Sozialhilfe (Deutschland)

Sozialhilfe (Deutschland)

Die Sozialhilfe in Deutschland ist im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII, Sozialhilfe) geregelt. Die öffentlich-rechtliche Sozialleistung hat im System der sozialen Sicherheit die Funktion einer Grundsicherung.

Aus dem in Art. 20 Absatz 1 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich garantierten Sozialstaatsprinzip ergibt sich die Verpflichtung des Staates, einen Mindeststandard des menschenwürdigen Daseins sicherzustellen (soziokulturelles Existenzminimum). Das jeweils aktuelle Sozialhilferecht konkretisiert diesen Mindeststandard in materiellem Recht, aus dem sich konkrete und einklagbare Leistungsansprüche bedürftiger Personen herleiten lassen. Das Leitprinzip des menschenwürdigen Daseins wird im SGB XII § 1 Satz 1 dem Gesetz programmatisch vorangestellt:

„Aufgabe der Sozialhilfe ist es, den Leistungsberechtigten die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht.“

Zur Gewährleistung des soziokulturellen Existenzminimums kommt Sozialhilfe als Hilfe zum Lebensunterhalt für solche für Personen in Betracht, die nicht (mehr) erwerbsfähig sind, beispielsweise wegen Alters oder wegen voller Erwerbsminderung. Leben nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte in einer Bedarfsgemeinschaft mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die selbst Arbeitslosengeld II (Alg II) dem Grunde nach beanspruchen kann, erhalten sie nicht Sozialhilfe, sondern Sozialgeld nach dem SGB II, wenn sie nicht Anspruch auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung haben.

Inhaltsverzeichnis

Gesetzesgrundlage

Das Sozialhilferecht ist seit dem 1. Januar 2005 im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) geregelt.[1] Von 1961 bis 2004 war das Sozialhilferecht im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) normiert. Das Verfahrensrecht steht im Zehnten Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).

Nach Art. 72 GG in Verbindung mit Art. 74 Nr. 7 GG liegt die Gesetzgebungskompetenz für das Sozialhilferecht beim Bund. Den Bundesländern obliegt die Ausführung der Sozialhilfe als eigene Angelegenheit (Art. 83 GG).

Hilfearten der Sozialhilfe

Das SGB XII kennt laut § 28 SGB-I in Verbindung mit § 8 SGB-XII folgende Leistungsarten:

  1. Hilfe zum Lebensunterhalt (laufende Sozialhilfe zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums), (§§ 27 – 40 SGB-XII)
  2. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (laufende Sozialhilfe für Menschen ab 65 Jahren sowie für dauerhaft voll Erwerbsgeminderte zwischen 18 und 65 Jahren (§§ 41–46 SGB-XII)
  3. Hilfen zur Gesundheit (vorbeugende Gesundheitshilfe, Hilfe bei Krankheit, Hilfe zur Familienplanung, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft, Hilfe bei Sterilisation), (§§ 47 – 52 SGB-XII)
  4. Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung, (§§ 53 – 60 SGB-XII)
  5. Hilfe zur Pflege, (§§ 61 – 66 SGB-XII)
  6. Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten, (§§ 67 – 69 SGB-XII)
  7. Hilfe in anderen Lebenslagen (Blindenhilfe, Altenhilfe, Hilfe in sonstigen Lebenslagen, Bestattungskosten), (§§ 70 – 74 SGB-XII)

sowie die jeweils gebotene Beratung und Unterstützung.

Das SGB XII unterscheidet formal nicht mehr wie bisher das BSHG die Hilfe zum Lebensunterhalt und die (früheren) Hilfen in besonderen Lebenslagen (HibL). Letztere werden jetzt als Hilfen nach dem 5. bis 9. Kapitel bezeichnet und umfassen alle oben genannten Hilfen ab § 47 SGB XII. Es bestehen weiterhin Unterschiede bei der Einkommens- und Vermögensanrechnung bei den einzelnen Hilfearten des SGB XII.

Hilfe zum Lebensunterhalt

Hauptartikel: Hilfe zum Lebensunterhalt

Die Hilfe zum Lebensunterhalt beziehen überwiegend in Privathaushalten lebende Personen. Nach § 27a SGB XII umfasst der notwendige Lebensunterhalt Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile, persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens sowie Unterkunft und Heizung. Zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehört auch die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Für Schülerinnen und Schüler umfasst der notwendige Lebensunterhalt auch die erforderlichen Hilfen für den Schulbesuch. Sozialhilfe soll nicht nur ein physisches Existenzminimum, sondern einen soziokulturellen Mindeststandard für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben einschließen. Hilfe zum Lebensunterhalt wird vorrangig als Geldleistung erbracht. Zunächst wird der Bedarf bestimmt, danach werden das Einkommen und Vermögen (nach dem Elften Kapitel des SGB XII) darauf angerechnet.

Sozialhilfe in Heimen und Anstalten

Die vom Sozialhilfeträger zu übernehmenden Kosten für den Lebensunterhalt in Einrichtungen richten sich nach den Leistungen der Grundsicherung. Übersteigen die Kosten der Einrichtung für Unterkunft und Verpflegung die Leistung der Grundsicherung, sind die Kosten gleichwohl in voller Höhe aufgrund des Bedarfsdeckungsprinzips zu übernehmen, soweit der Bewohner bedürftig ist. Zusätzlich ist der so genannte weitere notwendige Lebensunterhalt zu übernehmen, dieser umfasst insbesondere eine Kleiderbeihilfe und einen Barbetrag zur persönlichen Verfügung (umgangssprachlich „Taschengeld“). Der Barbetrag für erwachsene Heimbewohner beträgt seit dem 1. Januar 2007[2] mindestens 27 % des Eckregelsatzes. Das Gesetz gibt hier nur einen Mindestbetrag vor. Es ist ein höherer Barbetrag zu zahlen, sofern der Mindestbetrag nicht angemessen ist. Seit dem 1. Juli 2009 liegt der Mindestbarbetrag bei 96,93 € (27 % des Eckregelsatzes von 359 €).

Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung

Zur Verhinderung versteckter Armut bei dauerhaft voll erwerbsgeminderten Personen zwischen 18 und 64 Jahren und älteren Personen ab 65 Jahren schuf der Gesetzgeber eine neue Leistung zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums, die am 1. Januar 2003 in Kraft trat. 2005 wurde die Grundsicherung in die Sozialhilfe eingeordnet (§§ 41 ff. SGB XII).

Bei der Grundsicherung besteht eine gesetzliche Vermutung, dass das jährliche Einkommen der unterhaltsverpflichteten Kinder und Eltern unter 100.000 Euro liegt. Unterhaltsansprüche bleiben dann unberücksichtigt.

Die Leistungen entsprechen der Höhe nach denen der Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen (Drittes Kapitel). Grundsicherung wird nur auf Antrag gewährt (kein Einsetzen bei Bekanntwerden, § 18 Abs. 1 SGB XII).

Hilfen zur Gesundheit (§§ 47–52 SGB XII)

Personen, die Leistungen nach dem SGB XII beziehen, werden (anders als Empfänger von Arbeitslosengeld II) in der Krankenkasse nicht pflichtversichert. Sofern keine Pflichtversicherung (z. B. über eine versicherungspflichtige Beschäftigung) besteht, werden für die freiwillige Weiterversicherung die fälligen Beträge zur Kranken- und Pflegeversicherung als Bedarf berücksichtigt (§ 32 SGB XII).

Personen, die nicht krankenversichert sind, können Leistungen nach dem 5. Kapitel des SGB XII (Hilfen zur Gesundheit) erhalten; hier besteht seit dem 1. Januar 2004 die Möglichkeit der Meldung an eine Krankenversicherung; die Krankenkasse leistet im Rahmen des Betreuungsverhältnisses wie für reguläre Mitglieder gesetzliche und satzungsgemäße Leistungen, die Kosten trägt das Sozialamt (§ 264 SGB V).

Seit dem 1. April 2007 gilt eine weitgehende Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V in Verbindung mit § 186 Abs. 11 SGB V); Bezieher laufender Sozialhilfe sind allerdings nach § 5 Abs. 8a SGB V nicht pflichtversichert. Der Anspruch auf die Hilfen zur Gesundheit besteht dennoch für eine weiter abnehmende Zahl von Ausnahmefällen.

Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (§§ 53–60 SGB XII)

Hauptartikel: Eingliederungshilfe

Die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen hat die Aufgabe, „eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern“ (§ 53 Abs. 3 SGB XII). Leistungsberechtigt sind alle Personen, die dauerhaft körperlich, geistig oder seelisch wesentlich behindert oder von einer Behinderung bedroht sind.

Die Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen ist im wesentlichen, wie bisher im BSHG geregelt waren. Die eingeschränkte Anrechnung von Einkommen und Vermögen bei behinderten Menschen wurde in § 92 SGB XII geregelt. Es besteht nun auch die Möglichkeit, Leistungen der Eingliederungshilfe als Teil eines trägerübergreifenden Persönlichen Budgets zu erbringen (§ 57 SGB XII). Mit dem Persönlichen Budget sollen Menschen mit Behinderung und pflegebedürftige Menschen eigenständig bestimmen können, welche Dienstleistungen sie in welcher Form und von welchem Anbieter in Anspruch nehmen.

Hilfe zur Pflege (§§ 61–66 SGB XII)

Hauptartikel: Hilfe zur Pflege

Die Sozialhilfe übernimmt bei Pflegebedürftigkeit die mit der Pflege verbundenen Kosten ganz oder teilweise. Seit Einführung der Pflegeversicherung ist die Sozialhilfe vor allem zuständig

  • für Pflegebedürftige, die das Kriterium der „erheblichen Pflegebedürftigkeit“ (die Stufe I nach § 15 SGB XI) nicht erfüllen,
  • in Fällen kostenintensiver (Schwerst-) Pflege, wenn die nach oben hin begrenzten Leistungen der Pflegeversicherung nicht ausreichen,
  • sowie für nicht pflegeversicherte Personen.

Die Regelungen der Hilfe zur Pflege wurden weitgehend aus dem BSHG übernommen. Auch hier besteht die Möglichkeit, Leistungen als Teil eines trägerübergreifenden Persönlichen Budgets zu erhalten.

Die Finanzierung der von der Pflegeversicherung nicht übernommenen Kosten für die Unterkunft bei der Pflege in Einrichtungen werden im Bedarfsfall von der Grundsicherung nach § 42 Nr. 2 SGB XII in Verbindung mit § 29 SGB XII übernommen. Die Kosten für den Lebensunterhalt in Einrichtungen werden nach § 35 SGB XII übernommen. Diese Leistungen sind nicht Teil der Hilfe zur Pflege.

Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (§§ 67–69 SGB XII)

Die Hilfe zur Überwindung in besonderen Lebenslagen beschreibt die „staatliche Unterstützung“ für Menschen in persönlichen Notlagen. Die Unterstützung ist unabhängig von ihrem Einkommen zu erbringen. Aus dieser Vorschrift wird die Verpflichtung der Kommunen (Städte oder Kreise) zur Schuldner, Sucht-, Lebensberatung und allegemeinen Sozialen Diensten abgeleitet. Diese Unterstützung ist in Abgrenzung zu den speziellen Regelungen im SGB VII (Kinder und Jugendhilfe) und SGB II - § 16a (Kommunale Eingliederungleistung im JobCenter) zu sehen. Die Unterstützung in besonderen Lebenslagen stellt einen generalisierten Anspruch der Unterstützung an das öffentliche System da und ist die Fortschreibung der Regelungen im Bundessozialhilferecht (BSHG). Die Leistung wird häufig von den Behörden an Träger der freien Wohlfahrt zur Leistungserbringung vergeben, kann durch die Verwaltung aber auch selbst erbracht werden. Die Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten richtet sich auch beispielhaft an Nichtsesshafte und Haftentlassene, ferner an verhaltensgestörte junge Menschen, für die die Hilfe zur Erziehung nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe) nicht (mehr) in Betracht kommt.

„Die Leistungen umfassen alle Maßnahmen, die notwendig sind, um die Schwierigkeiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mildern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten, insbesondere Beratung und persönliche Betreuung für die Leistungsberechtigten und ihre Angehörigen, Hilfen zur Ausbildung, Erlangung und Sicherung eines Arbeitsplatzes sowie Maßnahmen bei der Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung. Zur Durchführung der erforderlichen Maßnahmen ist in geeigneten Fällen ein Gesamtplan zu erstellen.“ (SGB XII § 68)

Hilfe in anderen Lebenslagen (§§ 70–74 SGB XII)

Das Neunte Kapitel des SGB-XII enthält verschiedene Leistungen:

Einkommensanrechnung

Die Sozialhilfe ist (wie auch das Arbeitslosengeld II) abhängig von Einkommen (§ 82 SGB-XII) und Vermögen (§ 90 SGB-XII).

Es gilt der vereinfachte Grundsatz

  • Bedarf minus anrechenbares Einkommen = Auszahlungsbetrag.

Jeder Betrag, der aufgrund gesetzlicher Vorschriften vom Einkommen abgesetzt werden kann, wirkt sich erhöhend auf den Auszahlungsbetrag aus.

Grundsätzlich werden alle Einkünfte, z. B. Renten, Krankengeld, Kindergeld als Einkommen auf die Sozialhilfe angerechnet. Vom Einkommen sind bestimmte Beträge abzusetzen, vor allem Steuern und Sozialversicherungsbeiträge und weitere mit der Erzielung des Einkommens verbundenen Ausgaben (sog. „bereinigtes“ Einkommen). Ferner ist ein Anteil von 30 % des bereinigten Einkommens aus selbstständiger und nichtselbstständiger Tätigkeit abzusetzen, z. B. bei geringfügigen Einkünften neben der Rente. Der Absetzungsbetrag darf die Hälfte des jeweils geltenden Eckregelsatzes nicht übersteigen (Neuregelung ab dem 1. Januar 2007). Hierbei wird davon ausgegangen, dass eine Erwerbstätigkeit einen geringeren Umfang als 3 Stunden pro Tag hat, denn bei höherer Leistungsfähigkeit würden die Betroffenen in den Leistungsbereich des SGB II (Arbeitslosengeld II) übergehen. Für Beschäftigte einer Werkstatt für Behinderte gilt eine Sonderregelung zur Berechnung des Absetzungsbetrags. Der Gesetzgeber beabsichtigte, mit der Absetzungsmöglichkeit einen Anreiz für Erwerbstätigkeit und Werkstattbeschäftigung zu schaffen.

Ausnahmen bei der Einkommensanrechnung gelten z. B. für die Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz, Erziehungsgeld, Pflegegeld der Pflegeversicherung, Opferentschädigungsrenten, Schmerzensgelder, Leistungen der Stiftung „Mutter und Kind“. Anders als Erziehungsgeld, wird seit dem 1. Januar 2007 Elterngeld angerechnet, jedoch nur der Teil, der oberhalb von 300 Euro monatlich liegt. Das Arbeitsförderungsgeld nach § 43 Satz 4 SGB IX bleibt generell anrechnungsfrei, nicht nur im Falle der stationären Eingliederungshilfe. Einzelheiten sind in der Verordnung zu § 82 SGB XII geregelt.

Die Leistungen des fünften bis neunten Kapitels SGB XII (Hilfen zur Gesundheit, Eingliederungshilfe, Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten, Hilfe in anderen Lebenslagen) sind hinsichtlich der Einkommensanrechnung privilegiert, weil ein Einkommenseinsatz in der Regel nur oberhalb eines bestimmten Betrags, der sogenannten Einkommensgrenze, verlangt wird, die jeweils individuell berechnet wird (§ 85 SGB XII).

  • Beispiel: Wenn die Einkommensgrenze im Einzelfall 1000 Euro beträgt, wird dem Hilfeempfänger in der Regel nur der Teil seines Einkommens angerechnet, der die 1000 Euro übersteigt.

Die Einkommensgrenze setzt sich zusammen aus der Summe dreier Einzelbeträge (Beispiel gültig für den Zeitraum 1. Juli 2007 bis 30. Juni 2008):

  • eines Grundbetrags in Höhe des zweifachen Eckregelsatzes: 2 mal 347 Euro = 694 Euro,
  • der angemessenen Kosten der Unterkunft; umstritten ist, ob hierzu auch die Heizkosten gehören,
  • eines Familienzuschlags in Höhe des auf volle Euro aufgerundeten Betrags von 70 % des Eckregelsatzes für den nicht getrennt lebenden Ehe- oder Lebenspartner (sowie weitere Personen nach § 85 Abs. 1 Nr. 3 SGB XII): 243 Euro.

Soweit das bereinigte Einkommen die Einkommensgrenze übersteigt, ist ein Einkommenseinsatz in angemessenem Umfang zuzumuten (§ 87 SGB XII). Bei dem Begriff des angemessenen Umfangs handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Ausgestaltung an den Besonderheiten des Einzelfalles auszurichten ist. In einigen besonderen Fällen kann auch der Einsatz des Einkommens unterhalb der Einkommensgrenze verlangt werden (§ 88 SGB XII).

Vermögensanrechnung

Verwertbares Vermögen der Betroffenen ist nach § 90 SGB-XII grundsätzlich einzusetzen, bevor Sozialhilfe einsetzt.

Einige Vermögenswerte bleiben anrechnungsfrei. Hierzu gehören insbesondere

  1. Vermögen aus öffentlichen Mitteln, das zum Sicherung einer Lebensgrundlage oder Gründung eines Hausstandes dient
  2. staatlich geförderte Altersvorsorge (z. B. Riester-Rentenverträge)
  3. Vermögen, das zur Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstücks für behinderte oder pflegebedürftige Personen dient
  4. angemessener Hausrat
  5. Gegenstände, die zur Berufsausbildung oder Berufstätigkeit notwendig sind
  6. Familien- und Erbstücke (deren Veräußerung eine besondere Härte darstellen würde)
  7. Gegenstände zur Befriedigung künstlerischer und wissenschaftlicher Bedürfnisse (soweit sie sich nicht als Luxus darstellen)
  8. ein angemessenes selbstbewohntes Hausgrundstück.

Geringe Barbeträge sind nach § 1 der Verordnung zu § 90 SGB XII ebenfalls anrechnungsfrei. Für den Haushaltsvorstand bzw. Alleinstehende 1600 € wenn sie unter 60 Jahre alt sind. Für über 60-Jährige sowie voll Erwerbsgeminderte und sind es dann 2600 €. Der gleiche Betrag gilt, soweit es um Hilfen nach den Kapiteln 5 bis 9 (den ehemaligen Hilfen in besonderen Lebenslagen) geht.

Für im Haushalt lebende Angehörige erhöhen sich diese Freibeträge (für Ehepartner um 614 € sowie je Kind um 256 €).

Die Vermögensfreibeträge bei ALG 2 liegen demgegenüber deutlich höher (§ 12 Zweites Buch Sozialgesetzbuch).

Anspruchsübergang

Eine andere Folge der Orientierung an der Bedürftigkeit und der Nachrangigkeit ist die, dass die Träger der Sozialhilfe nachforschen, ob ein Antragsteller möglicherweise Ansprüche aus Verträgen (z. B. Rückforderung von Schenkungen) sowie Schadensersatzansprüche hat, die er selbst nicht geltend macht oder nicht geltend machen will; dies kommt z. B. häufig vor, wenn Sozialhilfe für Kinder beansprucht wird und ein allein erziehender antragstellender Elternteil mit dem anderen Elternteil nicht zusammenlebt und auch keine Verbindung mehr hat. Das Gesetz gibt für solche Fälle dem Sozialhilfeträger die Befugnis, diese Ansprüche, die dem Hilfeempfänger zustehen, auf sich selbst überzuleiten (sie sich sozusagen anzueignen) und im eigenen Namen geltend zu machen (§ 93 SGB XII).

Gesetzliche Unterhaltsansprüche gehen kraft Gesetzes auf den Sozialhilfeträger über (§ 94 SGB XII). Dieser kann den Unterhalt im eigenen Namen einklagen. Will ein Anspruchsberechtigter einen solchen Anspruch selbst gegenüber dem Schuldner gerichtlich geltend machen, so muss er sich diesen vom Träger der Leistung rückübertragen lassen (§ 94 Abs. 5 SGB II). Hier lauern regelmäßig prozessuale Fallstricke bezüglich der Aktivlegitimation des Anspruchsberechtigten.

Zuständigkeit

Träger der Sozialhilfe sind für den „Normalfall“ der Sozialhilfe, der Hilfe zum Lebensunterhalt, die Landkreise, kreisfreien Städte und Sonderstatusstädte. Für bestimmte Menschen in besonderen Lebenslagen (z. B. Behinderte, die dauerhaft in Wohnheimen untergebracht sind) bestehen je nach Bundesland spezielle Zuständigkeiten von Behörden oder Trägern mit einem größeren räumlichen Zuständigkeitsbereich (beispielsweise in NRW die Landschaftsverbände).

Die Zuständigkeit der Landkreise, kreisfreien Städte und Sonderstatusstädte besteht nicht nur hinsichtlich der Verwaltung, sondern auch hinsichtlich der Finanzierung der Sozialhilfe. Daher haben die Gemeinden ein Interesse daran, dass Sozialhilfeempfänger möglichst in anderen Hilfesystemen aufgefangen werden und nicht im „letzten sozialen Netz“, der Sozialhilfe landen oder verbleiben.

Geschichte

Historisch betrachtet ist Sozialhilfe die älteste Form einer Sozialleistung und gleichzeitig diejenige, die im Laufe der Geschichte die stärksten Wandlungen durchlaufen hat. Ihre Ursprünge hat sie in der Armen- und Krankenfürsorge, die in mittelalterlichen Städten von der Kirche, den Städten selbst oder von den Handwerksorganisationen organisiert wurde. Im Zuge der industriellen Revolution, des mit ihr einhergehenden raschen Wachstums der Städte, der Entstehung der in diesem Maße vorher ungekannten Massenarmut und des zunehmend revolutionsbereiteren Proletariats wuchsen die Aufgaben der Fürsorge so stark an, dass gesetzliche Regelungen geschaffen wurden (z. B. das Preußische Armenpflegegesetz von 1842). Damit verband sich sehr schnell auch die Absicht der sozialen Kontrolle, weil erkannt wurde, dass in der Unzufriedenheit entwurzelter Armer „politischer Sprengstoff“ steckte (daher auch Otto von Bismarcks Bemühen zur Einführung der klassisch gewordenen Sozialversicherungen – der Arbeiterbewegung wurde durch Erfüllung ihrer Minimalforderungen „der Wind aus den Segeln“ genommen).

Das 1871 neu gegründete Deutsche Reich überließ diese Aufgaben den einzelnen Ländern. Eine reichsweite Regelung entstand erst zur Zeit der Weimarer Republik in Gestalt der Reichsfürsorgepflichtverordnung von 1924 und der „Reichsgrundsätze über die Voraussetzungen, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge“, ebenfalls von 1924. Einen einklagbaren Rechtsanspruch gegenüber dem Fürsorgeträger gab diese Verordnung dem Hilfebedürftigen jedoch nicht.

Das Bundesverwaltungsgericht hat am 24. Juni 1954 entschieden (BVerwGE 1, 159)[3][4], dass sich aus den Grundrechten auf Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Grundgesetz [GG]), der freien Entfaltung der Persönlichkeit und körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 GG) sowie dem Sozialstaatsgebot Art. 20 GG ein gerichtlich durchsetzbarer Rechtsanspruch des Bürgers auf soziale Fürsorge durch den Staat ergibt.

Daraufhin wurde in der Bundesrepublik Deutschland 1961 mit dem Bundessozialhilfegesetz ein einheitliches Sozialhilferecht geschaffen. Vereinheitlicht sind allerdings nur die allgemeinen Regeln; die Höhe der tatsächlich ausgezahlten Sozialhilfeleistung und viele Einzelheiten der Hilfegewährung werden von den Bundesländern bestimmt. Die Bundesländer koordinieren ihre diesbezügliche Politik dadurch, dass sie in der Regel den Empfehlungen des von den Sozialhilfebehörden und Sozialverbänden getragenen Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e. V. folgen.

Geschichte, Entwicklung in Deutschland

Bis 1880 war die Armenpflege Aufgabe der Wohngemeinden.

Mit der Versicherungsgesetzgebung des deutschen Reiches nach 1880 (Krankenversicherungs- (1883), Unfallversicherungs- (1884) sowie Invaliden- und Altersversicherungsgesetz (1889) ) ergaben sich wesentliche Entlastungen der traditionellen Armenfürsorge.

Mit dem „Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge“, Berlin, koordinieren öffentliche und freie Träger ihre Soziale Arbeit. Er ist ein eingetragener Verein, der als gemeinnützig anerkannt ist und 1880 gegründet wurde.

1924 – aus diesem Jahr stammen die Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge (RGr) und die Verordnung über die Fürsorgepflicht (RFV) der staatlichen Gemeinschaft für Einzelne – ein Begriff, der als neue staatliche Aufgabe neben den Begriff „Freie Wohlfahrtspflege“ gestellt wurde.

1962 – Das Vorläufergesetz „Bundessozialhilfegesetz“ trat am 1. Juni 1962 in Kraft.

Seit 1976 ist das Bundessozialhilfegesetz Bestandteil des Sozialgesetzbuches (SGB). Seither finden die allgemeinen Regelungen des SGB (insbesondere SGB I und SGB X) auch auf die Sozialhilfe Anwendung.

2003 – Die Grundsicherung für erwerbsgeminderte und alte Menschen wird eingeführt; zunächst als eigenes Gesetz.

2005 – Das SGB II bringt die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für bedürftige erwerbsfähige Personen. Die Sozialhilfe wird ohne eine grundlegende Strukturreform in das neu geschaffene SGB XII eingeordnet. Das Bundessozialhilfegesetz tritt außer Kraft. Die Grundsicherung wird in die Sozialhilfe integriert. Mit der Hilfe zum Lebensunterhalt und dem Arbeitslosengeld II existieren zwei Parallelsysteme zur Sicherstellung des soziokulturellen Existenzminimums.

Anspruch

Die Sozialhilfe kann als Geld-, Sach- oder auch als Dienstleistung erbracht werden. Der Regelfall ist die Geldleistung. Alle Leistungen werden nur nach dem Maßstab der Bedürftigkeit erbracht, wobei immer der gesamte Haushalt betrachtet wird, unabhängig davon, ob und wie die Haushaltsmitglieder miteinander verwandt sind (Einsatzgemeinschaft). Jedoch ist der Anspruch jeder einzelnen Person separat zu prüfen. Für den alltäglichen Lebensbedarf wird ein so genannter Regelbedarf zugrunde gelegt.

Festlegung des Regelbedarfs

Die Höhe dieses Regelbedarfs bzw. der einzelnen Regelbedarfsstufen wird nach den Festlegungen im Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz ermittelt. Jeweils zum 1. Januar erfolgt die Fortschreibung der Regelbedarfsstufen aufgrund der bundesdurchschnittlichen Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter und Dienstleistungen sowie der bundesdurchschnittlichen Entwicklung der Nettolöhne und -gehälter je beschäftigten Arbeitnehmer nach der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (Mischindex)

Der Regelbedarf ist in sechs Regelbedarfsstufen unterteilt, wodurch bei Kindern und Jugendlichen altersbedingte Unterschiede und bei erwachsenen Personen deren Anzahl im Haushalt sowie die Führung eines Haushalts berücksichtigt werden sollen.

Der monatliche Regelbedarf der Regelbedarfsstufe 1 beträgt seit dem 1. Januar 2011 364 Euro, bei der Regelbedarfsstufe sechs liegt er bei 215 Euro. Die Regelbedarfe der Sozialhilfe und des Arbeitslosengeldes II /Sozialgeldes sind gleich.

Sozialhilfe für Deutsche im Ausland

Deutsche, die im Ausland leben, können nur noch dann Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten, wenn sie sich in einer „außergewöhnlichen Notlage“ befinden und eine Rückkehr aus bestimmten Gründen nicht möglich ist (§ 24 SGB XII).

Asylsuchende; Kriegsopfer

Keine Leistungen aus dem SGB XII erhalten Personen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) oder Leistungen der Kriegsopferfürsorge§ 24 ff. Bundesversorgungsgesetz [BVG]) beziehen.

Kein Antragserfordernis

Sozialhilfe (mit Ausnahme der Grundsicherung) setzt ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen (§ 18 SGB-XII). Dieses „Bekanntwerden“ kann z. B. durch einen Telefonanruf durch den Betroffenen oder durch dritte Personen, z. B. Nachbarn, beim Sozialamt geschehen. Diese Regelung ist eine Besonderheit der Sozialhilfe und ermöglicht den Bürgern einen niederschwelligen Zugang zu Sozialhilfeleistungen. Der Sozialhilfeträger hat nach dem Bekanntwerden gemäß § 20 SGB X von Amts wegen den Sachverhalt zu ermitteln (Amtsermittlungsgrundsatz), wenn Anhaltspunkte für einen Bedarf vorliegen. Aus Beweisgründen empfiehlt es sich stets, einen förmlichen (schriftlichen) Antrag zu stellen.

Subsidiarität

Die Sozialhilfe ist subsidiär, das heißt, dass die meisten anderen Sozialleistungen ihr vorgehen und die Sozialhilfe nur als „Notbehelf“ eintritt (ultima ratio, letztes Mittel). Personen, die als Erwerbsfähige Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II) haben, erhalten keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII (§ 21 SGB XII, Parallelvorschrift § 5 Abs. 2 SGB II). Dies gilt nicht für die Leistungen nach § 67 SGB XII (Hilfen in schwierigen Lebenslagen), da die Leistungen nach § 16a SGB II (kommunale Eingliederungsleistungen) nur im Zusammenhang mit der Integration in Arbeit erbracht werden. Der ganzheitliche Ansatz des SGB XII ist weitergehend und stellt einkommensunabhängig einen eigenen Anspruch dar.

Abgrenzung zu Arbeitslosengeld II

Personen, die das Existenzminimum nicht durch Einkommen oder Einsatz von Vermögen decken können, haben keinen Anspruch auf Sozialhilfe, sondern auf Arbeitslosengeld II, wenn sie erwerbsfähig sind. Auch nichterwerbsfähige Personen, die mit ALG II-Empfängern in einer Bedarfsgemeinschaft leben, bekommen keine Sozialhilfe sondern Sozialgeld, es sei denn, sie haben Anspruch auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.

Die Abgrenzung erfolgt danach, in welchem zeitlichen Umfang der Berechtigte einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinem Arbeitsmarkt nachgehen kann und ob er zu einer Bedarfsgemeinschaft der Grundsicherung für Arbeitssuchende zählt sowie nach dem Lebensalter (ab 15 und bis 65 Jahre).

Bei einer dauerhaften Einschränkung der Leistungsfähigkeit auf weniger als drei Stunden und Vollendung des 18. Lebensjahres besteht Anspruch auf Grundsicherung bei Erwerbsminderung. Gleiches gilt bei Vollendung des 65. Lebensjahres.

Bei einer medizinisch befristeten Einschränkung auf weniger als drei Stunden pro Tag besteht Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt (Sozialhilfe). Ebenso erhält Sozialhilfe, wer unter drei Stunden täglich erwerbsfähig sein kann, aber das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und in keiner Bedarfsgemeinschaft mit einem Berechtigten auf Grundsicherung für Arbeitssuchende lebt (insb. minderjährige, behinderte Kinder in stationären Einrichtungen). Daneben erhalten besondere Personengruppen Sozialhilfe, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht oder schwer vermittelbar sind (z. B. Alkohol- und Suchtkranke).

Grundsicherung für Arbeitssuchende erhält, wer mindestens drei Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig werden kann oder mit einem Berechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, sofern dieser Angehörige nicht Anspruch auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung hat.

Das Verfahren zur Feststellung einer Erwerbsminderung und zur Bestimmung des richtigen Sozialleistungsträgers wird in § 44a SGB II (für die Grundsicherung für Arbeitssuchende; Arbeitslosengeld II) und § 45 SGB XII (für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB-XII) geregelt.

Kritik

Neuberechnung mit Einführung des Arbeitslosengeld II

Mit der Neuberechnung vor Einführung des Arbeitslosengeld II wurden Änderungen in der Berechnungsweise des Regelsatzes durchgeführt, die sich auf die Grundsicherung nach SGB XII und die Grundsicherung für Arbeitssuchende nach SGB II, eben das Arbeitslosengeld II, auswirken. In einem Artikel der Wochenzeitung DIE ZEIT wurde erläutert, wie fragwürdig diese Änderungen seien. Nach bisheriger Berechnungsweise wären 448 € als Sozialhilferegelsatz herausgekommen, nach der neuen Verfahrensweise die inzwischen allgemein bekannten 345 €. Das macht mit 103 € eine Differenz von fast genau 30 % aus. Es wird festgestellt, dass schon der Wechsel vom Durchschnittseinkommen aller Haushalte von Geringverdienern zu den Einpersonenhaushalten als Berechnungsgrundlage zu einer erheblichen Senkung des Regelsatzes führt. Außerdem erscheinen die Argumente, dass bei Geringverdienern von Ausgaben für Pelzmäntel und Maßanzüge sowie Sportboote und Segelflugzeuge ausgegangen wird, ausgesprochen seltsam. Insgesamt wird von einer klammheimlichen Senkung der Sozialhilfe gesprochen, die öffentlich hätte diskutiert werden müssen. Es wird in Zweifel gestellt, ob die Grundsicherung noch ihren grundgesetzlichen Auftrag erfüllen könnte, ein menschenwürdiges Leben zu gewährleisten.[5]

Missbrauchsdebatten

Einer Studie des WZB (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung) zufolge führte die im Zuge des technologischen Wandels seit Mitte der 1970er Jahre kontinuierlich zunehmende Arbeitslosigkeit[6] zu einer Reihe von politischen Missbrauchsdebatten mit dem Ziel, Leistungseinschränkungen oder auch Zumutbarkeits- oder Sanktionsverschärfungen den Boden zu bereiten.[7] Es wird stets der Eindruck vermittelt, es handele sich um ein Massenphänomen, obgleich valide Zahlen fehlen.

Vorliegende Zahlen und Daten weisen jedoch darauf hin, dass der „Missbrauch“ jedenfalls nicht als Massenphänomen angesehen wird. So werden zum Beispiel infolge der neuerlichen Sanktionsverschärfung im Zuge des SGB II-Fortentwicklungsgesetzes (BT-Drucksache 16/1410[8]) Einsparungen in Höhe von ca. 20 Millionen Euro jährlich erwartet, also ein im Verhältnis zu den Gesamtaufwendungen[9] mehr als marginaler Betrag.[10]

Der in der Berichterstattung der Medien zu Unrecht als „Missbrauch“ dargestellte Fall des „Florida-Rolf“ schrieb Rechtsgeschichte: „Die Bundesregierung durch die zuständige Ministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung“ sah sich veranlasst, „in einer beispiellosen Blitzaktion innerhalb Wochenfrist im Bundestag einen Gesetzentwurf zur Änderung des § 119 BSGH einzubringen.“[11]

Die Verbleibedauer in Sozialhilfebezug ist nicht so hoch wie oft angenommen: „Von 100 Einsteigern in die Sozialhilfe sind nach einem Jahr 59, nach drei Jahren 78 und nach fünf Jahren 83 wieder ausgeschieden“ (Gebauer, R.: Wer sitzt in der Armutsfalle?, 2002, S. 20)

Sozialleistungsbetrug

Der unrechtmäßige Bezug von staatlichen Leistungen (Arbeitslosengeld I und II, Sozialhilfe) wird umgangssprachlich Sozialhilfebetrug genannt.

Genaue Zahlen sind nicht ermittelbar. Dies liegt zum einen an der Vielzahl der Leistungsformen, als auch an uneinheitlichen Meldeverfahren bei zu Unrecht erbrachten Leistungen. Oftmals werden Schäden, die durch vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten verursacht wurden, durch Aufrechnung mit zukünftigen Leistungen oder Erstattung „geheilt“. Nur in einem kleineren Teil der Fälle kommt es zu Gerichtsverfahren.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Gesetzestext des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch SGB XII.
  2. § 35 Abs. 2 Satz 2 SGB XII in der Fassung der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2007 BGBl I, S. 2670
  3. Zur Entwicklung der Rechtsprechung vgl. Prof. Dr. Volker Neumann, Menschenwürde und Existenzminimum, Seite 3 f. (PDF-Datei; 95 KB)
  4. BVerfGE 82, 60, 85 = Rdnr. 104 ff. in BVerfGE 82, 60 – Steuerfreies Existenzminimum (der sogenannte Kindergeld-Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes)
  5. Marie-Luise Hauch-Fleck: Wie aus mehr weniger wird / Die Bundesregierung benutzt Hartz IV, um klammheimlich die Sozialhilfe zu senken, DIE ZEIT (Nr. 52/2004) 16. Dezember 2004
  6. Vgl. Werner Bührer: Wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik, in: Informationen zur politischen Bildung, Heft 270: Deutschland in den 70er/80er Jahren, 2001
  7. Frank Oschmiansky: Faule Arbeitslose? Zur Debatte über Arbeitsunwilligkeit und Leistungsmissbrauch, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (Bundeszentrale für politische Bildung), 2003
  8. BT-Drucksache 16/1410 (PDF-Datei)
  9. Statistisches Bundesamt: Ausgaben der Sozialhilfe
  10. Uwe-Dietmar Berlit (Vortrag auf der Fachtagung „Netzwerk SGB II“): Sanktionen – sozialrechtliche Vorgaben, Leipzig, 3. Mai 2006 (PDF-Datei; ca. 136 kB)
  11. Wörtliches Zitat aus: Albrecht Brühl: Florida-Rolf, Viagra-Kalle und Yacht-Hans abgedruckt in: info also 1/2004

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