Richard Johann Kuhn

Richard Johann Kuhn

Richard Johann Kuhn (* 3. Dezember 1900 in Wien; † 1. August 1967 in Heidelberg) war ein österreichisch-deutscher Chemiker und Nobelpreisträger von 1938.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Kuhn war 1926 Universitätsprofessor an der ETH Zürich und lehrte ab 1928 an der Universität Heidelberg. 1929 wurde er Abteilungsleiter am Kaiser-Wilhelm-Institut für Medizinische Forschung in Heidelberg. In der Zeit des Nationalsozialismus war er Mitglied des NS-Lehrerbunds. 1936 denunzierte er drei „jüdische“ Mitarbeiter des KWI, die noch nicht der Säuberungswelle der Nationalsozialisten zum Opfer gefallen waren.[1] 1937 wurde er Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für medizinische Forschung.

Kuhn erhielt 1938 den Nobelpreis für Chemie "für seine Arbeiten über Carotinoide und Vitamine", den er aber aufgrund eines Erlasses der nationalsozialistischen Machthaber erst 1948 entgegennehmen konnte.

1938 wurde er zum „Führer“ der deutschen chemischen Gesellschaft ernannt.[1] Während des Zweiten Weltkriegs wurde er 1940 Fachspartenleiter für Organische Chemie innerhalb der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Zum 75-jährigen Jubiläum der Deutschen Chemischen Gesellschaft hielt er am 5. Dezember 1942 eine Festrede, die mit folgenden Worten schloss: „Dem Duce, dem Tenno und unserem Führer ein dreifaches Sieg Heil!“.[2] Seit 1943 war er an der Nervengasforschung beteiligt und erfand das Giftgas Soman.[1] Er war über die Menschenversuche der Nationalsozialisten informiert und schrieb am 10. Dezember 1943 in einer Stellungnahme zu einem angeblichen Tuberkulose-Heilmittel: „Es ind auch schon Versuche am Menschen in einer Lungenheilanstalt bei Darmstadt in Angriff genommen worden“.[1] Am 27. Januar 1944 war er einer der Teilnehmer an der Mycel-Tagung im Rüstungsministerium, wo über die Versuche berichtet wurde, KZ-Häftlinge mit diesem Zelluloseabfallprodukt zu ernähren. Darüber schrieb er auch einen Bericht.[1] Im selben Jahr wurde er wissenschaftlicher Beirat Karl Brandts, des Generalkommissars für das Sanitäts- und Gesundheitswesen.[1]

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lehrte er zunächst in den USA. 1953 kehrte er nach Deutschland zurück. Kuhn, der schon von 1937 bis 1945 Direktor am Kaiser-Wilhelm-Institut für medizinische Forschung war, wurde nach dem Übergang der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in die Max-Planck-Gesellschaft erneut Direktor am Max-Planck-Institut für Medizinische Forschung. Er war Ehrenmitglied der österreichischen Akademie der Wissenschaften und Träger zahlreicher internationaler Preise. 1958 wurde ihm der Paul-Ehrlich-und-Ludwig-Darmstaedter-Preis sowie der Pour le mérite für Wissenschaft und Künste verliehen.

Kuhn war Namensgeber für die 1968 von der BASF gestiftete Richard-Kuhn-Medaille, die etwa alle zwei Jahre von der Gesellschaft Deutscher Chemiker, deren Präsident er 1964/65 war, für Leistungen auf dem Gebiet der Biochemie verliehen wurde.

Im Jahre 2005 beschloss der Vorstand der Gesellschaft, diese Medaille nicht mehr zu verleihen, da ihn sein aus Sicht der GDCh unrühmliches Verhalten in der Giftgas-Forschung und gegenüber seinen jüdischen Kollegen in der Zeit des Nationalsozialismus als Vorbild disqualifiziere. Kuhn entdeckte und synthetisierte zusammen mit Konrad Henkel z. B. das Nervengift (Acetylcholinesterasehemmer) Soman.

Sonstiges

Kuhn besuchte in Wien das Bundesgymnasium XIX in der Gymnasiumstraße 83, 1190 Wien, in seiner Klasse war der spätere Nobelpreisträger Wolfgang Pauli, der 1945 den Nobelpreis für Physik erhielt.

Auszeichnungen

Österreichisches Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst

Werke

  • Der Arzneischatz der Gegenwart und die pharmazeutische Chemie der Zukunft. Düsseldorf 1965.
  • Ludolf von Krehl und das Kaiser-Wilhelm-Institut für Medizinische Forschung. Lehmann, München 1961.
  • Biochemie der Rezeptoren und Resistenzfaktoren. Springer, Berlin 1959.
  • Über Kumulene, X cis-trans-Isomerie bei Dinitro-Tetraphinyl-Kumulenen. Chemie, Weinheim an der Bergstraße 1959.
  • Biochemie. Dieterich & Chemie, Wiesbaden, Weinheim an der Bergstraße 1947–53.
  • Biochemistry. Wiesbaden 1947.
  • Biologie. Hermann, Paris 1938.
  • Die Chemie der Gegenwart und die Biologie der Zukunft. Rascher, Zürich 1928.
  • Physikalische Chemie und Kinetik. Thieme, Leipzig 1924.

Literatur

  • Angelika Ebbinghaus & Karl Heinz Roth: Vernichtungsforschung. Der Nobelpreisträger Richard Kuhn, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und die Entwicklung von Nervenkampfstoffen während des Dritten Reichs, in 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, 17 (2002), H. 1, S. 15-50.
  • Brigitte Hoppe: Adolf Windaus, Heinrich Wieland, Richard Kuhn, Leopold Ruzicka, Alexander Todd und Adolf Butenandt. Kindler, Zürich, München 1978/79.
  • Lothar Jaenicke: Richard Kuhn, 3. Dezember 1900 (Wien) - 1. August 1967 (Heidelberg). in vol. 54:5 Nachrichten aus der Chemie. Frankfurt 2006.
  • Gerhard Oberkofler & Peter Goller: Richard Kuhn. Innsbruck 1992.
  • Florian Schmaltz: Kampfstoff-Forschung im Nationalsozialismus. Zur Kooperation von Kaiser-Wilhelm-Instituten, Militär und Industrie, Göttingen 2005.
  • Jonathan B. Tucker: War of nerves. Chemical warfare from World War I to al-Quaeda. Verlag Pantheon Books, New York 2006. 479 S. ISBN 1400032334 (engl.)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d e f Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-596-16048-8, S. 351.
  2. Zitat bei Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Fischer Taschenbuch 2005, S. 351.

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