungsverletzung

Die Positive Vertragsverletzung (pVV, auch: positive Forderungsverletzung) war ein gewohnheitsrechtlich anerkanntes Rechtsinstitut im deutschen Zivilrecht.

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) kannte neben den Vorschriften über die Haftung für Mängel (Gewährleistung) im allgemeinen Schuldrecht als Leistungsstörungen nur Unmöglichkeit und Verzug. Schon im Jahr 1902 behauptete Hermann Staub deshalb eine Gesetzeslücke, falls der Schuldner durch aktives Tun seine vertraglichen Pflichten verletze. Damit sind etwa Fälle angesprochen, in denen die Rechtsgüter des Gläubigers bei Gelegenheit der Leistung oder durch mangelhafte Leistung verletzt werden. Daraus entwickelten Rechtsprechung und Lehre das Rechtsinstitut der pVV. Die pVV war die schuldhafte Störung der Leistung durch den Schuldner, zumeist in Form einer Verletzung von Nebenpflichten oder Schutzpflichten, und hatte einen Anspruch auf Schadenersatz zur Folge. Sie war gewohnheitsrechtlich anerkannt. Die pVV hieß „positiv“, weil der Vertrag „positiv“ – d. h. trotz Erfüllung – und nicht „negativ“ – also durch Nichterfüllung – verletzt wurde.

Hierzu ein Beispiel: Jemand bestellt Heizöl. Dieses wird auch geliefert und in den entsprechenden Tank gepumpt. Dabei tritt jedoch ein wenig Öl aus und läuft in den Garten des Bestellers. Die Kosten der Schadensbeseitigung können gegen den Lieferanten aufgrund pVV geltend gemacht werden.

Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts zum 1. Januar 2002 hat sich insoweit die Rechtslage verändert. Nunmehr regelt § 280 Abs. 1 BGB als neuer Grundtatbestand für Leistungsstörungen, dass der Schuldner, der eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt, dem Gläubiger den hieraus entstehenden Schaden ersetzen muss. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Diese Neuregelung, die für nach dem 1. Januar 2002 geschlossene Verträge gilt, erfasst nunmehr auch die Fälle, in denen bisher die pVV angewandt wurde. Sie gilt auch bei Verletzung einer vertraglichen Schutzpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB). Das Rechtsinstitut der pVV ist damit entfallen, doch wird die Bezeichnung mitunter weiterhin gebraucht.

Ein ähnliches, im Gesetz nicht geregeltes Rechtsinstitut, das einen Schadensersatzanspruch begründete, war die culpa in contrahendo (c. i. c., Verschulden bei Vertragsverhandlungen). Auch die culpa in contrahendo ist nunmehr in § 311 Abs. 2 und 3 BGB gesetzlich geregelt.

Situation in Österreich

Begriff

Das Rechtsinstitut der pVV ist in Österreich umstritten. Entwickelt wurde die pVV in Deutschland von Staub. pVV bedeutet, dass der Schuldner seine Leistung ordnungsgemäß erbringt, jedoch bei der Erfüllung andere Rechtsgüter des Gläubigers verletzt. Das bedeutet: der Schuldner verletzt seine Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber dem Gläubiger.

Die in Österreich herrschende Meinung (Koziol/ Welser) ordnet pVV unter Mangelfolgeschäden ein. Der Unterschied zum Mangelfolgeschaden liegt darin, dass die Leistung des Schuldners eben nicht mangelhaft ist.

Die pVV ist nicht im ABGB geregelt. Sie braucht das ABGB nicht. Denn es hat keine Lücke für die pVV.

Rechtsfolgen

Der Schuldner wird schadenersatzpflichtig gemäß § 1295 (1) ABGB, es kommen die Regeln über vertraglichen Schadenersatz (ex contractu) zur Anwendung.


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