Reformpädagoge

Reformpädagoge

Unter der Bezeichnung Reformpädagogik werden verschiedene Ansätze zur Reform von Schule, Unterricht und allgemeiner Erziehung zusammengefasst, die sich Ende des 19. Jahrhunderts und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts gegen Lebensfremdheit und Autoritarismus der vorherrschenden „Paukschule“ wandten und zu einer veränderten Bildungstheorie und damit einer veränderten Didaktik beitragen wollten.

Inhaltsverzeichnis

Leitvorstellungen

Vorläufer ist die Anschauungspädagogik.

Wichtige Prinzipien waren die Selbsttätigkeit der Schüler, das freie Gespräch, Erlebnispädagogik, Schulgemeindepädagogik, praktische Tätigkeiten oder Lernen durch Handeln. Somit enthielt diese pädagogische Richtung auch lerntheoretische Ansätze.

Strömungen

Eine zentrale Rolle spielte die New Education Fellowship, die 1921 gegründet wurde und das internationale Forum für Reformpädagogen war. Die New Education Fellowship organisierte zwischen 1923 und 1932 Konferenzen in Montreux, Heidelberg, Locarno, Helsingör und Nizza mit einer breiten internationalen Beteiligung. Die deutsche Sektion ist der Weltbund für die Erneuerung in der Erziehung, der nach 1945 wiedergegründet wurde und bis heute besteht.

In Deutschland gab es als wichtigste Zweige der Reformpädagogik die Arbeitsschule zur Bildung breiter Bevölkerungsschichten und die auf das Lernumfeld abzielenden Konzepte Landschulbewegung und Einheitsschule. Diese Ausprägungen wurden intensiv auf der Reichsschulkonferenz 1920 zu Beginn der Weimarer Republik diskutiert. Eine starke wechselseitige Beeinflussung gab es mit verschiedenen Bewegungen wie der Jugendbewegung, der 1. Frauenbewegung, der Arbeiterbewegung oder der Kunsterziehungsbewegung. Einige Reformpädagogen verbanden eine liberale Grundhaltung mit starkem sozialem Engagement, daneben gab es auch völkische Vertreter.

Bedeutende Richtungen und Vertreter

Große Teile, besonders der sozialistisch bzw. sozialdemokratisch orientierte Teil der deutschsprachigen Reformpädagogik wurde von den Nazis zum Schweigen gebracht und ist nach 1945 kaum mehr in Erscheinung getreten. Weggefallen ist damit auch die fruchtbare Verbindung von Psychoanalyse und Pädagogik wie sie etwa Siegfried Bernfeld oder Anna Siemsen vertreten haben. Lebendige Beispiele wie Summerhill aus dem nichtdeutschsprachigen Raum wurden ignoriert oder für tot erklärt. Bedeutende Vertreter dieser Richtung waren:

Aufgrund der Verbindung von verschiedenen Reformpädagogen mit völkischen Teilen der deutschen Jugendbewegung finden sich in ihren Werken zum Teil auch, der Zeit entsprechend, völkische, nationalistische, antisemitische oder eugenische Äußerungen. Insofern steht die Reformpädagogik oft in der Kritik Wegbereiter für den Nationalsozialismus gewesen zu sein.

Literatur

Wissenschaftliche Arbeiten:

  • "Die alte Schule überwinden". Reformpädagogische Versuchsschulen zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus. Hrsg. von Ullrich Amlung, Dietmar Haubfleisch, Jörg-W. Link und Hanno Schmitt. Frankfurt 1993 (=Sozialhistorische Untersuchungen zur Reformpädagogik und Erwachsenenbildung, 15). ISBN 3-7638-0185-5
  • Manfred Berger, Clara Grunwald. Wegbereiterin der Montessori-Pädagogik, Frankfurt/Main 2000, ISBN 3-86099-294-5
  • Winfried Böhm, Waltraud Harth-Peter, Karel Rýdl, Gabriele Weigand, Michael Winkler (Hrsg.): Schnee vom vergangenen Jahrhundert. Neue Aspekte der Reformpädagogik. Ergon Verlag. Würzburg 1994, ISBN 3-928034-46-4
  • Joachim Bröcher: Anders unterrichten, anders Schule machen. Beiträge zur Schul- und Unterrichtsentwicklung im Förderschwerpunkt Lernen. Universitätsverlag Winter Heidelberg 2007
  • Norbert Collmar/Ralf Koerrenz (Hrsg.): Die Religion der Reformpädagogen. Ein Arbeitsbuch. Weinheim 1994
  • Inge Hansen-Schaberg (1992). Minna Specht - Eine Sozialistin in der Landerziehungsheimbewegung (1918 - 1951). Frankfurt [u. a.]
  • Dietmar Haubfleisch: Schulfarm Insel Scharfenberg. Mikroanalyse der reformpädagogischen Unterrichts- und Erziehungsrealität einer demokratischen Versuchsschule im Berlin der Weimarer Republik (=Studien zur Bildungsreform, 40), Frankfurt [u. a.] 2001. ISBN 3-631-34724-3 Inhaltsverzeichnis und Vorwort des Herausgebers der Reihe "Studien zur Bildungsreform"
  • Dietmar Haubfleisch: Berliner Reformpädagogik in der Weimarer Republik. Überblick, Forschungsergebnisse und -perspektiven. In: Die Reform des Bildungswesens im Ost-West-Dialog. Geschichte, Aufgaben, Probleme. Hrsg. von Hermann Röhrs und Andreas Pehnke (=Greifswalder Studien zur Erziehungswissenschaft, 1), Frankfurt a.M. [u. a.] 1994, S. 117-132. - Unveränd. wieder in: 2., erw. Aufl., Frankfurt [u. a.] 1998, S. 143-158. - Leicht akt. wieder: Marburg 1998: http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1998/0013.html
  • Adrian Klenner: Carl Friedrich Wagner und seine Tätigkeit an der Hamburger Versuchsschule Telemannstraße 10. (Diss. Hamburg 2003).
  • Ralf Koerrenz: Reformpädagogik. Studien zur Erziehungsphilosophie.Jena 2004, ISBN 3-934601-99-5
  • Martin Näf: Paul und Edith Geheeb-Cassirer. Gründer der Odenwaldschule und der Ecole d'Humanité. Deutsche, Schweizerische und Internationale Reformpädagogik 1910 – 1961. Weinheim und Basel 2006. ISBN 3-407-32071-X
  • Jürgen Oelkers (2005): Reformpädagogik – eine kritische Dogmengeschichte. Juventa Verlag Weinheim und München. 4. vollst. bearbeitete und erweiterte Auflage, ISBN 3-7799-1525-1
  • Andreas Pehnke: „Ich gehöre in die Partei des Kindes!“ Der Chemnitzer Sozial- und Reformpädagoge Fritz Müller (1887-1968): In Diktaturen ausgegrenzt - in Demokratien vergessen und wiederentdeckt. Sax-Verlag: Beucha (bei Leipzig) 2000
  • Andreas Pehnke: (Hrsg): „Reformpädagogik aus Schülersicht“ Dokumente eines spektakulären Chemnitzer Schulversuchs (Fritz Müller) in der Weimarer Republik. Schneider-Verlag, Hohengehren 2002
  • Willy Potthoff: Einführung in die Reformpädagogik. Von der klassischen zur aktuellen Reformpädagogik, Freiburg 2000 (3. aktual. und erw. Auflage), ISBN 3-925416-23-4
  • Retter, Hein (Hrsg.): Reformpädagogik. Neue Zugänge - Befunde - Kontroversen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2004.
  • Hermann Röhrs (Hrsg.) (1998): Die Reformpädagogik. Ursprung und Verlauf unter internation. Aspekt. Deutscher Studienverlag Weinheim. 5. durchgesehene und ergänzte Auflage 1998.
  • Skiera, Ehrenhard: Reformpädagogik in Geschichte und Gegenwart. Eine kritische Einführung. München 2003, ISBN 3-486-27413-9

Andere Arbeiten (Seminar-, Haus-, Examensarbeiten):

Siehe auch

Weblinks

Portale, Archive

Veröffentlichungen einzelner Forscher zur Reformpädagogik

Ausstellung zur Reformpädagogik (2007)


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