Union progressiver Juden in Deutschland

Union progressiver Juden in Deutschland

Die Union progressiver Juden in Deutschland (UpJ) ist der Dachverband von mehrheitlich reformjüdischen Gemeinden und Organisationen in Deutschland. Ihr gehören 22 Gemeinden sowie drei Organisationen mit insgesamt 4.500 Mitgliedern an. Die UpJ ist eingetragener Verein mit Sitz in Hannover und Geschäftsstelle in Bielefeld. Sie ist ist Mitglied der „Weltunion für progressives Judentum“, Vorsitzende ist Sonja Guentner[1].

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Begünstigt durch die Zuwanderung von Juden aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion seit Anfang der neunziger Jahre entstand in den schnell wachsenden Einheitsgemeinden das Bedürfnis nach Alternativen zum üblicherweise orthodox geprägten Gottesdienst. Ab 1995 gründeten sich an einigen Orten liberale Minjanim und Gemeinden. Kennzeichnend für sie sind: gestraffte Liturgie, Gebetstexte in egalitärer Sprache mit muttersprachlichen Anteilen, Aufhebung der Geschlechtertrennung im Gottesdienst und Gleichberechtigung von Männern und Frauen im Ritus. Erster überregionaler Treffpunkt dieser Bewegung war von 1995 bis 2002 die Evangelische Akademie Arnoldshain im Taunus.

Im Juni 1997 wurde dann die UpJ in München gegründet und 1999 ins Vereinsregister von Hannover eingetragen. Gründungsvorsitzender war Jan Mühlstein, der im Juli 2011 aus dem Amt schied.

Im Herbst nach der Gründung der UpJ publizierte sie ihr eigenes Gebetbuch (Siddur und Machsor) Seder ha-Tefillot. 1998 erschien eine Pessach-Haggada. In den Jahren 1999–2004 übersetzte Annette M. Böckler den Torakommentar von Gunther Plaut ins Deutsche.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland verhielt sich gegenüber der Union UpJ in den ersten Jahren abweisend. Er beharrte auf dem Prinzip der Einheitsgemeinde und betonte seinen politischen Alleinvertretungsanspruch für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland.

Im November 2000 eröffnete die Union mit dem Abraham-Geiger-Kolleg an der Universität Potsdam ein eigenes, wissenschaftlich orientiertes Rabbinerseminar. Im Herbst 2001 gründeten junge jüdische Erwachsene aus liberalen Gemeinden die Jugendorganisation Jung und Jüdisch Deutschland, ein Mitglied der weltweiten jüdisch-progressiven Jugendbewegung Tamar Olami.

Nachdem das Bundesverwaltungsgericht in einer Grundsatzentscheidung aber liberale Gemeinden anderen jüdischen Gemeinden gleichgestellt hatte, zeichnete sich eine Neuorientierung im Verhältnis zum Zentralrat ab. Zwar kam es zunächst noch zu einer heftigen Auseinandersetzung um den Staatsvertrag, den die Bundesregierung am 27. Januar 2003 mit dem Zentralrat geschlossen hatte. Hauptstreitthema war die Verteilung der damit verbundenen Fördergelder. Seit Sommer 2004 entspannte sich das Verhältnis zwischen Zentralrat und Union zusehends. Jüdische liberale Gemeinden werden seitdem an Programmen und Projekten des Zentralrats und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland beteiligt und können dort auch Teilnehmer stellen.

Den Rahmen für die Kinder- und Jugendarbeit der Unionsgemeinden bildet Jung und Jüdisch Junior/Netzer. Sie ist vernetzt mit der internationalen Organisation Netzer Olami. Im Mai 2005 wurde in München die progressiv-zionistische Organisation arzenu Deutschland gegründet, die im gleichen Jahr in die Union als Mitgliedsorganisation aufgenommen wurde und damit die zionistischen Werte der UpJ repräsentiert. arzenu Deutschland ist Mitglied in der Zionistischen Organisation in Deutschland und des arzenu-Weltverbandes.

Der Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Schleswig-Holstein und der Landesverband der israelitischen Kultusgemeinden von Niedersachsen – beide vereinigen Mitgliedsgemeinden der UpJ und/oder der WUPJ – wurden am 20. November 2005 in den Zentralrat aufgenommen. Einige liberale Gemeinden außerhalb von Schleswig-Holstein und Niedersachsen ringen allerdings auf dem Rechtsweg noch um ihre Anerkennung durch die regionalen Landesverbände jüdischer Gemeinden und ihre Beteiligung an den Staatsverträgen mit den Bundesländern.

Die Mitgliederversammlung der UpJ beschloss am 16. Juli 2006, sich mit ihren Rabbinern der nicht-orthodoxen Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschland (ARK) anzuschließen, einer der beiden Rabbinerkonferenzen unter dem Dach des Zentralrates. Über Fragen religionsrechtlicher Natur – vor allem die Anerkennung von Übertritten zum Judentum – trifft künftig dessen Religionsgericht (Beth Din) auch für Gemeinden der Union progressiver Juden verbindliche Entscheidungen.

Reformgemeinden in Deutschland

Die Mehrzahl ihrer Mitgliedsorganisationen sind jüdische Richtungsgemeinden, die ausdrücklich ein liberales Judentum oder progressives Judentum vertreten, nur einzelne sind jüdische Einheitsgemeinden und damit dem Anspruch verpflichtet, alle religiösen Strömungen unter einem Dach zu vereinigen.

Liberale jüdischen Gemeinden in Deutschland gibt es in:

Einzelnachweise

  1. Evangelischer Pressedienst Frau an der Spitze des Dachverbandes liberaler Juden

Literatur

  • Heinz-Peter Katlewski: Judentum im Aufbruch. Von der neuen Vielfalt jüdischen Lebens in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Jüdische Verlagsanstalt, Berlin 2002, ISBN 3-934658-38-5
  • Heinz-Peter Katlewski: III - 7 Jüngere Entwicklungen im deutschsprachigen Raum. Ergänzungslieferung 2003, In: Klöcker/Tworuschka (Hrg.): Handbuch der Religionen. Kirchen und andere Glaubensgemeinschaften in Deutschland. Olzog-Verlag, ISBN 3-7892-9900-6
  • Jonathan Romain und Walter Homolka: Progressives Judentum. Leben und Lehre. Jüdische Verlagsanstalt, Berlin 1999, ISBN 3-934658-81-4
  • Seder ha-Tefillot. Das jüdische Gebetbuch. Hg. von Jonathan Magonet in Zusammenarbeit mit Walter Homolka, aus dem Hebräischen von Annette M. Böckler. Band 1: Gebete für Schabbat, Wochentage und Pilgerfeste; Band 2: Gebete für die hohen Feiertage. Union progressiver Juden in Deutschland e.V., Bielefeld 2010 / Jüdische Verlagsanstalt Berlin, Enger ISBN 978-3-934658-52-3 und ISBN 978-3-934658-59-2

Weblinks


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