Automatic Train Control

Automatic Train Control

Der Begriff Automatic Train Control bezeichnet eine Reihe verschiedener Zugsicherungssysteme. In der englischen Herkunftssprache steht ATC (Automatic Train Control) für Systeme, die über die streckenseitige Zugsicherung ATS (Automatic Train Stop) mittels Führerstandsignalisierung und Fahrtrecher hinausgehen. ATC bezeichnet heute als Eigenname jeweils technisch verschiedene Zugbeeinflussungssysteme in Schweden und Norwegen, den USA und Japan.

Inhaltsverzeichnis

GWR-ATC (1906)

Historisch wurde 1906 bei der Great Western Railway ein als Automatic Train Control bezeichnetes punktförmiges Zugbeeinflussungssystem entwickelt.

An Vorsignalen befindet sich zwischen den Laufschienen eine dritte, höhere Schiene mit einer Rampe (ATC-Rampe) an jedem Ende. An der Unterseite des Triebfahrzeugs ist ein Kontaktschuh angebracht, der bei der Vorbeifahrt am Signal auf die Rampe aufläuft und angehoben wird. Zeigt das Vorsignal Fahrt erwarten, so liegt an der dritten Schiene eine elektrische Spannung an. Zeigt das Vorsignal hingegen Halt erwarten, dann ist das nicht der Fall.

Das Anheben des Kontaktschuhs löst eine Hupe im Führerstand aus. Steht die dritte Schiene unter Spannung, ertönt außerdem eine Glocke. Die Hupe fordert den Triebfahrzeugführer dazu auf, die Vorbeifahrt am Vorsignal zu quittieren. Tut er das innerhalb einer gewissen Zeit nicht, und zeigt das Vorsignal Halt erwarten, dann wird eine Zwangsbremsung ausgelöst.

Dieses System ähnelte stark dem bereits zuvor entwickelten französischen Crocodile. Das System war bis 1970 im Vereinigten Königreich im Einsatz und wurde dann durch die Weiterentwicklung des Automatic Warning System (AWS) ersetzt.

ATC USA

In den USA bezeichnet ATC ein System wie es im Nordostkorridor und angrenzenden Netzen eingesetzt wird, vor allem auf den Strecken von Amtrak, Metro North and the Long Island Rail Road. Das System basiert auf dem Pulse Code Cab Signaling (ähnlich dem italienischen System RS4 Codici), bei dem in den Gleisen ein Wechselstrom mit einer Frequenz von 100 Hz fließt, der mit einer von der Stellung des jeweils nächsten Signals abhängigen Frequenz moduliert ist:

  • 180/min - Proceed (freie Fahrt ohne Einschränkung)
  • 120/min - Approach Limited (das nächste und das übernächste Signal sind frei, das darauffolgende zeigt jedoch "Halt")
  • 75/min - Approach (das nächste Signal ist frei, das darauffolgende zeigt jedoch "Halt")
  • 0 - Stop (Halt vor dem nächsten Signal)

Die Anzeige des Signalbilds im Führerstand erfolgt je nach Fahrzeug unterschiedlich. Mittels Fahrtrechner können bessere Bremskurven erreicht werden, so dass es fast nur im Personenverkehr eingesetzt wird - abrupte Stops werden vermieden und die Zugfolge kann mit ATS verdichtet werden. Bei Güterzügen bleibt es bei einer Führerstandsignalisierung.

ATC Schweden

In Schweden und Norwegen bezeichnet ATC ein punktförmiges Zugbeeinflussungssystem. Das schwedische ATC-System basiert auf passiven Balisen (normalerweise Balisengruppen von mindestens zwei Balisen), die über Funk Information an den Bordcomputer, der auch von verschiedenen Gebern (Tachometer, Manometer u.a.) gespeist wird, senden. Dadurch kann das ATC-System zwei Funktionen erfüllen:

  • Führerstandsignalisierung, die Vorsignal- und Signalbescheide sowie geltende Geschwindigkeit wie auch kommende Geschwindigkeitswechsel anzeigt, und u.a. erlaubt
    • den standardisiserten Vorsignalabstand von 1000 m durch fiktive Vorsignale (nur am ATC-Vorindikator im Führerstand zu sehen) auf bis zu 3000 m zu verlängern
    • Vorsignalbescheide für die kommenden fünf Hauptsignale zu speichern, wobei im Führerstand nur angezeigt wird, ob das nächste oder eines der weiteren vier Hauptsignale auf Stop steht
    • den Zielpunkt für einen Hauptsignalbescheid nach vorne zu verschieben, d. h. dass der Signalbescheid nicht ab dem Signal, sondern ab einem anderen, weiter vorne liegenden Punkt gültig ist
    • bei Geschwindigkeitswechseln differenzierte Geschwindigkeitsvorgaben zu geben. Eine Geschwindigkeitstafel von z.B. 100 km/h erlaubt je nach Zugtyp aufgrund ATC-Bescheid eine Höchstgeschwindigkeit zwischen 100 und 145 km/h. Geschwindigkeiten über 159 km/h werden ausschließlich vom ATC angezeigt.
  • Geschwindigkeitsüberwachung und eventuelle automatische Voll- bzw. Notbremsung, bei der
    • einerseits die geltende Höchstgeschwindigkeit überwacht wird und im Falle einer Überschreitung durch Tonsignale der Führer gewarnt wird bzw. der Zug gebremst wird (Vollbremsung ab einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 10 km/h, Notbremsung ab einer Überschreitung von 15 km/h)
    • andererseits ein kommender Geschwindigkeitswechsel angezeigt wird und aufgrund von im Bordcomputer errechneten Bremskurven der Lokführer in drei Intervallen aufgefordert wird, die Bremsung einzuleiten. Wird die Bremsung zu spät oder nicht stark genug durchgeführt, übernimmt das System die Bremsung und bremst den Zug auf eine eventuell geltende niedrigere Geschwindigkeit oder bringt den Zug vor einem Signal in Stop zum Stehen.

Das schwedische ATC-System wurde in den 1960er und 1970er Jahren entwickelt und 1980 implementiert (SJ 1980). Das technische System wurde von Norwegen übernommen und für seine Vorschriften angepasst, sodass ATC Züge grenzübergreifend in Skandinavien verkehren können (Dänemark hat allerdings ein anderes Zugbeeinflussungssystem). Nach dem Zugunglück von Flauvac 1985 und Melun 1991 wurde das System vom französischen Streckenbetreiber Réseau ferré de France übernommen und zum KVB / contrôle de vitesse par balises weiterentwickelt. Heute sind ungefähr 90 Prozent des schwedischen Eisenbahnnetzes mit ATC ausgerüstet. Vom Zulieferer wurde daraus eine Familie von Signaliserungssystemen abgeleitet – auf EBICAB aufbauenden Zugbeeinflussungsysteme wurden später auch in anderen Ländern eingeführt.

Der größte schwedische Infrastrukturverwalter ’’Banverket’’ hat beschlossen, langfristig auf das europäische System ETCS überzugehen. Die neugebaute Botniabanan ist schon mit ETCS Level 2 ausgerüstet. Doch bestehen dabei gewisse Probleme, da im europäischen System – im Vergleich zum schwedischen System – gewisse Funktionen fehlen. Um diese Probleme zu überbrücken, wird ein ’’Specific Transmission Module’’ entwickelt.

ATC Japan

ATC Japan Führerstandsanzeige

In Japan wurde ein solches System für die Shinkansen-Züge eingeführt, die 1964 den Betrieb aufnahmen. Später wurde das System auch auf anderen Strecken übernommen. Nach zwei Zwischenfällen in Japan in den Jahren 1973 und 1974, bei denen elektromagnetische Störungen zur Anzeige eines falschen Signalbegriffs führten, wurde das Übertragungsverfahren geändert. Die verschiedenen Geschwindigkeiten werden nun als Überlagerung von jeweils zwei Frequenzen codiert (wie beim Mehrfrequenzwahlverfahren im Telefonnetz).

Linienförmige Zugbeeinflussung

Zwecks Erhöhung der Zugdichte auf stark befahrenen Strecken wurde von Hitachi eine digitale Variante von ATC entwickelt. Diese wird D-ATC, eine für das Shinkansen-Netz angepasste Variante DS-ATC genannt (D steht für digital, S für Shinkansen).

Ein Zentralrechner registriert innerhalb seines bis zu 40 km großen Stellbezirks für jeden Zug die durch diesen belegten Gleisabschnitte und die eingestellten Fahrstraßen. In jedem Gleisabschnitt wird ein TD-Signal (train detection) in eine Schiene eingespeist. Durch die Achsen eines Zuges wird der Stromkreis geschlossen. Auf diese Weise registriert das System das Einfahren des Zuges in den nächsten Abschnitt.

Informationen über vor dem Zug liegende Signale und Geschwindigkeitsbeschränkungen werden in Form eines 80 Bit langen LMA-Telegramms (limit of movement authority) durch ein auf die Gleise aufmoduliertes Digitalsignal an den Zug übertragen. Das Telegramm besteht aus 64 Bit Nutzdaten und 16 Bit Prüfsumme. Seriennummer und Inhalt jedes Telegramms werden einer Sinnhaftigkeitsprüfung unterzogen und ungültige Telegramme verworfen. Als Übertragungsprotokoll kommt eine Variante von HDLC zum Einsatz.

Der Bordrechner des Triebfahrzeugs schätzt die Position des Zugs innerhalb eines Blocks durch Wegmessung. Zusätzlich befinden sich in unregelmäßigen Abständen Positionsbaken entlang der Strecke, mit deren Hilfe Messfehler ausgeglichen werden können. Abhängig von Länge, Gewicht und Bremsvermögen des Zugs wird eine optimale Bremskurve berechnet und mittels der Positionsschätzung der Bremspunkt festgelegt.

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