Psychosoziales Moratorium

Psychosoziales Moratorium

Psychosoziales Moratorium ist ein erstmals von dem Psychologen Erik H. Erikson geprägter Begriff. Er bezeichnet eine Lebensphase im Lebenszyklus des Menschen, genauer: die Übergangsphase zwischen Kindheit und Erwachsenen-Identität. Hier vollzieht sich eine langsame Ablösung von den Eltern, Orientierungsprobleme (Berufsfindung u. A.) treten auf; ein „psychosoziales Ultimatum“, d. h. der endgültige Abschied vom Kindheits-Ich wird zugunsten einer Karenzzeit, in welcher die jungen Menschen experimentelles Rollenhandeln erlernen, aufgeschoben.

So gesehen wird das psychosoziale Moratorium ein „Entwicklungsspielraum sein, der auf den Erwachsenenstatus hinführt, für den die Berufs- bzw. Arbeitsrolle konstitutiv ist.“

Seit einigen Jahren jedoch sind veränderte Verlaufsformen der Jugendphase, vor allem generell verlängerte Aufenthalte im Bildungssystem zu beobachten. Man spricht hier auch von einer postadoleszenten Lebensphase, die sich bis ins dritte Lebensjahrzehnt dehnen kann - vgl. dazu auch die Zunahme der Singlehaushalte, immer höheres durchschnittliches Heiratsalter, späterer Berufseintritt etc.

Hier könnten die von Erikson nicht weiter thematisierten sozialen Institutionen und soziostrukturellen Gegebenheiten („Krise der Arbeitsgesellschaft“) eine Rolle spielen. Direkt an die Jugendphase anschließende Arbeitslosigkeit, bzw. mehr oder minder perspektivlose Aufenthalte in dem zur „Verwahranstalt“ umfunktionierten Bildungssystem verhindert die Herausbildung einer erwachsenen Ich-Identität.

Aus der begrüßenswerten, experimentellen Karenzzeit der Jugendphase könnte so das Problem eines unabsehbar erweiterten psychosozialen Moratoriums werden.

Bibliographie

  • Baethge, M. (1985): Individualisierung als Hoffnung und als Verhängnis in: Soziale Welt, 2
  • Erikson, E. H. (1964): Einsicht und Verantwortung, Frankfurt a.M., 1971
  • Erikson, E. H. (1966): Identität und Lebenszyklus, Frankfurt a.M., 2.A., 1973
  • Erikson, E. H. (1980): Jugend und Krise, Stuttgart,
  • Erikson, E. H. (1988): Der vollständige Lebenszyklus, Frankfurt a.M., 2.A., 1992

Siehe auch

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