Rädern

Rädern
„Klassisches“ Rädern mit Rad und scharfkantigen Hölzern (Schweizer Chronik des Johannes Stumpf, Ausg. Augsburg 1586)
Die Dillinger „Radbrechmaschine“ (1772)

Rädern, auch: Radebrechen (radebreken, mit dem rade stozen), ist eine heute nicht mehr praktizierte Form der Hinrichtung mittels eines großen Wagenrads. Es war eine Spiegelstrafe für Straßendiebe, die jedoch bereits der Sachsenspiegel auch für Mord und Mordbrand vorsah.[1]

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Es handelt sich um eine Hinrichtungsform des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Die Praxis wurde in Bayern erst 1813 vollständig abgeschafft, in Kurhessen war sie noch bis 1836 im Gebrauch. Die letzte bekannte Hinrichtung durch Rädern fand in Preußen 1841 statt. Der Raubmörder Rudolf Kühnapfel[2] war wegen der Ermordung des Andreas Stanislaus von Hatten, des Bischofs von Ermland, verurteilt worden.

Durchführung

Die als Mörder und/oder Räuber Verurteilten wurden auf ein Schafott gebracht und auf dem Boden festgebunden. Vorrangiges Ziel des ersten Aktes war das qualvolle Verstümmeln des Leibes, nicht der Tod. Deshalb sah die gebräuchlichste Variante vor, das Knochenbrechen mit den Beinen zu beginnen. Dazu ließ der Scharfrichter das Richtrad (oft mit eiserner Kante) auf den Unterschenkel des Verurteilten fallen und arbeitete sich dann bis zu dessen Armen hinauf. Dabei waren Rhythmus und Anzahl der Schläge jeweils vorgeschrieben, manchmal auch die Speichenzahl des Richtrades. Um diese Wirkung zu erhöhen, legte man scharfkantige Hölzer unter die Gelenke, sogenannte Krammen, Krippen oder Brecheln. Später gab es Vorrichtungen, in die der Verurteilte „eingespannt“ werden konnte. Obwohl nicht üblich, konnte der Scharfrichter angewiesen werden, den Verurteilten am Ende des ersten Aktes zu exekutieren, indem er beim Gnadenstoß auf Hals oder Herz zielte. Noch seltener geschah dies sofort zu Beginn (vom Kopf herab).[3]

Im zweiten Akt wurde der Leib in ein anderes Rad geflochten, was durch die gebrochenen Glieder möglich war, oder daran festgebunden. Nun wurde das Rad an einem Stock oder Pfahl aufgerichtet. Danach durfte der Scharfrichter den Verurteilten gegebenenfalls enthaupten oder erdrosseln. Es wurde auch Feuer unter dem Rad entfacht, oder man warf den Geräderten einfach hinein. Gelegentlich errichtete man einen kleinen Galgen auf dem Rad, etwa wenn der Schuldspruch zusätzlich zu Mord auf Diebstahl lautete.[3]

Da der Leib nach der Hinrichtung auf dem Rad verblieb und Tierfraß und Verfall überlassen wurde, hatte diese Form der Bestrafung, ähnlich der antiken Kreuzigung, eine sakrale Funktion über den Tod hinaus: Nach damaligem Glauben stand die unterbliebene Bestattung einer Auferstehung entgegen.[4]

Fiel der Geräderte noch lebend vom Rad oder misslang die Hinrichtung in einer anderen Weise, wurde dies als Eingreifen Gottes interpretiert. So existieren etwa Votivbilder geretteter Geräderter, und es gibt Literatur über die beste Behandlung derartiger Verletzungen.[5]

Varianten

Mancherorts war es üblich, die Knochen mit einer Eisenstange (barré) direkt am Rad zu zerschlagen[3] oder den Körper dazu an einem Andreaskreuz zu befestigen.

Geräderte

Hans Spiess wird gerädert. (Chronik des Diebold Schilling d. J., 1513)

Wurde das Opfer nach dem Rädern nicht von seinen Henkern erwürgt, konnte es noch mehrere Stunden unter größten Qualen weiterleben, bis der Tod durch Kreislaufzusammenbruch eintrat. So erging es etwa:

Rechtsauffassung

Solche Tötungsarten wurden als angemessene Vergeltung (analoges Talion) empfunden. So hieß es etwa in einem Sprichwort: „Mit böse muß man böses vertreiben“. Johannes Agricola erklärte dies so: „darumb muß man reder haben, galgen, rabensteyn, thurn, gefencknuß, hencker und stockmeister, damit man den bösen buben were“. Strafjustiz wurde also als Verteidigung der Gesellschaft gegen chaotische Zustände aufgefasst. Die Gottheit selbst sorgte nach damaliger Vorstellung, dass jeden Übeltäter die ihm angemessene Strafe ereilte („was den Raben gehört ertrincket nicht“).[6]

Etymologie

Das Verb „radebrechen“ enthält als Bestimmungswort „Rad“ und als Grundwort das althochdeutsche brehhōn, was „niederschlagen“ bedeutet. Über die mittelhochdeutsche Bedeutung von „am Rad die Glieder brechen“, hieß es ab neuhochdeutscher Zeit sinngemäß „quälen“. Seit dem 17. Jahrhundert wird es in dem Sinne von „eine Sprache verstümmeln“ verwendet.[7] Einen weiteren lexikalischen Niederschlag bietet die Redewendung „sich (wie) gerädert fühlen“. Sie spielt an auf die Zeit zwischen dem körperlichen Vollzug und dem Tod, in der der Delinquent „zerschlagen“ und ausgeliefert nichts weiter tun kann, als seinen jämmerlichen Zustand auszuhalten und darauf zu hoffen, dass dieser so bald wie möglich endet. Die Wendung ist Beispiel für die Stilfigur der Hyperbel (Übertreibung) und wird benutzt, um starkes körperliches Missempfinden und Erschöpfung insbesondere beim morgendlichen Aufstehen oder nach physischen bzw. emotionalen Strapazen zu illustrieren. Sprachgeschichtlich handelt es sich um eine Bedeutungsverflachung, die durch Abwehr qua Banalisierung entstanden sein könnte. Heutigen Sprechern ist die ursprüngliche Bedeutung meist nicht bewusst.

Darstellungen

In Pieter Bruegels Gemälden Der Triumph des Todes (um 1562) und Kreuztragung (1564) sind am Richtpfahl aufgerichtete Räder zu sehen.[8]

Das Bauernkriegspanorama von Bad Frankenhausen von Werner Tübke weist nahe den „Pestkranken“ und dem Schwarzen Tod eine Szene „Die Richtstatt“ auf, die an diese Hinrichtungsform erinnert. Sie zeigt die Aufrichtung eines Geräderten. Eine weitere Darstellung eines Geräderten findet sich in einem runden Fenster der Tübinger Stiftskirche (Chorseite).

Siehe auch

Weblinks

 Commons: Breaking wheels – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Belege

  1. Gerd Althoff, Hans-Werner Goetz, Ernst Schubert: Menschen im Schatten der Kathedrale. Primus Verlag, Darmstadt 1998, S 332.
  2. Geständnis des Rudolph Kühnapfel (cletus Notizen und Texte). Abgerufen am 2. Sept. 2008
  3. a b c Wolfgang Schild: Die Geschichte der Gerichtsbarkeit. Verlag Georg D. W. Callwey, München 1980; Lizenz für Nikol Verlagsgesellschaft mbH, Hamburg 1997, S. 202
  4. Menschen im Schatten der Kathedrale. S. 180 (Abschnitt „Bestattungsriten“).
  5. Die Geschichte der Gerichtsbarkeit. S. 204
  6. Menschen im Schatten der Kathedrale. S 325.
  7. Duden – Herkunftswörterbuch. 3. Auflage. 2001, S. 647
  8. Rose Marie und Rainer Hagen: Pieter Bruegel d. Ä. – Bauern, Narren und Dämonen. Benedikt Taschen Verlag GmbH, Köln 1999, S. 26 u. 44

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