St.-Stephani-Kirche (Calbe)

St.-Stephani-Kirche (Calbe)
Westportal der Kirche

Die St.-Stephani-Kirche ist das Wahrzeichen von Calbe. Mit ihren beiden 57 m hohen Zwillingstürmen ist sie eine der größten Kirche im Salzlandkreis.

Inhaltsverzeichnis

Erste Kirchenbauten

Eine frühe St.-Stephani-Kirche wurde wahrscheinlich im 10. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Schenkung des Könighofesan das neue Erzbistum Magdeburg als erzbischöflicher Repräsentationsbau an der Stelle des Chorraumes der heutigen Hallenkirche errichtet. Die Hypothese von der Gründung der Stephanskirche durch den Halberstädter Erzbischof Hildegrim um 820 lässt sich nach neueren Erkenntnissen kaum aufrechterhalten. Einige Reste einer ottonischen oder romanischen Basilika sind im Ostbau (Chor) in 1,6 m Tiefe erhalten. Brandspuren an den aufgefundenen Mauerresten legen den Schluss nahe, dass die Kirche bei einer Feuersbrunst, vielleicht während der Welfen-Staufer-Kriege, zerstört wurde. Danach entstand eine frühgotische Basilika aus Sandstein, die später hochgotisch verändert wurde und von der ein Teil als rechteckiger Chorraum der jetzigen Kirche erhalten ist.

Hallenkirche „St. Stephani“

der Kirchplatz Calbe (Stich um 1850)

Seit dem 14. Jahrhundert sind Bemühungen um Veränderungen und Vergrößerungen des Kirchenbaues zu erkennen, bis man sich schließlich im 15. Jahrhundert entschloss, eine der gewachsenen Bevölkerungszahl Rechnung tragende, geräumige spätgotische Hallenkirche – vorwiegend aus Bruchsteinen – zu errichten, die 1495 fertiggestellt werden konnte. Die Türme und das Hauptschiff sind aus Bruchsteinen gebaut, die Ecken und Portale aus Sandstein. Der älteste Teil des jetzigen Gebäudes ist der Choranbau, an den im 15. Jahrhundert die Hauptschiff-Halle angefügt wurde. Die beiden Teile bilden keine bauliche Einheit.

Die Gesamthöhe der Türme einschließlich des Knaufes beträgt 57,3 Meter. Das „Schiff“-Langhaus hat innen eine Länge von 29,2 Meter, das Mittel-Schiff ist 9,7 Meter und die Seiten-Schiffe sind je 4,5 Meter breit. Die Höhe des Mittelschiffes beträgt 13,7 Meter, die der Seitenschiffe 13,6 Meter. Die Hallenkirche hat außen eine Gesamtlänge von knapp 60 m. Einschließlich der Strebepfeiler und des Kapellenanbaues ist sie etwa 38 Meter breit.

Das Maßwerk der gotischen Fenster weist auf die Verwendung älterer, hochgotischer Teile des Baues hin. Das beachtliche Hauptportal mit den zwei Spitzbogen-Türen wurde nachträglich in das bereits früher begonnene Turmhaus eingefügt. Im Südturm wohnte der Türmer, ein städtischer Angestellter, dem auch die Feuerwache oblag. Ein Balken für seinen Lastenaufzug ist noch zu sehen.

Seit dem 16. Jahrhundert gibt es einen Verbindungsgang zwischen den beiden Türmen mit einem späteren, kleinen Barocktürmchen.

Die Sandstein-Kränze mit symbolischen Menschen- und Dämonengestalten über den Südtüren, die religiöse Moral-Geschichten erzählen, sind schon stark verwittert.

Unechte Wasserspeier (Chimären)

Unechte Wasserspeier (Chimären) an der Südseite
Weibliche Satansfigur

Auf den Strebepfeilern sitzen 14 Chimären oder „Himmelswächter“ (ohne Wasserabfluss-Funktion) zur Abwehr böser Kräfte, die neben dämonischen Gestalten in der Mehrzahl Karikaturen von Zeitgenossen darstellen.

Geistliche „Schwester“, die ihren Leib verbirgt
„Hinterhältiger“ Modenarr

Die Chimären an der St.-Stephani-Kirche lassen sich in 3 Gruppen einteilen: 2 Fabelwesen (Hybride), 4 Tiere und 8 Menschen. Die Menschendarstellungen bilden 4 Untergruppen. Dies sind: 2 Nackte, 2 Modenarren, 3 Kirchenleute und ein Jude mit der Judensau. Während die Fabelwesen und Tiere in symbolisierter Form das Böse abwehren sollen, sind die meisten der Menschen-Figuren als Karikaturen auf persönliche Schwächen und Laster, auf menschliche Sündhaftigkeit zu verstehen. Judenhass und Judenverachtung werden an der Stephanikirche Calbe ebenso wie auch in jener Zeit an mehreren anderen Kirchen sichtbar. Eine der Chimären-Spottfiguren stellt einen Juden dar, der einem Schwein das Hinterteil küsst (Judensau). Eine andere Skulptur zeigt einen Fettwanst, der sich überfressen hat. Dass auch eine Nonne (oder Begine?) (s. Abb.) und zwei Stifts- oder Klosterbrüder in die Karikaturen-Gruppe aufgenommen wurden, zeigt, wie sehr der Verfall der klösterlichen Kultur ins allgemeine Bewusstsein gedrungen war. Die lutherische Reformation stand unmittelbar bevor.

Wrangel-Kapelle

Portal der Wrangel-Kapelle mit Sonnenuhr und Kruzifix
Wrangel-Kapelle

Auf der Südseite befindet sich die Wrangel-Kapelle. Der Schlussstein des Wrangel-Kapellen-Gewölbes gibt ebenso wie das Wappen über der Tür die Jahreszahl 1495 an. Simon Hake (spätere Schreibweise: Hacke) war der Stifter der Kapelle. Es gibt eine Vermutung, dass der Begriff Wrangel-Kapelle sich aus der Tür herleitet und diese ursprünglich Prangel-Tür hieß, was soviel wie Knüppel (=Balken)-Tür bedeutet. Es ist aber wahrscheinlicher, dass der Name sich vom schwedischen Feldherrn Carl Gustav Wrangel ableitet, dessen Frau Anna Margareta Wrangel Gräfin von Salmis aus Calbe stammt. Teile des schwedischen Heeres hielten sich in den 1630-er und 1640-er Jahren mehrere Male in Calbe auf, und es ist anzunehmen, dass General Wrangel die Hake-Kapelle an der Kirche, in der seine schöne Frau die Taufe erhielt, großzügig ausstatten ließ. Dadurch blieb wohl der Kapellenanbau im kollektiven Gedächtnis der Einwohner als „Wrangel“-Kapelle in Erinnerung.

Über der Tür der Wrangel-Kapelle befindet sich eine Sonnenuhr, das Wappen des Erzbischofs Ernst II. von Sachsen und ein altes Sandstein-Kruzifix, das möglicherweise noch von der romanischen oder frühgotischen Basilika stammt. Dieser Teil der Kirche, das Portal der Kapelle – und nur dieses – ist aus Backsteinen gebaut, es ist damit das südlichste Denkmal der norddeutschen Backsteingotik in Europa.

Später fungierte die Wrangel-Kapelle als Leichenhaus, in der oberen Etage wohnte der Totengräber. Auch die Bibliothek und das Archiv der Kirche waren zeitweise in dieser Oberetage untergebracht

Das Innere der Kirche

Von den Säuberungs- und Restaurierungs-Aktionen nach der Einführung der Reformation in Calbe (1542) sowie der Jahre 1866 und 1966 blieben im Innern der Kirche erhalten:

  • Ein Altartisch, der wahrscheinlich aus der alten Basilika stammt,
  • ein lebensgroßes hölzernes Kruzifix aus dem 15. oder 16. Jahrhundert,
  • die Sandsteinkanzel mit Kanzelträger und anderem figürlichem Beiwerk von 1561, ebenfalls aus diesem Jahr der Taufstein,
  • einige hölzerne Engels- und Heiligen-Figuren, welche den riesigen barocken Altaraufsatz von 1659 zierten und von Gottfried Gigas geschnitzt worden waren.

Da der Altaraufsatz, die einst vorhandenen Emporen und das Gestühl nach zwei Jahrhunderten recht morsch waren, wurden sie im 19. Jh. entfernt.

Sehenswert sind im Inneren weiterhin:

  • Die Schlusssteine mit Symbolen, die die Rippenbogen krönen,
  • eine abgenommene Glocke von 1586,
  • ein Altarschrein von 1464, der dem protestantischen „Bildersturm“ entgangen war,
  • Stein-Epitaphien, welche Patriziern, Adligen und Geistlichen gewidmet waren,
  • sowie ein bemaltes Holzepitaph der Familie Lemmer von 1654,
  • neogotisches Gestühl im Chorraum,
  • Gemälde aus dem 19. Jahrhundert mit Darstellungen Martin Luthers und des Superintendenten Friedrich August Scheele,
  • Glasfenster aus der zweiten Hälfte des 19. Jhs. im neogotischen Stil,
  • ein Ausschnitt aus einem nicht mehr existierenden Buntglas-Fenster mit einem Detail aus einem 1892/1893 gestifteten Langhaus-Fenster

und

  • ein Glasbetonfenster von Christof Grüger in der „Winterkirche“, dem Südanbau am Chorraum.

Sanierungsarbeiten in der Gegenwart

1992, 1994, 1998/99 und 2006 fanden u. a. mit Hilfe erheblicher Spenden der Calbenser und ihrer Freunde umfassende Sanierungsarbeiten am Kirchengebäude statt, die noch nicht abgeschlossen sind.

Quellen

Bearbeitet nach und teilweise zitiert aus: Dieter H. Steinmetz, Auf historischer Spurensuche – Ein Stadtrundgang in Calbe an der Saale.

Ausgewählte Literatur

  • Chroniken deutscher Städte, (Schriftenreihe seit 1862),Bd. 27.
  • Der Kreis Calbe – Ein Heimatbuch, hsg. von Wickel, Werner/Thinius, Otto, Leipzig 1937.
  • Dietrich, Max, Calbenser Ruhestätten, (Calbe) 1894.
  • Derselbe, Unsere Heimat – Heimatkunde der Stadt Calbe, (Calbe) 1909.
  • Erbe, Michael, Studien zur Entwicklung des Niederkirchenwesens in Ostsachsen vom 8. bis zum 12. Jahrhundert, Göttingen 1969.
  • Hävecker, Johann Heinrich, Chronica und Beschreibung der Städte Calbe, Acken und Wantzleben Wie auch des Closters Gottes Gnade ..., Halberstadt 1720.
  • Heiber, Fritz, Die Kultur- und Naturdenkmale des Kreises Schönebeck, (Calbe) 1967.
  • Herrfurth, Klaus, Die Wasserspeier an der Stephanikirche, Teil 1-4, in: „Calbenser Blatt“ 8-11/1991.
  • Derselbe, Die Wrangelkapelle an der Stephani-Kirche – Teil 2: Die Kapelle und der Schwedengeneral, in „Schönebecker Volksstimme“ vom 29. Mai 1998.
  • Derselbe, Die Wrangelkapelle an der Stephani-Kirche – Teil 3: Vom Leichenhaus mit Totengräber zum Kircheneingang mit WC, in: „Schönebecker Volksstimme“ vom 20. August 1998.
  • Derselbe, Königshof und Kaufmannssiedlung der Stadt Calbe an der Saale, in: Burgen und Schlösser in Sachsen-Anhalt (Mitteilungen der Landesgruppe Sachsen-Anhalt der Deutschen Burgenvereinigung e. V.), Heft 12
  • Hertel, Gustav, Geschichte der Stadt Calbe an der Saale, Berlin/Leipzig 1904.
  • Hertel, Gustav / Sommer, Gustav, Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Calbe, Halle 1885 (= Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete, 10).
  • Kinderling, Johann Friedrich August, Eine Ortsbeschreibung der Stadt Calbe a. S. in den Jahren 1796-1799 (Kinderling´sches Manuskript), veröffentlicht von Max Dietrich, Calbe 1908.
  • Reccius, Adolf, Beiträge zur frühmittelalterlichen Geschichte unserer Gegend, in: Unsere Heimat (Unterhaltungsbeilage), Stadt- und Landbote Calbe vom 31. Januar 1925.
  • Derselbe, Chronik der Heimat (Urkundliche Nachrichten über die Geschichte der Kreisstadt Calbe und ihrer näheren Umgebung), Calbe/Saale 1936.
  • Rocke, Gotthelf Moritz, Geschichte und Beschreibung der Stadt Calbe an der Saale, (Calbe) 1874.
  • Schymiczek, Regina E.G., Über deine Mauern Jerusalem, habe ich Wächter bestellt ... Zur Entwicklung der Wasserspeierformen am Kölner Dom (= Europäische Hochschulschriften. Reihe XXVIII: Kunstgeschichte; Bd. 402), Bern / Frankfurt a. M. 2004.
  • Stadtbuch Calbe, in: Landesarchiv Magdeburg, Cop. 406 b.
  • Steinmetz, Dieter Horst, Ein Mann mit Kugelbauch ziert die Stephani-Kirche der Saalestadt, in: „Schönebecker Volksstimme“ vom 6. Juni 2006.
  • Derselbe, Turmgeschichten, in: „Calbenser Blatt“ 6/2006.
  • Derselbe, Himmelswächter an der St.-Stephani-Kirche in Calbe (Wasserspeier und Chimären in der mittelalterlichen Vorstellungswelt), in: ebenda 9 ,10, 12/2006 und 2/2007.
  • Derselbe, Auf historischer Spurensuche – Ein Stadtrundgang in Calbe an der Saale, URL: http://histrundgangcalbe.herobo.com/ Station 5.
  • Derselbe, Vom Königshof Caluo 936 bis zur Kreisstadt Calbe 1919 - Geschichte einer mitteldeutschen Stadt von den Anfängen bis zur Gründung der Weimarer Republik, Magdeburg/Calbe/S. 2010.

Weblinks

 Commons: St.-Stephani-Kirche (Calbe) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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