Teerfarbe

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Dieser Artikel basiert auf einem Text aus Merck's Warenlexikon


Teerfarben oder Teerfarbstoffe (veraltet auch Anilinfarben) nennt man die große Zahl der aus den Bestandteilen des Steinkohlenteers gewonnenen, im weiteren Sinne aber auch alle künstlich hergestellten organischen Farbstoffe überhaupt. Sie alle enthalten mindestens eine ringförmige Atomgruppe (Benzol, Naphthalin, Anthrazen, Chinolin) und überdies neben Kohlenstoff und Wasserstoff noch Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel oder mehrere dieser Elemente nebeneinander.

Als Ausgangsmaterialien kommen besonders die Kohlenwasserstoffe Benzol, Toluol, Xylol, Naphthalin, Phenanthren, Anthrazen und die sauerstoffhaltigen Phenole und Kresole in Betracht, des weiteren aber auch zahlreiche von diesen abgeleitete Halogenderivate (Benzylchlorid), Nitroverbindungen (Nitrobenzol), Sulfosäuren, Aminoverbindungen (Anilin), Diazoverbindungen, Hydrazine usw.
An Stelle der hierdurch gegebenen Unterscheidung in Benzol-, Toluol- usw. Farbstoffe teilt man die Teerfarben neuerdings auf Grund ihrer chemischen Konstitution z. B. nach Möhlau und Bucherer in folgende Gruppen ein:

  1. Nitro- und Nitrosophenolfarbstoffe,
  2. Azofarbstoffe,
  3. Pyrazolonfarbstoffe,
  4. Di- und Triphenylmethanfarbstoffe,
  5. Xanthenfarbstoffe,
  6. Anthrazenfarbstoffe,
  7. Oxychinonfarbstoffe der Benzol- und Naphtalinreihe,
  8. Parachinoniminfarbstoffe,
  9. Azinfarbstoffe,
  10. Oxazinfarbstoffe,
  11. Thiazinfarbstoffe,
  12. Thiazolfarbstoffe,
  13. Schwefelfarbstoffe,
  14. Pyridin-, Chinolin- und Akridinfarbstoffe,
  15. Indigo- und Thioindigofarbstoffe.

Die einzelnen Gruppen sowie ihre wichtigsten Vertreter sind in besonderen Abschnitten besprochen.

Nach ihrem verschiedenen Verhalten zu den Geweben und Gespinstfasern unterscheidet man weiter homochrome, heterochrome und Pigmentfarbstoffe.

Die homochromen Farbstoffe, welche direkt ohne Beize färben, bilden drei Unterabteilungen:

  • a) Basische Farbstoffe, die Wolle in wässriger Lösung ohne jeden Zusatz, Baumwolle aber erst nach vorherigem Beizen mit Tannin und Metallsalzen färben und daher auch Tanninfarbstoffe genannt werden. Bei ihnen ist die Base des Salzes die färbende Ursache.
  • b) Saure Farbstoffe, die Wolle in einem Bade aus Säuren oder sauren Salzen, Baumwolle hingegen gar nicht färben. Bei ihnen beruht die Farbwirkung auf der Säure des Salzes.
  • c) Substantive Farbstoffe, die ausnahmslos Baumwolle direkt oder nach Zusatz neutraler oder schwach alkalischer Salze, zum großen Teile aber auch Wolle im neutralen Glaubersalz- oder Kochsalzbade färben.

Die Mitglieder der zweiten Gruppe, die heterochromen Farbstoffe, die alle schwach sauren Charakter besitzen und mindestens zwei saure Gruppen (Hydroxyl- oder Karboxylgruppen) enthalten, färben die Faser nicht direkt, sondern erst nach der Behandlung mit einer Beize, wodurch Farblacke entstehen. Zu ihnen gehört besonders das Alizarin.

Zu den Pigmentfarbstoffen gehören nur verhältnismäßig wenige Farbstoffe, welche auf der Faser erzeugt werden, besonders Anilinschwarz, Indigo u. a.

Nach einer anderen Einteilung unterscheidet man die Farbstoffe auch wohl in substantive, die ohne Beize, und in adjektive, die nur mit einer Beize färben. Man findet dann, dass sich zahlreiche Farbstoffe gegen tierische Fasern (Wolle, Seide) substantiv, gegen Pflanzenfasern aber adjektiv verhalten, und dass z. B. die basischen Farbstoffe der vorstehenden Gruppierung sowohl substantiv als adjektiv sein können.

Die Herstellung der Teerfarben begann mit der Entdeckung des ersten violetten Farbstoffs aus Anilin, des Mauveins, durch William Henry Perkin im Jahre 1856, der bereits drei Jahre später, 1859, die Synthese des Fuchsins durch Verguin und zahlreicher anderer Anilinfarbstoffe, so des Anilinblaus durch Girard und de Laire, des Methylgrüns und des Methylvioletts folgten.
Jedes Jahr brachte neue Farbstoffe und Farbstoffgruppen (1869 die Azofarbstoffe durch Johann Peter Grieß, Alizarin und andere Anthrazenfarbstoffe durch Gräbe und Liebermann), bis im Jahre 1880 mit der künstlichen Darstellung des Indigos durch Adolf von Baeyer ein Höhepunkt der chemischen Synthese erreicht wurde.
Auf der Grundlage dieser streng wissenschaftlichen Forschung entwickelte sich eine blühende Industrie, in der Deutschland eine führende Rolle übernahm. Der Wert der Erzeugung stieg von 24 Millionen Mark im Jahre 1874 bis 65 Millionen Mark im Jahre 1890, und im Jahre 1908 erreichte allein die Ausfuhr die Höhe von 63.000 Tonnen im Wert von mehr als 120 Millionen Mark.

Die Teerfarbstoffe fanden ausgedehnte Anwendung in der Färberei, Zeugdruckerei, Buntpapier- und Tapetenfabrikation, zum Färben von Holz, Metall, Leder sowie zur Herstellung von Kinderspielzeug und Tinten.

Für viele Zwecke haben sie wegen ihrer glänzenden, in jeder gewünschten Abstufung herstellbaren Töne die natürlichen Farbstoffe völlig verdrängt, und im Gegensatze zu der früher weit verbreiteten Ansicht gibt es jetzt zahlreiche Teerfarben, die nicht nur (für Woll- und Seidenfärberei) völlig waschecht sind, sondern auch große Lichtbeständigkeit zeigen. Selbst die für Tapeten beliebten Modefarben lassen sich durchaus lichtecht erzielen.

Die Teerfarben des Handels enthalten oft Zusätze nicht färbender Stoffe, die zum Teil erlaubten Zwecken dienen, wie der Erzielung eines bestimmten Farbtones oder der Erleichterung ihres Gebrauchs. Es sind aber auch direkte Verfälschungen oder Beschwerungen beobachtet worden. Die Erkennung derartiger Fremdstoffe, soweit sie anorganisch sind, wie Kochsalz, Glaubersalz, Schwerspat, erfolgt mit Hilfe der Aschenbestimmung. Stärke und Zucker können mikroskopisch erkannt werden. Der Nachweise von Dextrin gelangt meist durch Behandlung mit Alkohol.

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