Ausbildungsreife

Ausbildungsreife

Als Ausbildungsreife wird der Entwicklungsstand junger Menschen bezeichnet, die für eine Berufsausbildung in Bezug auf ihre geistige und soziale Entwicklung bereit sind. Diese kognitive und soziale Reife beinhaltet die Kompetenz, den Anforderungen der Ausbildung und der Berufswelt gewachsen zu sein.

Demzufolge können Schulabgänger, die über keine Ausbildungsreife verfügen, den Anforderungen nicht entsprechen und sind somit nicht in der Lage, eine Ausbildung zu absolvieren beziehungsweise einen Ausbildungsplatz zu finden. Da es sich hierbei jedoch nicht um einen Automatismus handelt und es abgesehen vom Schulabgangszeugnis keine Zertifikate über den Grad der Ausbildungsreife gibt, muss diese an Kriterien festgemacht werden, anhand derer z. B. Auszubildende ausgesucht werden. Bei fehlender Ausbildungsreife handelt es sich nicht um einen endgültigen Zustand; sie kann zu einem späteren Zeitpunkt erreicht werden.

Inhaltsverzeichnis

Kriterien der Ausbildungsreife

Der Nationale Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland hat einen Kriterienkatalog erstellt, der Schulen und Fachkräften wie z. B. den Berufsberatern der Agenturen für Arbeit zur Beurteilung der Ausbildungsreife behilflich sein soll. Die Kriterien gelten als Mindeststandards für die Aufnahme einer Berufsausbildung:

  • Schulische Basiskenntnisse (z. B. lesen, schreiben, mathematische und wirtschaftliche Grundkenntnisse)
  • Psychologische Leistungsmerkmale (z. B. Sprachvermögen, logisches Denken, Merkfähigkeit, Bearbeitungsgeschwindigkeit, räumliches Vorstellungsvermögen)
  • Physische Merkmale (z. B. Altersgerechter Entwicklungsstand und gesundheitliche Voraussetzungen)
  • Psychologische Merkmale des Arbeitsverhaltens und der Persönlichkeit (z. B. Durchhaltevermögen und Frustrationstoleranz, Kommunikations-, Kritik- und Konfliktfähigkeit, Selbständigkeit)
  • Berufswahlreife (z. B. Selbsteinschätzungs- und Informationskompetenz)

Diese Kriterien werden durch Merkmale und Indikatoren näher bestimmt und mit Verfahren zur Feststellung ergänzt, um die Ausbildungsreife von Jugendlichen erkennen zu können. So wird im Kriterienkatalog beispielsweise der Bereich Psychologische Merkmale des Arbeitsverhaltens und der Persönlichkeit wie folgt näher bestimmt:

Merkmal: Durchhaltevermögen, Frustrationstoleranz

Beschreibung: Der/die Jugendliche ist in der Lage, auch gegen innere und äußere Widerstände und bei Misserfolgen, ein Ziel oder eine Aufgabe in einem überschaubaren Zeitraum zu verfolgen.

Indikatoren/Kriterien:

  • Sie/er beendet eine übertragene Aufgabe erst, wenn sie vollständig erfüllt ist.
  • Sie/er erfüllt Aufgaben und Ziele, die einen kontinuierlichen Arbeitseinsatz erfordern.
  • Sie/er verfolgt ein Ziel/eine Aufgabe mit erneuter Anstrengung angemessen weiter,wenn vorübergehende Schwierigkeiten auftauchen oder erste Erfolge ausbleiben.
  • Sie/er kann äußere Schwierigkeiten, Rückschläge und belastende Ereignisse/Erfahrungen erkennen und Lösungsmöglichkeiten entwickeln.
  • Sie/er kann innere Widerstände reflektieren und konstruktiv bewältigen.

Verfahren zur Feststellung:

  • Diagnostisches Gespräch
  • Selbsteinschätzung
  • Kopfnoten im Zeugnis
  • Aussagen von Lehrern oder Eltern

Beispielfragen:

  • Wie viel Zeit wenden Sie täglich für Ihre Hausaufgaben auf?
  • Wenn Sie eine Aufgabe z. B. in Mathe nicht lösen können, wie handeln Sie?
  • Angenommen, Sie hätten eine Klassenarbeit z. B. in Englisch mit enttäuschendem Ergebnis zurückbekommen, was löst das bei Ihnen aus?
  • Nehmen Sie an AGs in der Schule teil, wenn ja an welcher und wie lange nehmen Sie schon teil?

Neben dem Nationalen Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs haben auch die Industrie- und Handelskammern in Nordrhein-Westfalen Kriterien festgelegt, anhand derer die Ausbildungsreife bestimmt werden kann und bezeichnen diese als

  • fachliche Kompetenz,
  • soziale Kompetenz und
  • persönliche Kompetenz

Als Ausbildungsreife werden also Fähigkeiten und Tugenden bezeichnet, die berufsunspezifisch alle Jugendlichen für eine Ausbildung mitbringen sollen, die also vorab vorhanden sein müssen. Eine Eignung für einen bestimmten Beruf wird mit der Ausbildungsreife nicht definiert. Nimmt man eine strenge Unterscheidung zwischen Ausbildungsreife und berufliche Eignung vor, so können die Kriterien der Ausbildungsreife auf soziale und persönliche Kompetenzen beschränkt werden. Diese sind i. d. R. unter dem Begriff Schlüsselqualifikationen subsumiert. Es wird also erwartet, dass die Jugendlichen diese Fähigkeiten und Kompetenzen für eine Ausbildung mitbringen und demzufolge bereits in der Schule und im privaten Umfeld erlernt haben sollen. Den Schulen kommt hierbei eine zentrale Rolle zuteil, die dadurch gleichzeitig auch in der Kritik stehen, die Jugendlichen nicht ausreichend vorzubereiten.

Übergang Schule – Ausbildung

Schulabgänger, die keinen Ausbildungsplatz haben und/oder als nicht ausbildungsreif betrachtet werden, können bzw. müssen, sofern sie die Schulpflicht nicht erfüllt haben und keine andere weiterführende Schule besuchen ein Berufsvorbereitungsjahr absolvieren. Vorrangig ist hierzu das schulische Berufsvorbereitungsjahr (BVJ), das ab dem Schuljahr 2007/2008 Berufseinstiegsjahr heißen wird und konzeptuell neu ausgerichtet werden soll. Die Agenturen für Arbeit bieten darüber hinaus eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme (BvB) an, die seit 2004 auf Grundlage des „Fachkonzepts für berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen nach § 61 SGB III“ (Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung) ausgerichtet ist. Kernelemente dieses Konzeptes sind verschiedene Stufen, die die Jugendlichen zu durchlaufen haben:

  • Eignungsanalyse (Stärken-/Schwächenanalyse)
  • Grundstufe (Berufsorientierung/Berufswahl)
  • Förderstufe (Berufliche Grundfertigkeiten)
  • Übergangsqualifizierung (berufs- und betriebsorientierte Qualifizierung)

Neben der Förderung der beruflichen Handlungsfähigkeit, können auch formale Hürden wie ein fehlender Schulabschluss oder mangelnde Sprachkenntnisse behoben werden. Eine sozialpädagogische sowie eine Bildungsbegleitung koordinieren und dokumentieren die Qualifizierungsverläufe der Jugendlichen. Die Entwicklung und Förderung von Schlüsselkompetenzen wird als Querschnittsaufgabe verstanden, die berufsübergreifend gefördert werden sollen. Ziel ist die Vermittlung von erforderlichen Fähigkeiten, die für die Aufnahme einer Berufsausbildung als notwendig betrachtet werden sowie die nachhaltige Integration in den Ausbildungs- und/oder Arbeitsmarkt.

Probleme/Kritik

„Rund ein Viertel aller Schüler verlassen heute die allgemein bildenden Schulen ohne ausreichende Ausbildungsreife“

Deutsche Handwerkszeitung vom 25. Februar 2005

„50 Prozent der Schüler sind nicht ausbildungsfähig“

Tagesspiegel vom 24. März 2005

Bei den Diskussionen über fehlende Ausbildungsreife liegt der Fokus meist auf Hauptschülern, die den Großteil nicht vermittelbarer und nicht ausbildungsreifer Jugendlichen ausmachen. Gibt man nun dem Bildungssystem und den Lehrern die Schuld an fehlender Ausbildungsreife, so könnte dies schon beim Übergang in die weiterführende Schule mehr oder weniger vorhergesagt werden. Denn bereits der Name des Schulabschlusses gibt Auskunft über den Grad der Reife: Allgemeine oder fachgebundene Hochschulreife, Mittlere Reife, Hauptschulabschluss. Die Schüler werden also durch die frühe Selektion nach der 4. Klasse auf verschiedene Reifegrade vorbereitet, welche die Chancen bzw. die Vorbereitung auf eine Berufsausbildung nahezu von vorneherein bestimmt. Zum einen könnte an dieser Stelle das dreigliedrige Bildungssystem in Deutschland hinterfragt werden, zum anderen führen Überlegungen dahin, inwiefern die Schule für fehlende Kompetenzen wie Zuverlässigkeit, Höflichkeit etc. verantwortlich gemacht werden kann und was genau der Auftrag der Schulen tatsächlich ist. Bei näherer Betrachtung der Konzepte der Berufsvorbereitung ist festzustellen, dass der Erwerb von Schlüsselqualifikationen zwar als wichtig angesehen und als Querschnittsaufgabe deklariert wird, in den einzelnen Maßnahmestufen jedoch keinerlei Erwähnung mehr findet. Kommentiert wird dies vereinzelt mit der Aussage, dass wenn sie es in der Schule nicht gelernt haben, werden sie es in der BvB auch nicht mehr lernen. Von Spitzenverbänden der Wirtschaft und den Berufsschulverbänden werden Forderungen laut, dass „Schulen [die] Ausbildungsreife sichern [müssen], damit sich die Betriebe und Berufsschulen wieder auf ihre Hauptaufgaben konzentrieren können.“

Die Lücke der fehlenden sozialen und persönlichen Kompetenzen wird also nicht geschlossen und die Verantwortung wird wiederum der Schule übertragen. Auch die Eltern rücken weiter ins Licht der Diskussionen, die ihren Kindern entsprechende Grundwerte vermitteln müssen.

Das Bundesinstitut für Berufsbildung hat im Jahr 2005 eine Befragung unter 500 Experten zum Thema Mangelnde Ausbildungsreife durchgeführt, die unterschiedliche Meinungen und Thesen hervorbrachte. So sind sich die Experten größtenteils einig, dass die Leistungsfähigkeit der Lehrstellenbewerber gesunken sei. Gleichzeitig wird aber auch die enorm gestiegene Komplexität der Arbeitswelt gesehen, wodurch die Anforderungen in den Ausbildungsberufen und die Ansprüche der Betriebe gegenüber den Jugendlichen gewachsen sind. Es wird erwartet, dass sie die Jugendlichen ihrem Entwicklungsstand entsprechend abholen und auf den Beruf vorbereiten. In den Familien wird zudem eine eher negative Entwicklung in der Unterstützung von Eigenschaften wie Selbständigkeit und Verantwortungsbewusstsein gesehen, weshalb die Jugendlichen heute mehr auf sich selbst gestellt sind. Auf der anderen Seite gibt es Stimmen, die die Probleme auf den schlechten Ausbildungsmarkt zurückführen und die anhaltenden Diskussionen um fehlende Ausbildungsreife und Defizite der Jugendlichen als vorgeschobenen Grund betrachten.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Terminologie der Ausbildungsreife an sich. So ist zu hinterfragen, ob die Reife nicht ein rein biologischer Begriff ist, der Auskunft über den biologischen Entwicklungsstand, nicht aber über den intellektuellen Wissensstand eines Menschen gibt.

Quellen


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