Ultraliberalismus

Ultraliberalismus

Ultraliberalismus wird vorwiegend als abwertendes politisches Schlagwort verwendet, um als extrem empfundene liberale Positionen als übertrieben zu bezeichnen.[1]

Schon im 19. Jahrhundert war das Präfix ultra negativ konnotiert: „Ultra, Ultraliberale, Ultraroyalisten, Ultramontane. — Ultra heißt wörtlich jenseits. Es bezeichnet also in den beiden ersten angeführten zusammengesetzten Worten, daß die bestimmte Bestrebung oder Theorie jenseits der richtigen Linie oder Grenze eines freisinnigen oder monarchischen Bestrebens angelangt, aber daß sie durch Uebertreibung verkehrt sei.“[2]

Historische Verwendung

Bereits 1819 bezeichnete Fürst von Metternich in einem Brief an seinen Vertrauten Friedrich von Gentz den Ultraliberalismus als Ursprung der oppositionellen Bewegung. Jörn Leonhard sieht in dieser Bezeichnung eine „Stigmatisierung eines politischen Extremismus“, für den das aus Frankreich stammende Präfix Ultra stehen würde.[3]

Der russische Ökonom Ladislaus von Bortkewitsch verwendet den Begriff in einer Rezension über Vilfredo Paretos „Cour d’Économie politique“ Ende des 19. Jahrhunderts zur Kennzeichnung von Paretos Denken „im Sinne eines extremen Liberalismus und Idealismus“ (S. 90). Bortkewitsch erkennt im „ultra-liberalen Standpunkt Paretos“ ein „gut Stück Idealismus“, so dass man oft geneigt sei, „ihm dasselbe entgegenzuhalten, was seinerseits den sozialistischen Schriftstellern gegenüber geltend gemacht wird, nämlich daß sie mit idealen statt mit wirklichen Menschen rechnen.“ [4]

Wilhelm Traugott Krug nannte Ludwig Börne und Heinrich Heine als Beispiele für ultraliberale Juden.[5]

Adolf Heinrich von Arnim-Boitzenburg nannte den Arzt Dr. Julius Waldeck, ein Verwandter von Johann Jacoby, als Anhänger „der ultraliberalen Schule“, die „bei der literarischen Welt […] in keiner besonderen Achtung“ stehe und die auch nur „ein paar Studenten, junge Doktoren der Medizin und Juden“ umfasse.[6]

Beispiele für die Verwendung in der heutigen Zeit

Auch heute wird Ultraliberalismus sehr unterschiedlich verwendet, oft ähnlich wie das Schlagwort „Marktfundamentalismus“.

  • Sehr häufig findet sich das Wort im Buch Die Diktatur des Profits der Globalisierungskritikerin Viviane Forrester. Die FAZ schreibt in der Rezension ihres Buches, „Ultraliberalismus“ stehe bei Forrester für eine „unheimliche, nicht klar zu ortende Macht“, die die Welt regiere.[7]
  • Der Ökonom Michel Albert spricht vom Ultraliberalismus des „neo-amerikanischen Modells“.[12]
  • Friedrich August von Hayek befürwortete einen Zusammenschluss der Nationalstaaten in einem Bundesstaat, dessen Kompetenzen darauf beschränkt sein sollen, die Schädigung eines Staates durch einen anderen zu verhindern. Der Bundesstaat solle also Befugnisse analog zum „ultraliberalen Laissez-faire Staat“ haben.[14]
  • Nach Frank A. Meyer sei die Kernbotschaft des Ultraliberalismus „Alle Macht dem Markt“.[15]
  • Ultraliberal ist laut dem Philosophen Wolfgang Lenzen eine Position, „die nicht nur Abtreibung in beliebig fortgeschrittenen Schwangerschaftszustand, sondern sogar die Tötung von Neugeborenen und Säuglingen bis zu einem bestimmten Alter für moralisch zulässig erachtet“.[18]

Einzelnachweise

  1. Gerhard Strauss, Ulrike Hass, Ulrike Hass-Zumkehr, Gisela Harras: Brisante Wörter von Agitation bis Zeitgeist: Ein Lexikon zum öffentlichen Sprachgebrauch. Veröffentlicht von Walter de Gruyter, 1989 ISBN 311012078X, 9783110120783 S.387
  2. Karl Wenzeslaus Rodecker von Rotteck im: Staats-Lexikon oder Encyclopädie der Staatswissenschaften von 1845, Seite 481.
  3. Jörn Leonhard, Liberalismus: zur historischen Semantik eines Deutungsmusters, veröffentlicht von Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2001 ISBN 3486565338, S. 287
  4. Ladislaus Bortkewitsch: "Die Grenznutzentheorie als Grundlage einer ultra-liberalen Wirtschaftspolitik“. In: Gustav Schmoller (Hrsg.): "Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft", 22. Jg., Viertes Heft, Leipzig 1898, S 89-128.
  5. Wilhelm Traugott Krug, Verhandlungen des ersten Landtags im Königreiche Sachsen nach der neuen Verfassung: Ein Beitrag zur Geschichte der Entwicklung des konstituzionalen Lebens in Deutschland, 1833, Seite 147
  6. Jacob Toury, Die politischen Orientierungen der Juden in Deutschland, Mohr Siebeck Verlag, 1966, ISBN 3168211222, Seite 12
  7. Karen Horn: Wahnsinn ohne Methode in der FAZ vom 12. Februar 2001
  8. Ludwig Marcuse, Börne, 1968, Seite 252
  9. Dietmar Goltschnigg, Hartmut Steinecke (Herausgeber), Heine und die Nachwelt: Geschichte seiner Wirkung in den deutschsprachigen Ländern : Texte und Kontexte, Analysen und Kommentare, Erich Schmidt Verlag, 2008, ISBN 3503079920, Seite 424
  10. Eleonore Sterling, Judenhass: Die Anfänge des politischen Antisemitismus in Deutschland (1815-1850), Europäische Verlagsanstalt, 1969, Seite 44
  11. Hans Michael Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit: zur Formel vom „sozialen“ Staat in Art. 20 Abs. 1 GG, Mohr Siebeck, 2008, ISBN 3161496531, Seite 112
  12. Michel Albert: Kapitalismus contra Kapitalismus. Campus, Frankfurt am Main, S. 66.
  13. David Held: Democracy and the Global Order. Stanford University Press, Stasnford 1995, S. 243.
  14. Jochen Hoffmann: Theorie des internationalen Wirtschaftsrechts. Mohr Siebeck, 2009 ISBN 3161500326 S.37. Im Original bei Hayek: Der Weg zur Knechtschaft. Olzog Verlag GmbH, 2009 ISBN 3789282626 S.286
  15. Frank A. Meyer: Welchen Kapitalismus wollen wir?
  16. Eric J. Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme - Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München u.a.: Hanser-Verlag, 1995, S.510.
  17. Bernd A. Laska: Die Anarcho-Kapitalisten und Max Stirner, 2000
  18. Wolfgang Lenzen: Fortschritte in der Bioethik?

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