St. Galler Ansatz des Business Engineering

St. Galler Ansatz des Business Engineering

Der St. Galler Ansatz des Business Engineering ist ein in den 1990er Jahren entwickeltes Vorgehen zur Unternehmenstransformation.

Inhaltsverzeichnis

Historie

Anfang der 1990er Jahre haben amerikanische Vertreter der Managementlehre sowie große Beratungsunternehmen und Softwarehäuser verschiedene Ansätze zur Bewältigung des Wandels von der Industrie- zur Informationsgesellschaft entwickelt. Begriffe wie Business Process Reengineering[1], Business Process Improvement[2] oder Process Innovation[3] lösten in der westlichen Welt eine breite, allerdings modisch überhöhte Bewegung aus (vgl. [4], S. 13). Da die genannten Ansätze die Geschäftsprozesse aber zu sehr in den Mittelpunkt der Betrachtung rückten, bezeichnete Österle die Neugestaltung der informatisierten Wirtschaft in Anlehnung an Davenport/Short[5] als Business (Re-)Engineering.

Gestaltungsebenen der Unternehmenstransformation

Der St. Galler Ansatz des Business Engineering trennt die Gestaltungsebenen eines Unternehmenens (Strategie, Prozess, System). Im Groben umfassen die einzelnen Ebenen folgende Inhalte (s. [6], S. 12):

  • Strategie: Spezifikation der mittel- bis langfristigen Unternehmensentwicklung, der Positionierung im Wettbewerb, der Geschäftsfelder (Kundensegmente, Marktleistungen sowie Vertriebskanäle) sowie möglicher Allianzen.
  • Prozess: Spezifikation der Prozessleistungen, der Prozessabläufe sowie der Aufgaben als Bestandteile der Prozesse.
  • System: Spezifikation der Informationssysteme einschließlich der Anwendungssysteme, der IT-Komponenten, der unterstützenden Funktionen sowie der Datensammlungen.

Methoden

Methoden kommt im Business Engineering eine große Bedeutung zu, da sie die Grundlage bzw. den Ausgangspunkt für ein ingenieurmäßiges Vorgehen liefern (vgl. [7], [8], S. 2003). Dies zeigt sich auch an den Forschungsergebnissen im Business Engineering, die häufig in Form von Methoden veröffentlicht werden (vgl. hierzu bspw. [9], [10], [11], [12], [13], [14]).

Aufbau

Die Grundlage für die Beschreibung und Konstruktion der Methoden des St. Galler Ansatzes des BE liefert das Methoden-Engineering (ME) [15], [16]. Nach der Diktion des Methoden-Engineerings besteht eine Methode aus folgenden Elementen:

  • Entwurfsaktivität: Eine Entwurfsaktivität ist eine Verrichtungseinheit mit dem Ziel, ein oder mehrere definierte Ergebnisse zu erzeugen. Entwurfsaktivitäten folgen einer klaren Struktur und können in mehrere Teilaktivitäten zerlegt werden. Werden die Aktivitäten in eine zeitliche und sachlogische Ablauffolge gebracht, spricht man von einem Vorgehensmodell.
  • Rolle: Menschen oder Gremien nehmen bei der Erarbeitung der Ergebnisse bestimmte Rollen ein. Eine Rolle ist eine Zusammenfassung von Entwurfsaktivitäten aus der Sicht des Aufgabenträgers.
  • Entwurfsergebnisse: Ergebnisse dokumentieren den Entwurf. Aktivitäten verwenden Ergebnisse vorangehender Aktivitäten als Input und erzeugen oder verändern ihrerseits Ergebnisse. Zu unterscheiden sind notwendige und optionale Ergebnisse. Während notwendige Ergebnisse für die Transformation unverzichtbar sind, stellen die optionalen eine Abrundung bzw. Ergänzung für das Transformationsprojekt dar. Die Gesamtheit aller Ergebnisse einer Methode wird als Dokumentationsmodell bezeichnet.
  • Metamodell: Das Metamodell ist das konzeptionelle Datenmodell der Entwurfsergebnisse. Die Gestaltungsobjekte des Metamodells werden in den einzelnen Ergebnisdokumenten anhand ihrer Attribute beschrieben.
  • Techniken: Bei der Durchführung der einzelnen Transformationsaktivitäten kommen Techniken zur Anwendung. Diese dienen als Anleitung zur Erzeugung von Ergebnissen. Eine Technik fasst eine Anzahl von Entwurfsaktivitäten problemorientiert zusammen.

Methodenfamilie PROMET

Mitte der 1990er Jahre legte das Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen zusammen mit der internationalen Unternehmensberatung The Information Management Group (IMG AG) und unter Beteiligung der Wirtschaft mit der Entwicklung der Methode für den Prozessentwurf (vgl. [9]) den Grundstein für die heutige Methodenfamilie. Darauf aufbauend wurde das Methodenset über die Jahre um weitere Module ergänzt. Diese Module lassen sich entweder einer bestimmten Gestaltungsebene zuordnen oder ebenenübergreifend positionieren. Untenstehende Tabelle zeigt die momentan verfügbaren PROMET-Methoden.

Ebene Ebenenbezogene Methoden Ebenenübergreifende Methoden
Strategie Strategieentwurf Business Networking
Prozessportale
Customer Relationship Management
Wissensmanagement
Kompetenzmanagement
Prozess Prozessentwurf
Prozessmanagement
Prozessbenchmarking
Informationssystem Standardsoftware
Internet/Intranet
Workflow-Management
Verteilte Applikationsarchitekturen
Informationssystem und -technologieplanung

Verbreitung in der Praxis

Der St. Galler Ansatz des Business Engineering respektive die Methodenfamilie ProMet fand im Rahmen der Beratungstätigkeit der IMG AG in zahlreichen Praxisprojekten Anwendung. Die Methode wird durch namhafte Software-Tools wie Semtalk oder das ARIS Toolset[17] unterstützt.

Einzelnachweise

  1. Michael Hammer, James Champy: Reengineering the Corporation: A Manifesto for Business Revolution. Nicholas Brealey Publishing, London 1993. 
  2. H. J. Harrington: Business Process Improvement: The Breakthrough Strategy for Total Quality, Productivity and Competitiveness. McGraw-Hill, New York 1991. 
  3. T. H. Davenport: Process Innovation: Reengineering Work through Information Technology. Harvard Business School Press, Boston 1993. 
  4. Hubert Österle: Business Engineering: Prozess- und Systementwicklung. 2. Auflage. Springer, Berlin 1995. 
  5. T. H. Davenport, J. Short: The new industrial engineering - information technology and business process redesign. In: Sloan Management Review. 31, Nr. 4, 1990, S. 11-27. 
  6. Hubert Österle, Dieter Blessing: Ansätze des Business Engineering. In: HMD. 42, Nr. 241, 2005, S. 7-17. 
  7. K. Lorenz: Methode. In: J. Mittelstrass (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. 2, Stuttgart 1995, S. 876-879. 
  8. S. Greiffenberg: Methoden als Theorien der Wirtschaftsinformatik. In: W.E. Uhr Werner, Eric Schoop (Hrsg.): Wirtschaftsinformatik 2003. II, Physica-Verlag, Dresden 2003, S. 947-968. 
  9. a b Thomas Hess: Entwurf betrieblicher Prozesse. Universität St. Gallen, 1996. 
  10. Marc Derungs: Workflowsysteme zur Prozessumsetzung. Universität St. Gallen, 1997. 
  11. Christine Legner: Benchmarking informationssystemgestützter Geschäftsprozesse. Universität St. Gallen, Wiesbaden 1999. 
  12. Thomas Kaiser: Methode zur Konzeption des Intranets. Universität St. Gallen, 2000. 
  13. Thomas Puschmann: Collaboration Portale - Architektur, Integration, Umsetzung und Beispiele. Universität St. Gallen, Difo-Druck, Bamberg 2003. 
  14. Henning Gebert: IT-gestütztes Kompetenzmanagement in kundenorientierten Geschäftsprozessen - Gestaltungselemente, Architektur- und Methodenvorschlag. Universität St. Gallen, 2003. 
  15. M. Heym: Methoden-Engineering: Spezifikation und Integration von Entwicklungsmethoden für Informationssysteme. Rosch-Buch, Hallstadt 1993. 
  16. Thomas Gutzwiller: Das CC RIM-Referenzmodell für den Entwurf von betrieblichen, tran-saktionsorientierten Informationssystemen. Physica, Heidelberg 1994. 
  17. August-Wilhelm Scheer: ARIS - Modellierungsmethoden, Metamodelle, Anwendungen. 4. Auflage. Springer, Berlin Heidelberg 2001. 

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