Scheidebrief

Scheidebrief

Der Scheidebrief (hebr. גט Get; auch: Sefer keritut) ist im Judentum das Dokument, das der Ehemann der Ehefrau überreicht und damit die Scheidung vollzieht. Religiöse Grundlage ist (5 Mos 24,1 EU). In Mischna und Talmud wird die Ehescheidung und ihre Formalien im Traktat Gittin (Gittin ist der Plural von Get) behandelt.

Inhaltsverzeichnis

Formale Erfordernisse

Für die Gültigkeit von Scheidung und Scheidebrief gelten die folgenden formalen Erfordernisse:

  • Die Ausstellung des Scheidebriefs muss vor einem aus drei Rabbinern bestehenden Rabbinatsgericht (bet din) erfolgen.
  • Die Ausstellung muss durch einen Schreiber (sofer) erfolgen.
  • Außerdem sollen zwei Zeugen anwesend sein, im Notfall können auch Mitglieder des Rabbinatsgerichts als Zeugen fungieren.
  • Es darf kein fertiges Formular benutzt werden, sondern der Get muss speziell geschrieben werden.
  • Das Papier oder Pergament, die Tinte und die Schreibfeder müssen Eigentum des Mannes sein.
  • Das Dokument muss auf Hebräisch geschrieben sein, es darf keine Kursivschrift verwendet werden und es dürfen keine Korrekturen vorgenommen werden. Das Dokument muss genau 12 Zeilen umfassen, in der 13. Zeile erscheinen die Namen der Zeugen.

Im aschkenasischen Judentum ist seit dem 10. Jahrhundert die Zustimmung der Frau notwendig, wobei die Frau dadurch, dass sie den Scheidebrief berührt, ihr Einverständnis bekundet. Bei der Ausstellung ist die Anwesenheit der Frau nicht erforderlich. Der Get kann ihr auch durch Dritte zugestellt werden. Wenn die Frau den Get annimmt, ist die Scheidung rechtskräftig.

Das Dokument wird zum Zeichen seiner Gültigkeit mit einem Riss oder Einschnitt versehen und beim Rabbinatsgericht archiviert. Der Mann und die Frau erhalten jeweils ein Dokument, in dem bezeugt wird, dass sie geschieden sind und wieder heiraten dürfen.

Scheidungsverlangen der Ehefrau

Obwohl die Scheidungsinitiative nur vom Mann ausgehen kann, kann dieser unter bestimmten Voraussetzungen von einem Rabbinatsgericht dazu verurteilt werden, sich von seiner Frau zu scheiden. Diese Voraussetzungen liegen etwa dann vor, wenn

  • der Mann seiner Frau den Beischlaf verweigert,
  • er seiner Unterhaltspflicht nicht nachkommt,
  • seine Frau betrügt oder misshandelt oder
  • an einer "abstoßenden Krankheit" leidet.

Allerdings sind die Sanktionen (etwa der Ausschluss aus der Gemeinde), die ein Rabbinatsgericht heute verhängen kann, in manchen Fällen nicht ausreichend, einen unwilligen Ehemann zur Ausstellung eines Scheidebriefes zu zwingen. Daher ist das böswillige Verweigern der Scheidung und die Erpressung von Ehefrau und Rabbinat durch das Verweigern der Scheidung ein ungelöstes Problem in der religiösen Rechtsprechung des heutigen Judentums.

In Israel haben die Rabbinatsgerichte zwar folgende staatliche Druckmittel gegen einen scheidungsunwilligen Partner (gewöhnlich Männer, aber manchmal auch Frauen) zur Verfügung:

  • Entzug des Reisepasses
  • Limitierung des Zugriffs auf das eigene Bankkonto
  • Abnahme des Führerscheins
  • Beugehaft

erzwingen können sie aber auch dort eine Scheidung nicht.[1]

Scheidungshindernisse

Ein weiteres Problem ergibt sich, wenn der Mann verschollen oder verschwunden ist. Hier ist der unbekannte Aufenthaltsort bzw. der ungewisse Tod ein Scheidungshindernis genau wie im deutschen Recht, mit dem Unterschied, dass der Ehepartner nicht nach Ablauf einer (etwa siebenjährigen) Frist für tot erklärt werden kann. Eine solche verlassene Frau (Aguna) kann nach jüdischem Religionsgesetz nicht wieder heiraten.

Schließlich kann der Mann zwar am Leben, aber unfähig sein, seinen Willen zur Scheidung bei klarem Verstand zu bekunden. Das ist jedoch die Voraussetzung für eine Scheidung. Ein berühmter historischer Streitfall des späten 18. Jahrhunderts, der Get von Kleve (1767 f.), hatte in ebendieser Situation zu entscheiden. Ein Mann hatte seiner Frau gegen deren Willen einen Scheidebrief ausgestellt, es bestanden jedoch Zweifel hinsichtlich seines Geisteszustands. Über diese Entscheidung entzweiten sich die Rabbinatsgerichte Westeuropas.

Bis heute gilt: Ein Geisteskranker (Schoteh) kann keinen Get ausstellen lassen, daher kann seine Frau auch nicht wieder heiraten. Als besondere Erschwernis kommt hinzu, dass die Halacha keine Heilung von Geisteskrankheit kennt (Gittin 70b: schoteh lo samei be-yadan, etwa: „einmal irre, immer irre“). Daher kann beispielsweise die Frau eines Mannes, bei dem Schizophrenie diagnostiziert und erfolgreich behandelt wurde, keine religiöse Scheidung erreichen.

Literatur

  • Ludwig Blau, Die jüdische Ehescheidung und der jüdische Scheidebrief, Budapest 1912

Weblinks

  1. Ha-Aretz: Rabbinical court wants woman jailed for refusing to accept divorce, abgerufen am 26. Juli 2011

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