Ausdruckspsychologie

Ausdruckspsychologie

Die Ausdruckspsychologie wurde anfangs des 20. Jahrhunderts von Karl Jaspers begründet.[1] Sie geht auf vielfältige systematische Beobachtungen noch aus dem 18. Jahrhundert zurück.[2] Ausdruckspsychologie galt Mitte des 20. Jahrhunderts als ein Fachbereich der Psychologie und widmete sich der Erforschung von Zusammenhängen zwischen den körperlichen Merkmalen einer Person und deren Gefühlen, Persönlichkeits- und Charaktereigenschaften. Einerseits wurde Ausdrucksverhalten wie Mimik, Gestik, Motorik, Pantomimik, Physiognomik und Handschrift, andererseits auch, wie im Rahmen der Konstitutionspsychologie, Merkmale des Körperbaus oder bestimmter körperlicher Ausprägungen mit Persönlichkeitseigenschaften in Beziehung gesetzt.[3]

Die Ausdruckspsychologie wurde als wissenschaftliche Disziplin in Frage gestellt, nachdem sich zeigte, dass mit wissenschaftlichen Methoden keine gesicherten Erkenntnisse über die postulierten Zusammenhänge zwischen körperlichem Ausdruck und Charakter gewonnen werden konnten.[4] Neben den wissenschaftlichen Faktoren spielten auch politische Aspekte bei dem Aufgeben der Ausdruckspsychologie als Teilgebiet der Psychologie eine Rolle. Die nationalsozialistischen Rassentheorien hatten sich auf rassistische Hypothesen, vor allem der in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts populären Physiognomik, berufen und sie zum Kern der Unterfütterung ihres Eugenik-Programms gemacht. Den wissenschaftlich arbeitenden Ausdruckspsychologen der 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts war es nicht gelungen, sich vom Missbrauch der Ausdruckspsychologie durch den Nationalsozialismus ausreichend zu distanzieren.

In der medizinischen Systematik und in der medizinischen Psychologie hat sich der Begriff der Ausdruckspsychologie allerdings weiter als brauchbar erwiesen, hier vor allem bei der Interpretation dissoziativer Symptomatik. Er ist jedoch keineswegs auf diese Art von Störung begrenzt. Thure von Uexküll hat den übergeordneten Begriff der Ausdruckskrankheit eingeführt.[5] Dieser Begriff erscheint den Autoren Hoffmann und Hochapfel glücklich gewählt.[6] Ausdruck findet sich auch als gängiger symptomatologischer Terminus im Wörterbuch der Psychiatrie von Peters.[7] Damit werden i.w.S. körperliche Zeichen gemeint, die Rückschlüsse auf Seelisches zulassen, i.e.S. nur Ausdrucksbewegungen.

Die Ausdruckspsychologie galt in Deutschland ca. 30 Jahre lang als eine wissenschaftliche psychologische Disziplin. 1941, in der ersten deutschen Diplom-Prüfungsordnung für Psychologen, waren die Fächer Charakterkunde und Ausdruckskunde 2 von 4 Prüfungsfächern der Vordiplomprüfung. Seit 1973 ist die Ausdruckspsychologie nicht mehr in der Diplom-Prüfungsordnung des Diplomstudiengangs Psychologie enthalten.[8]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Jaspers, Karl: Allgemeine Psychopathologie. 1. Auflage 1914, Springer Berlin 9. Auflage 1973, ISBN 3-540-03340-8, Seiten 130, 153, 190, 214 ff., 231, 259 f., 630
  2. Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe. Leipzig 1755 ff. Anm.: Goethe beteiligte sich daran, siehe Cottasche Jubiläumsausgabe 33, Seite 20 ff.
  3. Bernhard Rosemann, Sven Bielski: Einführung in die Pädagogische Psychologie. Beltz, Weinheim 2001, ISBN 3-407-25238-2, S. 123f. (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
  4. Bernhard Rosemann, Sven Bielski: Einführung in die Pädagogische Psychologie. Beltz, Weinheim 2001, ISBN 3-407-25238-2, S. 129 (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
  5. Uexküll, Thure von: Grundfragen der psychosomatischen Medizin. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek bei Hamburg 1963, Seiten 150 ff., 155, 158, 165, 172, 194, 197 f., 201, 203 ff., 233
  6. Hoffmann, Sven Olav und Hochapfel, G.:Neurosenlehre, Psychotherapeutische und Psychosomatische Medizin. [1999], CompactLehrbuch, Schattauer, Stuttgart 6. Auflage 2003, ISBN 3-7945-1960-4, Seiten 202, 218
  7. Peters, Uwe Henrik: Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie. Urban & Schwarzenberg, München 3. Auflage 1984, Stw. Psychopathologie, Seite 55
  8. Friederike Rothe: Zwischenmenschliche Kommunikation: Eine interdisziplinäre Grundlegung. 1. Auflage. Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden 2006, ISBN 3-8350-6026-0, S. 82 (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).

Literatur

  • Remo Buser: Ausdruckspsychologie. Problemgeschichte, Methodik und Systematik der Ausdruckswissenschaft, München/Basel (CH) 1973, E. Reinhardt, ISBN 978-3-497-00693-9
  • Heiner Ellgring: Ausdruckstheoretische Ansätzein Euler/Mandl (Hrsg.) Emotionspsychologie, Weinheim 2000, S. 85 - 94
  • Hermann Josef Fisseni: Persönlichkeitspsychologie. Ein Theorienüberblick. 5. Aufl., Göttingen 2003, Verlag für Psychologie Hogrefe, ISBN 978-3-8017-0981-5
  • Graumann, C.F.:Interaktion und Kommunikation. In: Ph. Lersch et.al. (Hrsg.) Handbuch der Psychologie. Band 7. Sozialpsychologie. 1972, Hogrefe Verlag.
  • Susanne Kaiser/Thomas Wehrle: Ausdruckspsychologische Methoden, in: Euler/Mandl (Hrsg.) Emotionspsychologie, Weinheim 2000, S. 419 - 428
  • Robert Kirchhoff (Hrsg.): Ausdruckspsychologie. Handbuch der Psychologie. Bd. 5, Göttingen 1965, Verlag für Psychologie Hogrefe
  • Philip Lersch:Gesicht und Seele.Grundlinien einer mimischen Diagnostik. 1943, Ernst Reinhardt.
  • Molcho, Samy: Alles über Körpersprache. 1995/2002, München. Mosaik Verlag.
  • Jürgen H. Otto/Harald A. Euler/Heinz Mandl, Emotionspsychologie. Ein Handbuch, Weinheim 2000, Beltz Psychologie Verlags Union, ISBN 3-621-27453-7
  • Robert Reigbert: Ausdruckspsychologie und praktische Pädagogik, Weimar 1929, H. Böhlaus Nachfahren
  • Zysk, Wolfgang: "Körpersprache - Eine neue Sicht", Dissertationsschrift, 2004, Universität Duisburg-Essen.

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