Schwuchtel

Schwuchtel

Schwuchtel ist eine meist salopp und abwertend als Schimpfwort verwendete Bezeichnung für Schwule oder einen sich weiblich benehmenden Mann. Seltener kommt es als wertneutrale ironisierende Selbstbezeichnung vor, manchmal zur Differenzierung untereinander.[1] Der Unterschied ist meist im Tonfall zu hören oder aus dem geschriebenen Kontext zu entnehmen. Als Verben existieren die Bezeichnungen schwuchteln, anschwuchteln oder auch herumschwuchteln. Es gibt kein weibliches Pendant.[2] Der Begriff „Tunte“ bedeutet ebenfalls einen betont weiblichen Schwulen, kommt aber eher als Selbstbezeichnung in Betracht als der Begriff „Schwuchtel“.

Inhaltsverzeichnis

Etymologie

Es existieren mehrere Herkunftserklärungen:

  • Das Verb schwuchteln ist ein altes deutsches Wort für schwenken, ausgelassen herumspringen, in den Hüften wiegen, tänzeln. Im Sprachgebrauch der männlichen Homosexualität ist damit gekünsteltes weibliches Benehmen, und trippelnder, wiegender Gang des damit schwuchtelnden femininen homosexuellen Mannes gemeint. Im Rotwelschen und in mitteldeutschen Mundarten bedeutet schwuchten oder schwuchteln links herum tanzen oder beim Gehen in den Hüften wiegen.[3]
  • Nach Bleibtreu-Ehrenberg stammt der Ausdruck vom Theater im Mittelalter, als Frauen noch nicht auf der Bühne stehen durften und Männer en travestie spielten. Es sollen dort jene Schauspieler so bezeichnet worden sein, die die Rolle der Schlampe, des liederlichen Frauenzimmers zu verkörpern hatten. Sie vermutet, dass ein theatergeschichtlicher Weg einen Einfluss von lat. vetula („altes Weib“, etym. verwandt mit der neuhochdeutschen Vettel) wahrscheinlich macht, „von der die Brüder Grimm annahmen, es handle sich um eine leichtfertige Person, die Musik macht und in ihrem Namen Andeutungen von Analem hervorkehrt.“[4] Diese umgangssprachliche Beziehung zwischen Musizieren und Analverkehr bei einem als effeminiert angesehen Mann, die sich im Begriff Schwuchtel ausdrückt, wird von Bleibtreu-Ehrenberg mit dem Verb fiedeln bzw. geigen umschrieben (vgl. den obszönen Ausdruck Arschgeige).[5] Der Begriff Vettel wiederum gehe aber etymologisch vermutlich nicht ausschließlich auf vetula zurück, sondern auf ein nicht überliefertes bereits früh existierendes, ähnlich klingendes germanisches Wort, das unter Einfluss von vetula in der mittelalterlichen Theatersprache auf Travestieakte bezogen wurde; anders sei die noch heute häufig anzutreffende Bezeichnung alte Vettel nicht zu erklären, da vetula an sich schon eine alte Frau bezeichne und alte Vettel daher ein Pleonasmus wäre.[5] Inwiefern die Brüder Grimm eventuell die Bedeutung eines effemenierten, Analverkehr treibenden Mannes in das ältere lat. vetula unter Einfluss der deutschen Vorstellung von Vettel fälschlich hineindeuteten, und der germanische Wortstamm zu Vettel schon vor dem Mittelalter einen effemenierten Mann mit (vager) analer Konnotation bezeichnet haben könnte, wird dabei offengelassen.
  • Der Sprachwissenschaftler Mücke bezieht sich auch auf das den Frauen zugeordnete Tanzen und Hüftschwingen, auf das sich auch eine Reihe anderer umgangssprachlicher Bezeichnungen beziehen wie Hüftenwackler, Kistenschwenker, Zitteraal, Wackelarsch, Wackeltante etc. Für ihn ist darin die Etymologie des indogermanischen Wortes „arg“ und die „in altnordischen Quellen vorliegende sprachliche bzw. assoziative Verbindung von Tanzen, Zittern (vor Angst oder Erregung) und Schwulsein bis in die Gegenwart konserviert.“[6] Auch Bleibtreu-Ehrenberg befasst sich eingehend mit der Etymologie des Begriffes arg wie seiner Bedeutungsentwicklung, nach ihrer Argumentation allerdings ist die Beziehung zum Begriff Schwuchtel keine streng etymologische im Sinne einer Verwandtheit des Wortstamms, sondern vielmehr besaß arg einen bedeutenden Einfluss auf den Bedeutungsinhalt des Wortes Schwuchtel, vergleichbar etwa mit dem in der deutschen Sprache häufig anzutreffenden nachantiken Einfluss lateinischer Vokabeln auf die Bedeutung etymologisch rein germanischer Begriffe.

Schimpfwort

Heranwachsenden Männern dient der Begriff in abgrenzender Funktion ihrer geschlechtlichen Identitätsbildung.

„Wenn Schüler heute Schimpfausdrücke wie 'du Schwuchtel' verwenden, beabsichtigen sie damit, ihre eigene Männlichkeit von alternativen Männlichkeitskonzepten abzugrenzen. Mit der Verwendung des Begriffs Schwuchtel zum Beispiel wird zumeist eine Männlichkeit abgewertet, die sich durch eine vermeintliche Effeminisierung auszeichnet, bei der also die Grenzen zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit als nicht hinreichend scharf wahrgenommen werden. Unklare Trennungslinien zwischen den Geschlechtern werden als Störung der Geschlechterordnung aufgefasst und verstören viele bei der Konstruktion ihrer eigenen Geschlechtsidentität.“

nach Martin Lücke[7]

In der Erwachsenenwelt ist das Wort wohlbekannt. Der Entertainer Harald Schmidt bezeichnete während der Fußball-Weltmeisterschaft 1998 den Nationalspieler Jürgen Klinsmann als „Schwaben-Schwuchtel“ und „Warmduscher“. Die Äußerung führte zu einer juristischen Auseinandersetzung mit dem Deutschen Fußballbund, bei der Schmidt unterlag.

Ebenso in der politischen Rede hält dieses Wort Einzug. Bei seinem Grußwort zu einer CDU-Veranstaltung zum Thema Patriotismus im Juni 2006 in Lieske begründete der später wegen solcher rechtspopulistischer Äußerungen aus der CDU ausgetretene Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche die Notwendigkeit von Patriotismus, „um endlich vom Schuldkult runterzukommen“, damit „Deutschland nie wieder von Multi-Kulti-Schwuchteln in Berlin regiert“ werde.

In der politischen Presse wird dieses Wort inzwischen verwendet, sogar auf eine konkrete Person bezogen. In der rechten, der FPÖ nahe stehenden Zeitung Zur Zeit bezeichnete der Autor Dimitrij Grieb – enger Mitarbeiter des FPÖ-EU-Abgeordneten Andreas Mölzer – im August 2007 den Life-Ball-Organisator Gery Keszler als Berufsschwuchtel.[8] Keszler klagte wegen Beleidigung, und Grieb wurde in erster Instanz freigesprochen. Er hatte sich damit verteidigt, dass Keszler „jemand ist, der ständig seine geschlechtliche Orientierung zur Schau trägt wie ein Adelsprädikat“, es als „Stilmittel der Übertreibung“ und „umgangssprachlich im Kontext“ zu sehen sei. Außerdem meinte er: „Keszler gehört zu den obersten Zehntausend der Society. Damit muss er leben.“ Die Richterin begründete in ihrem Freispruch, dass die Bezeichnung zweifellos eine Beschimpfung und der gesamte Artikel „böse gegen Homosexuelle geschrieben“ sei. Sie sei aber „zu wenig beleidigend, um die Meinungsfreiheit außer Kraft zu setzen“ und Grieb habe nicht den Rahmen der freien Meinungsäusserung verlassen, welche heutzutage sehr hoch gehalten wird. Des Weiteren stehe Keszler „massiv in der Öffentlichkeit“, „und ein Mensch, der so in der Öffentlichkeit steht, muss sich auch öffentliche Kritik gefallen lassen“.[9] Eine Berufung ist angekündigt.

Selbstbezeichnung und ältere Vorkommen

Belegt ist das Wort in der Prostituiertensprache Wiens[10] und Berlins.[11] Im Berlin der 1920er gab es einen Schwuchtelball als „Tanzabend Homosexueller“[11] und im Baseldeutsch gab es vor allem zwischen 1930 und 1955 das Spezialideom Schwuchtle.[12] Ab 1975 wurde in Berlin die Schwuchtel – Eine Zeitung der Schwulenbewegung herausgebracht.[13][14] Aus dem Herausgeberkreis kommen dann die Gründer des 1977 eröffneten Schwulencafés Anderes Ufer. In der Szene gibt es auch die Bezeichnung der Schrankschwuchtel, also eine Person, welche noch nicht ihr Coming-out gegenüber der Umgebung hatte und „im Schrank“ versteckt lebt; eine Lehnübersetzung aus dem Englischen (to be) in the closet (zu deutsch „verheimlichen“), worauf auch der Ausdruck coming-out (of the closet) („sich bekennen“) zurückgeht, beide ursprünglich ohne sexuelle Bedeutung, so dass beide Begriffe bis heute auch noch eher als im Deutschen allgemeine Verwendung finden.

Andere Bedeutungen in verschiedenen Mundarten

In den Volksüberlieferungen aus dem Fürstenthum Waldeck von 1860 ist Schwuchtel unter der Bedeutung „leichtsinniger Mensch“ verzeichnet.[15]

Im Schlesischen bezeichnet Schwuchtel eine Schwätzerin, eine Art Dorfzeitung und eine dicke Frau. Der Schwüchtel ist ein dickleibiger Mensch. Und schwuchteln bedeutet herumtreiben.[16]

Einzelnachweise

  1. Jody Daniel Skinner: Bezeichnungen für das Homosexuelle im Deutschen – Band II, Ein Wörterbuch, Die Blaue Eule, Essen 1999, ISBN 3-89206-903-4; Dissertation der Universität Koblenz-Landau 1998
  2. Gabriele Scheffler: Schimpfwörter im Themenvorrat einer Gesellschaft, Tectum Verlag DE, 2004, ISBN 3-8288-8172-6, S. 175
  3. Günther Hunold: Sexualität in der Sprache, 1980
  4. Gisela Bleibtreu-Ehrenberg: Homosexualität. Die Geschichte eines Vorurteils, Frankfurt am Main, 1981, S. 387
  5. a b ebd., S. 237
  6. Christian Mücke: Bezeichnung normabweichenden Verhaltens am Beispiel der Homosexualität (masch.-schr.) Magisterarbeit, Würzburg 1992, S. 154
  7. Martin Lücke: „Unnatürliche Sünden – lasterhafte Lustknaben“, in: Bea Lundt, Bärbel Völkel (Hrsg.): Outfit und Coming-out: Geschlechterwelten zwischen Mode, Labor und Strich, LIT, 2007, ISBN 3-8258-0491-7, S. 140
  8. Dimitrij Grieb: Die Homoletten-Opfer-Lüge, Zur Zeit, Nr. 29–30/2007, 20. Juli—2. August 2007
  9. „Berufsschwuchtel“ für Wiener Gericht von Meinungsfreiheit gedeckt, vienna.at, 15. Januar 2008
  10. Oswald Wiener: Beiträge zur Ädöologie des Wienerischen, im Anhang zu:
    Josefine Mutzenbacher: Die Lebensgeschichte einer wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt, München 1970, S. 388: „päderast“
  11. a b Heinz Küpper: Illustriertes Lexikon der deutschen Umgangssprache II, Stuttgart 1982-1984, „weibischer Homosexueller Berlin 1920 ff.“
  12. Rudolf Suter (Hrsg.): Basel-deutschwörterbuch, Basel 1984
  13. Susanne Zur Nieden: Homosexualität und Staatsräson: Männlichkeit, Homophobie und Politik, Campus Verlag 2005, ISBN 3-593-37749-7, S. 93
  14. Annette Dröge, Volker N. Würtz: „männer“,„frauen“ und andere Menschen: Über Normen, Abweichungen …, Verlag Frauenpolitik, 1977, S. 86
  15. Louis Curtze: Volksüberlieferungen aus dem Fürstenthum Waldeck, Verlag A. Speyer, Arolsen 1860, S. 501 (Online-Version)
  16. Walther Mitzka: Schlesisches Wörterbuch, W. de Gruyter 1962

Weblinks


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