Spezische Immuntherapie

Spezische Immuntherapie

Mit einer Hyposensibilisierung (auch Allergieimpfung oder Spezifische Immuntherapie genannt) soll die eigentlich unnötige, überschießende Reaktion des Immunsystems auf ein Allergen reduziert werden. Die veraltete Bezeichnung Desensibilisierung ist irreführend, da beim Patienten die Sensibilisierung auf das Allergen erhalten bleibt, die Reaktion des Immunsystems aber ausbleibt bzw. nur bei sehr starker Allergenbelastung auftritt. Ein Erfolg der Therapie ist an der Verringerung der Beschwerden zu erkennen, im besten Fall treten diese gar nicht mehr auf.

Inhaltsverzeichnis

Anwendung

Die Hyposensibilisierung ist eine antigen-spezifische Therapie bei IgE-vermittelten Typ-I-Allergien. Sie wird durchgeführt bei allergischen Beschwerden wie der saisonalen allergischen Rhinitis (dem sogenannten Heuschnupfen) und bei leichtem und mittlerem allergischen Asthma gegenüber Gräserpollen (Roggenpollen), Birkenpollen (Haselpollen, Erlenpollen), Beifußpollen, Hausstaubmilben, sowie evtl. Tierhaaren und Schimmelpilzen. Bei Insektengiftallergien gegenüber Bienengift oder Wespengift ist die Hyposensibilisierungstherapie oft lebensrettend und daher unbedingt zu empfehlen.

Es gibt verschiedene Therapieformen:

  • Subkutane Immuntherapie (SCIT) - die Allergene werden subkutan vom spezialisierten Facharzt (Allergologe) unter die Haut gespritzt. Dabei liegen die Allergene entweder in wässriger Lösung vor (vor allem bei Insektengiftallergenen) oder sind an einen Depotträger (L-Tyrosin, Aluminiumhydroxid, Calziumphosphat) gebunden. Die Dosis wird am Anfang gesteigert und die Therapie wird nach Erreichen der Erhaltungsdosis in regelmäßigen Abständen (4-6 Wochen) fortgeführt, damit sich das Immunsystem an das Allergen gewöhnen und die Bildung von Antikörpern reguliert werden kann. Diese Therapieform wird bisher (2007) als Goldstandard bezeichnet.
  • Sublinguale Immuntherapie (SLIT) - die Allergene werden über die Mundschleimhaut aufgenommen. Die Zuführung erfolgt über Tropfen oder Schmelztabletten. Im Unterschied zur SCIT müssen die Allergene täglich genommen werden. Der Vorteil liegt in der einfachen Einnahme zu Hause.
  • weitere Therapieverfahren sind in der Erforschung oder haben sich in Deutschland nicht durchgesetzt (z.B. Nasale Hyposensibilisierung).
  • Die Anwendung in der Veterinärmedizin (u. a. Katze, Hund, Pferd) ist möglich und beruht auf den gleichen Therapieansätzen.

Wirkungsmechanismus

Allergien werden über Immunglobuline der Klasse E (IgE) vermittelt. Man nimmt an, dass IgE prinzipiell eher für die Abwehr von Parasiten geeignet ist. IgE bindet an den hochaffinen IgE-Rezeptor, der sich unter anderem auf Mastzellen befindet. Das Allergen kann dann über den Rezeptor-Antikörperkomplex an die Mastzellen binden und diese durch Rezeptorquervernetzung aktivieren. Dies führt zur Freisetzung von Histamin und anderen Zytokinen und proinflammatorischen Substanzen.

Durch die langsam in der Dosis ansteigende und wiederholte Exposition mit dem Allergen hofft man, einen sog. Isotypenswitch in den Antikörper-produzierenden B-Zellen zu erreichen. IgE ist ein Isotyp; der Switch soll zum IgG führen. Der IgG-Klasse gehören die meisten im Blut nachweisbaren Antikörper an; bindet es sein Epitop, wird eine zellvermittelte Aktivität des Immunsystems induziert, wie sie für die Abwehr von Bakterien üblich ist. (z. B. Eliminierung durch „Auffressen“, siehe Makrophagen)

Auf diese Weise werden die Allergene einerseits bereits erkannt und abgeräumt, bevor sie IgE binden können und zu allergischen Beschwerden führen; und andererseits werden zu Gunsten der entsprechenden IgG weniger IgE-Antikörper produziert.

Bei der natürlichen Exposition nimmt der Allergiker das Allergen in unregelmäßigen und vergleichbar niedrigen Dosen auf. Die Wirkung der Hyposensibilisierung liegt am stetigem Einwirken hoher Dosen auf das Immunsystem. Es lernt, dass das Allergen "ungefährlich" ist. In der Steigerungsphase wird das Allergen aufdosiert, bis die (individuelle) Höchstdosis erreicht ist. Anschließend wird diese Dosis täglich (SLIT) oder monatlich (SCIT) weiter verabreicht.

Zahlreiche Studien zur klinischen Wirksamkeit bei allergischer Rhinokonjunktivitis (allergischer Schnupfen mit Beteiligung der Augen) zeigen eine Reduktion der Beschwerden bzw. des Medikamentenverbrauchs um 45 %. Die Mehrheit der Studien wurde mit Erwachsenen durchgeführt, wobei davon auszugehen ist, dass bei Kindern die Erfolgsaussichten eher höher als niedriger sind.[1] Bisher liegen aber trotz umfangreicher Studien und zum Teil langen Beobachtungszeiträumen keine Hinweise vor, dass die sublinguale Therapie im Kindesalter deutlich wirksam ist. Diese betrifft insbesondere die Hausstaubmilben-SLIT. Hier ist die bisherige konventionelle SIT durch Spritzen einer entsprechenden Allergenlösung unter die Haut der SLIT eindeutig überlegen (und auch erheblich billiger). Deshalb empfiehlt die deutsche Leitlinie SLIT bei Kindern derzeit nicht generell.[2]

Risiken

Starke Rötung nach Allergen-Injektion

Die Hyposensibilisierung birgt prinzipiell ein Behandlungsrisiko, da die Wirkungsweise darin besteht, den Patienten bewusst der allergieauslösenden Substanz auszusetzen.

Bei der subkutanen Hyposensibilisierung ist eine Lokalreaktion möglich, die sich durch wenige Tage währendes (starkes) Anschwellen der weiteren Injektionsregion und die Bildung von Quaddeln äußert. Beide Reaktionen sind jedoch weniger gefährlich und können durch Gabe entzündungshemmender Substanzen oder Antihistaminika abgeschwächt werden. Weitere Nebenwirkungen können in einer allergischen Reaktion auf das Allergen in ihrer jeweiligen Form bestehen, z. B. Atemnot, Asthma-Anfälle, Niesanfälle, starker Juckreiz.

Selten ist der gefährliche allergische Schock. Bei einer falschen Dosierung, mangelhafter Injektionstechnik oder – selten – ohne erkennbaren Grund besteht die Gefahr dieses allergischen Schocks. Um dieser Gefahr begegnen zu können, erfolgt die ambulante Hyposensibilisierung in der Weise, dass der Patient nach der Injektion des Allergens für mindestens 30 Minuten unter ärztlicher Aufsicht verbleibt. Im Falle eines allergischen Schocks können dann vom speziell ausgebildeten Arzt rettende Gegenmaßnahmen eingeleitet werden.

Bei der sublingualen Hyposensibilisierung über Tabletten oder Tropfen sollen gefährliche systemische Komplikationen noch seltener auftreten. Systemische Reaktionen wurden beispielsweise bei dem Präparat GRAZAX bisher nur bei Einnahme der ersten Tablette beobachtet[3]. Lokale Nebenwirkungen sind allerdings vor allem in den ersten Tagen der Behandlung häufig: Es kann häufig kurzfristig zum Jucken, Brennen oder Anschwellen der Lippen bzw. der Schleimhäute im Mund-, Rachen und Halsbereich kommen. Da sich im Mundraum und auf den Lippen nicht selten kleinste Wunden oder Risse befinden, können die Allergene, wenn sie mit diesen in Berührung kommen, zu vorübergehenden Quaddeln bzw. einer leichten Anschwellung der Lippe führen. Bei Asthmatikern können Asthma-Anfälle auftreten.

Behandlungsdauer

Die Gesamtdauer der Therapie wird in der Regel mit 3 (bis 5) Jahren angegeben. Bei Insektengiftallergien wird teilweise eine lebenslange Therapie empfohlen. Die Behandlung teilt sich auf in eine Steigerungsphase, um das Immunsystem langsam an die hohen Allergendosen zu gewöhnen und eine anschließende Erhaltungsphase, der eigentlichen Therapiezeit.

Steigerungsphase

  • Bei wässrigen Präparaten (nur Insektengifte) sind sehr viele Injektionen (2–3 × pro Woche, bis zu 16 Wochen) bis zur Höchstdosis notwendig, da die Allergene in ihrer ursprünglichen, nativen Form verabreicht werden.
  • Bei Depot-Präparaten werden die Allergene an einen Depotträger (L-Tyrosin, Aluminiumhydroxid, Calziumphosphat) gebunden. Dieser ermöglicht eine gleichmäßige Freisetzung des Allergens über einen längeren Zeitraum. Dabei unterscheidet man einerseits native Präparate, die mit wöchentlichen Injektionen innerhalb von 5 bis 15 Wochen verabreicht werden. Andererseits werden Allergoide, d. h. chemisch veränderte Allergene eingesetzt. Durch Einwirkung von Glutaraldehyd oder Formaldehyd werden die Proteinstrukturen der Allergene so verändert, dass die allergieauslösenden Bestandteile vom Immunsystem nicht erkannt werden und die Steigerungsphase sich auf 3–7 Wochen verkürzt.
  • Bei Cluster- oder Ultra-Rush-Therapien werden mehrere Injektionen an einem Tag verabreicht, um die Steigerungsphase noch einmal zu verkürzen. Besonders etabliert hat sich diese Form bei der stationären Einstellung von Insektengiftallergikern. Der Krankenhausaufenthalt kann sich von 7 Tagen auf 2–3 Tage verkürzen.
  • Bei der SLIT werden die Dosen täglich gesteigert. Einige Behandlungsformen (z. B. Tablette) kommen ganz ohne Steigerungsphase aus und beginnen gleich mit der vollen Dosis.

Erhaltungsphase

  • Bei den injektablen Therapien mit Milben und Tierepithelien wird in der Regel einen Therapiezyklus von 4 bis 6 (8) Wochen eingehalten. Die Therapie wird durchgängig über 3 (bis 5) Jahre durchgeführt.
  • Bei Pollenallergikern wird die Therapie oft während der Pollenflugzeit unterbrochen. Man spricht dann von der präsaisonalen- oder Kurzzeit-Therapie. Nach dem Pollenflug wird die Therapie wieder von vorn begonnen. Hierbei haben Allergoide den Vorteil, dass durch die kürzere Steigerungsphase eine längere Therapiephase möglich ist.
  • Ein neuer Ansatz ist die Verkürzung der Gesamttherapie auf 4 Injektionen durch Zusatz eines Adjuvans. Durch bakterielle Komponenten (MPL) oder DNA-Bestandteile (CpG-Fragmente) wird das Immunsystem zusätzlich zielgerichtet stimuliert.
  • Bei der SLIT wird in der Erhaltungsphase das Allergen weiterhin täglich eingenommen, da kein Depot angelegt wird.

Alternativen

Falls die Durchführung einer Hyposensibilisierung nicht möglich ist (z. B. wegen individuell vorliegendem, nicht zu tolerierendem erhöhtem Risiko eines allergischen Schocks), verbleiben im Wesentlichen folgende Möglichkeiten:

  • Symptomdämpfende Behandlung mit Antihistaminika, die in Zeiten starker Allergenbelastung vom Patienten dauerhaft eingenommen werden können.
  • Die Behandlung mit Cortison (Glucokortikosteroiden) stellt die effektivste Pharmakotherapie dar, die derzeit verfügbar ist. Die nasale Obstruktion (vor allem bei der Hausstaubmilbenallergie) ist in der Thearapie mit Kortikoiden besser beeinflussbar als mit Antihistaminika. Zuerst sind die topischen Kortikoide (Cortison) zu nennen; sie wirken nur auf die Nasen- bzw. Bronchialschleimhaut. Systemische Effekte der topischen Kortikoide, d. h. den ganzen Körper betreffende Effekte, sind extrem selten. Ältere topische Kortikoide wie Budesonid und Flunisolid weisen bereits eine hohe Sicherheit auf, wobei auf die ganz alten topischen Kortikoide vor allem bei Kindern verzichtet werden sollte, wie z. B. Beclometason. Neue topische Kortikoide wie Fluticason und Mometason weisen eine höhere Wirksamkeit bei gleichzeitiger geringerer Bioverfügbarkeit (ganzer Körper vor allem Nebennierenrinde betreffend) auf.
  • Systemisch wirkende Glucokortikoide (Cortisonabkömmlinge) sind manchmal zu Beginn einer Therapie sinnvoll, wobei die orale Gabe wegen der besseren Dosiskontrolle der Depotspritze Cortison in den Muskel (intramuskulär) vorzuziehen ist. Außerdem stört die kontinuierliche Abgabe aus dem Depot die physiologische Tagesrhythmik des Cortisonsspiegels. Des Weiteren bietet die intramuskuläre Spritze das Risiko des Muskelschwunds (Atrophie). Vor allem bei längerer Behandlung weisen beide systemische Behandlungsmethoden ein deutliches Nebenwirkungsprofil auf! Beispielsweise zählen Wasseransammlungen im Körper oder das sogenannte „Mondgesicht“ zu den nichtlokalen Nebenwirkungen. Deswegen ist eine Behandlung mit einem systemischen Glucokortikoid begrenzt und besonders genau zu beobachten, während die topische nasale wie auch bronchiale Behandlung mit Kortikoiden nebenwirkungsarm und sicher ist.
  • Sicherlich nur selten möglich ist der Umzug in eine Region, die eine andere Flora und damit ein anderes Pollenspektrum oder gar ein ganz anderes Klima aufweist (Wohnort über 1200 m, südliche, trockene Gegenden).
  • Falls man das Allergen überhaupt meiden kann: Veränderung der Lebensumstände mit dem Ziel, dem Allergen nach Möglichkeit auszuweichen.

Einzelnachweise

  1. Die spezifische Immuntherapie (Hyposensibilisierung) bei IgE-vermittelten allergischen Erkrankungen. Allergo J 2006, 15, 56–74.
  2. Trend zu höherer Dosierung und schneller Auftitrierung.Allergo J 2007, 16, 1–2.
  3. SICHERHEITSHINWEISE für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit GRAZAX, ALK-Abelló Allergie-Service GmbH

Literatur

  • Johannes Ring: Angewandte Allergologie. 3., neu bearb. Auflage. Urban und Vogel, München 2007, ISBN 3-89935-128-2
  • Janeway, Travers: Immunobiology in Health and Disease. 6. Auflage. Garland Science, 2005.

Weblinks

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