Rotmilan

Rotmilan
Rotmilan
Rotmilan (Milvus milvus)

Rotmilan (Milvus milvus)

Systematik
Klasse: Vögel (Aves)
Ordnung: Greifvögel (Falconiformes)
Familie: Habichtartige (Accipitridae)
Gattung: Milane (Milvus)
Art: Rotmilan
Wissenschaftlicher Name
Milvus milvus
Linnaeus, 1758

Der Rotmilan (Milvus milvus), auch Roter Milan, Gabelweihe oder Königsweihe genannt, ist eine etwa mäusebussardgroße Greifvogelart aus der Familie der Habichtartigen (Accipitridae).

Im Gegensatz zum nahe verwandten, geringfügig kleineren Schwarzmilan, ist seine Verbreitung im Wesentlichen auf Europa beschränkt. Über 50 Prozent des Gesamtbestandes dieser Art brüten in Deutschland. Zurzeit werden keine Unterarten anerkannt. Die am Rande des Aussterbens stehenden Milane der Kapverden wurden früher als Unterart des Rotmilans aufgefasst (M. m. fasciicauda), gelten aber heute mehrheitlich als eigenständige Art (Milvus fasciicauda).

Inhaltsverzeichnis

Äußere Merkmale

Der Rotmilan ist eine gut bestimmbare Greifvogelart. Verwechseln lässt er sich am ehesten mit dem Schwarzmilan, doch sind auch zu dieser nahe verwandten Milanart gute Unterscheidungsmerkmale gegeben.

Halbgefächerter Schwanz:
Schwarzmilan (links)
Rotmilan (rechts)

Der Rotmilan ist größer als ein Mäusebussard und etwas größer als der Schwarzmilan; er hat ausgesprochen lange Flügel und einen langen Schwanz. Der sitzende Vogel wirkt rötlichbraun, wobei eine deutlich hellere, meist ockerfarbene Federsäumung vor allem der Deckfedern des Oberflügels und des Rückengefieders einen kontrastreichen Gesamteindruck vermittelt. Das Kopf-, Nacken- und Kehlgefieder erwachsener Rotmilane ist sehr hell, fast weiß, und weist auffallende schwarze Federnschäfte auf, die diese Körperpartien schwarz gestrichelt erscheinen lassen. Der ziemlich kräftige Schnabel ist an der Basis gelb, am Schnabelhaken dunkelgrau oder schwarz. Die kurzen Beine sind gelb, die Krallen ziemlich schwarz. Die Iris erwachsener Vögel ist blassgelb. Das deutlich schwarz längsgestrichelte Bauchgefieder ist etwas heller und leuchtender rötlichbraun als das Rückengefieder; ebenso gefärbt sind die Unterflügeldeckfedern. Die Arm- und Handschwingen sind an ihren Enden sehr dunkel, fast schwarz.

Rotmilan im Segelflug
Rotmilan auf Beutesuche

Im Flug fallen vor allem die langen, relativ schmalen Flügel und der tief gegabelte, rostrote Schwanz auf, der immer in Bewegung ist und auch voll gefächert eine erkennbare Kerbung aufweist. In der Oberansicht kontrastieren die schwarzen Arm- und Handschwingen stark mit dem übrigen, rötlichbraunen Gefieder. Noch kontrastreicher ist das Flugbild von unten, da die Basen der Handschwingen weiß sind und so ein ausgedehntes weißes Flügelfeld bilden und im Flügelbug meist ein schwarzes Abzeichen zu erkennen ist. Die äußersten, tief gefingerten Handschwingen sind in ihrem letzten Drittel schwarz. Im Segelflug sind die Armschwingen leicht über die Horizontale angehoben, die Handschwingen jedoch gerade oder leicht gesenkt, was ein erkennbar geknicktes Flügelprofil ergibt. Die Flügel sind in fast jeder Flugposition im Carpalgelenk deutlich gewinkelt.

Die Geschlechter unterscheiden sich in der Färbung nicht, auch das Jugendgefieder ähnelt stark dem Erwachsenenkleid. Bestes, und bei sehr gutem Licht auch feldornithologisch brauchbares Bestimmungsmerkmal juveniler Individuen, ist der mehr sandfarbene, nicht hellgrauweiße Kopf und das eher gesprenkelt (nicht längsgestrichelt) wirkende, mehr blass rötlichbraune Bauchgefieder. Bei ganz jungen flüggen Rotmilanen kann der Schwanz am äußersten Rand noch eine Rundung aufweisen, da die äußersten Steuerfedern noch nicht ihre volle Länge erreicht haben.

Größe und Körpermasse

Sitzender Rotmilan

Der reverse Geschlechtsdimorphismus ist beim Rotmilan ähnlich wie beim Schwarzmilan in Bezug auf die Körpergröße nicht sehr deutlich, etwas ausgeprägter jedoch in Bezug auf das Körpergewicht. Die schwersten Männchen haben ein Gewicht von 1,1 Kilogramm; im Durchschnitt liegt das Gewicht etwas unter einem Kilogramm. Die schwersten Weibchen wiegen 1,4 Kilogramm, das Mittel liegt bei 1,2 Kilogramm. Die Körperlänge variiert zwischen 60 und 73 Zentimeter, wovon zwischen 31 und 39 Zentimeter auf den Schwanz entfallen. Die Spannweite beträgt 150 bis 171 Zentimeter.

Laute

Rotmilane sind akustisch weniger auffällig als Schwarzmilane. Vor allem außerhalb der Balzzeit und in weiterer Entfernung vom Horst verhalten sie sich weitgehend stumm, sieht man von Nahrungsstreitigkeiten mit anderen Vögeln wie Krähen, Bussarden oder anderen Milanen ab, die meist sehr lautstark ausgetragen werden. Auffälligster Ruf ist ein hohes, in der Tonfärbung stark variierendes Wiiieeh, das sie in verschiedensten Situationen meist gereiht, nur selten als gedehnter Einzelruf, vortragen. Das erste Element ist langgezogen, die nachfolgenden schließen sich wellenförmig und kürzer werdend an dieses an. In Aggressionssituationen ist dieser Ruf höher, spitzer und kürzer.

Verbreitung

Verbreitungsgebiet des Rotmilans
grün: Mehrheitlich Jahresvögel
orange: Mehrheitlich Kurz- und Mittelstreckenzieher
blau: Ausschließlich Winterverbreitung
Überwinternde Rotmilane können weiträumig in Südwesteuropa, vereinzelter auch in Süd -und Südosteuropa, in Ausnahmefällen auch in Kleinasien, angetroffen werden.

Das Verbreitungsgebiet des Rotmilans ist heute im Wesentlichen auf Zentral-, West- und Südwesteuropa beschränkt. Der Verbreitungsschwerpunkt dieser Art liegt in Deutschland, das allein über 50 Prozent des weltweit auf maximal 22.000 Brutpaare geschätzten Rotmilanbestandes beherbergt. Daneben gibt es größere Brutvogelbestände in Frankreich, auf der iberischen Halbinsel, in Italien, der Schweiz und auch in Großbritannien, dort vor allem in Wales.[1] In Nordeuropa ist der Rotmilan nur in Schweden in nennenswerter Anzahl vertreten, während die Art in Finnland und Norwegen nicht vorkommt und auch in den baltischen Staaten sehr selten ist. Größere Vorkommen bestehen noch in Polen und in der Tschechischen Republik, während in Österreich, der Slowakei und in Ungarn nur wenige Paare brüten. In Osteuropa bestehen Vorkommen nur mehr im äußersten Westen der Ukraine und Weißrusslands, auch im europäischen Russland brüten nur einige wenige Paare. Ob die Art noch auf dem Balkan als Brutvogel vorkommt, ist ungewiss, wenn ja, dann am ehesten in Bosnien und Herzegowina. Die ehemals nicht unbeträchtlichen türkischen Bestände scheinen nicht mehr, oder nur noch in einigen wenigen Brutpaaren zu bestehen. Auch aus Marokko ist der Rotmilan weitgehend verschwunden und brütet nur mehr im äußersten Norden dieses Staates.

Lebensraum

Bruthabitat des Rotmilans im Hakel

Der Rotmilan ist ein Greifvogel offener, mit kleinen und größeren Gehölzen durchsetzter Landschaften. Er ist bedeutend weniger wassergebunden als die Nominatform des Schwarzmilans, mit dem er jedoch häufig in enger Nachbarschaft brütet. Bevorzugte Lebensräume sind Agrarlandschaften mit Feldgehölzen, oft auch Parklandschaften und an Offenland grenzende strukturierte Waldränder, seltener Heide- und Moorgebiete, solange Bäume als Niststandorte zur Verfügung stehen. Häufig nutzt er die günstigen Aufwindverhältnisse in engeren Flusstälern oder an Berghängen. Zum Jagen braucht er offenes Kulturland, Grasland und Viehweiden, daneben können auch Feuchtgebiete als Nahrungsreviere dienen. Abgeerntete oder gerade umgepflügte Getreidefelder schließt er ebenso in die Nahrungssuche ein wie Autobahnen und Mülldeponien, letztere aber nicht in dem Ausmaß wie der Schwarzmilan. Sein Verbreitungsgebiet stimmt im Wesentlichen mit den Braunerdegebieten Mittel- und Osteuropas sowie den mediterranen Braunerde- und Terra-Rossa-Gebieten überein und liegt schwerpunktmäßig in den Intensivzonen der mitteleuropäischen Landwirtschaft.

Im Allgemeinen ist der Rotmilan ein Bewohner der Niederungen und der Hügellandgebiete etwa bis 800 m ü. NN. Im Schweizer Jura liegen einzelne Brutplätze bei fast 1200 Meter über NN; in den Pyrenäen sind Vorkommen in der subalpinen Stufe bekannt. Historische Brutplätze im Kaukasus und im Hohen Atlas lagen in Höhen von fast 2500 Metern.

Im Mittelalter scheint der Rotmilan auch in einigen europäischen Städten, so etwa in London, gebrütet zu haben. Er dürfte dort eine ähnliche Rolle als Abfallvertilger gespielt haben, wie sie heute einige Unterarten des Schwarzmilans (M. migrans parasitus und M. m. govinda) in Afrika beziehungsweise Süd- und Südostasien einnehmen.

In günstigen Nahrungshabitaten können Rotmilane in sehr hohen Siedlungsdichten vorkommen. Besonders dicht besiedelt war der Hakel, ein etwa 13 km² großes Waldgebiet in der Magdeburger Börde, wo 1979 136 Rotmilanpaare brüteten. Seither gingen die Bestandszahlen dort jedoch kontinuierlich zurück. Solche Konzentrationen von bis zu zehn Brutpaaren innerhalb eines Quadratkilometers sind Ausnahmen, doch auch in der Baar sowie im Eichsfeld kommen Rotmilane in hohen Bestandsdichten vor.[2]

Ernährung

Nahrungsspektrum

Wie der Schwarzmilan ist auch der Rotmilan weitgehend Nahrungsgeneralist. Im Gegensatz zu diesem ist er aber ein leistungsfähigerer, aktiver Jäger. Fisch nimmt nur ausnahmsweise eine so dominierende Stellung ein wie bei der Nominatform des Schwarzmilans. Auch Aas und Abfälle nimmt er zwar regelmäßig, aber seltener auf als der Schwarzmilan. Individuell sind die Nahrungs- und Jagdgewohnheiten recht verschieden. Während der Brutzeit besteht die Hauptnahrung aus kleinen Säugetieren und Vögeln. Mengenmäßig und gewichtsmäßig überwiegen bei den Säugetieren Feldmäuse (Microtus sp.) und Maulwürfe (Talpidae), bei den Vögeln sehr auffällig der Star. Auch verschiedene Tauben (Columbidae), Rabenvögel (Corvidae) und größere Drosseln (Turdidae), so etwa Amseln (Turdus merula), Wacholder- (Turdus pilaris) und Misteldrosseln (Turdus viscivorus) werden relativ häufig geschlagen. Dort, wo der Feldhamster (Cricetus cricetus) noch vergleichsweise häufig vorkommt, zum Beispiel in Ostpolen, kann dieser zur Hauptbeute werden. Oft handelt es sich bei geschlagenen Vögeln um verletzte beziehungsweise kranke Individuen oder um Jungtiere. In wasserreichen Gebieten können Fische, unter ihnen vor allem Weißfische wie Plötzen (Rutilus rutilus) und Brachsen (Abramis brama), gewichtsmäßig dominieren. Der Rotmilan erbeutet sowohl lebende, als auch tote oder sterbend an der Wasseroberfläche treibende oder ans Ufer gespülte Fische. Nicht unbeträchtlich ist die Menge an Wirbellosen, die der Rotmilan sowohl im Flug als auch auf dem Boden aufnimmt. Vor allem im Frühjahr können verschiedene Käfer (Coleoptera) sowie Regenwürmer (Lumbricidae) wichtige Nahrungsbestandteile sein. Der Anteil an Reptilien und Amphibien am Gesamtnahrungsaufkommen ist regional sehr unterschiedlich, in südlichen Populationen in der Regel etwas größer als in Mittel- oder Nordeuropa.

An Aas ist der Rotmilan etwas weniger häufig zu finden als der Schwarzmilan, doch nutzt er totgefahrene oder verendete Tiere ebenso wie dieser. Er ist an großen Kadavern ebenso anzutreffen wie an den Resten von Kleintieren. Auch an Mülldeponien oder dort, wo große Mengen tierischen Abfalles anfallen, wie zum Beispiel bei Schlachthäusern oder Tierverwertungsanlagen, finden sich Rotmilane ein.

Nahrungserwerb

Rotmilan
Rotmilan auf Beutesuche

Der Rotmilan ist ein Suchflugjäger offener Landschaften, der große Gebiete seines Nahrungsreviers in einem relativ niedrigen und langsamen Gleit- und Segelflug systematisch nach Beute absucht. Er ist Überraschungsjäger, der bei erfolglosem Angriff in der Regel abstreicht und das verfehlte Beutetier nicht weiter verfolgt. Nicht selten ist er auch schreitend auf dem Boden zu sehen, wo er vor allem nach Insekten und Regenwürmern sucht. Erspähte Beutetiere nimmt der Rotmilan im Darüberfliegen vom Boden auf, ohne dabei zu landen. Auch Fische greift er nach Seeadlerart von der Wasseroberfläche ab und trägt sie davon. Vögel vermag er gelegentlich im Flug oder auf Ästen zu überraschen und zu schlagen, meistens jedoch erbeutet er sie auf dem Boden. Die Beutetiere tötet er in der Regel nicht mit den Krallen, sondern durch kräftige Schnabelhiebe. Rotmilane parasitieren auch bei anderen Vögeln, vor allem bei Schwarzmilanen, Krähen und Möwen. Sie jagen ihnen die Beute ab oder belästigen sie so lange, bis sie bereits verschluckte Nahrung wieder auswürgen.

Insgesamt ist der Rotmilan in seinen Nahrungserwerbsstrategien sehr flexibel. Besonders attraktiv sind Mäharbeiten, da diese für ihn zuvor unzugängliche Beute freilegen. Bis zu ihrem Umbruch bieten auch abgeerntete Felder gute Nahrungsressourcen, auf die sich Rotmilane sehr schnell einstellen können.

Bei ausreichendem Nahrungsangebot und außerhalb der Brutzeit beginnt der Rotmilan erst einige Zeit nach Sonnenaufgang mit den ersten Beuteflügen und kann seine Jagdflüge bereits einige Stunden vor Sonnenuntergang beenden. Während des Tages legt er, meist in Horstnähe, längere Ruhepausen ein, die er auch zur intensiven Gefiederpflege nutzt.

Verhalten

Allgemein- und Sozialverhalten

Die Aktivitätszeit ist bei gutem Beutetierangebot auffallend kurz, kann aber, insbesondere während der Brutzeit, schon in der frühen Morgendämmerung beginnen und erst mit Einbruch der Dunkelheit enden. Immer wieder aber legt der Rotmilan zwischen den Beuteflügen ausgiebige Ruhepausen ein, auch dann, wenn die Nestlinge in unmittelbarer Nähe energisch betteln.

Außerhalb der Brutzeit ist der Rotmilan sehr gesellig und zeigt kein territoriales Verhalten. Die Art nächtigt fast immer in größeren Schlafgesellschaften und fliegt auch gemeinschaftlich auf Jagd. Diese Schlafgesellschaften können mehrere hundert Individuen umfassen. Häufig kann in diesen Milanansammlungen „spielerisches“ Verhalten wie gegenseitiges Necken sowie synchrone Flugspiele einiger Vögel beobachtet werden. Gelegentlich brechen Rotmilane im Flug Koniferenzapfen ab, um sie einfach nur fallen zu lassen.[3]

Auch während der Brutzeit ist territoriales Verhalten nicht sehr ausgeprägt, doch verteidigen beide Partner die weitere Umgebung des Horstes (etwa 100 Meter) und den darüberliegenden Luftraum gegenüber Artgenossen und artfremden Eindringlingen. Dabei steigen die Milane hoch auf und attackieren den Eindringling ziemlich energisch von oben. Meist verfolgt ihn vor allem das Männchen eine gewisse Zeit, während das Weibchen recht schnell zum Horst zurückkehrt. Ein Nahrungsrevier beansprucht der Rotmilan in der Regel nicht, nur bei sehr geringer Nahrungsverfügbarkeit zeigen einzelbrütende Paare auch diesbezüglich territoriales Verhalten. Gelegentlich wurde auch bei sehr großen Populationsdichten, wie sie zum Beispiel im Hakel bestanden oder in einigen Gegenden Wales bestehen, territoriale Verhaltensweisen bezüglich der Jagdflächen festgestellt.[4] Rot- und Schwarzmilane können sehr nahe beieinander brüten. Bei Streitigkeiten um einen günstigen Nistplatz oder einen bereits errichteten Horst ist in der Regel der Rotmilan der Unterlegene.

Wanderungen

Die Zugstrategien dieser Art sind uneinheitlich. Insgesamt wird in den letzten beiden Jahrzehnten eine Verkürzung der Zugwege und ein vermehrtes Ausharren der Art in zuvor winters geräumten Brutgebieten festgestellt. Schneeärmere Winter, sowie ein größeres, allzeit verfügbares Nahrungsangebot auf Müllkippen und entlang stark frequentierter Straßen, ermöglichen es auch vielen mittel- und einigen nordeuropäischen Populationen während des Winters im Brutgebiet auszuharren. Die größten Winterbestände gibt es in Mittel- und Nordeuropa im nördlichen Harzvorland, in der Schweiz (zum Beispiel bei Neerach), in Baden-Württemberg sowie in Südschweden. In einigen Überwinterungsgebieten in der Schweiz und in Südschweden wurden (und werden) die Überwinterer durch Zufütterungen unterstützt. In Baden-Württemberg ging die Anzahl der überwinternden Rotmilane mit der Schließung einiger Mülldeponien kontinuierlich zurück.

Die Mehrheit der nord- und mitteleuropäischen Rotmilane verlässt im Herbst das Brutgebiet und zieht nach Südwesten, insbesondere nach Spanien. Brutvögel des südwestlichen Mitteleuropas, Italiens, Frankreichs und Spaniens, sowie die wenigen Rotmilane Südosteuropas und Nordafrikas sind mehrheitlich Standvögel mit unterschiedlich weiträumigen Nahrungsflügen innerhalb ihres Überwinterungsgebietes. In Spanien decken sich die Überwinterungsregionen mit den Brutgebieten der dort residenten Rotmilane. Sie liegen vor allem in der Nord- und Südmeseta, im Ebrobecken, in der Extremadura, sowie in Teilen Südandalusiens.

Rotmilane ziehen bei Tag und meistens einzeln oder in kleinen Trupps. Auf dem Wegzug sind die Zuggemeinschaften in der Regel individuenstärker als auf dem Heimzug. Auf Grund der relativ kurzen Zugdistanzen verlassen Rotmilane erst spät das Brutgebiet, selten vor Mitte September, die meisten aber erst in der ersten Oktoberhälfte. Die Weibchen ziehen etwa eine bis zwei Wochen vor den Männchen fort. Sehr früh, schon in der Februarmitte, erscheinen die ersten ziehenden Rotmilane wieder im Brutgebiet, die Mehrheit folgt Ende Februar und in der ersten Märzdekade. Ein Großteil der einjährigen und viele zweijährige Rotmilane ziehen auf ihren ersten Heimzügen nicht ins Brutgebiet zurück, sondern verbringen den Sommer entweder im Überwinterungsgebiet oder vagabundieren in kleineren Gesellschaften in Süd- und Mittelfrankreich, zum Teil auch in der Schweiz.

Brutbiologie

Überblick

Rotmilane werden in Ausnahmefällen bereits in ihrem ersten Lebensjahr fortpflanzungsfähig, brüten aber meist erst im dritten Lebensjahr zum ersten Mal. Die Art und Dauer der Paarbindung ist unterschiedlich. Weitgehend monogame Brutsaisonehen sind die Regel, doch wurden mehrjährige Dauerehen ebenso beobachtet wie Partnerwechsel während der Brutzeit. Bei Standvögeln scheint die Paarbindung stabiler zu sein als bei Zugvögeln, bei denen auch die durch das Zuggeschehen höheren Ausfallraten zu häufigerem Partnerwechsel zwingen. Die Art ist sehr brutortstreu. Auch geschlechtsreife Jungvögel versuchen sich meist in der näheren Umgebung ihres Geburtsortes anzusiedeln, auch dann, wenn in weiterem Umkreis geeignete Brutplätze zur Verfügung stünden. Das führt nach Walz in dichtbesiedelten Rotmilanhabitaten mangels geeigneter Brutplätze zu einer Erhöhung des Bruteintrittsalters.[5]

Bei in Mittel- und Osteuropa überwinternden Vögeln wurde Balzverhalten während der gesamten Überwinterungszeit festgestellt. Männchen und Weibchen können bis zu zwölf Tage (in Ausnahmefällen bis zu vier Wochen) zeitlich versetzt im Brutgebiet ankommen. Sowohl das Weibchen als auch das Männchen kann zuerst eintreffen. Ebenso treffen aber einige bereits lose verpaart im Brutgebiet ein. Dort beginnen die Standvögel bereits Mitte bis Ende Februar mit der Hauptbalz, die Zugvögel im Durchschnitt etwa zwei bis drei Wochen später.

Horstbau und Balz

Die Balz des Rotmilans ist nicht sehr auffällig. Im Wesentlichen besteht sie aus Horstbau, gemeinsamen Flügen über dem Horststandort und häufigen Kopulationen, die bis in die Nestlingszeit hinein anhalten. Zur Kopulation fordert das Weibchen mit leisen Trillerrufen, waagrecht geduckter Körperhaltung und gesenktem Kopf auf. Meist fliegt daraufhin das Männchen seine Partnerin direkt an und landet auf ihrem Rücken. Ob die spektakulären Steilabstürze über dem Horstrevier zum Balzritual gehören, oder nicht doch eher der Feindabwehr zuzuordnen sind, ist ungeklärt. Bereits in der Nestbauphase stellt das Weibchen eigene Nahrungsflüge weitgehend ein, wobei ab dieser Zeit das Männchen es versorgt, bis es sich etwa zwei bis drei Wochen nach dem Schlupf selbst wieder an der Nahrungsbeschaffung beteiligt.

Der Horstbau oder die Instandsetzung eines alten Horstes beginnt sofort nach Ankunft der Partner im Brutrevier. Horststandorte und Horstbäume sind sehr unterschiedlich, in Mitteleuropa handelt es sich aber hauptsächlich um Eichen, Buchen oder Kiefern. Felsbruten kommen bei den Populationen auf den Balearen und den nordafrikanischen Rotmilanen vor. Ganz selten wurden auch Horststandorte auf Gittermasten festgestellt. Meist liegen die Horste relativ hoch und in starken Bäumen, doch wurden auch sehr niedrig gelegene Nester in schwachen Bäumen festgestellt. Gerne wählen Rotmilane Nistbäume entlang steiler Abhänge oder über Felsklippen, bevorzugt in Randlagen, oder in stark aufgelichteten Beständen. Nistunterlage ist meistens eine starke Stammgabelung, seltener eine Gabelung in einem starken Seitenast. Am Horstbau beteiligen sich beide Partner. Das Grundgerüst besteht aus starken Zweigen, die sie vom Boden auflesen oder mit dem Schnabel oder den Fängen von Bäumen abreißen. Den Horst polstern die Vögel mit unterschiedlichem, weichem, organischem Material, aber auch mit Kulturabfällen wie Folien, Plastiktüten oder Bindegarn aus. Letzteres führt nicht selten zur Strangulation eines Nestlings. Plastikmaterialien verhindern eine ausgeglichene Luftzirkulation und können zur Durchnässung und Unterkühlung der Jungen führen.

Die Größe der Rotmilanhorste ist sehr variabel. Sie können auffallend klein und recht liederlich zusammengefügt sein mit Durchmessern zwischen nur 45 bis 60 Zentimetern. Mehrjährig benutzte Nester sind jedoch massive Konstruktionen mit einem Durchmesser von einem Meter und mehr, bei einer Höhe von über 40 Zentimetern.

Drei nestjunge Rotmilane im Horst, der älteste ist 32 Tage alt; sie zeigen die für die Art bei Bedrohung typische Akinese

Gelege und Brut

Das Gelege besteht meist aus drei Eiern, seltener aus einem, zwei oder vier Eiern. Es wurden auch schon Gelege mit fünf Eiern gefunden. Die Eier wiegen etwa 60 Gramm und messen im Mittel 57 x 45 Millimeter. Sie entsprechen in Größe und Form einem mittelgroßen Hühnerei. Auf trübweißem Grund weisen sie unterschiedlich stark ausgeprägte, rötlichbraune Flecken, sowie schwärzliche Girlanden auf. Legebeginn in Mitteleuropa ist frühestens Ende März, in der Regel aber erst Anfang bis Mitte April. Bis in den Mai hinein können frische Gelege gefunden werden. In Südeuropa ist der Legebeginn etwa zwei Wochen früher, in den nördlichsten Verbreitungsgebieten nicht vor Ende April, Anfang Mai. Rotmilane brüten nur einmal im Jahr, nur bei frühem Gelegeverlust kommt es zu einem Nachgelege, meistens in einem anderen Horst.

Die Eier bebrütet fast ausschließlich das Weibchen etwa 32 bis 33 Tage bereits nach dem ersten Ei intensiv, so dass die Jungen mit deutlichen Entwicklungsunterschieden aufgezogen werden. Nur für kurze Zeit übernimmt das Männchen das Brutgeschäft. In den ersten zwei bis drei Wochen bleibt das Weibchen fast ständig am Horst, hudert und beschattet die Nestlinge und verfüttert die vom Männchen herbeigebrachte Nahrung, die vor allem aus Kleinsäugern und Vögeln besteht. Die Nestlingszeit beträgt, abhängig von Witterung und Nahrungsangebot zwischen 48 und 54 Tagen. In Extremfällen fliegen die Jungen erst nach 70 Tagen aus.[6] Die Führungszeit ist im Gegensatz zu der junger Schwarzmilane recht kurz und beträgt selten mehr als drei Wochen. Danach verstreichen die Jungvögel, meist verlassen auch die Altvögel die unmittelbare Horstumgebung.

Mischbruten

In freier Natur wurden gelegentlich Mischbruten zwischen Rot- und Schwarzmilan festgestellt. Der Schwarzmilan war meist der weibliche Vogel. Auch erfolgreiche Bruten zwischen einem Schwarzmilanmännchen und einem Hybridweibchen wurden bekannt. In Gefangenschaft kommen solche Mischbruten häufiger vor. Im Naturpark Aukrug in Mittelholstein brütete ein Mischpaar 6 Jahre hindurch erfolgreich. Nach Ausbleiben des Rotmilans trat offenbar eine Hybride aus einer vorangegangenen Brut an seine Stelle.[7]

Regelmäßig kommt es auf den Kapverden zu Mischbruten zwischen dem heimischen Kapverdemilan und den vor etwa hundert Jahren eingewanderten Schwarzmilanen. Der Kapverdemilan wird entweder als Unterart des Rotmilans (Milvus milvus fasciicauda)[8] oder als eigenständige Art (Milvus fasciicauda) aufgefasst. Aus diesen Mischbruten entstehen fruchtbare Nachkommen, die sich weiterverpaaren. Daher ist es fraglich, ob reinerbige Kapverdemilane überhaupt noch existieren.[9]

Bestand und Gefährdung

Brutbestand Rotmilan aktuell (Anzahl Brutpaare) - Mindest- bzw. Höchstwert aufgrund unterschiedlicher Schätzmethoden [10]
Rotmilan-Totfunde an Windenergieanlagen [11]
Ein durch eine Windkraftanlage getöteter Rotmilan

Gemäß der Roten Liste der IUCN von 2006 wird der Rotmilan als Art der Vorwarnliste (NT = near threatened) eingestuft. Ausschlaggebend dafür sind die zum Teil erheblichen Bestandsrückgänge seit Beginn der 1990er Jahre in den Schlüsselländern der Verbreitung Deutschland, Spanien und Frankreich. Dem stehen stabile oder sogar steigende Brutpaarzahlen in der Schweiz, in Italien, in der Tschechischen Republik, in Polen, Schweden und in Wales gegenüber. Stabil, wenn auch auf niedrigem Niveau sind die Bestände auch in Österreich, Ungarn und in der Slowakei.

Der europäische Bestand wird auf 19.000 bis 25.000 Paare geschätzt.

Lebenserwartung

Rotmilane können sehr alt werden. Ein in Freiheit aufgefundener Rotmilan war fast dreißig Jahre alt.[12] Die tatsächliche Lebenserwartung freilebender Vögel ist jedoch bedeutend geringer. Besonders der erste Wegzug endet für viele Rotmilane tödlich. Am Ende des ersten Lebensjahres leben von einem Geburtsjahrgang etwa 60–65 Prozent. Mit wachsender Erfahrung verlangsamt sich die Ausfallsrate, sodass nach drei Jahren noch ungefähr 35–45 Prozent eines Jahrganges am Leben ist und zur Brut schreiten kann. Diese Zahlen sind jedoch von vielen Faktoren abhängig, sodass sie nur als Annäherungswerte zu sehen sind. Abschuss, Kollisionen mit Hindernissen und Stromleitungen sowie Vergiftungen sind die häufigsten Todesursachen.

Sonstiges

Der Rotmilan war in Deutschland Vogel des Jahres 2000. Mit der Wahl sollte auf seine Gefährdung durch die Intensivierung der Landwirtschaft sowie die besondere Verantwortung Deutschlands für die Erhaltung der Art aufmerksam gemacht werden.

Literatur

  • Adrian Aebischer: Der Rotmilan - ein faszinierender Greifvogel. Haupt Verlag, Bern, 2009; ISBN 978-3-258-07417-7.
  • Hans-Günther Bauer und Peter Berthold: Die Brutvögel Mitteleuropas. Bestand und Gefährdung. Aula-Wiesbaden 1998; Seiten 90-91, ISBN 3-89104-613-8.
  • Mark Beaman und Steven Madge: Handbuch der Vogelbestimmung. Europa und Westpaläarktis. Ulmer-Stuttgart 1998; Seiten 181-182 und 232, ISBN 3-8001-3471-3.
  • James Ferguson-Lees and David A. Christie: Raptors of the World. Houghton-Mifflin Company Boston and New York 2001; Seiten 376-379, ISBN 0-618-12762-3.
  • Dick Forsman: The Raptors of Europe and The Middle East. Christopher Helm London 2003. S. 55-64; ISBN 0-7136-6515-7
  • Urs N. Glutz von Blotzheim (Hrsg.): Handbuch der Vögel Mitteleuropas. Bearb. u. a. von Kurt M. Bauer und Urs N. Glutz von Blotzheim. 17 Bde. in 23 Tln. Akadem. Verlagsges., Frankfurt am Main 1966 ff., Aula-Verlag, Wiesbaden 1985 ff. (2. Aufl.). Bd. 4 Falconiformes. Aula-Verlag, Wiesbaden 1989 (2. Aufl.). S. 136-163; ISBN 3-89104-460-7
  • Benny Génsbøl und Walther Thiede: Greifvögel. Alle europäischen Arten, Bestimmungsmerkmale, Flugbilder, Biologie, Verbreitung, Gefährdung, Bestandsentwicklung. BLV Buchverlag, 2005, ISBN 3-405-16641-1.
  • Theodor Mebs und Daniel Schmidt: Die Greifvögel Europas Europas, Nordafrikas und Vorderasiens. Biologie, Kennzeichen, Bestände. Franckh-Kosmos Verlags GmbH Stuttgart 2006; Seiten 321-330, ISBN 3-440-09585-1.
  • Rudolf Ortlieb: Der Rotmilan - Milvus milvus. Westarp Wissenschaften, Hohenwarsleben 2004 (Die Neue Brehm-Bücherei, Band 532). 5. Auflage (unveränderter Nachdruck der 3. Auflage von 1989), ISBN 3-89432-344-2.
  • M. Schmidt & R. Schmidt (2006): Langjährig erfolgreiches Mischbrutpaar von Schwarz- (Milvus migrans) und Rotmilan (Milvus milvus) in Schleswig-Holstein. Corax 20: 165-178.
  • Jochen Walz: Rot- und Schwarzmilan. Flexible Jäger mit Hang zur Geselligkeit. AULA-Verlag, Wiebelsheim 2005, ISBN 3-89104-644-8.
  • Viktor Wember: Die Namen der Vögel Europas. Bedeutung der deutschen und wissenschaftlichen Namen. Aula-Wiebelsheim 2005; Seiten 62, ISBN 3-89104-678-2.

Weblinks

 Commons: Rotmilan (Milvus milvus) – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Verbreitung in Wales (PDF, 28 KB)
  2. Mebs & Schmidt S. 324 u. 325
  3. Walz S. 15
  4. Walz S. 79
  5. Walz S. 79
  6. Ferguson-Lees p. 378
  7. Schmidt & Schmidt (2006)
  8. Mebs & Schmidt S. 322
  9. Prioritizing species conservation: does the Cape Verde kite exist (PDF, 360 KByte)
  10. Artenschutzsymposium Rotmilan bei der Alfred-Töpfer-Akademie für Naturschutz 10./11. Oktober 2007
  11. Zusammenstellung der Staatlichen Vogelschutzwarte Brandenburg, Tobias Dürr
  12. K. George & K.und B. Nicolai: Lebenserwartung freilebender Milane (Milvus milvus, Milvus migrans). In: Orn. Jber. Mus Heinemann 14: 49–51. Zit. nach Walz S. 127
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