Semitismus

Semitismus

Mit dem Ausdruck Semitismus bezeichnet man sprachwissenschaftlich eine Anleihe an Konstruktions- oder Ausdrucksweisen, wie sie in semitischen Sprachen üblich ist. Diese Verwendung ist analog z. B. zu Germanismus, Anglizismus usw. – von ungefähr 1860 bis ungefähr 1920 auch verwendet, um das „ausschließlich vom ethnologischen Standpunkt aus betrachtete Judentum“ zu bezeichnen.[1]

Darüber hinaus wurde der Ausdruck verwendet für „alle negativ bewerteten Komponenten der Moderne, für den Kapitalismus, die Emanzipation der bürgerlichen Gesellschaft und ihren pluralistisch-antagonistischen Charakter, das traditionskritische Literatentum, aufklärerische Ideen oder die ‚Veräußerlichung‘ der Zivilisation.“[2] Diese Verwendungsweise hat ihren Ursprung in der Einführung des Begriffs Semiten durch August Ludwig von Schlözer (1781), seiner Einführung in die Sprachwissenschaft durch J. G. Eichhorn (1787) und in die Völkerkunde, schließlich in der naturalistischen Rassentheorie von Gobineau sowie in einem nicht mehr an die Religion gebundenen Gebrauch des Begriffs „Jude“.[3] Diese Entwicklung bildete den Hintergrund für die antijüdische Konstruktion eines „Geistes des Judentums“ z. B. bei Hegel und Junghegelianern, die das Judentum als „Selbstentfremdung“ des Menschen beschreiben, schließlich bei Karl Marx und den Frühsozialisten, die ihm einen „kapitalistischen Geist“ zuschreiben.[4] In dieser Verwendung bezieht sich der Ausdruck Antisemitismus auf die durch den Ausdruck Semitismus bezeichnete fiktive, antijüdische Konstruktion.[5]

Der Begriff Semitismus wird auch im Sinne einer Gesamtheit orientalischer Kultur gebraucht.[6]

Einzelnachweise

  1. So der Artíkel Semitismus im Brockhaus von 1892, hier zit. n. Th. Nipperdey: Art. Antisemitismus, in: HWPh, Bd. 1, 415f
  2. Nipperdey, l.c., 415
  3. Alle Angaben nach Nipperdey, l.c.
  4. Wiederum alle Angaben nach Nipperdey, l.c. – dort Einzelbelege
  5. Einzelbelege zum Ursprung des Ausdrucks Antisemitismus ebenfalls bei Nipperdey, l.c.
  6. So spricht beispielsweise der Orientalist Moritz Steinschneider mit Bezug auf die Kulturbegegnung im antiken Alexandrien von einem „Synkretismus des Orients und Occidents“ als „Verbindung des Semitismus mit der indo-europäischen Bildung“ (Allgemeine Einleitung in die Jüdische Literatur des Mittelalters, in: The Jewish Quarterly Review 16/2 (1904), 373–395, 389) oder setzt beispielsweise Max Horten eine intellektualistische Tendenz griechischer Kultur gegen eine Tendenz, die von „dem Semitismus, dem Islam“ herkomme, „der das Voluntaristische in Gott mehr hervorkehrte“ und spricht bezüglich von Enzyklopädisten wie den lauteren Brüdern von Basra von einer „Synthese zwischen Hellenismus und Semitismus = Islam“ (Die Philosophie des Islam, München, 1924, 84 und 260)

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