Thermische Wellen

Thermische Wellen
Schema einer thermischen Welle

Der Begriff Thermische Welle beschreibt ein räumlich und zeitlich veränderliches Temperaturfeld, das durch eine zeitabhängige Erwärmung in einem Medium hervorgerufen wird. Die Anregung des räumlich und zeitlich veränderlichen Temperaturfeldes, das mathematisch durch eine Diffusionsgleichung, die Wärmeleitungsgleichung, beschrieben wird, kann in einem Grenzfall periodisch-harmonisch oder im anderen Grenzfall pulsförmig erfolgen.[1]

In der Natur werden thermische Wellen erfahrbar, wenn man die im Tages- oder Jahresverlauf schwankende Temperatur im Erdboden betrachtet. Nahe der Oberfläche wird die tageszeitliche Temperaturschwankung spürbar, in größerer Tiefe nur die jahreszeitliche Schwankung.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Fourier führte bereits eine mathematische Analyse der Wärmewellen durch. Ångström nutzte Wärmewellen experimentell zur Bestimmung der Wärmeleitfähigkeit. Bell und Röntgen verwendeten den photoakustischen Effekt, bei dem Wärmewellen im Festkörper und im Gas eine entscheidende Rolle spielen.[2]

Mathematische Beschreibung

Am Beispiel der thermischen Welle, die im homogenen, halbunendlichen und nur an der Oberfläche absorbierenden Körper bei harmonisch-periodischer und großflächiger Bestrahlung angeregt wird, lassen sich die wichtigsten Eigenschaften thermischer Wellen beschreiben und die physikalischen Größen und Parameter erkennen, die mittels thermischer Wellen der Messung zugänglich sind. Die durch die an der Oberfläche absorbierte Leistung P0 hervorgerufene Temperaturschwankung ΔT(x,t) ist

(1) \Delta T(x,t) = \Delta T_0 (x) \cdot \cos(2 \pi f t + \Delta \Phi (x)).

Dabei ist:

(2) \Delta T_0 (x) = \frac{ P_0} {e \sqrt{2 \pi f}} \exp(-x/\mu)
(3) \Delta \Phi (x) = -\frac{x}{\mu} - \frac{\pi}{4}
(4) \mu = \sqrt{\frac{\alpha}{\pi f}}.

Die Amplitude der thermischen Welle (Gleichung 1) nimmt, ausgehend von der beheizten Oberfläche (x = 0), exponentiell mit der Tiefe ab. Die durch die Messung erfassbare Eindringtiefe liegt in der Größenordnung der thermischen Diffusionslänge µ. Bedingt durch die Frequenzabhängigkeit der thermischen Diffusionslänge µ (Gleichung 4) kann die Eindringtiefe durch gezielte Variation der Modulationsfrequenz f der Heizung eingestellt werden.

Im eindimensionalen Fall besteht eine Analogie zur elektromagnetischen Skin-Tiefe bei der elektromagnetischen Welle.

Die Amplitude der thermischen Welle ΔT0(x) (Gleichung 2) und die Phasenverschiebung ΔΦ(x) (Gleichung 3) hängen von den thermischen Eigenschaften ab:

der thermischen Effusivität (Wärmeeindringkoeffizient)

(5) e = \sqrt{k \rho c}

und der thermischen Diffusivität (Temperaturleitwert)

(6) \alpha = \frac{k}{\rho c}.

Daher können frequenzabhängige Messungen der Amplitude und Phase der thermischen Welle tiefenaufgelöste Information über diese kombinierten thermischen Parameter liefern. In Gleichung (5) und (6) sind k die Wärmeleitfähigkeit, ρ die Massendichte und c die spezifische Wärmekapazität.

Anregung und Nachweis von Wärmewellen

Grundsätzlich können alle Effekte, die lokal Wärme freisetzen, zur Anregung von Wärmewellen genutzt werden. Die klassische Anregungsmethode nutzt optische Strahlung in Form von moduliertem oder gepulstem Licht aus Sonnenstrahlung, Lampen oder Lasern. Bekannt sind jedoch auch Anregungen aus dem gesamten elektromagnetischem Spektrum einschließlich Röntgen- und Teilchenstrahlen sowie durch elastische Schwingungen, Ohm´sche Wärme und Heißluft.

Zum Nachweis von Wärmewellen wurde ein großes Spektrum an temperaturabhängigen Effekten genutzt. Eine klassische Technik ist die Umwandlung der Wärmewelle in Schall mit Hilfe des photoakustischen Effekts. Größere Bedeutung hat der Nachweis der Temperaturschwankung durch Infrarotdetektoren verschiedener Art. Weitere Techniken nutzen die temperaturabhängige Veränderung der optischen Reflexion sowie durch den Mirage-Effekt. Mit Infrarotkameras wird ein hochauflösender und berührungsfreier Nachweis der Wärmewelle erreicht.

Eine klassische Signalverarbeitungstechnik bei periodisch modulierter Anregung ist die Lock-in Technik. Mit ihr können Temperaturschwankungen bis in den µK Bereich nachgewiesen werden.

Anwendungen

In der Forschung werden thermische Wellen interdisziplinär in Physik, Biologie und Chemie verwendet. Thermische Wellen werden auf Größenskalen von Metern (Bauphysik) bis sub-Mikrometern (Nanomikroskopie) eingesetzt. Eine internationale Konferenz beschäftigt sich mit den thermischen Wellen.[3]

Industrielle Anwendungen findet man in der berührungsfreien Schichtdickenmessung, bei der Charakterisierung von Halbleitern, in der Infrarotspektroskopie, bei der Gassensorik und in der zerstörungsfreien Werkstoffprüfung und –charakterisierung.

In der Werkstoffprüfung: Im Verhalten analog einer akustischen Welle, wird die thermische Welle an inneren Grenzflächen (z. B. Defekten, Inhomogenitäten oder Schichtgrenzen im Material) reflektiert. Die zurückgeworfene Welle interferiert mit der einfallenden und bewirkt eine messbare Temperaturüberlagerung, die sich auf der Einkoppelfläche mit einer Infrarotkamera detektieren lässt. Entscheidend für die thermografische Analyse ist der zeitliche Verlauf der Temperatur an jedem Punkt der Fläche. Aus der Dynamik lassen sich Rückschlüsse auf die geometrische Struktur und Tiefenlage der im Material verborgenen Grenzflächen ziehen. Durch Variation der Frequenz des eingekoppelten Wärmestromes kann die Empfindlichkeit der Anordnung für verschiedene Tiefen optimiert werden. Auf dieser Basis sind z. B. berührungsfrei arbeitende Schichtdickenmessysteme und Systeme zur Fehlerdetektion an Schweißnähten, zur Rissdetektion in Bauteilen, zur Überprüfung von innerer Korrosion an Flugzeugwänden, zum Nachweis von inneren Delaminationen in Verbundwerkstoffen im Einsatz.

Kritik

Der Begriff „thermische Welle“ wird gelegentlich als unangemessen bezeichnet, da er streng nur für Lösungen von Wellengleichungen gilt. Insofern müsste man genauer von einer „thermischen Diffusionswelle“ oder einer „kritisch gedämpften Welle“ sprechen. Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich jedoch der Begriff "Thermische Welle" international durchgesetzt.

Siehe auch

Literatur

  • P. M. Patel: Photothermal Science and Techniques. Chapman & Hall London, 1996, ISBN 0412578808. 
  • A. Mandelis: Diffusion-Wave Fields. Springer-Verlag New-York, 2001, ISBN 0387951490. 

Einzelnachweise

  1. DIN EN 15042-2:2006
  2. Gerhard Busse:Rasterbildverfahren mit optisch erzeugten Wärmewellen in der zerstörungsfreien Werkstoffprüfung. 1984 (Habilitationsschrift, Universität Stuttgart)
  3. International Conference on Photoacoustic and Photothermal Phenomena, ICPPP

Weblinks


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