Soziales System

Soziales System

Soziales System ist zentraler Begriff der soziologischen Systemtheorie. Mit ihm wird eine Grenze markiert zum Ökosystem, zum biologischen Organismus, zum psychischen System sowie zum technischen System. Sie alle bilden die Umwelt sozialer Systeme. Mindestvoraussetzung für ein soziales System ist die Interaktion mindestens zweier personaler Systeme oder Rollenhandelnder.

Inhaltsverzeichnis

Die Ansätze Parsons' und Luhmanns

Innerhalb der soziologischen Systemtheorie besteht eine Kontroverse darüber, aus welchen strukturellen Elementen soziale Systeme bestehen. Nach Talcott Parsons sind es Handlungen, bei Niklas Luhmann sind es Prozesse der Kommunikation, die soziale Systeme konstituieren. Auch Kommunikation ist eine Handlung (z.B. Sprechakte) und oberflächlich betrachtet scheint dies ein Streit um Worte zu sein. Tatsächlich ergeben sich aber aus der Wahl des Grundbegriffs theoretische und empirische Konsequenzen.

Das Konzept Gesellschaft als Beispiel

So postuliert Parsons in seiner Evolutionstheorie die Heraufkunft eines system of modern societies (System moderner Gesellschaften), während Luhmann in seiner Systemtheorie schlicht den Begriff Weltgesellschaft verwendet.

Der handlungstheoretische Bezugsrahmen erlaubt es Soziologen, eine Vielfalt von Gegenwartsgesellschaften unter einem einheitlichen funktionalen Gesichtspunkt zu ordnen. Jede einzelne der so analysierten Gesellschaften steht in einer spezifischen kulturellen Tradition, grenzt sich von anderen Gesellschaften territorial ab und ist durch eine spezifische normative Sozialstruktur gekennzeichnet, die deren Werte, Institutionen und Rollen prägt. Die "Kultur der Moderne" vereinigt entsprechend eine Vielfalt von z.B. amerikanischen, englischen, französischen, deutschen, japanischen etc. Entwicklungspfaden und Beiträgen. Vorläufer menschlicher sozialer Systeme sind Primatenhorden, die bereits strukturiert sind. Soziale Systeme sind daher nicht aus rationalen Entschlüssen der Menschen entstanden, sondern entsprechen seiner angeborenen Verhaltensdisposition.

Kommunikationstheoretiker richten dagegen den Fokus allein auf das, was kommuniziert wird. Ob in Brasilien oder in Bielefeld, in einem Unternehmen oder in der Kirche informiert, mitgeteilt, verstanden oder missverstanden wird, ist dabei einerlei. Die für das System "Weltgesellschaft" wichtigen Unterscheidungen (z. B. Zentrum/Peripherie, Interaktion/Organisation, Stratifikation/funktionale Differenzierung) werden alltäglich überall auf dem Globus in jedem Moment durch und in Kommunikation erzeugt.

„Kommunikation“ nennt Luhmann die Operation, die soziale Systeme entstehen lässt und aufrechterhält. Eine Kommunikation schließt an vorherige anschlussfähige Kommunikationen an, führt sie weiter und ist damit immer zugleich auch eine anschlussfähige Voraussetzung für folgende Kommunikationen. Keine Kommunikation verlässt das soziale System, das durch sie gebildet wird.[1] Daher besteht ein klarer Unterschied zum Übertragungsmodell der Kommunikation.[2] Vielmehr geht es um einen selbstreferentiellen Prozeß der Erzeugung von Kommunikation durch Kommunikation.[3]

Luhmanns Forschungsprogramm zielte deshalb auf die Suche nach "evolutionären Errungenschaften" ab, die globale Kommunikation ermöglichen bzw. erleichtern und bündeln helfen. Zu diesen gehören neben den Verbreitungsmedien Druck, Radio, Fernsehen, Computer, auch die "symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien", deren wichtigste Liebe, Geld, Wahrheit und Macht sind.

Kultur und Gesellschaft

Für die systemische Handlungstheorie ist das Konzept Kultur notwendiger Bestandteil ihres Bezugsrahmens. Kommunikationen und Handlungen sind in ein normatives Gewebe eingebettet, das die Wahrscheinlichkeit der Verständigung zwischen Akteuren garantieren soll. Der Systembegriff ist untrennbar mit der Vorstellung sozialer Ordnung verknüpft: jede Aktion, die sinnhaft am normativen Horizont der Gesellschaft orientiert ist, trägt zur Stabilisierung des sozialen Systems bei.

Aus der Sicht der systemischen Kommunikationstheorie gebricht es dem Kulturkonzept an analytischer Trennschärfe. Ihre Vertreter interessieren sich ausschließlich für kommunikative Ereignisse, die analytisch in die Begriffstrias Information, Mitteilung und Verstehen aufgelöst werden können. Das soziale System "Gesellschaft" leitet sich - diesem Ansatz zufolge - gerade nicht aus einem normativen Vorverständnis ab, sondern erscheint als stets unwahrscheinliches, prekäres, "chaotisches" Gebilde. Kommunikative Missverständnisse und Fehlübertragungen erscheinen weitaus wahrscheinlicher als Verständigung herstellende Handlungen.

Jay Wright Forrester erachtet drei kontraintuitive Charakteristika in sozialen Systemen als wichtig: Gründe der Ursachen sind oft sehr entfernt in Raum und Zeit, das Identifizieren von leverage points und gegensätzliche kurzfristige und langfristige Konsequenzen.[4]

Politisches System

Siehe: Politisches System

Rechtssystem

Siehe: Rechtssystem

Literatur

  • Niklas Luhmann 1984. Soziale Systeme, Frankfurt am Main
  • Niklas Luhmann 1997. Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main (2 Bände)
  • Richard Münch 1986. Die Kultur der Moderne, Frankfurt am Main (2 Bände)
  • Talcott Parsons 1970. The System of Modern Societies, New York
  • Talcott Parsons 1977. Social Systems and the Evolution of Action Theory, New York
  • Talcott Parsons 1978. Action Theory and the Human Condition, New York
  • Zeitschrift Soziale Systeme, die bei Lucius & Lucius halbjährlich erscheint

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Vgl. Luhmann, Niklas: Einführung in die Systemtheorie (2002), S. 78; Baraldi, C./Corsi, G./Esposito, E.: GLU. Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, Frankfurt a. M.: Surkamp 1997, S. 123 ff; S. 142 f.; S. 176 f.
  2. Vgl. Niklas Luhmann, Einführung in die Systemtheorie / Niklas Luhmann. Dirk Baecker (Hrsg.). - 1. Aufl. - Heidelberg : Carl-Auer-Systeme-Verl., 2002, S. 288 ff.; Luhmann, N.:Soziale Systeme, Frankfurt a. M.: Surkamp 1984, S. 193 f.
  3. Vgl. Luhmann, Niklas: Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M.: Surkamp 1990, Seite 24
  4. Forrester, Jay. 1971. Counterintuitive behavior of social systems. chapter VI. Technology Review 73(3): 52–68

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