Sarin

Sarin
Strukturformel
Struktur von Sarin
Allgemeines
Name Methylfluorphosphonsäureisopropylester
Andere Namen

Sarin

Summenformel C4H10FO2P
CAS-Nummer 107-44-8
PubChem 7871
Kurzbeschreibung

farblose bis gelbbraune, geruchlose Flüssigkeit[1]

Eigenschaften
Molare Masse 140,09 g·mol−1
Aggregatzustand

flüssig

Dichte

1,09 g·cm−3[1]

Schmelzpunkt

−56 °C[1]

Siedepunkt

147 °C[1]

Dampfdruck

197 Pa (20 °C)[1]

Löslichkeit
  • mischbar mit Wasser[1]
  • leicht löslich in organischen Lösemitteln[2]
Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung [3]
keine Einstufung verfügbar
H- und P-Sätze H: siehe oben
EUH: siehe oben
P: siehe oben
EU-Gefahrstoffkennzeichnung [1][4]
Sehr giftig
Sehr giftig
(T+)
R- und S-Sätze R: 26/27/28
S: 13-45
LD50
  • 0,09 mg·m−3 (Mensch, TCLo, inh.)[5][6]
  • 28 mg·kg−1 (Mensch, dermal)[5][7]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Vorlage:Infobox Chemikalie/Summenformelsuche vorhanden

Sarin ist ein chemischer Kampfstoff aus der Gruppe der Phosphonsäureester. Die systematische Bezeichnung lautet Methylfluorphosphonsäureisopropylester. Der Trivialname Sarin wurde von seinen Erfindern Schrader, Ambros, Rüdiger und Linde abgeleitet.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Substanz wurde 1939 während der Forschung an Phosphorverbindungen für den Einsatz als Insektenvernichtungsmittel von einer Forschungsgruppe um den Chemiker Gerhard Schrader entdeckt. Es gibt eine hohe strukturelle Ähnlichkeit mit dem Pflanzenschutzmitteln Parathion (E605) und Malathion einerseits und den Kampfstoffen Tabun, Soman und VX andererseits. Auftraggeber der Forschung war wie auch bei Tabun die deutsche I.G. Farben.

Im Juli 1944 wurden 30 Tonnen Sarin in deutschen Testfabriken hergestellt. Zwei große Anlagen für die Massenfabrikation waren am Ende des Zweiten Weltkrieges in Deutschland in Bau.

Während des Kalten Krieges lagerten in den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion große Mengen Sarin.

In Chile wurde während der Diktatur unter Augusto Pinochet durch den Chemiker Eugenio Berríos Sarin für den Geheimdienst DINA produziert und gegen Oppositionelle eingesetzt.[8]

Der Irak hat Sarin im Golfkrieg gegen den Iran eingesetzt, und dann auch 1988 gegen seine kurdische Minderheit (siehe Giftgasangriff auf Halabdscha). Bei zwei terroristischen Anschlägen Ōmu Shinrikyōs, 1994 in Matsumoto und 1995 in Tokio, wurde ebenfalls Sarin verwendet.

Eigenschaften

Sarin ist eine bei Zimmertemperatur flüssige, farb- und geruchlose, leichtflüchtige Verbindung. Teilweise ist sie durch Verunreinigungen gelblich bis bräunlich gefärbt. In Wasser zersetzt sich Sarin abhängig vom pH-Wert: bei pH 7 beträgt die Halbwertszeit der Hydrolyse des Esters etwa 100 bis 150 Stunden; in saurer Lösung erfolgt die Zersetzung derselben Menge schon in zwei, in alkalischer Lösung in einer Stunde.[9]

Wirkungsweise

Schematische Wirkungsweise von Sarin.
Sarin (rot), Acetylcholinesterase (gelb), Neurotransmitter (blau)

Die Aufnahme von Sarin ist über die Haut und die Atmung möglich, wobei die Aufnahme über die Atemwege den weit überwiegenden Anteil ausmacht, da Sarin wegen seines Dampfdruckes in unserem Klima als flüchtiger Kampfstoff gilt. Nur ein Ganzkörperschutz verhindert sicher eine Aufnahme des Stoffes. Im Körper blockiert Sarin die Acetylcholinesterase in den Synapsen des parasympathischen vegetativen Nervensystems, den acetylcholinvermittelten Synapsen des sympathischen Anteils des vegetativen Nervensystems (Sympathikus) und an der neuromuskulären Endplatte (Motorische Endplatte). Es kommt dadurch zu einem Anstieg des Neurotransmitters Acetylcholin im synaptischen Spalt und damit zu einer Dauerreizung der betroffenen Nerven.

Daher kommt es je nach Stärke der Vergiftung zu folgenden Symptomen: Nasenlaufen, Sehstörungen, Pupillenverengung, Augenschmerzen, Atemnot, Speichelfluss, Muskelzucken und Krämpfe, Schweißausbrüche, Erbrechen, unkontrollierbarer Stuhlabgang, Bewusstlosigkeit, zentrale und periphere Atemlähmung und letztlich Tod. Die Wirkung am Auge tritt bereits bei geringeren Konzentrationen ein als die Wirkung im Atemtrakt. Daher treten Akkommodationsstörungen und eine Miosis bereits bei Konzentrationen und Expositionszeiten auf, bei denen andere Vergiftungszeichen noch nicht zu beobachten sind.

Die Wirkung ähnelt den verwandten chemischen Kampfstoffen Tabun, Soman und VX, aber auch Vergiftungen mit verschiedenen Insektiziden wie Parathion (E605); dabei ist das Sarin etwa 1000-fach effektiver und damit toxischer als E605.[10]

Herstellung

Durch Einwirken von Methyliodid (2) wird aus dem Phosphorigsäureester (1) der Phosphonsäureester Sarin (3) hergestellt: Synthese Sarins Teil 1


Die amerikanische Methode, Sarin herzustellen, beruht auf der Verwendung von Dimethyl-Methylphosphonat (1). Dieses wird mit Thionylchlorid zu Methylphosphonsäuredichlorid (2) umgesetzt, welches nach Fluorierung mittels Flusssäure zu Methylphosphonsäuredifluorid (3) reagiert:

Synthese Sarins Teil 2a

Das Methylphosphonsäuredifluorid, ein Binärkampfstoff, kann schließlich durch Hinzufügen von Isopropanol zu Sarin umgesetzt werden:

Synthese Sarins Teil 2b

Wirkungsweise und Schutzmaßnahmen

Nervenkampfstoffe sind bereits in sehr kleinen Mengen tödlich. Angriffsfläche ist der gesamte Körper, wobei besonders eine Aufnahme durch Augen, Haut und Atmungsorgane erfolgt. Ihre Wirkung beruht auf einem Eingriff in die normale Reizübertragung in den Nervenbahnen. Normalerweise wird ein Reiz zwischen zwei Nervenzellen durch den Neurotransmitter Acetylcholin übertragen, der schnell über den Zellzwischenraum auf die Rezeptoren gelangt und dort wieder einen Reiz auslöst. Anschließend wird die Substanz durch das Enzym Acetylcholinesterase wieder entfernt und steht für eine neue Reizübertragung zur Verfügung. Die Nervenkampfstoffe hemmen diesen Abbau von Acetylcholin (Cholinesteraseinhibitoren). Als Folge ergibt sich eine Dauerreizung des Nervensystems, die zu Schweißausbrüchen, Erbrechen, Krämpfen und schließlich zu Atemlähmung und Kreislaufkollaps führt, da der angelagerte Nervenkampfstoff nicht oder nur sehr langsam von der Esterase abgelöst werden kann. Die Behandlung einer Vergiftung mit derartigen Kampfstoffen ist sehr schwierig, da sie abhängig von Zeitpunkt und Stärke der Vergiftung erfolgen muss. Deshalb bietet auch nur ein Ganzkörper-Schutzanzug mit Schutzmaske ausreichenden Schutz.

Vor einem Kampfstoffeinsatz können Oxim-Tabletten oder Carbamate wie Pyridostigmin oder Physostigmin eingenommen werden.[10][11] Bei einer Vergiftung spritzt man Atropin (vgl. Hyoscyamin, Gift der Tollkirsche), ein Parasympatolytikum, das die Wirkung des Überangebotes von Acetylcholin an den Rezeptoren aufheben soll. Im Verlauf der wochenlangen Nachbehandlung kann man versuchen, mit einem Oxim die Acetylcholinesterase zu regenerieren. Im deutschsprachigen Raum wird Obidoxim bevorzugt, im anglo-amerikanischen Sprachraum wählt man eher Pralidoxim.

Für die Dekontamination können unter anderem Oxidationsmittel (z. B. Chlorkalk oder Calciumhypochlorit), alkalische Lösungen und nichtwässrige Medien, zum Beispiel Aminoalkoholate, verwendet werden, da Nervenkampfstoffe zum einen empfindlich gegenüber Oxidationsmitteln sind und zum anderen ihre Hydrolyse im basischen Milieu beschleunigt abläuft. Bei empfindlichen Oberflächen kann zum Beispiel Natriumcarbonatlösung verwendet werden, die jedoch naturgemäß langsamer wirkt. Eine weitere Möglichkeit zur Dekontamination besteht in der Verwendung geeigneter Enzyme, die eine schnelle Hydrolyse dieses und anderer Kampfstoffe der G-Reihe herbeiführen. Eins dieser Enzyme ist DFPase (Diisopropylfluorphosphatase),[12] ein Enzym des Gemeinen Kalmars Loligo Vulgaris. Der natürliche Nutzen des Enzyms ist bislang unbekannt. So sind 105 µg Sarin innerhalb von 20 Minuten in situ vollständig hydrolysiert.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g Eintrag zu Sarin in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 10. Dezember 2007 (JavaScript erforderlich)
  2. Siegfried Franke: Entwicklung der chemischen Kriegführung, Chemie der Kampfstoffe. 2. Auflage. Militärverlag der DDR, Berlin 1977 (Lehrbuch der Militärchemie. Band 1).
  3. In Bezug auf ihre Gefährlichkeit wurde die Substanz von der EU noch nicht eingestuft, eine verlässliche und zitierfähige Quelle hierzu wurde noch nicht gefunden.
  4. Günter Hommel: Handbuch der gefährlichen Güter. Transport- und Gefahrenklassen. Springer, Berlin 2002, ISBN 3-540-20348-6 (Merkblatt 2282 und 2002).
  5. a b Sarin bei ChemIDplus
  6. Roy H. Rengstorff: Accidental exposure to sarin: vision effects. In: Archives of Toxicology. 56, Nr. 3, 1985, S. 201–203 (doi:10.1007/BF00333427).
  7. Science Journal. 3, Nr. 4, 1967, S. 33.
  8. SF: 37 Jahre nach dem Putsch in Chile: Militärs verurteilt, 11. September 2010
  9. Bundesamt für Bevölkerungsschutz Labor Spiez: Sarin (PDF)
  10. a b Saskia Eckert: Entwicklung eines dynamischen Modells zum Studium der Schutzeffekte reversibler Acetylcholinesterase-Hemmstoffe vor der irreversiblen Hemmung durch hochtoxische Organophosphate (PDF), Dissertation an der Universität München, 2006, S. 2.
  11. Szinicz, L. and Baskin, S. I.: Chemische und biologische Kampfstoffe. In: Lehrbuch der Toxikologie. W. V. mbH. Stuttgart: 865-895, 1999.
  12. Andre Richardt, Marc-Michael Blum, Steven Mitchell: Was wissen Calamari über Sarin? Enzymatische Dekontamination von Nervenkampfstoffen. In: Chemie in unserer Zeit. 40, Nr. 4, 2006, Seiten 252–259 (doi:10.1002/ciuz.200600364).

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