Sozialpartnerschaft

Sozialpartnerschaft

Der Begriff Sozialpartnerschaft bezeichnet ein kooperatives Verhältnis von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden (Sozialpartner) mit dem Ziel, Interessengegensätze durch Konsenspolitik zu lösen und offene Konflikte einzudämmen. In der Nachkriegszeit galt die österreichische Sozialpartnerschaft als ein Musterbeispiel für die Beziehungen zwischen Unternehmern und Gewerkschaften. In der Schweiz wurde mit dem Arbeitsfrieden schon vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ein Instrument des Interessenausgleichs geschaffen. In Deutschland wurde die Sozialpartnerschaft zwiespältiger beurteilt. Sie war zunächst eher eine Zielvorstellung sozial engagierter Kreise (Sozialtheologen, christliche Unternehmer, sozialliberale Politiker und Wissenschaftler), der erst allmählich die Praxis folgte.

Inhaltsverzeichnis

Das österreichische Modell der Sozialpartnerschaft

In Österreich steht der Begriff der Sozialpartnerschaft für den Neo-Korporatismus. Sie ist ein informelles Modell der politischen Entscheidungsfindung unter Einbeziehung gesellschaftlicher Interessenvertretungen (z.B. Industriellenvereinigungen oder auch Gewerkschaften). Sie dient der außerparlamentarischen Konsensbildung in Bezug auf Wirtschafts- und Sozialthemen.

Diese Form der Zusammenarbeit bildete sich in Österreich in den 60er und 70er Jahren zu einem Instrument des Dialoges heraus, das sich nicht nur auf die unmittelbaren Themen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beschränkt, sondern alle Wirtschafts- und Sozialbereiche einbindet. Ein Instrument der Sozialpartnerschaft ist die Paritätische Kommission für Preis- und Lohnfragen. Auch für den parlamentarischen Bereich machten die Sozialpartner ihre Vorschläge.

Das System der Sozialpartnerschaft war Ende des 20. Jahrhunderts nicht unwesentlich für den Ruf Österreichs als Insel der Seligen verantwortlich, auf der Streikzeiten in Sekunden pro Jahr gemessen wurden.

Der Einfluss der Sozialpartnerschaft auf wirtschaftspolitische Entwicklungen ist in den letzten Jahren auf Grund der wirtschaftlichen Gegebenheiten, gesellschaftlichen Wandels und durch vermehrten politischen Druck gesunken. Sie findet aber innerhalb der österreichischen Bevölkerung nach wie vor breite Zustimmung.

In Österreich wird die Sozialpartnerschaft gebildet aus:

Kritik an der österreichischen Sozialpartnerschaft

Aufgrund des vorparlamentarischen, nicht-öffentlichen Entscheidungsfindungscharakters der Sozialpartnerschaft und des ihr wegen der parteipolitischen Färbung der Interessenvertretungen innewohnenden Proporzprinzips („The winner does not take it all.“, engl. „Der Gewinner bekommt nicht alles.“) wurde die Sozialpartnerschaft sowohl vom linken (Grüne, KPÖ, Schriftsteller wie Robert Menasse) als auch von den politisch rechten Lagern (FPÖ, BZÖ – allen voran Jörg Haider) ab Mitte der 80er Jahre vermehrt als undemokratisch und untransparent kritisiert.

Die Kritiker sahen in der Sozialpartnerschaft eine Art „Kuhhandel“ mit teils undemokratisch gewählten Vertretern der Interessensgruppen, der den Prozess der politischen Konfrontation abtöte, keine Opposition zulasse und die Diskussion im österreichischen Parlament zu einem konfliktlosen Proformaakt verkommen lasse. Schließlich begründete sich die Kritik nicht zuletzt auf die Tatsache, dass das kommunistische, grüne und freiheitliche Lager vom Prozess der Sozialpartnerschaft weitestgehend ausgeschlossen waren und auch noch bis heute sind (die Interessenvertretungen werden von den großen Lagern der Mitte besetzt). So kam es auch dazu, dass die Sozialpartnerschaft mit der Regierungsbeteiligung der FPÖ massiv an Bedeutung verlor. Dennoch erachten heute immer noch viele Österreicher die Sozialpartnerschaft als positive Institution, trotz ihrer erheblichen Legitimations- und Transparenzdefizite.

Ebenso wird bis heute der Sozialpartnerschaft von der Linken vorgeworfen, dass sie das Aufkommen einer „Streikkultur“ bzw. eines Streikbewusstseins in Österreich verhindert habe. Der Konsens zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretung und den beiden großen politischen Lagern (SPÖ/ÖVP) habe das Klassenkampfbewusstsein untergraben.

Sozialpartnerschaft in der Schweiz

Wie eingangs erwähnt, wurde in der Schweiz schon 1937 im Lichte der faschistischen Bedrohung mit dem Friedensabkommen in der Metall- und Maschinenindustrie eine Einigung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerkreisen erzielt, mit dem jegliche Kampfmaßnahmen verboten und Mechanismen für die Lösung von Lohnkonflikten eingerichtet wurden. Mit der Annäherung der Sozialpartner im Arbeitsbereich ging die Wandlung der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz von der klassenkämpferisch-oppositionellen zur reformistischen Partei einher, indem sie den bestehenden Staat bejahte (1935) und sich zur militärischen Landesverteidigung bekannte (1937). Das Friedensabkommen war der Grundstein für eine goldene Ära der Schweizer Maschinenindustrie und hat die Prosperität der Schweizer Wirtschaft in der Nachkriegszeit begünstigt.

In der heutigen Sozialpartnerschaft schweizerischer Ausprägung bedeutet der Begriff die Einigung der Sozialpartner im Rahmen von Gesamtarbeitsverträgen (Tarifverträgen). Die Sozialpartner genießen bei deren Ausarbeitung große Autonomie; der Staat tritt lediglich als Schlichter auf. Doch auch in der Schweiz befindet sich das konsensorientierte Modell auf dem Rückzug. Der Verzicht auf Kampfmaßnahmen wird von den Sozialpartnern zunehmend als Schwächung der je eigenen Position wahrgenommen.

Sozialpartnerschaft in Deutschland

In Deutschland wird der Begriff Sozialpartner für die Tarifvertragsparteien – Gewerkschaften auf der einen und Arbeitgeberverbände auf der anderen Seite – verwendet. Als „soziale Partnerschaft“ wird die Kooperation zwischen ihnen bei der gemeinsamen Regelung von Lohn- und Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge bezeichnet. „Dieser Sprachgebrauch wird jedoch durchaus nicht allgemein akzeptiert.“ Kritiker halten ihn für „eine beschönigende Floskel“,[1] da beide Organisationen konfligierende Interessen vertreten. Sie bevorzugen als pointierten Gegenbegriff den der „antagonistischen Kooperation“[2] oder der „Konfliktpartnerschaft“.[3]

Sozialpartnerschaft und Soziale Marktwirtschaft

Eduard Gaugler zufolge enthält das Konzept der Sozialpartnerschaft „Prinzipien der Katholischen Soziallehre (Gemeinwohlorientierung, Person-, Solidaritäts- und Subsidiaritätsprinzip) und ist eng mit den Strukturelementen einer freiheitlichen Wirtschaft- und Gesellschaftsordnung sowie der sozialen Marktwirtschaft verbunden.“[4] Der Arbeitsrechtler und Publizist Bernd Rüthers vertritt die These: „Soziale Marktwirtschaft und Sozialpartnerschaft gehören zusammen. Das eine ist eine notwendige Grundlage des anderen.“[5]

In einem gemeinsamen Internet-Portal[6] stellen sich der Bundesarbeitgeberverband der chemischen Industrie und die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie als Chemie-Sozialpartner vor, die sich in einer Sozialpartner-Vereinbarung zum „verantwortlichen Handeln in der Sozialen Marktwirtschaft“ bekennen.[7] und in der Folge eine Sozialpartner-Akademie zur Weiterbildung auf den Feldern demographischer Wandel, Wirtschaftsethik und berufliche Weiterbildung gegründet haben.[8]

Europäische Sozialpartner

Die europäischen Sozialpartner sind Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften. Zu den europäischen Sozialpartnern gehören BUSINESSEUROPE (ehemals UNICE), der Europäische Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft (CEEP) und/oder UEAPME als Dachverband des Handwerks und kleiner und mittlerer Unternehmen sowie der Europäische Gewerkschaftsbund.[9]

Die europäischen Sozialpartner verfügen über Anhörungsrechte bezüglich der Sozialpolitik der Europäischen Union. So sieht Art. 146 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) (ehemals Art. 126 Abs. 2 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV)) vor, dass bezüglich der Förderung der Beschäftigung „die einzelstaatlichen Gepflogenheiten in Bezug auf die Verantwortung der Sozialpartner berücksichtigt werden“. Nach Art. 150 AEUV hört der Beschäftigungsausschuss bei der Erfüllung seines Auftrags die Sozialpartner. Überdies können die Mitgliedstaaten den Sozialpartnern gemäß Art. 153 Abs. 3 AEUV auch die Umsetzung von Mindeststandard-Richtlinien nach Art. 153 Abs. 2 lit.b AEUV übertragen. Nach Art. 154 AEUV hat die Kommission die Aufgabe, die Anhörung der Sozialpartner auf Gemeinschaftsebene zu fördern. So sehen Art. 154, Art. 155 und Art. 160 AEUV einen Dialog der Sozialpartner auf europäischer Ebene unter Einbeziehung der Kommission vor.

Im sozialen Dialog kommt gemäß Art. 155 AEUV (ehemals Art. 139 EGV) den Spitzenverbänden der Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein wesentlicher gestalterischer Einfluss auf die Europäische Sozialpolitik zu. Diese Form des Einflusses wird auch als Korporatismus aufgefasst.[10]

Siehe auch

Europäischer Sozialdialog

Literatur

  • Clemens Jesenitschnig: Gerhard Lehmbruch – Wissenschaftler und Werk. Eine kritische Würdigung. Tectum, Marburg 2010, ISBN 978-3-8288-2509-3, Kap. 4 (zur Entwicklung der sozialwissenschaftlichen Analyse der österreichischen Sozialpartnerschaft in vergleichender Perspektive)
  • Alfred Klose: Ein Weg zur Sozialpartnerschaft. Das österreichische Modell, Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1970
  • Herbert Pribyl, Sozialpartnerschaft in Österreich, 1991
  • Birger P. Priddat: Leistungsfähigkeit der Sozialpartnerschaft in der Sozialen Marktwirtschaft. Mitbestimmung und Kooperation. Metropolis, Marburg 2011.
  • Ernst Wimmer: Sozialpartnerschaft aus marxistischer Sicht KPÖ, Globus Verlag Wien 1979
  • Petra Weber: Gescheiterte Sozialpartnerschaft – Gefährdete Republik? Industrielle Beziehungen, Arbeitskämpfe und der Sozialstaat. Deutschland und Frankreich im Vergleich (1918-1933/39). Oldenbourg, München 2010 ISBN 978-3486592146

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Horst Sanmann: Sozialpartner. In: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft, 7.Band, Stuttgart 1977, S. 52.
  2. Gerhard Himmelmann: Tarifautonomie. In: Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik.online
  3. Walther Müller-Jentsch (Hrsg): Konfliktpartnerschaft. Akteure und Institutionen industrieller Beziehungen. 3. Auflage, Rainer Hampp Verlag, München/Mering 1999, S. 8 ff.
  4. Eduard Gaugler: Sozialpartnerschaft. In: Lexikon der Wirtschaftsethik, Herder, Freiburg 1993, S. 991.
  5. Bernd Rüthers: Vom Wert der Sozialpartnerschaft. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6. Januar 2011
  6. http://www.chemie-sozialpartner.de/
  7. http://www.chemie-sozialpartner.de/vereinbarungen/soziale-marktwirtschaft/
  8. Chemie-Stiftung Sozialpartner-Akademie
  9. Siehe z.B. http://www.bildungsspiegel.de/aktuelles/eu-arbeitsmaerkte-kommission-und-sozialpartner-vereinbaren-enge-zusammenarbeit.html?Itemid=262, http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/07/569&format=HTML&aged=0&language=DE&guiLanguage=en
  10. Holger Huget: Demokratisierung der EU: Normative Demokratietheorie und Governance-praxis im europäischen Mehrebenensystem, VS Verlag, 2007, ISBN 3531152955, 9783531152950. Darin: Kapitel „Multi-level governance“, S. 241 ff.
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