Stimmschulung

Stimmschulung

Unter Stimmbildung versteht man die Ausbildung der Stimme zum Sprechen und Singen. Es wird unterschieden zwischen der Ausbildung einer gesunden, physiologisch effektiven (funktionellen) Nutzung der Stimme, um Krankheiten und Stimmschäden vorzubeugen, und der Ausbildung der professionellen Sprech- und Gesangsstimme.

Die Technik einer gesunden Stimme beugt Stimmschäden vor. Nach Panconcelli-Calcia wird eine „gute“ Stimme nur mit der für die Leistung nötigen Muskulatur gebildet, ist frei von Nebengeräuschen und Fehlüberspannungen, klingt in jeder Höhe beliebig kräftig oder leise, ist weittragend, resonanzreich, weich und anstrengungslos. Die Stimmbildung einer Sprechstimme orientiert sich an der Ausbildung einer physiologisch genutzten Stimme. Die als ästhetisch empfundene Sprech- und Gesangsstimme ist abhängig vom Kulturkreis und den jeweiligen zeitlichen Modeerscheinungen.

Schon im 1. vorchristlichen Jahrtausend hatten die Inder Kenntnisse über Stimmbildung, die für religiöse Rituale genutzt wurden. Da bei den Griechen die Stimme in öffentlichen Diskussionen genutzt wurde, hatte die Stimmbildung ihren festen Platz in der Rhetorik. Schauspieler mussten damals vor teilweise sogar über 15000 Zuschauern sprechen.

In der Stimmbildung wird die Stimme als Ausdruck der Persönlichkeit angesehen und entsprechend geschult. Spezifische Funktionen (Atmung, Finden der physiologischen Sprechstimmlage u. a.) werden auch einzeln geübt, aber immer wieder in den ganzheitlichen Zusammenhang der Kommunikation gestellt.

Inhaltsverzeichnis

Ziele der Stimmschulung

Ökonomische und entspannte Atmung

Atmung, Stimmerzeugung und Artikulation stehen in einem engen Zusammenhang. Bei unangemessener Atmung werden verschiedene Muskelgruppen angespannt (z. B. Mundboden, Kiefermuskulatur etc.) und können nicht mehr flexibel reagieren. Dadurch kann es auch zu einem Kehlkopfhochstand kommen, so dass die Resonanzräume nicht mehr gut genutzt werden können. Die Zwerchfellflankenatmung ist die ökonomischste Atmung. Bei dieser wird die Brust zu allen Seiten gedehnt und das Zwerchfell optimal eingesetzt.

Die Atmung beim Sprechen oder Singen hat eine verkürzte Einatmungsphase, dann eine verlängerte Ausatmungsphase. In der Ausatmungsphase wirkt die Muskulatur der Ausatmung entgegen (Atemstütze = elastische Gegenspannung), um die eingeatmete Luft möglichst optimal zu nutzen. Dabei entsteht ein Unterdruck im Brustraum, der spontan nach dem Loslassen des Lautgriffs einen Druckausgleich auslöst (s. Coblenzer, s. IVAAP). Die Luft strömt reflektorisch und geräuschlos wieder ein (s. Versuch von Donders). Dazu bedarf es eines flexiblen, elastischen Körpertonus. In der Ruheatmung kommt dann eine längere Atempause.

Finden der Sprechstimmlage/Indifferenzlage

Jeder Mensch kann in einer bestimmten ihm eigenen Tonhöhe leicht und mühelos sprechen und findet normalerweise darin auch immer wieder zurück. Wenn die Indifferenzlage dauerhaft verlassen wird, im Extremfall überschlägt die Stimme, kommt es zu Anspannungen und Belastungen der Stimme bis zur Heiserkeit. Dies ermüdet Zuhörer und Sprecher. Die Stimme sollte beim Sprechen um die Indifferenzlage pendeln je nach Sprechmelodie. Eine stark auf der Sprechstimmlage basierende Stimmbildungsart ist das Speech Level Singing.

Optimale Nutzung der Resonanzräume

Durch Belassen des Kehlkopfes in seiner natürlichen Stellung (oder auch durch aktives Herunterziehen) wird der Vokaltrakt (Ansatzrohr) verlängert. Dadurch treten auch die tieferen Töne vermehrt im Spektrum auf, was die Stimme voller klingen lässt.

Die Resonanzräume sind in der Lage ihre Funktion zu erfüllen, wenn sie entspannt und geschmeidig sind.

Stimmeinsatz

Ob eine Stimme verhaucht oder gepresst wird, kann besonders deutlich am Stimmeinsatz gehört werden. Wenn die Stimmlippenschwingungen schon einsetzen bevor die Stimmlippen geschlossen sind, entweicht sehr viel Luft und der Stimmklang klingt gehaucht. Nicht zu verwechseln ist dieser behauchte Einsatz mit dem Glottalverschlusslaut, der eine normale Lautbildung (zumindest im Deutschen) darstellt. Das erste Zusammentreffen der Stimmlippen erklingt in der deutschen Sprache als Glottalverschlusslaut vor nahezu allen Vokalen am Wortanfang.

Werden die Stimmlippen zu stark aneinandergepresst beim Stimmeinsatz, staut sich die Luft unterhalb der Stimmlippen, die dann mit zu großem Druck auseinandergesprengt werden. Dadurch schlagen sie heftig aneinander, und sie können geschädigt werden.

Ein optimaler Stimmeinsatz öffnet schon durch einen schwachen Luftdruck die Stimmlippen, die sich in einem für die physiologische Stimmgebung erforderlichen Spannungszustand befinden.

Plastische Artikulation

Eine deutliche Artikulation ermöglicht nicht nur das bessere Verstehen, sondern kann auch immer wieder zu einer Entspannung und Tonusregulierung der beteiligten Muskelgruppen führen.

Entspannungstraining

Oftmals werden Entspannungsübungen zur Tonusregulierung eingesetzt: z. B. Entspannungstraining nach Jacobson, Autogenes Training, Alexander-Technik oder die Eutonie. Anschließend wird dann die notwendige und ausreichende Muskelspannung zum Sprechen oder Singen aufgebaut. Funktionelle Entspannung (FE) nach Marianne Fuchs und vor allem die von Coblenzer und Muhar entwickelte atemrhythmisch angepasste Phonation (AAP) haben sich in der Stimmbildung, die auf natürlichen Abläufen und der Wohlspannung des Körpers aufbauen, besonders bewährt.

Stimmbildung und Gesang

Hauptartikel: Stimmbildung (Gesang)

Während bei der rhetorischen Stimmbildung weitestgehend die Funktionalität der Stimme im Vordergrund steht, erhebt die gesangliche Stimmbildung einen hohen Anspruch an die klangliche Ästhetik, die bis zu Fragen der Interpretation reicht. Über die physiologischen Grundlagen hinaus wird daher sehr viel Wert auf musikalische Aspekte wie Lagenausgleich, Mischung der Stimmregister, Erweiterung des Stimmumfanges oder Artikulation gelegt. Die Grenzen zur Sprecherziehung sind jedoch fließend, da sich beides trotz anderer Primärziele meist gegenseitig positiv beeinflusst.

Stimmbildung und Medizin

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Auch die medizinische und therapeutische Behandlung von Stimmschäden und Sprechfehlern im Rahmen der Logopädie, Atem- Sprech- Stimmtherapeuten, Atem- Sprech- Stimmlehrer/in nach Schlaffhorst-Andersen und Phoniatrie ist weitgehend als Stimmbildung anzusehen, soweit sie sich auf die Physiologie der Stimme stützt.

Literatur

  • Franz Brandl: Die Kunst der Stimmbildung auf physiologischer Grundlage. Eigenverlag, München 2001, ISBN 3-000-08593-9.
  • Horst Coblenzer, Franz Muhar: Atem und Stimme. 17. Auflage. ÖBV Pädagogischer Verlag, Wien 1997, ISBN 3-215-02040-8.
  • Horst Coblenzer: Erfolgreich Sprechen. Fehler und wie man sie vermeidet. 4. Auflage. ÖBV Pädagogischer Verlag, Wien 1999, ISBN 3-215-06547-9.
  • Emil Fischer: Handbuch der Stimmbildung. Hans Schneider, Tutzing 1969.
  • Heinz Fiukowski: Sprecherzieherisches Elementarbuch. Niemeyer, Tübingen 1992, ISBN 3-484-73000-5.
  • Günther Habermann: Stimme und Sprache. Thieme, Stuttgart 1978, ISBN 3-13-556002-3.
  • Leo Kofler: Die Kunst des Atmens. Breitkopf & Härtel, Wiesbaden o.J. (ca. 1929).
  • Kristin Linklater: Die persönliche Stimme entwickeln. Ein ganzheitliches Übungsprogramm zur Befreiung der Stimme. Ernst Reinhardt Verlag, München 2005, ISBN 3-497-01743-4.
  • Marianne Spiecker-Henke: Leitlinien der Stimmtherapie. Thieme, Stuttgart 2004, ISBN 3-13-103162-X.

Siehe auch

Weblinks


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