Spitzkehre (Eisenbahn)

Spitzkehre (Eisenbahn)

Eine Spitzkehre ist eine Bahnanlage, die dazu dient, unter möglichst geringem technischen Aufwand und Platzverbrauch einen Höhenunterschied zu überwinden. Sie besteht aus mindestens einem Stumpfgleis, in das zwei Gleise einer meist steigungsreichen Eisenbahnstrecke über eine Weiche zusammenlaufen. Im Stumpfgleis nimmt der Zug einen Fahrtrichtungswechsel vor. Dient eine solche Spitzkehre zugleich als Kopfbahnhof, spricht man auch von einem Spitzkehrenbahnhof.

Doppelspitzkehre in den Blue Mountains bei Lithgow (Australien) um 1900
Spitzkehre der Halligbahn Lüttmoorsiel–Nordstrandischmoor auf dem Außendeich des Festlands

Inhaltsverzeichnis

Bau

Spitzkehren werden angelegt, wenn es auf Grund der Topologie der Strecke nicht möglich oder zu teuer ist, den Höhenunterschied mit Kehrschleifen oder Kehrtunneln zu überwinden. Spitzkehren stellen die einfachste Bauform dar, mit der eine Eisenbahnlinie durch Wegverlängerung eine Steigung überwinden kann. Folgen mehrere Spitzkehren nacheinander, kann eine Eisenbahnstrecke im Zick-Zack (Sägezahnfahrt) auch große Höhenunterschiede bewältigen.

Betrieb

Die Änderung der Fahrtrichtung kann bei aus einzelnen Wagen gebildeten Zügen durch Lokwechsel oder Umsetzen der Lok über ein zweites Gleis erfolgen. Alternativ wird der Zug geschoben werden, um gegebenenfalls nach einer weiteren Spitzkehre – oder nach umsetzen der Lok im nächsten Bahnhof – wieder gezogen zu werden. Spitzkehren behindern jedoch – wie auch Kopfbahnhöfe – durch den Fahrtrichtungswechsel Betrieb und Kapazität einer Strecke. Deshalb findet man sie heute nur noch auf wenig befahrenen Strecken. Teilweise war die Spitzkehre aber auch gewünscht: An manchen Steilstrecken musste die Lok aus Gründen der Sicherheit an die Talseite des Zuges umgesetzt werden. Mit einem Spitzkehrenbahnhof auf dem Bergrücken ließ sich beispielsweise diese Rangierfahrt einsparen.

Durch den heutigen Einsatz von Wendezügen oder Triebwagen entfällt der Nachteil, eine Lok umsetzen zu müssen. So wird beispielsweise im Spitzkehrenbahnhof Lauscha nur noch ein Aufenthalt von drei Minuten eingeplant. Im Bahnhof Michaelstein wird mit zwei Lokomotiven (je eine vorne und hinten) der Halt verkürzt.

Vergleich Spitzkehre – Kehrtunnel / Kreiskehrviadukt

Im Bau sind Kehrtunnel, Kreiskehrtunnel (auch Spiraltunnel genannt) oder Kreiskehrviadukte um vieles teurer als eine Spitzkehre. Sie können aber erheblich einfacher, ohne Zeitverlust betrieben werden, weil die Fahrtrichtung nicht gewechselt werden muss. Daher sind Spitzkehren zur Überwindung von Höhenunterschieden nicht so verbreitet wie die beiden anderen Methoden zur Höhenüberwindung.

Spitzkehren nach Staat

Europa

Deutschland, Spitzkehrenbahnhöfe in Betrieb

Spitzkehren der Abraumbahn am südlichen Rand der Grube Messel
Baden-Württemberg
  • Stuttgart Hauptbahnhof. Normalerweise als Kopfbahnhof bezeichnet, liegt er so, dass eine der drei Zulaufstrecken mit 1:100 abfällt (nach Bad Cannstatt), während die beiden anderen (nach Vaihingen und Feuerbach) mit 1:52 beziehungsweise 1:80 ansteigen. Es wäre ohne Überschreitung der zulässigen Steigungswerte nicht möglich, für den Durchgangsverkehr Verbindungskurven von Bad Cannstatt nach Feuerbach oder Vaihingen anzulegen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Stuttgart Hbf von allen anderen großen Kopfbahnhöfen Deutschlands. Die extremen Kosten und aufwändigen Tunnelbauten des Projekts Stuttgart 21 sind die logische Konsequenz.
Bayern
Nordrhein-Westfalen
  • Pfannenberg bei Neunkirchen-Salchendorf, Güterverkehr der Kreisbahn Siegen-Wittgenstein zu den Schäfer-Werken, ehemals Strecke der Freien Grunder Eisenbahn zur Grube Pfannenberger Einigkeit
Sachsen-Anhalt
Schleswig-Holstein
Thüringen

Deutschland, Spitzkehrenbahnhöfe außer Betrieb

Baden-Württemberg
Bayern
Hessen
Nordrhein-Westfalen
Thüringen

Schweiz

Spitzkehrenbahnhöfe in Betrieb

Ehemalige Spitzkehren in der Schweiz

  • Vallorbe: Kopfbahnhof mit Spitzkehre (bis 1915)
  • Lenzburg: Spitzkehre für die Züge (Luzern - Beinwil - ) Lenzburg Bahnhof - Lenzburg Spitzkehre - Lenzburg Stadt ( - Wildegg). Abgebaut 2005

Dänemark

Italien

  • Beim Bau der Grödnerbahn in Südtirol (KlausenPlan, 1915–1916) wurde in St. Christina eine Spitzkehre angelegt. Die endgültige Trasse sah hier einen Kehrtunnel vor. Mit der Spitzkehre konnte die Bahn vor der Fertigstellung des Kehrtunnels in Betrieb genommen werden. Nach Fertigstellung des Tunnels wurde die Spitzkehre wieder abgebaut.
  • Zwischen den Bahnhöfen Palau und Palau Marina an der Bahnstrecke Sassari–Palau befindet sich eine Spitzkehre, nicht zum Höhengewinn sondern zum Höhenverlust (um das Meeresniveau zu erreichen).
  • Auf der Bahnstrecke Menaggio–Porlezza zwischen den Bahnhöfen Menaggio und Grandola.

Schweden

Slowakei

  • Waldeisenbahn mit historischen Spitzkehren (Waldbahn Vychylovka, Abk. HLÚŽ), mit fünf Spitzkehren
  • Der Bahnhof Tisovec auf der Bahnstrecke Jesenské–Brezno wies 1896–1949 eine Spitzkehre auf

Tschechien

Afrika

Tansania

  • Die Sigi-Bahn wies eine vierfache Spitzkehre auf. Die Bahn existiert nicht mehr.
  • Die Usambarabahn wies zwischen Pongwe und Ngommi / Muheza eine Doppelspitzkehre auf. Sie wurde durch eine geänderte Trassierung ersetzt.

Amerika

Argentinien

Der von Salta aus fahrende Touristenzug Tren a las Nubes muss auf seinem Weg nach San Antonio del los Cobres zwei Spitzkehren befahren. Ohne sie wären die Höhenunterschiede der Strecke nicht zu bewältigen. Die Eisenbahnstrecke weist außer der natürlichen Schönheit der Landschaft noch weitere bahntechnische Raffinessen wie Wendeschleifen und Viadukte auf.

Ecuador

Die Zugverbindung von Riobamba (2.754 m) über die Anden nach Simbambe (1.806 m) enthält das Steilstück der Teufelsnase (span. Nariz del Diablo). Auf diesem Streckenabschnitt, der als steilste Bahnstrecke der Welt gilt, werden rund 500 Höhenmeter in mehreren Spitzkehren bewältigt.

Peru

Die Steigung auf der touristisch wichtigen Bahn zwischen Cusco und Macchu Picchu wird ausschließlich durch Spitzkehren überwunden, wodurch die Fahrt auf der nur 120 km langen Strecke fünf Stunden dauert.

USA

Asien

China

Entlang der sogenannten Jing-Bao-Linie von Peking nach Zhangjiakou gibt es in Qinglongqiao zwei voneinander unabhängige Spitzkehren direkt unterhalb der Chinesischen Mauer, da jedes Gleis der zweigleisigen Strecke seinen Spitzkehrenbahnhof auf einer gegenüberliegenden Talseite hat.

Indien

Im Verlauf der Darjeeling Himalayan Railway in Indien gibt es neben einigen Kreiskehrschleifen ebenfalls mehrere Spitzkehren. Die Strecke ist aufgrund ihrer baulichen Besonderheiten von der UNESCO in die Liste des Weltkulturerbes eingetragen worden.

Korea

Zwischen den Bahnhöfen Heungjeon und Nahanjeong an der Yeonggong-Bahnstrecke in Südkorea bestand bis 2009 eine – inzwischen durch einen Tunnel ersetzte – Spitzkehre.

Libanon

Die Libanonbahn von Damaskus nach Beirut wies im Zuge der Überquerung des Libanongebirges zwei Spitzkehren auf.

Pakistan

Entlang der Bahnstrecke über den Chaiber-Pass befinden sich kurz hintereinander zwei Spitzkehren, der Zug wird zwischen beiden bergwärts geschoben.

Australien

Weblinks

Einzelnachweise

  1. rvo: Strecke Lemvig-Lemvig havn. In: IBSE-Telegramm 247 (Juni 2011), S. 4.

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