Stille Reserve

Stille Reserve

Als Stille Reserve wird im Rechnungswesen eines Unternehmens die aus der Unternehmensbilanz nicht erkennbare Differenz zwischen dem Buchwert und einem über dem Buchwert liegenden Marktwert einzelner Bilanzpositionen bezeichnet. Stille Reserven entstehen zum einen als Folge einer Unterbewertung der Aktiva durch Anwendung des Niederstwertprinzips, zum anderen durch eine Überbewertung der Passiva.

Der umgekehrte Fall, also die Überbewertung von Vermögenswerten bzw. die Unterbewertung von Schulden, bezeichnet man als stille Lasten, welche jedoch mit keinen Rechnungslegungsstandards oder Gesetzen vereinbar sind.

Inhaltsverzeichnis

Arten von stillen Reserven

Absichtsreserven

Absichtsreserven entstehen durch eine aktive Entscheidung der Geschäftsführung und werden gebildet durch:


Diese Art von Stillen Reserven ist mit Standards wie IAS oder US-GAAP nicht vereinbar und einzig in der Schweiz bei nicht börsennotierten Unternehmen erlaubt.

Ermessensreserven

Ermessensreserven entstehen dadurch, dass Abschreibungen, Wertberichtigungen und Rückstellungen übervorsichtig vorgenommen wurden. Es ist somit eine Ausnützung von Freiräumen im Rahmen der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung.

Von verschiedenen Seiten wird jedoch angemerkt, Ermessensspielraum sei nur das vornehmere Wort für Manipulationsspielraum. Stille Reserven nach Ermessen seien demnach abzulehnen. Tatsächlich entstehen aber immer dort ganz legal und legitim Stille Reserven, wo die Standards keine genauen Werte vorgeben. In den angelsächsischen Rechnungslegungsvorschriften IAS und US-GAAP sind diese Ermessensspielräume dabei oftmals deutlich größer.

Schätzungsreserven

Schätzungsreserven entstehen durch verschiedene Schätzungen desselben Bilanzpostens, wobei sich der Bilanzierende für die vorsichtigere Bewertung entscheidet.

Zwangsreserven

Zwangsreserven werden auch marktbedingte stille Bewertungsreserven, gesetzlich vorgeschriebene Reserven oder aktienrechtlich gebundene Stille Reserven genannt. Zwangsreserven entstehen durch bestimmte Bewertungs- und Ansatzvorschriften. Wenn die Rechnungslegung auf nominalen Werten beruht und so Vermögenswerte wie Immobilien höchstens zum Anschaffungspreis in der Bilanz geführt werden, der effektiv höhere Wert aber nicht abgebildet werden darf. Zudem entstehen Zwangsreserven durch Aktivierungsverbote. Beispielsweise dürfen nach deutschem Handelsrecht keine selbst erstellten immateriellen Vermögenswerte aktiviert werden, da ihre Bewertung in vielen Fällen unsicher ist.

Entstehung

Unabhängig von der Art sind Stille Reserven also immer eine Abweichung der tatsächlichen zur dargestellten Vermögenssituation. Dadurch sind sie als Rücklagen und als Teil des Eigenkapitals zu führen, da sie dem Unternehmen zu mehr Substanz verhelfen.

Die Höhe der stillen Reserven ist im Gegensatz zu den offenen Rücklagen aus der externen Bilanz nicht ersichtlich.

Auflösung

Als Auflösung ist jede Abnahme des Bestandes an stillen Absichtsreserven während einer Rechnungsperiode zu betrachten und erfolgt durch die Höherbewertung von Aktiva oder Tieferbewertung resp. Auflösung von Passiva, sprich dem umgekehrten Vorgang zur Bildung. Die Abnahme von marktbedingten stillen Bewertungsreserven stellt keine Auflösung von stillen Reserven dar.

Wichtig: Die Auflösung von stillen Reserven führt dem Unternehmen nur Liquidität zu, wenn der Erlös der Auflösung abzüglich der Steuern über dem Erinnerungswert liegt.

Wird ein Aktivposten, auf dem Stille Reserven gebildet wurden, verkauft, so muss die Differenz zwischen dem Bilanzwert und dem Verkaufspreis als Außerordentlicher Gewinn bilanziert werden.

Beispiele

  • Ein Unternehmen beschafft eine Maschine zu 40.000 Euro. Diese hat eine Lebensdauer von acht Jahren. Die Geschäftsleitung beschließt, die Maschine innerhalb von fünf Jahren abzuschreiben. Dadurch werden über fünf Jahre jährlich 8.000 Euro abgeschrieben anstelle von nur je 5.000 Euro über acht Jahre. Dadurch entstehen pro Jahr 3.000 Euro an Stillen Reserven (Absichtsreserven).
  • Ein Wertpapierpaket einer größeren Beteiligung [1], welches in der Bilanz mit einem Betrag von 2.000.000 Euro steht, hat einen Verkaufswert von 2.200.000 Euro, so besteht eine Stille Reserve in Höhe von 200.000 Euro, da wegen des Realisationsprinzips in der Bilanz nach HGB nicht über die Anschaffungskosten hinaus bewertet werden darf. Für das Unternehmen stellt dies eine Rücklage in gleicher Höhe dar, die in der Bilanz nicht erscheint (Zwangsreserven).

Bedeutung

Allgemein

Die Bildung von Stillen Reserven ist eine schwerwiegende Abweichung von den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und verfälscht sowohl die Vermögens- als auch die Ertragslage. Durch die Bildung stiller Reserven kann die Entstehung von Gewinn nicht verhindert, sondern lediglich hinausgeschoben werden. Durch die Auflösung stiller Reserven fließen dem Unternehmen keine Mittel zu. Somit ändern die Stillen Reserven nichts an der Realität der Unternehmenslage - sie verschleiern lediglich die tatsächliche Lage, indem ausgewiesene Gewinne willkürlich dann anfallen, wenn sie für die Unternehmensleitung Vorteile bringen, resp. dann tief ausfallen, wenn ansonsten hohe Gewinnsteuern drohen.

Rechtskreise

Schweiz

In der Schweiz ist das Arbeiten mit allen Arten von Stillen Reserven rechtskonform und üblich. Die meisten Schweizer Revisionsgesellschaften betrachten die Stillen Reserven in jeder Form als wichtig für die Bilanzpolitik privater Aktiengesellschaften, insbesondere um die steuerliche Belastung niedrig zu halten.

Für börsennotierte Unternehmen besteht die Pflicht, mindestens nach den Fachempfehlungen zur Rechnungslegung zu bilanzieren. Diese Standards lassen zwar weiterhin die Bildung von stillen Reserven zu, schreiben aber vor, deren Nettoauflösung im Anhang offenzulegen. Für die Kotierung am Haupttableau der Swiss Exchange ist jedoch eine Rechnungslegung nach IAS/IFRS oder US-GAAP Pflicht, womit in solchen Unternehmen keine Stillen Absichtsreserven mehr gebildet werden dürfen.

Vor der Revision der Zulassungsbestimmungen zur Swiss Exchange war es in Schweizer Aktiengesellschaften gang und gäbe, Beispielsweise sämtliche Immobilien auf 1 CHF abzuschreiben. Dadurch wurden in solchen Unternehmen zum Teil Millionenbeträge den Aktionären verschwiegen. Diese Praxis ist heute nur noch in nicht kotierten Aktiengesellschaften zulässig.

Deutschland

Die Abgrenzungsgrundsätze des deutschen HGB (das Vorsichtsprinzip sowie die aus diesem resultierenden untergeordneten Prinzipien (strenges Realisationsprinzip, Anschaffungswertprinzip, Imparitätsprinzip, Niederstwertprinzip und Höchstwertprinzip) bzw. die diesen Grundsätzen gehorchenden Einzelvorschriften erzwingen oder erlauben die Bildung von Stillen Reserven in erheblichem Umfang. Die Bildung von Willkürreserven ist allerdings verboten.

Die Bildung stiller Reserven folgt unmittelbar aus dem das deutsche Handelsbilanzrecht dominierenden Gläubigerschutzgedanken. Der Gläubigerschutz dominiert die Informationsfunktion der Rechnungslegung, so dass die Verzerrung der Vermögens- und Ertragslage im Rahmen der HGB-Rechnungslegung akzeptiert wird. Die Bildung stiller Reserven stellt - soweit es sich nicht um Willkürreserven handelt - keinen Verstoß gegen die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) dar.

Der Umfang der stillen Reserven ist bei Kapitalgesellschaften aufgrund der für diese geltenden Spezialvorschriften etwas geringer als bei Nichtkapitalgesellschaften.

USA

Im angelsächsischen Raum sind die Stillen Reserven weitgehend unbekannt; in US-Unternehmen besteht sogar eher die Tendenz, zu hohe Gewinne auszuweisen. Die beträchtlichen Unterschiede hinsichtlich des Umfangs stiller Reserven in HGB-Bilanzen und US-GAAP-Bilanzen zeigte die Notierung der Aktien der Daimler AG an der NYSE mit der damit einhergehenden Pflicht, nach US-GAAP zu bilanzieren. Dort betrug das Eigenkapital plötzlich 40 % mehr als nach HGB.

IFRS

Die IFRS-Rechnungslegung erfüllt ausschließlich eine Informationsfunktion. Gläubigerschutz bzw. vorsichtige Zahlungsbemessung sind keine Ziele der IFRS-Rechnungslegung. Die Informationsfunktion kann nur erfüllt werden, wenn die wirtschaftliche Lage des berichtenden Unternehmens möglichst ohne Verzerrungen abgebildet wird. Aus diesem Grund ist die bewusste Legung stiller Reserven ausdrücklich untersagt. Dennoch erzwingen oder ermöglichen viele Einzelvorschriften der IFRS die Legung stiller Reserven. Beispiele sind das dem deutschen Niederstwertprinzip weitgehend entsprechende Niederstwertprinzip bei der Vorratsbewertung (IAS 2) oder die Bewertungsvorschriften in den Standards IAS 16, IAS 38, IAS 39 und IAS 40, die für große Teile des Anlagevermögens eine Bilanzierung zu historischen Kosten ermöglichen (als Alternative zur Fair-Value-Bilanzierung) bzw. in einigen Fällen auch erzwingen. Auch IFRS-Bilanzen weisen somit stille Reserven auf, wobei der Umfang i.d.R. geringer sein dürfte als in HGB-Bilanzen.

Referenzen und Anmerkungen

  1. Für börsennotierte Wertpapiere gilt selbstverständlich der Durchschnittskurs des Monats vor Bilanzstichtag. Somit gibt es bei solchen Wertpapieren keine Stillen Reserven.
Bitte beachte den Hinweis zu Rechtsthemen!

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