Tupamaros Westberlin

Tupamaros Westberlin

Die Tupamaros West-Berlin (TW) waren eine militante Gruppe, die in der Bundesrepublik mit Waffengewalt gegen den Staat vorging. Seit dem Herbst 1969 überzogen sie West-Berlin mit einer Serie von Bombenanschlägen.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft des Namens

Die Tupamaros West-Berlin entlehnten ihren Namen direkt einer gleichnamigen Gruppe, die von 1963 bis in die 1970er Jahre in Uruguay im Untergrund aktiv war. Die Tupamaros in Uruguay handelten nach dem Konzept der Stadtguerilla mit Anschlägen in den Großstädten, Entführungen hochgestellter Persönlichkeiten und Banküberfällen zur Geldbeschaffung. Ihr Name geht zurück auf einen Inka-Dorfvorsteher, der sich unter dem angenommenen königlichen Namen Túpac Amaru II. Anfang des 18. Jahrhunderts in einem letzten Aufbäumen der Indigenas gegen die spanischen Eroberer stellte – allerdings erfolglos.

Die TW waren Teil von losen, informellen persönlichen und politischen Zusammenhängen die als "Blues" bezeichnet wurden[1][2]. Zur etwa gleichen Zeit gab es auch noch die Tupamaros München.

Die Bombe im jüdischen Gemeindehaus

Jüdisches Gemeindehaus

Eine der ersten und bis heute umstrittensten Aktionen der Tupamaros West-Berlin fand am 9. November 1969 statt. Am Jahrestag der Reichspogromnacht platzierten sie eine Bombe im Jüdischen Gemeindehaus Berlin, die während einer Gedenkveranstaltung zu den Novemberpogromen explodieren sollte. Die Bombe explodierte wegen einer überalterten Zündkapsel nicht, der Zeitzünder hatte allerdings ausgelöst[3]. Laut einem damaligen Gutachten der Sprengstoffexperten der Berliner Polizei, die einen Nachbau zur Explosion brachten, hätte die Bombe „das Haus zerfetzt“ und unter den 250 Teilnehmern der Gedenkveranstaltung viele Opfer gefordert[4]. Unter den Anwesenden befanden sich auch der Berliner Bürgermeister und der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Heinz Galinski. Der Haupttäter, der die Bombe deponierte, war Albert Fichter. Laut mehrerer Zeugenaussagen[5][6] war Dieter Kunzelmann, der dies jedoch wiederholt bestritten hat, maßgeblich an der Planung beteiligt.

Im Jahr 2005 wurde durch den Historiker Wolfgang Kraushaar bekannt, dass die Bombe von Peter Urbach stammte, einem V-Mann des Berliner Verfassungsschutzes. Die Berliner Behörden kannten durch Urbach die Namen der beteiligten Täter. Sie wurden im Schlussbericht einer eingesetzten Sonderkommission auch genannt, der der Staatsanwaltschaft übergeben wurde. Diese erhob jedoch zum Erstaunen der beteiligten Polizisten keine Anklage. Der damals zuständige Staatsanwalt wollte sich auch im Jahr 2005 noch nicht zu den Vorgängen äußern[3]. Laut einem Erklärungsversuch für den ungewöhnlichen Vorgang wäre bei einem Gerichtsverfahren auch Urbachs Rolle bekannt geworden, was die Behörden verhindern wollten. Kraushaar meinte dazu: Es hätte auf jeden Fall einen großen Ansehensverlust der Bundesrepublik bedeutet, dass von staatlicher Seite die Mittel beigesteuert worden sind, um diesen Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus zu verüben.[3] Urbachs Rolle bei dem Anschlag wurde nie vollständig geklärt und gibt bis heute Anlass zu Spekulationen[4].

Es existieren mehrere unterschiedliche Deutungen der Motive hinter dem Anschlag. Nach einer Interpretation sollte damit, ausgelöst durch erste Kontakte mit der palästinensischen Befreiungsbewegung, eine Umorientierung des ideologischen Überbaus vom Vietnam-Krieg auf den Nahost-Konflikt herbeigeführt werden. Nach einer anderen Lesart könnte die Tat auch im direkten Auftrag der palästinensischen Al-Fatah ausgeführt worden sein.[7] Dagegen warf Wolfgang Kraushaar die Frage auf, ob Antisemitismus als die ausschlaggebende Wurzel für den Anschlag angesehen werden muss und inwieweit diese judenfeindliche Dimension für die Zerfallsphase der 68er-Bewegung als exemplarisch gelten kann.“[7]

Literatur

  • Michael „Bommi“ Baumann: Wie alles anfing. Trikont Verlag, München 1975 (Reihe: Romane, Reportagen, Autobiographien) ISBN 3-920385-68-3.
  • Wolfgang Kraushaar, Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus, Hamburg 2005 (Hamburger Edition des Instituts für Sozialforschung); HIS-Verlag; ISBN 3-936096-53-8).
  • Gerhard Seyfried: Der schwarze Stern der Tupamaros. Berlin 2004; Eichborn; ISBN 3-821807-54-7. (Roman)

Quellen

  1. Michael Bommi Baumann: Wie alles anfing. Trikont Verlag, München 1975 (Reihe: Romane, Reportagen, Autobiographien) ISBN 3-920385-68-3
  2. Ralf Reinders, Ronald Fritzsch: Die Bewegung 2. Juni. Gespräche über Haschrebellen, Lorenz-Entführung und Knast. Edition ID-Archiv, Berlin 1995, ISBN 3-89408-052-3 Online-Ausgabe (PDF und HTML)
  3. a b c Steffen Mayer und Susanne Opalka: Bombenterror gegen jüdische Gemeinde – nach 30 Jahren packt der Täter aus. rbb-online, 10. November 2005
  4. a b Gerd Koenen: Rainer, wenn du wüsstest! Der Anschlag auf die Jüdische Gemeinde am 9. November 1969 ist nun aufgeklärt - fast. Was war die Rolle des Staates? Berliner Zeitung, 6. Juli 2005
  5. Stefan Reinecke: Das abgespaltene Attentat. taz, 1. Juli 2005. Zitat: "(Wolfgang Kraushaar) ... stützt dies auf plausibel klingende Aussagen von Albert Fichter und Annekatrin Brunn, die damals zu Kunzelmanns Gruppe gehörten."
  6. Philipp Gessler und Stefan Reinecke: "Wir haben das nicht ernst genommen." Interview mit Tilman Fichter. taz, 25. Oktober 2005, S.15 - 17
  7. a b Wolfgang Kraushaar: Die ultimative Provokation. taz Magazin, 12. November 2005, S. III

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