Sabine Baring-Gould

Sabine Baring-Gould
Sabine Baring-Gould um 1900

Sabine Baring-Gould (* 28. Januar 1834; † 2. Januar 1924) war ein viktorianischer englischer Priester, Hagiograf, Okkultist, Dichter und Schriftsteller sowie Sammler von Volksliedern.

Inhaltsverzeichnis

Jugendjahre

William Sabine Baring-Gould wurde in Südengland geboren, als Sohn eines Managers der East India Company. Nach seinem Ausscheiden aus dem Kolonialhandelskonzern begab sich der Vater mit seiner Familie auf ausgedehnte Reisen durch ganz Europa. Der junge Baring-Gould besuchte Schulen in Deutschland und Frankreich und entwickelte ein außerordentliches Talent für Fremdsprachen und beherrschte er am Ende seiner Studienzeit an der Universität Cambridge sechs Fremdsprachen. Nach dem Abschluss seiner Studien unterrichtete Baring-Gould an einem Knabeninternat, und der Überlieferung nach soll er dort als unkonventioneller Pädagoge mit einem Hang zum Übersinnlichen aufgefallen sein, denn er erschien zum Unterricht mit seinem Haustier auf der Schulter – einer zahmen Fledermaus. Im Alter von 30 Jahren erhielt er die höheren Weihen der anglikanischen Kirche und nahm seine erste Pfarrstelle im industriellen Norden an, in Horbury (Yorkshire).

Hinwendung zu okkulten Themen

In der Trostlosigkeit der schmutzigen Arbeitersiedlungen wandte sich der junge Vikar wohl besonders düsteren Themen zu. Sein Interesse an übersinnlichen Erscheinungen, das er mit vielen Zeitgenossen teilte, hatte sich schon in jungen Jahren gezeigt, als er allein durch das karge Dartmoor im Westen Englands gestreift war. Erlebnisse auf seinen Reisen als Heranwachsender hatten ihn in Frankreich mit dem Werwolfglauben bekannt gemacht, und so verfasste er in relativ kurzer Zeit das erste Buch über diese Gestaltwandler in englischer Sprache, das 1865 u. d. T. Book of Werewolves. Seine Kenntnisse verschiedener europäischer Sprachen erlaubten es ihm, auch entlegenste Quellen zu studieren und zu zitieren. Im Jahr darauf folgte ein zweites Werk, das sich wieder absonderlichen Themen widmete, Curious Myths of the Middle Ages.

Das Book of Werewolves, das in Kreisen britischer Werwolfexperten auch heute noch gern zitiert wird, fällt in seiner Wissenschaftlichkeit und auch in der Präsentation von Details weit hinter die zwei Jahre zuvor erschienene Arbeit von Wilhelm Hertz zurück. Während die Habilitationsschrift des deutschen Philologen ein akademisches Werk war, dessen Zielsetzung darin bestand, das Phänomen der Werwölfe historisch und mythengeschichtlich aufzuarbeiten, richtete sich der Reverend Baring-Gould an ein spätromantisches Publikum, das nach gruseliger Lektüre lechzte. Sein Book of Werewolves lässt sich am ehesten als populärer Reißer klassifizieren, der sich zwar von reiner „Fiction“ durch seine Orientierung an klassischen Mythen, volkskundlichen Überlieferungen und realen Fällen unterscheidet, aber auf eine Interpretation des Glaubens an die Gestaltwandler verzichtet und statt dessen auf den Schauereffekt setzt. Kritisiert wurde auch die Ausführlichkeit, mit welcher sich der Autor Fällen widmet, die mit dem Thema Werwolf überhaupt nichts zu tun haben. Drei Kapitel über Gilles de Rais sind schlichtweg überflüssig. Beim Fall des Sergeanten Bertrand, dem „Werwolf“ – oder besser: „Ghul“ – von Paris kann man sich streiten, ob er in das Buch gehört. Möglicherweise spiegeln sich in diesen Kapiteln antifranzösische Vorurteile des strammen Briten wider.

Weitere Karriere

Doch nicht nur im literarischen Bereich entsprach der junge Pfarrherr aus wohlhabendem Hause nicht den in ihn gesetzten Erwartungen: Soziale Vorurteile kannte er offenbar nicht, denn im Jahre 1868 heiratete er die Fabrikarbeiterin Grace Taylor, der er vorher eine Ausbildung finanziert hatte, die einer künftigen Pfarrersfrau angemessen war. Der anglo-irische Dramatiker George Bernard Shaw war über viele Jahre hinweg ein persönlicher Freund der Pfarrersfamilie, und so ist es vorstellbar, dass seine Komödie Pygmalion, die den Stoff für das Musical My Fair Lady lieferte, durch das ungewöhnliche Ehepaar Baring-Gould inspiriert war.

Nach einem zehnjährigen Zwischenspiel als Pfarrer in Essex konnte Sabine Baring-Gould im Jahre 1881 endlich die angesehene Pfarrei von Lewtrenchard am Rande des berüchtigten Dartmoor (Devonshire) übernehmen. Die Pfarrstelle war traditionell im Familienbesitz der Baring-Goulds, und die Einkünfte aus dem dazu gehörigen Landgut erlaubten es dem Reverend, seiner großen Familie ein standesgemäßes Leben zu ermöglichen. Obendrein leistete er sich noch ausgedehnte Bildungsreisen, und wie ein Besessener sammelte er Bücher, ohne das Bücherschreiben dabei zu vernachlässigen.

Literarisches Schaffen

Es gibt keine vollständige Liste all seiner Veröffentlichungen, weil manch ein Artikel anonym in dieser oder jener Zeitschrift publiziert wurde. Von über 200 Büchern, Broschüren und Predigtsammlungen – die unselbstständigen Artikel nicht mit eingerechnet – ist die Rede. Darunter sind gut 30 Romane und sein Monumentalwerk Lives of the Saints in 16 Bänden. Hinzu kommen Bücher zu theologischen und moralischen Fragen, zur Sozialpolitik, über Lokalgeschichte und natürlich über seine Reisen, z. B. nach Südfrankreich und nach Island. Zeitweise soll er mit der Flut seiner Veröffentlichungen die Liste der fleißigsten Autoren in der gesamten englischen Literaturgeschichte angeführt haben, wie es in einer Broschüre der „British Library“, der britischen Nationalbibliothek, heißt. In einem seiner bekanntesten Romane, The Frobishers (1901), prangerte er die katastrophalen Arbeitsverhältnisse in den Keramikfabriken Mittelenglands, in den Potteries von Staffordshire, und als einer der ersten Schriftsteller thematisierte er umweltbedingte Krankheitsbilder wie etwa die weit verbreitete Bleivergiftung, vor deren Auswirkungen viele Politiker im Interesse des wirtschaftlichen Booms geflissentlich die Augen verschlossen.

Besonders lag dem umtriebigen Reverend die Erforschung und Aufzeichnung der regionalen Folklore am Herzen. Seine heute noch populäre Sammlung Songs of the West (1889; 2. Aufl. 1905) mit Volksliedern aus Cornwall und Devonshire bezeichnete er gern als sein Lieblingswerk. Es folgten noch Bücher mit Volksliedern für den Schulunterricht und andere folkloristische Titel sowie Volksmärchen. Über die beiden eher okkultistisch angehauchten Jugendwerke äußerte er sich später nicht mehr, und auch die ihm gewidmeten offiziellen Internetseiten verschweigen sein morbides Interesse an Werwölfen und anderen spukhaften Kuriositäten.

Ironischerweise erinnert sich die Nachwelt seiner nicht wegen seiner Flut von religiösen Schriften oder seiner Volksliedersammlungen. Einzig Baring-Goulds Choral Onward, Christian Soldiers! ist Allgemeingut geworden – ein Paradebeispiel für das militante Sendungsbewusstsein des Viktorianischen Zeitalters. Platz 2 nimmt sein Book of Werewolves ein, das aber in beinahe allen offiziellen Biografien verschwiegen wird. Das 1904 veröffentlichte Book of Ghosts erscheint in fast keiner Buchliste. Scheinbar will dieses unstandesgemäße Interesse an Blut und Mord nicht in das Bild eines Pfarrers passen, obwohl dieser immerhin Zeitgenosse von Bram Stoker, Sir Arthur Conan Doyle und auch von Jack the Ripper war.

Letzte Jahre

Im Jahre 1916 verstarb seine Ehefrau Grace, die ihm während der fast fünfzigjährigen Ehe 15 Kinder geschenkt hatte. William Sabine Baring-Gould folgte ihr acht Jahre später, nur drei Wochen vor seinem neunzigsten Geburtstag, und wurde neben ihr auf dem Familienfriedhof in Lewtrenchard beigesetzt.

Nachfahren

Baring-Goulds Enkel William Stuart erbte das Interesse am Düsteren und tat sich literarisch als profunder Kenner der Kriminalliteratur hervor. Er gab die gesammelten Kriminalgeschichten um Sherlock Holmes in einer wissenschaftlichen kommentierten Edition heraus und verfasste eine fiktive Biografie des legendären Detektivs, wobei er Teile der realen Lebensgeschichte seines berühmten Großvaters mit Sir Arthur Conan Doyles mageren Angaben zu den Kindheits- und Jugendjahren seines großen Detektivs verwob. Später folgte auch eine ebenfalls fiktive Biographie des amerikanischen Superdetektivs Nero Wolfe.

Werke

Weblinks

 Commons: Sabine Baring-Gould – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Sabine Baring-Gould — Infobox Writer name = Sabine Baring Gould imagesize = 220px caption = A portrait of the author pseudonym = birthname = birthdate = 28 January 1834 birthplace = Exeter, England deathdate = 2 January 1924 deathplace = Lewtrenchard, Devon, England… …   Wikipedia

  • Baring-Gould — ist der Familienname folgender Personen: Sabine Baring Gould (1834–1924), englischer viktorianischer Priester William S. Baring Gould (1913–1967), britischer Herausgeber und Kommentator der Sherlock Holmes Geschichten von Sir Arthur Conan Doyle… …   Deutsch Wikipedia

  • Baring-Gould, Sabine — (1834 1924)    Ordained in 1864, he served in several parishes, but in 1881 he appointed himself rector of the estate of Lew Trenchard (Devon) which he had inherited in 1872, and he remained there as squire and parson till his death. In a long… …   A Dictionary of English folklore

  • Baring-Gould, Sabine — (1824 1924)    The Rev. Baring Gould was an historian, author, hymn writer, and collector of folk songs. He was an accomplished linguist and after attending schools in Germany and France and after graduating from Clare College, Cambridge, in 1856 …   British and Irish poets

  • Baring-Gould — (spr. bǟring gōld), Sabine, engl Geistlicher und Schriftsteller, geb. 1834 in Exeter, studierte in Cambridge und lebt seit 1871 als Pfarret in East Mersey bei Colchester. Neben zahlreichen theologischen Werken sind besonders hervorzuheben: »Myths …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Baring-Gould — (spr. bähring guhld), Sabine, s. Gould …   Kleines Konversations-Lexikon

  • William S. Baring-Gould — William Stuart Baring Gould (1913 ndash;1967) was a noted Sherlock Holmes scholar, best known as the author of the influential 1962 fictional biography, Sherlock Holmes of Baker Street: A life of the world s first consulting detective… …   Wikipedia

  • The Lives of the Saints (Baring-Gould) — The Lives of the Saints is a sixteen volume collection of lives of the saints by Sabine Baring Gould, published in Edinburgh in 1914.The individual saints included in the series include:*Abban of Kill Abban. *Abban of… …   Wikipedia

  • Baring — is a surname that may refer to the following people: *Alexander Baring, 1st Baron Ashburton (1774 1848), British banker *Alexander Baring, 4th Baron Ashburton (1835 1889), British landowner and politician *Charles Baring (1807 1879), Bishop of… …   Wikipedia

  • Gould (name) — Gould (pronounced [gu:ld] ) is used as a surname and a family name.Gould as family nameActing* Alexander Gould * Elliott Gould, actor * Harold Gould * Kelly Gould * Jason Gould * Sandra Gould, American actress and comedienneBusiness* Andrew Gould …   Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”