Unterstützte Kommunikation

Unterstützte Kommunikation
Beispiele für Bliss-Symbole

Unterstützte Kommunikation (abgekürzt UK) ist die Eindeutschung des englischsprachigen Begriffs Augmentative and Alternative Communication (AAC). Wörtlich übersetzt bedeutet der englische Fachausdruck „ergänzende und ersetzende Kommunikation“, wobei das, was ergänzt bzw. ersetzt wird, die Lautsprache ist.

Unterstützte Kommunikation ist der Oberbegriff für alle pädagogischen oder therapeutischen Maßnahmen zur Erweiterung der kommunikativen Möglichkeiten von Menschen, die nicht oder kaum über Lautsprache verfügen. Beispiele sind die Einführung von Bildsymbolkarten oder einer Kommunikationstafel zur Verständigung, die Versorgung mit einem Sprachausgabegerät oder die Ergänzung der Lautsprache durch das Gebärden von Schlüsselwörtern. Außerdem bezeichnet der Terminus den Prozess der Kommunikation mit Mitteln Unterstützter Kommunikation (z. B. in der Wendung unterstützt kommunizierende Menschen) sowie das interdisziplinäre Fachgebiet, das sich mit Unterstützter Kommunikation befasst.

Der Begriff ist nicht zu verwechseln mit der gestützten Kommunikation, einer Methode, die von manchen als Teilgebiet der Unterstützten Kommunikation angesehen wird und bei der ein Kommunikationsprozess mittels körperlicher Berührung (Stütze) initiiert werden soll.

Inhaltsverzeichnis

Gebärdeneinsatz in der Unterstützten Kommunikation

Zum Gebärdeneinsatz in der Unterstützten Kommunikation gibt es verschiedene Überlegungen, die unter [1] im Artikel von Ursula Braun „keine Angst vor Gebärden“ gut zusammengefasst sind. Es können u. a. folgende Vorgehensweisen zum Einsatz kommen.

Ein Unterschied der verschiedenen Systeme liegt im verwendeten Vokabelschatz. Während LUG und Makaton auf den Vokabelschatz der Deutscher Gebärdensprache (DGS) zurückgreifen, verwendet GuK teilweise Abänderungen dieser Gebärden. Viele Gebärden der drei Sammlungen sind allerdings identisch.

Gemeinsam haben die drei Ansätze, dass nicht ganze Sätze in Gebärden ausgedrückt werden, sondern nur die Schlüsselwörter der Satzaussage. Parallel zu den Gebärden wird der ganze Satz gesprochen. Beispiel: „Wir beide gehen jetzt zum Turnen“. In diesem Satz wird „beide“ und „turnen“ gebärdet.

Zielgruppe

  • Menschen ohne Sprechvermögen aufgrund angeborener oder erworbener Beeinträchtigungen
  • Menschen, die Lautsprache verstehen, sich aber nicht ausdrücken können
  • Menschen, die Unterstützung beim Lautspracherwerb benötigen
  • Menschen, für die die Lautsprache als Kommunikationsmedium zu komplex ist bzw. abgelehnt wird und die daher eine Ersatzsprache oder Hilfsmittel benötigen

Diese Zielgruppen umfassen:

  • Menschen mit angeborenen Beeinträchtigungen (Bewegungsstörungen aufgrund frühkindlicher Hirnschädigung, geistige Behinderung, u. a.)
  • Menschen mit fortschreitender Erkrankung (Muskeldystrophie, Amyothrophe Lateralsklerose (=degenerative Krankheit des motorischen Nervensystems), Multiple Sklerose, u. a. )
  • Menschen mit erworbenen Schädigungen durch Unfälle (Schädelhirntrauma, u. a.) oder Schlaganfälle
  • Menschen mit vorübergehend eingeschränkten sprachlichen Möglichkeiten (Gesichtsverletzungen, u. a.)

Ziele und grundlegende Prinzipien

Allgemein:

  • Verbesserung der Kommunikation: Erleichterung für beide Kommunikationspartner
  • Erweiterung der kommunikativen Fähigkeiten eines Menschen im Alltag, Schaffen von Ausdrucksmöglichkeiten
  • Unterstützung des Sprachverständnisses

Speziell:

  • Gefühle, Ängste, Wünsche können ausgedrückt werden
  • Entscheidungen können getroffen werden
  • Missverständnisse werden durch Nachfragen verringert
  • Ersatz und Ergänzung der Lautsprache
  • Durch elektronische Kommunikation kann man laut reden und jemanden rufen, der weiter weg ist
  • Totale Kommunikation (Mimik, Gestik, Laute, Sprache, Bewegung) wird zuerst ausgenutzt, um nichtsprechenden Menschen eine effektive Kommunikation mit der Umwelt zu ermöglichen.

Elemente der UK

  • Einsatz von Gebärden und Beachtung körpereigener Signale im Kontakt mit nicht sprechenden Menschen
  • Einsatz von nichtelektronischen Kommunikationshilfen (z. B.: Bildsymbole, Kommunikationsbücher- oder Tafeln, Fotos)
  • Verwendung elektronischer Kommunikationshilfen (wie BigMack, Step-by-Step, einfache oder komplexere Sprachausgabegeräte etc.)

Angestrebt wird ein multimodales Kommunikationssystem, d. h. der Nutzer soll nicht ausschließlich eine Methode verwenden, sondern – wie es auch in der Kommunikation von Menschen mit voller Lautsprachkompetenz der Fall ist – verschiedene Methoden einsetzen können.

Entwicklung der UK in Deutschland

Vereinzelte Bemühungen gibt es seit Anfang der 70er Jahre (z. B. Belvedere Schule in Köln). Seit 1981 trugen verschiedene Kurse zur Symbolsprache (z. B. BLISS) zur Weiterentwicklung der UK bei. BLISS wird von vielen Praktikern zunehmend als veraltet angesehen, kritisiert wurde der hohe Abstraktionsgrad der BLISS-Symbole. Allerdings ist der empirische Forschungsstand zur Erlernbarkeit grafischer Symbole uneindeutig und erlaubt auch die Schlussfolgerung, dass von manchen Personengruppen Bliss-Symbole leichter erlernt werden können als ikonische Symbole (vgl. von Tetzchner & Martinsen, 2000). Zudem bietet Bliss den Vorteil, dass die Symbole bei Bedarf auch schnell selbst gezeichnet werden können.

Moderne Computerprogramme, die Bildsymbolsammlungen anbieten, haben dennoch Bliss den Rang abgelaufen. Insbesondere Computerprogramme wie „Boardmaker“ oder "OnScreenCommunicator" erfreuen sich wachsender Popularität, trotz der hohen Anschaffungskosten.

Zunehmend wurden auch Probleme nicht sprechender oder lautsprachbehinderter Menschen in den Fokus gerückt. Innerhalb der letzten Jahre entstanden durch die gestiegene Auswahl an elektronischen Hilfsmitteln viele neue Möglichkeiten. Im Jahre 1990 wurde die International Society for Augmentative and Alternative Communication (ISAAC) gegründet. Erste wissenschaftliche Untersuchungen wurden von Lage (1990), Gangkofer (1993), Braun (1994) durchgeführt. Die Zahl der Publikationen über UK nimmt weiter zu.

Kommunikationshilfen

Körpereigene Kommunikationsformen

  • Atmung, Muskelentspannung, Körperhaltung (Basale Kommunikation nach Winfried Mall)
  • Sensomotorische Interaktion (Somatischer Dialog nach Andreas Fröhlich)
  • Blickverhalten
  • Tätigkeiten
  • verbale und vokale Äußerungen
  • Gebärden
  • Mimik
  • Gestik
  • Handbewegungen

Nicht-elektronische Kommunikationshilfen

  • Kommunikationsbücher, -ordner, -tafeln, -schürzen, -ketten, -bretter, Fotoalben, Kommunikationskästen mit Miniaturobjekten, Symbol- oder Bildposter, Wort- und Bildkarten (für die jeweilige Person relevante Bilder, Symbole, Umrisse oder Zeichnungen werden entsprechend fixiert und durch darauf zeigen zur Kommunikation genutzt)
  • verschiedene Symbol- und Bildersysteme (Bliss, Minspeak, PCS)
  • Gebärden (DGS, „Schau doch meine Hände an“, GuK, eigene)

Elektronische Kommunikationshilfen

Elektronische Kommunikationshilfen sind Geräte, die Eingaben (über die Tastatur oder über andere Eingabegeräte) in Lautsprache oder Schriftsprache verwandeln. Sie werden im Kontext Unterstützter Kommunikation eingesetzt, um Menschen mit Kommunikationsbeeinträchtigung lautsprachalternative Kommunikationsmöglichkeiten zu erschließen.

Man unterscheidet zwischen stationären und tragbaren (oder auch mobilen) elektronischen Kommunikationshilfen. Stationäre Systeme bestehen aus einem PC mit Kommunikationssoftware und ggf. mit angepassten Eingabemöglichkeiten (z. B. Touchscreen, Fußmaus, Kopfzeiger, alternatives Keyboard). Bei den tragbaren Systemen unterscheidet man zwischen Geräten, die eigens als Sprachausgabegeräte für Menschen mit Behinderung entwickelt wurden, und zwischen als Sprachausgabegerät umgerüsteten Notebooks oder Handhelds.

Weiterhin unterscheidet man zwischen Systemen mit Lautsprachausgabe und/oder mit Schriftsprachausgabe, die Schriftsprachausgabe erfolgt dann entweder über ein Display oder auch über ein Druckmodul. Die Lautsprache wird entweder bei der Einrichtung des Geräts von einer lautsprachkompetenten Person über ein eingebautes Mikrofon auf das Gerät gesprochen (sog. natürliche Sprachausgabe – digitalisierte Sprache) oder sie wird synthetisch im Gerät erzeugt („Computersprache“). Beide Varianten haben Vor- und Nachteile, beispielsweise klingt digitalisierte Sprache natürlicher, braucht aber sehr viel Speicherplatz. Äußerungen mithilfe digitalisierter Sprache sind zudem auf zuvor definierte (und aufgenommene) Laute beschränkt, während über Geräte mit synthetisch erzeugter Sprache auch neue Äußerungen möglich sind. Geräte mit moderner Software bieten oft beide Möglichkeiten an.

Elektronische Kommunikationshilfen mit Sprachausgabe nennt man auch Sprachausgabegeräte oder – seltener – Sprechgeräte. Umgangssprachlich werden sie auch als „Sprachcomputer“ bezeichnet. Geläufig ist auch die Bezeichnung „Talker“, nach dem Gattungsnamen der Sprachausgabegeräte einer großen Hilfsmittelfirma (nach dem gleichen Prinzip, nach dem Papiertaschentücher oft „Tempo“ genannt werden).

Viele Sprachausgabegeräte haben keine normale Tastatur, sondern werden entweder mit einem Touchscreen angesteuert oder über eine Benutzeroberfläche, die aus oft großflächigen Tasten besteht. Die Tasten nennt man „Felder“ oder "Zellen" und die gesamte Benutzeroberfläche „Ebene“. Viele Geräte haben mehrere Ebenen, unter denen man bei Bedarf auswählen kann. Wenn ein Gerät z. B. 32 Felder und vier Ebenen hat, kann man 128 Aussagen darauf speichern. Neuere Geräte erlauben eine individuelle Anzahl an Feldern.

Eine andere Möglichkeit, die Anzahl der abrufbaren Aussagen zu erhöhen, besteht in der Kodierung: Einer Äußerung ist nicht eine Taste zugeordnet, sondern eine Tastenkombination. Auf einem Gerät mit 32 Feldern wären mit diesem Prinzip dann 32 × 32 = 1024 Äußerungen abrufbar.

Viele Sprachausgabegeräte arbeiten nicht oder nicht ausschließlich auf Schriftsprachbasis. Stattdessen wird mit Bildern und Icons gearbeitet, die der Nutzer auswählt, um eine Äußerung zu erzeugen. Dies liegt nicht nur daran, dass viele Nutzer über keine Schriftsprachkenntnisse verfügen, sondern ist auch dadurch bedingt, dass die Kommunikationsgeschwindigkeit erhöht wird, wenn nicht jedes Wort buchstabiert werden muss.

Anfang der neunziger Jahre kam in Deutschland das erste Gerät mit Sprachausgabe auf den Markt. Seitdem sind – mitbedingt durch die Verbilligung der Speicherchips – viele Varianten von Sprachausgabegeräten entwickelt worden.

Es gibt eine Vielzahl von Bedienelementen für elektronische Kommunikationshilfen, z. B. Druck- und Kippschalter, Stirnstab, Mouse, Trackball, Joystick, Lichtsensor, Näherungssensor, Flächenjoystick, Saug- und Blasschalter, Kopfmaus oder Augensteuerung. Mit diesen Elementen werden entweder die Felder direkt angesteuert (sog. direkte Selektion) oder indirekt (diverse Scanningverfahren).

Siehe auch

Literatur

  • von Loeper Literaturverlag und isaac – Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation e. V.(Hrsg.): Handbuch der Unterstützten Kommunikation, 2003, ISBN 978-3-86059-130-7
  • Stephen v. Tetzchner, Harald Martinsen: Einführung in die Unterstützte Kommunikation. edition S, 2000
  • Annette Kitzinger: Jetzt sag ich’s dir auf meine Weise! Erste Schritte in Unterstützter Kommunikation mit Kindern. Von-Loeper-Literaturverlag, Karlsruhe 2004, ISBN 3-86059-137-1
  • Etta Wilken (Hg.): Unterstützte Kommunikation. Eine Einführung in Theorie und Praxis. Kohlhammer Verlag, 3. Auflage, Stuttgart 2010
  • Ursi Kristen: Praxis unterstützte Kommunikation. Eine Einführung. Verlag Selbstbestimmtes Leben, Düsseldorf 1994, ISBN 3-910095-23-2
  • Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (Hg.): Unterstützte Kommunikation (UK) in Unterricht und Schule. Hintermaier Verlag, München 2009.

Weblinks


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