Schulterherein

Schulterherein
Schulterherein, aus dieser Perspektive allerdings nicht gut erkennbar
Abstellung und Hufschlaglinien beim Schulterherein

Das Schulterherein (engl. shoulder-in, frz. épaule-en-dedans) gilt in der klassischen Reitkunst als eine der Schlüssellektionen. In den Richtlinien heißt es dazu:

Das Schulterherein ist die grundlegende Lektion der weiterführenden dressurmäßigen Ausbildung, da sich in dieser Übung viele Eigenschaften des richtig gerittenen Pferdes widerspiegeln.[1]

Bei diesem Seitengang wird die Durchlässigkeit überprüft, also inwieweit das Pferd auf die Hilfen reagiert. Alle anderen Seitengänge sind "Ergebnis und Vervollkommnung des Schulterherein".[2]

Inhaltsverzeichnis

Durchführung

Die Hinterhand bleibt auf dem Hufschlag, die Vorhand wird in die Bahn hineingeführt, bis der äußere Vorfuß und der innere Hinterfuß aufeinander eingespurt sind, so dass das Pferd auf drei Hufschlaglinien geht. Im Genick ist das Pferd leicht gestellt, aber der Hals bleibt - wie man auch der Zeichnung entnehmen kann - fast gerade[3], und die einzige Biegung erfolgt in den Rippen. Dadurch ergibt sich ein "Abstellungswinkel vom Hufschlag (...) von etwa 30°"[4]. Der innere vorwärts-seitwärts treibende Schenkel liegt am Gurt und sorgt für die Rippenbiegung sowie die vermehrte Aktivierung des inneren Hinterfußes. Der äußere verwahrende Schenkel verhindert das Ausfallen des äußeren Hinterfußes. Die Hinterfüße spuren parallel, während die Vorderfüße kreuzen.

Die Gewichtsverteilung des Reiters erfolgt durch seinen Sitz, wobei in der deutschen Schule "innen" mehr Gewicht liegen soll, in der iberischen und französischen Schule hingegen "außen". Abstellung und Versammlung des Pferdes werden in erster Linie durch den äußeren Zügel und den inneren Schenkel beeinflusst. Der äußere Zügel führt das Pferd außerdem in die gewünschte Richtung und verhindert eine zu große Abstellung oder ein Ausfallen über die äußere Schulter.

Schulterherein dient der Gymnastizierung der Hinterhandmuskulatur und fördert damit das Vermögen des Pferds, sein Gewicht vermehrt mit den Hinterbeinen tragen zu können. Es kann auf geraden und gebogenen Linien geritten werden, wobei entsprechend der gymnastischen Zielsetzung darauf zu achten ist, dass das "innere" Hinterbein unter den Rumpf tretend Last aufnimmt und nicht das Pferd versucht, sein Gewicht vermehrt mit dem außeren Vorderbein zu tragen (das sogenannte Fallen auf die äußere Schulter, spürbar an einem Absinken des Vorderbeins bei seinem Aufsetzen).

Ist die "seitliche Durchlässigkeit auf eine hohe Stufe gebracht", bietet sich der "Galopp im Schulterherein" an, um die " Biegsamkeit und Geschmeidigkeit des ganzen Pferdes und besonders der federartigen Tätigkeit des inneren Hinterbeines" zu fördern.[5]

Konkurrierende Schulen

Während in der Reitlehre der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) das Schulterherein erst ab Lektionen der Schwierigkeitsstufe M abgefragt wird, wird es in der klassischen Reitlehre schon sehr früh in der Ausbildung eingesetzt. Es hat sowohl eine versammelnde als auch eine lösende Wirkung. Betrachtet man ein Pferd im Schulterherein von vorn oder hinten, so sieht man es gebogen auf mehreren Hufschlägen gehen; die Deutsche Reitlehre verlangt wie gesagt drei (d.h. die mittleren, diagonalen Beinpaare decken sich optisch), andere Reittraditionen, wie etwa die der Wiener Spanische Hofreitschule, führen diese Lektion auch auf vier Hufspuren (= zwei Hufschläge) aus.

Historischer Hintergrund

Die Einführung des Schulterherein in die Reitlehre wird François Robinchon de la Guérinière (1688-1751) zugeschrieben, der diese Lektion für eine der wichtigsten Übungen hielt. Nach Seunig ist Guérinières größtes Verdienst, "dass er die grundlegende Bedeutung der Durchlässigkeit überhaupt und in der Längsbiegung im besonderen ganz klar erkannt und in ein System gebracht hat (Schulterherein)".[6] Manche ziehen die Linie der Einführung auch bis William Cavendish, 1. Herzog von Newcastle (1592-1676), der wiederum auf Antoine de Pluvinel (1555-1620) fußt. Das Schulterherein kann, bevor es unter dem Reiter trainiert wird, dem Pferd erst einmal an der Hand beigebracht werden.

Einzelnachweise

  1. S. 50 - Vgl. auch Loriston-Clarke: "Shoulder-in is a movement used daily in training and suppling every horse, however advanced he is in his education." (S. 84)
  2. Seunig, S. 221
  3. Vgl. die Abbildungen in den Richtlinien, S. 46, und in den Internationalen Richtlinien, S. 20.
  4. Richtlinien, S. 50; laut Internationalen Richtlinien: "approx. thirty (30) degrees".
  5. Seunig, S. 332
  6. Seunig, S. 377

Literatur

  • Richtlinien für Reiten und Fahren. Bd. 2: Ausbildung für Fortgeschrittene. Hg.v.d. Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FNverlag) Warendorf 12. Aufl. 1997, S. 50-75. ISBN 3-88542-283-2
  • Jennie Loriston-Clarke, The Complete Guide to Dressage. How to Achieve Perfect Harmony between You and Your Horse. Principal Movements in Step-by-step Sequences Demonstrated by a World Medallist, London 1987, reprinted 1993, ISBN 0-09-174430-X
  • Waldemar Seunig, Von der Koppel bis zur Kapriole. Die Ausbildung des Reitpferdes. Mit einem Vorwort von Bertold Schirg. 2. Nachdruck der Ausgabe Berlin 1943, Hildesheim usw. 2001 (= Documenta Hippologica), ISBN 3-487-08348-5

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Seitengang — Schulterherein, aus dieser Perspektive allerdings nicht gut erkennbar Unter einem Seitengang versteht man bestimmte erlernte Vorwärts Seitwärts Bewegungen eines Pferdes. Seitengänge können in allen Gangarten und allen Bahnfiguren geritten werden …   Deutsch Wikipedia

  • Biegung (Reiten) — Die Biegung ist eine Krümmung der Längsachse [1] des Reitpferdes. Waldemar Seunig unterscheidet eine „Biegung ersten Grades“, die sich vor allem „aus der Streckung der äußeren Seite ergeben soll“ und der Lösung und der Geraderichtung dient, von… …   Deutsch Wikipedia

  • Dressurprüfung — Bild aus einer Dressurprüfung (Weltcupfinale 2007) Eine Dressurprüfung ist eine Prüfung im Dressurreiten, deren Ablauf nach nationalem oder internationalem Reglement geregelt ist. Mehrere Dressurprüfungen (oder auch andere reitsportliche… …   Deutsch Wikipedia

  • Schultervor — (engl. shoulder fore, frz. épaule en avant) ist ein Begriff aus der Reitlehre, der klassischen Reitkunst, und bezeichnet eine Lektion, bei der das Pferd mit dem inneren Hinterfuß in Richtung zwischen die beiden Vorderbeine tritt, während das… …   Deutsch Wikipedia

  • Tempo (Reiten) — In der Reitkunst bedeutet Tempo ein Gangmaß innerhalb einer der drei Grundgangarten Schritt, Trab und Galopp. Dabei differenziert der Begriff nicht etwa unterschiedliche Geschwindigkeiten, sondern den Grad der Versammlung und die dadurch bedingte …   Deutsch Wikipedia

  • Francois Robichon de la Gueriniere — François Robichon de la Guérinière (* 1688; † 1751) fand den noch heute gültigen korrekten Sitz des Reiters. In seinem 1733 erschienen Buch Ecole de Cavalerie beschrieb Guérinière als erster eine systematische Ausbildung für das Pferd, die vom… …   Deutsch Wikipedia

  • Francois Robinchon de la Gueriniere — François Robichon de la Guérinière (* 1688; † 1751) fand den noch heute gültigen korrekten Sitz des Reiters. In seinem 1733 erschienen Buch Ecole de Cavalerie beschrieb Guérinière als erster eine systematische Ausbildung für das Pferd, die vom… …   Deutsch Wikipedia

  • François Robinchon de la Guérinière — François Robichon de la Guérinière (* 1688; † 1751) fand den noch heute gültigen korrekten Sitz des Reiters. In seinem 1733 erschienen Buch Ecole de Cavalerie beschrieb Guérinière als erster eine systematische Ausbildung für das Pferd, die vom… …   Deutsch Wikipedia

  • Gueriniere — François Robichon de la Guérinière (* 1688; † 1751) fand den noch heute gültigen korrekten Sitz des Reiters. In seinem 1733 erschienen Buch Ecole de Cavalerie beschrieb Guérinière als erster eine systematische Ausbildung für das Pferd, die vom… …   Deutsch Wikipedia

  • Guérinière — François Robichon de la Guérinière (* 1688; † 1751) fand den noch heute gültigen korrekten Sitz des Reiters. In seinem 1733 erschienen Buch Ecole de Cavalerie beschrieb Guérinière als erster eine systematische Ausbildung für das Pferd, die vom… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”