Baclofen

Baclofen
Strukturformel
Baclofen-Enantiomere.png
(S)-Baclofen (links) und (R)-Baclofen (rechts)
Allgemeines
Freiname Baclofen
Andere Namen
  • (RS)-4-Amino-3-(4-chlorphenyl)buttersäure
  • (±)-4-Amino-3-(4-chlorphenyl)buttersäure
  • rac-4-Amino-3-(4-chlorphenyl)buttersäure
  • DL-4-Amino-3-(4-chlorphenyl)buttersäure
Summenformel C10H12ClNO2
CAS-Nummer 1134-47-0
PubChem 2284
ATC-Code

M03BX01

DrugBank APRD00551
Arzneistoffangaben
Wirkstoffklasse

Muskelrelaxans

Verschreibungspflichtig: Ja
Eigenschaften
Molare Masse 213,66 g·mol−1
Schmelzpunkt

189–191 °C oder 206–208 °C (Polymorphismus)[1]

Sicherheitshinweise
Bitte beachten Sie die eingeschränkte Gültigkeit der Gefahrstoffkennzeichnung bei Arzneimitteln
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung [2]
06 – Giftig oder sehr giftig 08 – Gesundheitsgefährdend

Gefahr

H- und P-Sätze H: 301-315-317-319-334-335-360
EUH: keine EUH-Sätze
P: 201-​261-​280-​301+310-​305+351+338-​308+313Vorlage:P-Sätze/Wartung/mehr als 5 Sätze [2]
EU-Gefahrstoffkennzeichnung [2]

T
Giftig
R- und S-Sätze R: 61-25-36/37/38-42/43
S: 53-22-36/37/39-45
LD50

145 mg·kg−1 (Ratte p.o.)[2]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Vorlage:Infobox Chemikalie/Summenformelsuche vorhanden

Baclofen ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der Muskelrelaxantien. Es wird zur Behandlung der Spastik bei Rückenmarksverletzungen und Multipler Sklerose eingesetzt. Chemisch handelt es sich um ein chirales Derivat der γ-Aminobuttersäure, das als spezifischer Agonist am GABAB-Rezeptor von Säugetieren wirkt. Die Substanz wirkt nicht am GABA-Rezeptor der Fruchtfliege.[3][4] Pharmazeutisch wird das Racemat des Baclofen verwendet.

Inhaltsverzeichnis

Chemisch-physikalische Eigenschaften

Baclofen ist ein weißes, geruchloses kristallines Pulver, gering wasserlöslich, sehr gering löslich in Methanol und unlöslich in Chloroform.

Darreichungsformen

Baclofen kann oral oder intrathekal (direkt in den Liquor cerebrospinalis) verabreicht werden. Die intrathekale Gabe ist bei Spastikpatienten deswegen notwendig, weil nur eine sehr geringe Menge der oral verabreichten Substanz am Wirkort an den Nerven des Rückenmarkes ankommt, und daher als Alternative nur hohe orale Dosierungen mit entsprechenden Nebenwirkungen zur Verfügung stehen.

Die intrathekale Verabreichung wird vor allem bei Patienten mit Multipler Sklerose gewählt, die schwere schmerzhafte Spasmen haben und die durch orales Baclofen oder andere Medikamente nicht kontrollierbar sind. Es wird eine Testdosis verabreicht, um die Wirksamkeit nachzuweisen. Falls die Testdosis erfolgreich war, wird ein Katheter intrathekal gelegt, über den eine computergesteuerte implantierte Pumpe das Medikament als Dauertherapie zuführt. Der Vorratsbehälter der Pumpe kann durch die Haut von außen wieder aufgefüllt werden. Nachteil des Pumpensystems ist sein Preis und die aufwändige Implantation und Pflege, so dass eine strenge Patientenauswahl notwendig ist.

Geschichte

Baclofen wurde ursprünglich als Medikament zur Behandlung der Epilepsie entwickelt. Das erste Mal wurde es vom Chemiker Heinrich Keberle 1962 in der damaligen Ciba-Geigy synthetisiert.[5] Die antiepileptische Wirksamkeit war enttäuschend, der antispastische Effekt aber brauchbar. Baclofen wurde und wird noch immer mit wechselndem Erfolg oral verabreicht. Bei schwer kranken Kindern ist allerdings die notwendige orale Dosis so groß, dass die Nebenwirkungen die Therapie begrenzen. Wie und wann Baclofen das erste Mal intrathekal verwendet wurde, ist nicht mehr genau festzustellen, aber es ist eine mittlerweile etablierte Behandlungsmethode der Spastik.

Große Resonanz erhielt Baclofen in letzter Zeit durch ein Buch von Olivier Ameisen, in dem er behauptete, seine Alkoholsucht durch Baclofen endgültig besiegt zu haben.[6] In der Tat zeigten Studien auch, dass Baclofen eine außerordentliche Wirkung für die Bekämpfung von Alkoholsucht hat: In einer Studie erreichten rund doppelt so viele Patienten die Abstinenz von Alkohol mit Baclofen wie die Probandengruppe ohne Baclofen.[7]

Wirkung

Baclofen wirkt an den Synapsen und Nerven des Rückenmarkes. Ohne entsprechende ständige Kontrolle aus dem Gehirn überwiegen im Rückenmark die spastischen Reflexmechanismen. Diese können bei Kranken so stark sein, dass sie aus dem Schlaf aufwachen und starke Schmerzen verspüren.

Baclofen wirkt an den Reflexbögen des Rückenmarkes. Vor allem an den sogenannten Renshaw-Zellen kann es den natürlichen antispastischen Effekt der GABA nachahmen. Die notwendige Dosis des intrathekalen Baclofen ist verschieden, ist aber weitaus kleiner als die orale Dosis.

Pharmakokinetik

Die Substanz wird nach oraler Gabe schnell aufgenommen und wird im ganzen Körper verteilt. Eine Biotransformation findet kaum statt. Der Arzneistoff wird zum großen Teil unverändert über die Nieren ausgeschieden.

Überdosierung

Folgende Symptome einer Baclofen-Überdosierung können auftreten:

  • Übelkeit
  • Erbrechen
  • Schwäche
  • Schwindel
  • Atemschwäche
  • Veränderte Pupillen
  • verminderter Blutdruck (Hypotonie)
  • verminderte Herzfrequenz (Bradykardie)
  • verminderte Körpertemperatur (Hypothermie)
  • Koma

Andere Anwendungsfelder

Seit mehr als 10 Jahren wird die Wirkung von Baclofen als GABA-B-Rezeptor-Agonist in der Behandlung von Sucht, Angst und Depression erforscht. Zur Behandlung des Alkoholismus mit Baclofen wurden eine Reihe von wissenschaftlichen Studien mit sehr positiven Ergebnissen veröffentlicht.[8][9][10] Die Ergebnisse konnten durch Feldstudien bestätigt werden.[11] Die Bedeutung der GABA-B-Rezeptoren für die Entstehung von Angst wurde in verschiedenen Studien untersucht und in diesem Zusammenhang die Eignung von Baclofen auch für die Behandlung von Angst und Depressionen in Tierversuchen nachgewiesen.[12][13] In der Praxis hat sich Baclofen trotz der positiven Wirkungen in der Behandlung bisher nicht durchgesetzt, da das therapeutische Fenster bei Baclofen relativ schmal ist. Die pharmakologische Forschung konzentriert sich auf die sog. PAMs (Positive Allosteric Modulators)[14], die die gleiche Wirkung wie Baclofen haben, aber ein breiteres therapeutisches Fenster aufweisen sollen.

Einzelnachweise

  1. The Merck Index. An Encyclopaedia of Chemicals, Drugs and Biologicals. 14. Auflage, 2006, S. 159, ISBN 978-0-911910-00-1.
  2. a b c d Datenblatt (±)-Baclofen bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 21. Mai 2008.
  3. Mezler, M. et al. (2001): Cloning and functional expression of GABA(B) receptors from Drosophila. In: Eur J Neurosci. 13(3); S. 477–486; PMID 11168554.
  4. Dzitoyeva, S. et al. (2003): Gamma-aminobutyric acid B receptor 1 mediates behavior-impairing actions of alcohol in Drosophila: adult RNA interference and pharmacological evidence. In: Proc Natl Acad Sci USA 100(9); S. 5485–5490; PMID 12692303; PDF (freier Volltextzugriff, engl.).
  5. www.bentham.org/rpcn/samples/rpcn1-1/Yogeeswari.pdf s. auch linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S1054358910580025
  6. Das Ende meiner Sucht (2009) aus dem frz. von Ursel Schäfer ISBN 978-3-88897-585-1 – Le Derniere Verre (2008).
  7. http://www.evimed.ch/AGORA/HTZ000/downloads/Baclofenjs.pdf
  8. G. Addolorato et al.: "Effectivness and safety of baclofen for maintenance of alcohol abstinence in alcohol-dependent patients with liver cirrhosis: randomized, double-blind controlled study", The Lancet, Vol 370, Iss. 9603, S. 1915–1922, 2007.
  9. G. Addolorato et al.: "Role of the GABA-B-receptor system in alcoholism and stress: focus on clinical studies and treatment perspectives", Alcohol Vol 43, Iss 7, S. 599–563, 2009.
  10. L. Leggio: "Understanding and Treating Alcohol Craving and Dependence: Recent Pharmalogical and Neuroendocrinological Findings", Alcohol & Alcoholism, Vol 4, No. 4, S. 341–352, 2009.
  11. . H. Rippel and F. Kreuzeder: "Efficacy of Baclofen in the Treatment of Alcoholism", 2010:http://www.paradigmenwechsel-ev.de/Willkommen/Publikationen_files/efficacy%20of%20baclofen.pdf.
  12. J.F.Cryan and K.Kaupmann, "Don’t worry "B" happy!: a role for GABA-B-receptors in anxiety and depression", Trends in Pharmacological Science, 26, S. 36–43, 2005.
  13. . C. Mombereau et al., "Genetic and pharmacological evidence of a role for GABA(B) receptors in the modulation of anxiety and antidepressant-like behaviour", Neuropsychopharmocology 29, S. 1050–1062, 2004.
  14. JP Pin and Laurent Prézeau: "Allosteric Modulators of GABAB Receptors: Mechanism of Action and Therapeutic Perspective", Curr Neuropharmacol., 5(3), S. 195–201, 2007.

Handelspräparate

Monopräparate

Lebic (D), Lioresal (D, A, CH), sowie Generika (D, CH)

Weblinks

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