Säurezünder

Säurezünder

Säurezünder (richtig: chemisch-mechanische Langzeitzünder) in Bomben sollen deren Sprengladung lange nach dem eigentlichen Bombenangriff zur Explosion bringen.

Inhaltsverzeichnis

Funktionsprinzip

Der Schlagbolzen des Zünders wird durch eine oder mehrere Scheiben aus Kunststoff (Celluloseacetat) gesichert, über denen sich eine mit Aceton gefüllte Glasampulle befindet. Durch die Drehung des Windrades wird die Zertrümmerungsspindel (auch Auslösespindel genannt) gedreht, welche die Glasampulle zerstört. Das frei werdende Aceton löst das Celluloseacetat auf, sodass in 2 bis 144 Stunden, abhängig von der Anzahl bzw. Dicke der Scheiben, der Schlagbolzen ausgelöst wird und auf den Detonator schlägt. Es gibt auch englische Langzeitzünder bestimmter Bauart, die in unter zwei Stunden reagieren.

Die Bezeichnung „Säurezünder" hat sich umgangssprachlich aus dem Vorgang der Zersetzung der Kunststoffscheiben gebildet, ist aber falsch, da Aceton chemisch gesehen zu den Ketonen gehört und daher keine Säure, sondern ein Lösungsmittel ist. Bekannte wärmeempfindliche LZZ sind unter anderem die amerikanischen LZZ 123, 124 und 125.

Ziel des Einsatzes von Langzeitzündern (LZZ) war es, durch Detonationen von Bomben auch Stunden nach dem Luftangriff die Lösch- und Bergungsarbeiten zu verhindern und Personen zu treffen, die ihre Schutzräume inzwischen verlassen hatten. Um zu vermeiden, dass Bomben mit Langzeitzünder einfach vor dem Ablauf der Verzögerungszeit durch Herausschrauben des LZZ entschärft werden, sind die Zünder oft mit einer sogenannten „Ausbausperre“ versehen. Diese bewirkt, dass beim Herausschrauben des LZZ dieser sofort zur Wirkung und damit die Bombe zur Detonation kommt.

Langzeitzünder sind üblicherweise am Bombenheck (im Leitwerk falls vorhanden) eingebaut, um beim Aufschlag geschützt zu sein. Da Bomben im Zweiten Weltkrieg aufgrund ihrer Form und des Einschlagswinkels sowie der Bodenverhältnisse oftmals im Erdreich eine bogenförmige Bewegung machten und mit der Bombenspitze nach oben zur Ruhe kamen (bei Sandboden blieb die Bombe „im Boden stecken“, Spitze nach unten im Boden, bei lehmigem Boden konnte die Bombe im Bogen nach oben dringen) wirkte das Aceton in vielen Fällen nicht wie vorgesehen direkt auf das Celluloseacetat, sodass diese Bomben nicht bestimmungsgemäß zur Wirkung kamen. Bei Bomben mit chemisch-mechanischem Langzeitzünder ist äußerlich nicht zu unterscheiden, ob es sich um einen echten Blindgänger handelt (d. h. die Zündvorrichtung hat tatsächlich versagt), oder ob die Bombe nur bisher noch nicht ausgelöst hat.

Anhand der Länge der Auslösespindel kann man sich jedoch einen ersten Eindruck verschaffen, ob die Glasampulle teilweise oder ganz zerstört, oder noch wahrscheinlich intakt ist. Auf keinen Fall sollte man sich Bomben mit LZZ, die bewegt wurden, während der darauffolgenden 72 Stunden nähern. Danach wird dringend empfohlen, die Bombe nicht zu entschärfen sondern kontrolliert zu sprengen.

Probleme in heutiger Zeit

Viele bisher nicht ausgelöste Langzeitzünder befinden sich aufgrund von Alterungsprozessen und der Einwirkung des Acetons auf die Verzögerungsvorrichtung in einem äußerst gefährlichen Zustand; kleinste äußere Einwirkungen reichen dann aus, um den Zünder doch noch auszulösen und die Bombe zur Detonation zu bringen.

Ebenso kann es passieren, dass der Zünder auch ohne konkrete äußere Einwirkung durch die weiterlaufenden Alterungsprozesse auslöst. Etwa einmal jährlich kommt es auf dem Gebiet des früheren Deutschen Reiches zu einer solchen Selbstdetonation: [1] [2]

Explosionen bisher

  • 26. Juni 1999 in Nidda-Harb
  • 28. September 2000 auf dem Siegerlandflughafen bei Burbach
  • 10. Mai 2001 in Bodman-Ludwigshafen
  • 31. Dezember 2002 in Stadtlohn
  • 17. März 2003 in Salzburg (Österreich, bei der Vorbereitung zur Entschärfung)
  • 7. Oktober 2004 in Linz (Österreich, bei Bauarbeiten oberhalb der Bombe)
  • 3. Februar 2005 in Offenbach
  • 5. April 2007 in Kassel
  • 19. September 2008 in Wien (Österreich)
  • 30. Juni 2009 bei Nidda-Harb
  • 1. Juni 2010 in Göttingen (Umstände noch nicht genau geklärt, drei Tote)
  • 25. März 2011 in Graz (Österreich, die Bombe wurde kontrolliert gesprengt)
  • 1. April 2011 in Schulenburg (bei Langenhagen, die Bombe wurde kontrolliert gesprengt)
  • 20. Mai 2011 in Rees (die Bombe wurde kontrolliert gesprengt)
  • 15. Juni 2011 bei Unterföhring nördl. München (genaues Datum unbekannt, Krater wurde nach der Detonation entdeckt).

Die Selbstdetonation einer Fünf-Zentner-Bombe am 30. Juni 2009 um 13.44 Uhr in einem Wald bei Nidda-Harb in Hessen hinterließ einen Krater mit einem Durchmesser von rund 15 Metern und einer Tiefe von etwa sechs Metern und zahlreiche entwurzelte Bäume. Verletzt wurde dabei niemand. In der Nähe befand sich während des Krieges ein Flugplatz der Luftwaffe. Bereits zehn Jahre zuvor detonierte dort eine andere Fliegerbombe.

Die Entschärfung von aufgefundenen Bomben mit Langzeitzünder ist aufgrund der genannten speziellen Eigenschaften und des vor Abschluss der Entschärfung unbekannten Zustands der Zünder und der Ausbausperren ausgesprochen schwierig. Es werden nach Möglichkeit Verfahren eingesetzt, die „unter Sicherheit“, d.h. ferngesteuert, erfolgen können. Trotzdem muss Personal vorher die Bombe freilegen und die für die Entschärfung nötigen Geräte an den Zünder bzw. die Bombe anbringen. In der Folge kam es immer wieder zu tragischen Unfällen (z.B. Wetzlar 1990 bei der Entschärfung selber, Salzburg 2003 und Göttingen 2010[3] bei der Vorbereitung), bei denen die Entschärfer ums Leben kamen.

Erfolgreiche Entschärfungen

Am 16. März 2011 wurde am Duisburger Innenhafen eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden, die mit einem chemisch-mechanischen Langzeitzünder ausgestattet war. Die Bombe konnte ohne Zwischenfall entschärft werden. [4] Eine ähnliche Situation ereignete sich am 23. August 2011 in Koblenz. Die entdeckte Fliegerbombe mit Langzeitzünder führte zu einer sofort eingeleiteten Evakuierung, da die Bombe zu explodieren drohte. Die Entschärfung selbst wurde mittels einer Vorrichtung aus 100 m Entfernung durchgeführt.[5]

Deutsche Luftwaffe

Von der deutschen Luftwaffe wurden im Bombenkrieg ebenfalls Langzeitzünder eingesetzt. Diese verfügten entweder über eine vergleichbare chemisch-mechanische Funktion (LZtZ (57)) mit Verzögerungszeiten bis zu 100 Stunden oder über ein mechanisches Uhrwerk mit einer Laufzeit von bis zu 72 Stunden (LZtZ (17)). Die Ausbausperre wurde durch einen separaten Zusatzzünder (ZusZ 40), der unter dem LZtZ (17) eingebaut wurde, realisiert bzw. war im LZtZ (57) bereits integriert.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Polizei Bremen, Unfälle mit Kampfmitteln 2000 bis 2010 (eingesehen am 7. Juli 2010)
  2. Gutachten Prof. Spyra vom 12. Februar 2008
  3. Fliegerbombe: Ursache gesucht. Tagesspiegel (2. Juni 2010). Abgerufen am 3. Juni 2010.
  4. Bombe in Duisburg entschärft. wdr.de (16. März 2011). Abgerufen am 16. März 2011.
  5. Explosive Situation: Koblenzer Bombe wurde aus 100 Metern Entfernung entschärft in: Rhein-Zeitung, 25. August 2011

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