Sergei Kirow

Sergei Kirow
Sergei Mironowitsch Kirow

Sergei Mironowitsch Kirow, eigentlich Kostrikow, (russisch Сергей Миронович Киров, wiss. Transliteration Sergej Mironovič Kirov; * 15. Märzjul./ 27. März 1886greg. in Urschum im Gouvernement Wjatka; † 1. Dezember 1934 in Leningrad) war ein bedeutender sowjetischer Staats-und Parteifunktionär.

Inhaltsverzeichnis

Kindheit, Jugend und Anfänge der revolutionären Tätigkeit

Geboren in einer armen Familie, hat Sergei Mironowitsch Kostrikow seine Eltern früh verloren. Er wurde zunächst von seiner Großmutter aufgezogen und wuchs später in einem Waisenhaus auf. Nachdem er erfolgreich einen Realschulabschluss gemacht hatte, wurde er 1901 in die Gewerbeschule der tatarischen Stadt Kasan aufgenommen. Dort lernte er zum ersten Mal die revolutionäre Ideologie kennen. Nachdem er die Gewerbeschule mit Erfolg abgeschlossen hatte, ging er 1904 nach Tomsk, wo er vorhatte, sich an der Staatsuniversität immatrikulieren zu lassen. Diese Pläne gab er jedoch schnell auf, weil er im selben Jahr in die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands (SDAPR) eintrat und sich seitdem nur auf die illegale Tätigkeit eines Berufsrevolutionärs konzentrierte.

Er nahm an der Russischen Revolution von 1905 teil und wurde erstmals im Februar 1905 verhaftet. Nachdem er kurze Zeit später freigelassen worden war, schloss er sich den Bolschewiken an. Wegen Verbreitung illegaler Literatur wurde er 1906 zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Nach der Verbüßung der Haftstrafe verließ er Tomsk und ging in den Kaukasus. Seit Herbst 1909 arbeitete er in der Redaktion der liberalen Zeitung „Terek“ in der Stadt Wladikawkas. In dieser Zeit entfremdete er sich der bolschewistischen Ideologie und hegte offensichtliche Sympathien für die gemäßigten Sozialdemokraten. In mehreren Artikeln, die nach dem Sturz des Zarismus und der Abdankung von Zar Nikolaus II erschienen, erwies sich Kirow als Verehrer von Regierungschef Kerenski.

Oktoberrevolution und Bürgerkrieg

Im Oktober 1917 nahm Kirow als Abgeordneter des Wladikawkaser Rates an den Sitzungen des II. Allrussischen Kongresses der Arbeiter- und Bauernräte teil, wo er anfangs versuchte, die Interessen der Menschewiki zu vertreten. Nach der erfolgreich verlaufenen Oktoberrevolution begann Kirow, seine Orientierung zu ändern. Als er zurück in Wladikawkas war, wurde er Mitglied eines sogenannten „sozialistischen Blocks“, der die Menschewiki, Bolschewiki, Volkssozialisten und Sozial-Revolutionäre in seinen Reihen vereinigte.

Als im März 1918 auf dem II. Kongress der Völker des Terek-Gebietes beschlossen wurde, die sowjetische Volksrepublik von Terek auszurufen, wurde Kirow weder Mitglied darin noch in dem bolschewistischen Komitee der Stadt Wladikawkas. Es gibt Zeugnisse, dass Kirow bis 1919 gar kein offizielles Mitglied der bolschewistischen Partei war, sondern erst in Astrachan während der Umtauschaktion von Parteimitgliedsbüchern in sie aufgenommen wurde. Trotzdem wurde Kirow als Vertreter des Rates der Volkskommissare von Terek nach Moskau entsandt, um die benötigten Transporte von Waffen und Hilfsgütern zu organisieren.

Seit Januar 1919 befand sich Kirow ununterbrochen in Astrachan. Die ganze Macht im nordkaukasischen Gebiet befand sich damals in den Händen des Vorsitzenden des Revolutionären Militärrates Schljapnikow und nicht in denen von Kirow, wie später in der sowjetischen Historiographie behauptet wurde. Kirows Aufstieg begann erst im Frühling 1919 nach der Absetzung Schljapnikows wegen „Schlamperei und Nachsicht“. Sein Nachfolger wurde Mechonoschin, der Kirow zum Leiter des provisorischen militärrevolutionären Komitees ernannt hatte. In dieser Funktion war Kirow für die blutige Niederschlagung eines Arbeiterstreiks in von den Truppen der Weißen Armee bedrohten Astrachan im März 1919 verantwortlich. Insgesamt wurden bis zu 1500 unbewaffnete Menschen als angebliche „weißgardistische Spione“ verhaftet und ohne Gerichtsverfahren erschossen. Nachdem er so seine Treue zur Revolution unter Beweis gestellt hatte, wurde Kirow Mitglied des Stabs und des Militärrevolutionären Rates der 11. Roten Armee. Er war für mehrere „Säuberungsaktionen“ gegen angebliche Revolutionsfeinde im Terek-Gebiet verantwortlich. 1920–1921 war Kirow zusammen mit Anastas Mikojan und Grigori Ordschonikidse einer der Organisatoren und Leiter der Operation der Roten Armee, deren Ziel die Besetzung von unabhängigen Kaukasus-Republiken war.

Vom Juni bis September 1920 war Kirow bevollmächtigter Vertreter des Sowjetrusslands in Georgien, wo er die Möglichkeiten auslotete, die dortige demokratisch-liberale Regierung zu entmachten. Nach einem von ihm und Ordschonikidse verfassten Bericht Anfang 1921 hat das ZK der RKP(b) die Entscheidung getroffen, Georgien zu besetzen. Während des 10. Parteitages der Kommunistischen Partei wurde Kirow zum Kandidaten des ZK der RKP(b) gewählt. Bereits seit Oktober 1920 war er Mitglied des Kaukasus-Büros der kommunistischen Partei. Im April 1921 leitete er die Arbeit der konstituierenden Versammlung, die beschlossen hatte, eine autonome Republik der Bergvölker des Kaukasus zu gründen.

Parteikarriere

Im Juli 1921 wurde Kirow Sekretär der Parteiorganisation in Aserbaidschan. Seine Hauptaufgabe war die vom Bürgerkrieg stark in Mitleidenschaft gezogene Ölförderung im Gebiet Baku wieder aufzubauen und die Produktion von durch Bolschewiki enteigneten Betrieben auf das Vorkriegsniveau zu bringen. Seit 1923 war Kirow Mitglied des ZK der RKP(b). Er war einer der Gründer der Transkaukasischen Sowjetischen Föderativen Sowjetrepublik, die drei Länder (Georgien, Armenien, Aserbaidschan) umfasste und Teil der Sowjetunion wurde.

Im Februar 1926 wurde er zum Ersten Sekretär der Leningrader Parteiorganisation und des Nord-West-Büros des ZK der WKP(b) ernannt. Gleichzeitig wurde er zum Kandidaten des Politbüros gewählt. Kirows Hauptaufgabe war, die durch den XIV.Parteitag des WKP(b) entmachteten Grigori Sinowjew, Lew Kamenew und ihre Anhänger, die besonders stark im Leningrader Parteikomitee waren, zu bekämpfen und einen dem neuen starken Mann Josef Stalin treu ergebenen Parteikader „zu erziehen“.

Kirow erwies sich als ein Hardliner und großer Anhänger Stalins. Er hatte einen großen Anteil an der Zerschlagung der sowjetischen Akademie der Wissenschaften Anfang der 1930er Jahre, die sich damals in Leningrad befand. Unter seiner tatkräftigen Leitung wurde der Bau des Weißmeer-Ostsee-Kanals vorangetrieben, wobei er für die verstärkte Einsetzung von Gefangenen eintrat, die unter unmenschlichen Bedingungen zu Tausenden bei diesem Vorhaben starben. Kirow war Mitglied einer staatlichen Kommission für die Fragen der Kollektivierung, die für äußerst brutale Vorgehensweisen gegen die Bauern verantwortlich war. Er hat auch seinen Beitrag zu zahllosen „Entlarvungen“ von angeblichen „Staatsfeinden“ geleistet. Auf seine Anordnung hin wurden innerhalb weniger Monate mehrere tausend „sozial fremde Elemente“ aus Leningrad in die entlegenen Gegenden der Sowjetunion zwangsumgesiedelt.

In den 1930er Jahren wurde Kirow zunehmend populärer, sowohl bei den Parteigenossen als auch beim Volk. Seit 1930 war er Mitglied des Politbüros und gehörte somit zum höchsten Machtgremium der bolschewistischen Partei und des sowjetischen Staates. Jedoch blieb die Rolle Kirows auf Leningrad und den Nordwesten der Sowjetunion begrenzt. Aus den Protokollen der Politbürositzungen geht hervor, dass Kirow sehr selten an diesen teilnahm und sich meistens durch seinen Vize Andrei Schdanow vertreten ließ. Bei der geheimen Wahl zum Zentralkomitee auf dem 17. Parteitag der KPdSU 1934 stimmten 292 Delegierte gegen Stalin und nur drei gegen Kirow, eine Demütigung für Stalin.

Es wird häufig behauptet, dass zwischen Kirow und Stalin während des 17. Parteitages oder kurz danach Spannungen aufgetreten seien. Während des Parteitages hatte Kirow Stalin jedoch als „den größten Strategen der Bewegung zur Befreiung von Werktätigen“ und als „den besten Steuermann unseres großen sozialistischen Landes“ bezeichnet.

Am 1. Dezember 1934 wurde Kirow von Leonid Nikolajew in Leningrad erschossen. Die Hintergründe des Attentats konnten nicht zweifelsfrei geklärt werden.

Folgen des Mordes

Auch der Mord an Kirow war ein Anlass für die dann in den Jahren 1936 bis 1939 folgenden Verhaftungen, die Stalinschen Säuberungen, die öffentlichen Schauprozesse und die Moskauer Prozesse – in denen in der Sowjetunion hohe Partei- und Staatsfunktionäre auch wegen des Mordes an Kirow, wegen ihrer Beziehungen zur Opposition Trotzkis und angeblicher terroristischer staatsfeindlicher Aktivitäten angeklagt wurden. Als „Beweise“ hierfür dienten vom NKWD durch Folter erpresste Geständnisse der Angeklagten.

Aufgrund des offensichtlichen Nutzens, den Stalin für die Entfachung des Großen Terrors aus dem Mord gezogen hat, gibt es immer wieder Vermutungen, er habe den Mord in Auftrag gegeben. Dafür haben sich allerdings nie Beweise finden lassen. Ebenso möglich erscheint daher die Tat eines frustrierten Einzelnen.

Ehrungen

  • Nach dem Tod Kirows wurde seine Urne an der Kremlmauer in Moskau beigesetzt.
  • 1934 wurde nach Kirow die Stadt Wjatka in Kirow umbenannt, 1935 das Leningrader Opernhaus Mariinski-Theater in Kirow-Theater. Die Ballettkompagnie dieses Theaters verwendet auch heute, nach der Rückbenennung des Theaters, noch den Namen Kirow-Ballett.
  • 1934 ist die ukrainische Stadt Jelisawetgrad in Kirowo und schließlich Kirowohrad umbenannt worden. So heißt die Stadt noch heute.
  • Zwischen 1935 und 1989 trug die Stadt Gäncä in Aserbaidschan ihm zu Ehren den Namen Kirowabad.
  • Wanadsor, die heute drittgrößte Stadt Armeniens, trug von 1935 bis 1991 den Namen Kirowakan.
  • In der DDR wurde ein Leipziger Maschinenbaubetrieb nach Kirow benannt. Der Name wurde als Marke für Eisenbahnkräne so bekannt, dass sich der Betrieb auch nach der Wende 1989 bis zum heutigen Tag Kirow nennt. Die fortdauernde Benennung einer deutschen Firma nach einem Gefolgsmann Stalins dürfte einmalig sein.
  • Die Kaspische Höhere Offiziersschule der Seestreitkräfte der UdSSR trug den Namen Kirows

Literatur

  • Robert Conquest: The Great Terror. A Reassessment. London, 1990.
  • Nikolaj Jefimow: Sergej Mironowitsch Kirow, in: Voprosy istorii, Nr. 11/12 1995,SS. 49-67.
  • D. Wolkogonov: Stalin. Triumph und Tragödie. Düsseldorf, 1989.
  • Donald Rayfield: Stalin und seine Henker. München, 2004.

Siehe auch

Weblinks


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