Schaltsekunde

Schaltsekunde

Eine Schaltsekunde ist eine bei Bedarf in die Koordinierte Weltzeit UTC zusätzlich eingefügte Sekunde, um sie mit der Universellen Sonnenzeit UT1 zu synchronisieren (dUT1 < 0,9 s). Sie wird vom Internationalen Dienst für Erdrotation und Referenzsysteme (IERS) festgelegt und eingeführt.

Inhaltsverzeichnis

Liste aller Schaltsekunden

Jahr 30. Juni
nach 23:59:59 UTC
31. Dezember
nach 23:59:59 UTC
TAI = UTC + 10 Sekunden
1972 +1 Sekunde (+11) +1 Sekunde (+12)
1973 +1 Sekunde (+13)
1974 +1 Sekunde (+14)
1975 +1 Sekunde (+15)
1976 +1 Sekunde (+16)
1977 +1 Sekunde (+17)
1978 +1 Sekunde (+18)
1979 +1 Sekunde (+19)
1980
1981 +1 Sekunde (+20)
1982 +1 Sekunde (+21)
1983 +1 Sekunde (+22)
1984
1985 +1 Sekunde (+23)
1986
1987 +1 Sekunde (+24)
1988
1989 +1 Sekunde (+25)
1990 +1 Sekunde (+26)
Jahr 30. Juni
nach 23:59:59 UTC
31. Dezember
nach 23:59:59 UTC
1991
1992 +1 Sekunde (+27)
1993 +1 Sekunde (+28)
1994 +1 Sekunde (+29)
1995 +1 Sekunde (+30)
1996
1997 +1 Sekunde (+31)
1998 +1 Sekunde (+32)
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005 +1 Sekunde (+33)
2006
2007
2008 +1 Sekunde (+34)
2009
2010

Geschichte

Bis in die 1950er Jahre war die Sekunde als 1/86400 eines mittleren Sonnentages definiert. Eine vom Sonnenstand und damit letztlich von der Erdrotation abgeleitete Zeitskala verläuft jedoch nicht streng gleichförmig, da die Umdrehungsgeschwindigkeit der Erde unregelmäßigen Schwankungen und einer langfristigen Verlangsamung unterliegt. Eine solche ungleichförmige Zeitskala ist für viele technische und wissenschaftliche Zwecke nicht brauchbar.

Seit 1967 ist daher die Sekunde über eine Resonanz des Cäsiumatoms definiert. Die so erzeugte gleichförmig verlaufende Zeitskala ist die Internationale Atomzeit TAI. Die Erdrotation wird dennoch weiter beobachtet; die aus ihr abgeleitete ungleichförmig verlaufende Zeitskala ist die Universal Time UT1, die z. B. für astronomische Zwecke benötigt wird.

Im Jahr 1972 betrug die Differenz zwischen UTC und TAI vor Einführung der Schaltsekunde bereits 10 Sekunden. Somit liegt der Unterschied heute bei etwa 34 Sekunden.

Obwohl die Sekunde im Laufe der Zeit mehrmals neu definiert wurde, behielt man ihre Länge bei jedem Definitionswechsel so gut wie möglich bei. Daher basiert die Länge der heutigen SI-Sekunde letztlich auf Bestimmungen der Länge des mittleren Sonnentages aus dem späten 19. Jahrhundert. Die Veränderlichkeit des mittleren Sonnentages war damals noch nicht bekannt, und es war ihre mittlere Länge aus Beobachtungsmaterial bestimmt worden, das sich hauptsächlich über das 18. und 19. Jahrhundert erstreckte. Als Folge ist die heutige Sekunde repräsentativ für die Länge der astronomisch bestimmten Sekunde etwa zur Mitte des damals ausgewerteten Beobachtungszeitraums, also um 1820. Gegenwärtig ist der Tag einige Millisekunden länger als damals, so dass auch die aus der Erdrotation abgeleitete UT1-Sekunde etwas länger ist als die SI-Sekunde, welche die Verhältnisse vor 200 Jahren widerspiegelt. Daher ist es nötig, zum Ausgleich mehr Schaltsekunden in UTC einzufügen (positive Schaltsekunden) als wegzulassen (negative Schaltsekunden).

Notwendigkeit

Tageslängen 1962 bis 2010

Die Erdrotation unterliegt ständigen Schwankungen. In den letzten Jahrzehnten hat sie sich beschleunigt, aber auf die Dauer wird sie durch die Gezeitenreibung abgebremst. Darum verläuft UT1 zunehmend langsamer, während TAI streng gleichförmig verläuft.

Die im Alltag verwendete bürgerliche Zeit sollte sich zweckmäßigerweise am Tag-Nacht-Wechsel, also an der Erdrotation und damit an UT1 orientieren, andererseits ist für technische Zwecke ein streng gleichförmiges Zeitmaß, also TAI, wünschenswert. Als Kompromiss wurde die Koordinierte Weltzeit UTC eingeführt. Zeiteinheit für UTC ist wie für TAI die mit Atomuhren gemessene SI-Sekunde. Durch Einfügen von Schaltsekunden wird erreicht, dass sich UTC nie um mehr als 0,9 s von UT1 entfernt. Auf diese Weise ist einerseits gewährleistet, dass die Alltagszeitskala nicht langfristig von der mittleren Sonnenzeit abdriftet, andererseits steht eine atomuhrgenaue Zeiteinheit zur Verfügung.

Praktische Durchführung

Schaltsekunden werden in Deutschland von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt festgelegt, die allerdings dazu nur die international vom International Earth Rotation and Reference Systems Service (IERS) festgelegten Schaltsekunden übernimmt. Im Mittel sind Schaltsekunden etwa alle 18 Monate nötig und werden vorrangig am 31. Dezember oder 30. Juni, nachrangig am 31. März oder 30. September nach 23:59:59 UTC (also vor 1:00 MEZ bzw. 2:00 MESZ) eingefügt. Seit der Einführung des Systems 1972 wurden bisher ausschließlich die Zeitpunkte im Dezember und Juni benutzt.

Die Anweisung, eine Schaltsekunde einzufügen, wird immer dann gegeben, wenn für die nächste Zukunft zu erwarten ist, dass der Unterschied zwischen UTC und UT1 über 0,9 Sekunden anwächst. Nach 23:59:59 UTC der genannten Tage wird eine zusätzliche Sekunde bei 23:59:60 eingefügt, bevor die Uhr auf 00:00:00 des Folgetages vorrückt. Das bedeutet, dass der Tag mit der Schaltsekunde aus 86401 Atomsekunden, statt der üblichen 86400, besteht. Für den Fall, dass die Erdrotation schneller werden würde, sind auch negative Schaltsekunden vorgesehen. In diesem Fall würde der Folgetag mit 00:00:00 direkt auf 23:59:58 folgen. Dieser Fall ist jedoch noch nie eingetreten. Zwar ist die fortlaufende Verlangsamung der Erdrotation seit Ende der 1970er Jahre etwas geringer geworden (im Rahmen der üblichen Schwankungen), so dass Schaltsekunden seither weniger häufig notwendig waren. Ein Tag ist jedoch zurzeit schon länger als die nominellen 86400 Atomsekunden, so dass voraussichtlich weiterhin in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen ein Ausgleich durch positive Schaltsekunden erfolgen muss.

Die korrekte Darstellung von 31.12. 23:59:60 ist jedoch selten auf handelsüblichen Uhren zu sehen. Bei der Herstellung einer Uhr kann nicht vorhergesagt werden, wann die nächste Schaltsekunde eingefügt werden muss, und selten haben gewöhnliche Haushaltsuhren ein Funkmodul. Aber selbst funkgesteuerte Uhren sind meist so gebaut, dass sie die Übermittlung von 23:59:60 schlichtweg ignorieren und an Stelle der korrekten Anzeige von 23:59:60 eine Sekunde länger auf 23:59:59 oder 00:00:00 verharren. Dies ist ohnehin für die meisten Hersteller wünschenswerter, denn die Anzeige 23:59:60 kann aufgrund fehlender Informationen über die Schaltsekunde auch als Fehlanzeige oder Defekt (fehl-)interpretiert werden.

Auch auf einigen Computersystemen kommt es zu Abweichungen bei der Ermittlung von Zeitdifferenzen, viele Systeme geben die Differenz zwischen „31. Dezember 1998 23:59:59 UTC“ und „1. Januar 1999 00:00:00 UTC“ mit „1 Sekunde“ fehlerhaft an, oder versagen, wenn man Zeitangaben wie „31. Dezember 1998 23:59:60 UTC“ bzw. „1. Januar 1999 00:59:60 MEZ“ eingibt. Dies ist jedoch selten ein Problem, sofern es sich nicht um sicherheitskritische Systeme oder Systeme zur kontinuierlichen Datenerfassung und -anzeige handelt.

Zukunft

Auf Grund der Unregelmäßigkeit der Verlangsamung der Erdrotation ist eine Vorhersage, ob und wann eine Schaltsekunde notwendig wird, nur für die nähere Zukunft möglich. Im Juli 2008 wurde vom IERS zum 24. Mal die Anweisung gegeben, eine Schaltsekunde einzufügen.[1] Diese bisher letzte Schaltsekunde wurde in der Nacht zum 1. Januar 2009 um 00:59:59 Uhr MEZ (23:59:59 Uhr UTC des Vortages) eingefügt.

Es ist Aufgabe des Internationalen Dienstes für Erdrotation und Referenzsysteme (IERS), die Erdrotation zu beobachten und festzustellen, ob eine Schaltsekunde notwendig ist. Ihre Feststellung wird im Bulletin C veröffentlicht, das alle 6 Monate neu erscheint.

Zurzeit wird diskutiert, ob das Einfügen der Schaltsekunden seltener stattfinden soll, da dieser Vorgang eine Fehlerquelle für zahlreiche Computersysteme sei. Wenn etwa im Jahr 2600 eine ganze Schalt-Stunde eingefügt würde, könnte auf die häufigen kleinen – in unregelmäßigen Abständen vorzunehmenden – Anpassungen verzichtet werden.

Sonstiges

Das bisher längste Jahr im gregorianischen Kalender war 1972. Es war als Schaltjahr um einen Tag und zwei Schaltsekunden länger als üblich. Das kürzeste Jahr war 1582, als durch die Einführung des Gregorianischen Kalenders die 10 Tage zwischen dem 4. und dem 15. Oktober übersprungen wurden.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. IERS-Bulletin C36 - UTC TIME STEP on the 1st of January 2009

Literatur

Weblinks


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