Sahra Wagenknecht

Sahra Wagenknecht
Sahra Wagenknecht bei ihrem Vortrag „Leben wir in einer Leistungsgesellschaft?“ in Karlsruhe, Juli 2011
Sahra Wagenknecht während des Bundestagswahlkampfes in Düsseldorf-Bilk, August 2009

Sahra Wagenknecht (amtlich Sahra Wagenknecht-Niemeyer[1][2]; * 16. Juli 1969 in Jena als Sarah Wagenknecht) ist eine deutsche Politikerin und Publizistin. Wagenknecht ist seit 2010 stellvertretende Vorsitzende der Partei Die Linke und seit November 2011 einer der zwei Ersten Stellvertreter des Vorsitzenden der Bundestagsfraktion. Ihre Mitgliedschaft in der Kommunistischen Plattform ruht seit Februar 2010.[3] Von Juli 2004 bis Juli 2009 war sie Mandatsträgerin im Europaparlament. Seit Oktober 2009 ist sie Abgeordnete des Deutschen Bundestages und wirtschaftspolitische Sprecherin ihrer Fraktion.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Wagenknecht ist Tochter einer Deutschen und eines Iraners. Sie lernte ihren Vater nur kurz kennen, da er in Wagenknechts drittem Lebensjahr aus der DDR in den Iran ausreisen musste. Seitdem ist nichts über sein weiteres Leben bekannt. Ihre Mutter arbeitete für den staatlichen Kunsthandel. Wagenknecht wuchs zunächst bei ihren Großeltern in Jena auf, mit Schulbeginn zog sie zu ihrer Mutter nach Ost-Berlin.[4] Während ihrer Schulzeit wurde sie Mitglied der Freien Deutschen Jugend (FDJ)[4] und schloss 1988 die Erweiterte Oberschule in Berlin-Marzahn mit dem Abitur ab.[5] 1989 trat sie ein halbes Jahr vor dem Mauerfall in die SED ein. Ab 1990 studierte sie an den Universitäten Jena, Berlin sowie Groningen Philosophie (bei Hans Heinz Holz) und Neuere Deutsche Literatur und schloss ihr Studium im September 1996 in Groningen mit einer Arbeit über die Hegelrezeption des jungen Marx ab. Nach eigenen Angaben schreibt sie seit 2005 an einer Dissertation zum Thema „The Limits of Choice. Saving Decisions and Basic Needs in Developed Countries“ im Fach Volkswirtschaftslehre. Seit 1997 ist sie mit dem Journalisten, Filmproduzenten und Geschäftsmann Ralph-Thomas Niemeyer verheiratet.[6] Sie wohnt in Berlin-Karlshorst.[7] Oskar Lafontaine erklärte am 12. November 2011, Wagenknecht sei seine Freundin; beide Seiten lebten getrennt von ihren Ehepartnern.[8][9]

Politik

In den Jahren 1991 bis 1995 war Sahra Wagenknecht Mitglied des Parteivorstandes der PDS, seit 1991 war sie auch Mitglied der Leitung der Kommunistischen Plattform der PDS. Seit Juni 2007 ist Sahra Wagenknecht Mitglied des Parteivorstandes der Partei Die Linke und seit Oktober 2007 Mitglied der Programmkommission. Ihren innerparteilichen Vorstoß, eine Kandidatur für den Vize-Parteivorsitz der Linken beim ersten Parteitag der fusionierten Partei im Mai 2008 zu erwägen, beendete sie nach der Ablehnung durch den Parteivorsitzenden Lothar Bisky sowie durch den Fraktionsvorsitzenden der Linken im Deutschen Bundestag Gregor Gysi und erklärte in einer Pressemitteilung, nicht als stellvertretende Vorsitzende zu kandidieren. Sie wurde auf dem Parteitag mit 70 Prozent der Stimmen erneut in den Parteivorstand gewählt. Auf Vorschlag Gysis und des Parteivorstands wurde Wagenknecht auf dem Bundesparteitag der Linken Anfang Mai 2010 mit 75,3 Prozent der Stimmen zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt.[10] Am 8. November 2011 wurde sie mit 61,8% der Stimmen zur stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gewählt.[11]

Abgeordnete

Im Jahr 1998 trat Wagenknecht als Direktkandidatin der PDS zur Bundestagswahl in Dortmund an. Sie errang in ihrem Wahlkreis 3,25 Prozent der Erst- und 2,2 Prozent der Zweitstimmen. 2000 wurde sie erneut in den Parteivorstand der PDS und am 13. Juni 2004 als Abgeordnete ins Europaparlament gewählt, nachdem sie in einer parteiinternen Kampfabstimmung auf die Kandidatenliste gekommen war.

Bei der Bundestagswahl 2009 kandidierte Wagenknecht für das Direktmandat im Wahlkreis Düsseldorf-Süd. Am 18. März 2009 wurde sie dafür vom Kreisverband der Linken in Düsseldorf nominiert.[12] Wagenknecht wurde vom Landesparteitag auf Platz 5 der Landesliste in Nordrhein-Westfalen gewählt.[13] Sie erhielt am 27. September 2009 9,7 % der Erststimmen. Über die Landesliste zog sie in den Bundestag ein.

Positionen und Kontroversen

Wagenknecht kritisierte die Kompromisse der Partei bei den Regierungsbeteiligungen in den Ländern, wie z. B. das Kürzen sozialer Leistungen und die Privatisierungen in Berlin. Die Regierungsbeteiligungen der Partei und ein „Schmusekurs gegenüber Rot-Grün“ werden von ihr aufgrund der „tiefen politischen Differenz“ mit der SPD bzw. Rot-Grün abgelehnt. Wagenknecht gehörte lange Zeit zur Antikapitalistischen Linken und zur Kommunistischen Plattform, wo sie auch Mitglied im Bundeskoordinierungsrat war. Seit Februar 2010 ruht ihre Mitgliedschaft in dieser Parteiströmung.[14] Heute sieht sie sich „in der Mitte der LINKEN“. [15]

Sahra Wagenknecht fordert eine Überwindung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und träumt von einer anderen Gesellschaft.[16] 1992 nannte sie in den Weißenseer Blättern unter anderem die Mauer ein „notwendiges Übel“ und meinte damals, die DDR sei „ein besserer Staat als die BRD“ gewesen.[17] Ihrer Auffassung nach sei die DDR nicht am Dogmatismus, sondern an der Entspannungspolitik, die der Westen betrieben habe, gescheitert. 1995 hat sich Sahra Wagenknecht allerdings von der Verkürztheit und „Einseitigkeit“ dieser Auffassungen distanziert.[18] Auch die Auflockerung ihres Systems habe maßgeblich dazu beigetragen.[19] In aktuellen Äußerungen setzt sie sich kritisch mit dem „repressiven politischen System der DDR“ auseinander, lehnt aber eine Charakterisierung der DDR als Unrechtsstaat ab.[20] Die DDR sei kein demokratischer Staat gewesen, jedoch sei auch im heutigen kapitalistischen System keine echte Demokratie möglich.[21] Eine Rückkehr zum Sozialismus der DDR lehnt Wagenknecht jedoch ab. Nach ihrer Ansicht sollen aber Leistungen der Daseinsvorsorge wie Wohnen, Bildung, Gesundheit, Wasser- und Energieversorgung, Banken und Schlüsselindustrien durch die öffentliche Hand getragen werden, um „das Diktat der Rendite und der Aktienkurse“ zu überwinden.[22] Wagenknecht erklärt sich solidarisch mit den Staatspräsidenten Fidel Castro (Kuba) und dem Hugo Chávez (Venezuela) und lehnt jede Form von Antikommunismus ab.

Aufgrund ihres Aufsatzes in den Weißenseer Blättern wurde ihr 1992 eine positive Haltung zum Stalinismus vorgeworfen. Der Bundesvorstand der PDS erklärte, die Positionen von Wagenknecht seien „… unvereinbar (…) mit den politischen und programmatischen Positionen der Partei seit dem außerordentlichen Parteitag im Dezember 1989. Der Parteivorstand sieht in den von Sahra Wagenknecht in ihrem Artikel geäußerten Positionen eine positive Haltung zum Stalinismusmodell.“[23] Gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Kommunistischen Plattform sprach sich Wagenknecht 2008 zudem in einer Stellungnahme gegen ein allgemeines Gedenken in Form eines Gedenksteins auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde mit der Aufschrift „Den Opfern des Stalinismus“ aus, da sich unter diesen auch Faschisten befunden hätten, drückte aber ihr Mitgefühl mit den unschuldigen Toten aus.[24] Ihre Haltung zum Stalinismus wurde innerhalb der Linkspartei teilweise als zu unkritisch empfunden und unter anderem von Gregor Gysi[25] und dem Bundestagsabgeordneten Michael Leutert kritisiert. Letzterer sprach sich gegen ihre Kandidatur als stellvertretende Parteichefin aus, weil sie sich zu wenig vom Stalinismus distanziere.[26]

Im Europäischen Parlament befasste sich Wagenknecht im Ausschuss „Wirtschaft und Währung“ als Berichterstatterin mit der geplanten Dienstleistungsrichtlinie, die sie als „neoliberalen Hammer“ scharf kritisierte. Der Verfassungsschutzbericht des Bundes 2005 notiert, dass Wagenknecht das „Festhalten an der sozialistischen Zielstellung, der antikapitalistischen Grundausrichtung“ im Sinne der PDS-Partei-Identität fordere.[27] Auch die Verfassungsschutzberichte von 2006[28] und 2007[29] berichten über Wagenknechts Aktivitäten.

Als der israelische Staatspräsident Schimon Peres am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus 2010 als Gast im Deutschen Bundestag sprach [30], erhoben sich die Abgeordneten Sevim Dağdelen, Christine Buchholz und Wagenknecht nicht von ihren Sitzen. Wagenknecht erklärte dies damit, dass sie „einem Staatsmann, der selbst für Krieg mitverantwortlich ist, einen solchen Respekt nicht zollen kann.“[31] Sie wurde deswegen öffentlich und parteiintern kritisiert.[32][33] Der Berliner Landeschef der Linkspartei, Klaus Lederer, sowie Michael Leutert erklärten Wagenknecht für unwählbar.[34] In der Neuen Rheinischen Zeitung nimmt Evelyn Hecht-Galinski Sahra Wagenknecht wiederum in Schutz.[35]

Schriften

Literatur

Weblinks

 Commons: Sahra Wagenknecht – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. So der Eintrag im Melderegister, übernommen beispielsweise auf dem Stimmzettel zur Bundestagswahl 2009, Wahlkreis 108
  2. Änderung des Vornamens von Sarah in Sahra: Renate Meinhof: Die Linkshaberin, ursprünglich erschienen in der Süddeutschen Zeitung vom 14. Mai 2010]
  3. http://www.tagesspiegel.de/politik/deutschland/wagenknecht-verzichtet-fuer-parteivize-auf-wortfuehrerrolle/1680168.html
  4. a b Günter Gaus im Gespräch mit Sahra Wagenknecht. Abgerufen am 16. Mai 2010.
  5. „Ich war ein Kind, das gern allein war“. In: die tageszeitung. 30. April 2010, abgerufen am 16. Mai 2010.
  6. Leute. In: Berliner Zeitung. 6. Mai 1997, abgerufen am 14. März 2010.
  7. Der Spiegel 45/2011, Seite 64
  8. Beziehung mit Wagenknecht: Lafo in Love Spiegel Online vom 12. November 2011
  9. Lafontaine stellt Wagenknecht als seine Freundin vor. In: Süddeutsche Zeitung. Abgerufen am 12. November 2011.
  10. Wahl des Parteivorstandes 2010. die linke, abgerufen am 15. Mai 2010.
  11. Wahl des Fraktionsvorstandes 2011. die linke, abgerufen am 10. November 2011.
  12. Sahra Wagenknecht kandidiert in Düsseldorf, 19. März 2009
  13. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,616094,00.html Spiegel Online: „Sicherer Listenplatz für Wagenknecht“
  14. Erklärung des Bundessprecherrates der Kommunistischen Plattform
  15. Wagenknecht will raus aus der radikalen Ecke
  16. Ich habe einen Traum
  17. Marxismus und Opportunismus – Kämpfe in der Sozialistischen Bewegung gestern und heute Sahra Wagenknecht, Weißenseer Blätter, 4/1992, S. 12–26
  18. In einer Rede auf dem Parteitag der PDS, siehe dazu
  19. Jesse, S. 257
  20. [1]:Sahra Wagenknecht verspottet „neoliberale SPD“. Interview in der WELT am 20. Juni 2009
  21. Alexander Hagelüken und Alexander Mühlauer: Reden wir über Geld (14): Sahra Wagenknecht, Süddeutsche Zeitung, 25. April 2008
  22. Sahra Wagenknecht will die DDR nicht mehr zurück. Welt, 29. April 2009
  23. Zur Diskussion der Meinungverschiedenheiten in der DKP. Rosemarie Müller-Streisand, Weissenseer Blätter 1/2002
  24. Sahra Wagenknecht, Ellen Brombacher, Thomas Hecker, Jürgen Herold, Friedrich Rabe, Februar 2008, abgerufen am 3. März 2011.
  25. Gysi übt Selbstkritik und attackiert Wagenknecht. Die Welt, 9. Mai 2000
  26. Linke streitet über Wagenknecht. taz, 21. April 2008
  27. Bundesamt für Verfassungsschutz: Verfassungsschutzbericht 2005, Seite 161
  28. Bundesamt für Verfassungsschutz: Verfassungsschutzbericht 2006, Seite 174
  29. Bundesamt für Verfassungsschutz: Verfassungsschutzbericht 2007, Seite 150
  30. Rede von Shimon Peres
  31. http://www.sahra-wagenknecht.de/de/article/651.erklaerung-zur-rede-von-shimon-peres-im-bundestag-am-27-januar-2010.html
  32. http://www.news.de/politik/855042826/npd-gratuliert-linken-zum-tabubruch/1/
  33. http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/linkspartei-zofft-sich-wegen-israel/
  34. Linkspartei – Die Zeit der Lügen ist vorbei. Von Markus Wehner, in der FAZ vom 30. Januar 2010
  35. „Peres’ Holocaust-Rede“ in Neue Rheinische Zeitung

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