Ringspezies

Ringspezies
Abb. 1. Die einzelnen Populationen sind durch verschiedenfarbige Blöcke dargestellt. Das Verbreitungsareal und damit der Cline kann gestreckt (A), oder auch ringförmig sein (B, C).

Eine Ringspezies, auch Rassenkreis genannt, besteht aus mehreren meist morphologisch deutlich unterscheidbaren Populationen (welche unter Umständen formal als eigenständige Arten klassifiziert werden), bei denen Individuen benachbarter Populationen sich kreuzen und Gene austauschen können, dies jedoch zumindest bei einigen der nicht-benachbarten Populationen nicht mehr möglich ist. Ringspezies illustrieren, dass das gebräuchliche biologische Artkonzept nach Ernst Mayr nicht immer eindeutig angewandt werden kann.

Inhaltsverzeichnis

Einführung

Die farbigen Balken in Abb. 1 zeigen eine Anzahl von natürlichen Populationen. Entlang einer sogenannten Kline (englisch cline, Huxley, 1938 [1]) von sich kontinuierlich verändernden Umweltbedingungen variieren die Populationen in Anpassung an diese Bedingungen zum Beispiel im Körperbau. Paarungen zwischen benachbarten Populationen sind möglich und finden auch statt. Eine Variation bzw. ein Kline kann entlang einer Geraden (z. B. der Nordseite der Alpen; siehe A) oder entlang einer gebogenen Linie existieren (zum Beispiel rund um die Arktis, B).

Von einer Ringspezies spricht man, wenn bei einer ringförmigigen Kline (C) die am jeweiligen Ende des Rings aufeinander treffenden Populationen trotz des gleichen Lebensraums keinen Genaustausch mehr haben. Die Änderungen der Physiologie, Morphologie oder des Verhaltens sind in einem solchen Fall so groß geworden, dass Paarungen zwischen den endständigen Populationen eines Rings nicht mehr zu fruchtbaren Nachkommen führen. Die Gesamtheit aller Populationen wird in so einem Fall als Ringspezies bezeichnet.

Die Fragestellung für die Klassifikation besteht darin, ob man alle Populationen eines solchen Rings als eine einzige Art im Sinne der Taxonomie auffassen soll, obwohl Paarungen nicht zwischen allen Populationen möglich sind – oder ob man jede Population (farbige Segmente in der Darstellung) zu einer eigenen Art zählt, obwohl Individuen sich mit Mitgliedern der direkt benachbarten Populationen fortpflanzen können. Die Abgrenzung von Art ist somit nicht immer so eindeutig möglich, wie es das biologische Artkonzept vermuten lässt.

Lebensräume der arktischen Möwen. Pfeile zeigen Paarungsmöglichkeiten an, jedoch verpaaren sich die nordeuropäischen Silbermöwen und Heringsmöwen nicht, sondern verhalten sich zueinander wie eigenständige Arten. Während des Pleistozäns bewohnten ihre Vorfahren ein Gebiet in Südwestasien [2].
Ein Bild aus Norwegen: vorn eine Silbermöwe, hinten eine Heringsmöwe.

Beispiele

Ein klassisches Beispiel sind Möwen (Gattung Larus), welche entlang des Polarkreises eine Ringspezies bilden. Die Silbermöwe (Larus argentatus), die vornehmlich in Großbritannien lebt, kann sich mit der Kanadamöwe (Larus smithsonianus) paaren; diese kann sich mit der Ostsibirienmöwe (Larus vegae) paaren, diese sich wieder mit der Birula-Möwe (Larus vegae birulai), diese wiederum mit der Tundramöwe (Larus heuglini), diese mit der sibirischen Population der Heringsmöwe und diese wiederum mit der gewöhnlichen Heringsmöwe (Larus fuscus). Die letztgenannte Heringsmöwe paart sich trotz Überschneidung des Lebensraums jedoch nicht mit der Silbermöwe, da sie genetisch zu unterschiedlich ist – also bilden alle genannten Möwenarten eine Ringspezies. Eine genetische Studie zeigte allerdings, dass die Situation noch komplizierter ist als hier beschrieben.[3]

Weitere Beispiele:

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Arno Hermann Müller: Lehrbuch der Paläozoologie. Band I - Allgemeine Grundlagen. 5. Auflage. Gustav Fischer Verlag, Jena, Stuttgart, 1992
  2. Bernhard Ziegler: Einführung in die Paläobiologie Teil 1 - Allgemeine Paläontologie. 5. Auflage. E. Schweizerbart'sche Verlagsbuchhandlung. Stuttgart, 1992
  3. Dorit Liebers, Peter de Knijff, Andreas J. Helbig: The herring gull complex is not a ring species. In: Proc. R. Soc. Lond. B: Biological Sciences, Band 271, 2004, S. 893–901, doi:10.1098/rspb.2004.2679 (freier Zugang zum Volltext)

Weblinks


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