Vatikanische Sternwarte

Vatikanische Sternwarte

Die Vatikanische Sternwarte (it. Specola Vaticana) ist die Astronomische Forschungs- und Bildungsinstitution des Heiligen Stuhls. Das Institutszentrum ist in Castel Gandolfo (Italien) untergebracht, die Forschungseinrichtungen sind seit 1981 an die University of Arizona verlegt worden. Mit der Forschungseinrichtung VATT (Vatican Advanced Technology Telescope) wird seit 1993 auf dem Mount Graham bei Safford (Arizona) in den USA ein eigenes Observatorium betrieben, das mit einem 1,8-Meter-Teleskop arbeitet.

Die Vatikanische Sternwarte ist als Institution eine der ältesten Forschungsstätten der Astronomie, deren Geschichte mit dem Bau des Turms der Winde 1578 beginnt.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Das Institut wurde in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts zur Durchführung der Gregorianischen Kalenderreform und zur Überprüfung des Kalenders durch Gregor XIII. gegründet. Ab 1578 ließ Gregor XIII. den Turm der Winde errichten und stellte ihn den jesuitischen Astronomen und Mathematikern des Collegio Romano für die mit der Kalenderreform verbundenen Arbeiten zur Verfügung.

Christoph Clavius SJ war als führender Mathematiker am Collegio Romano und fachlich Verantwortlicher für die Gregorianische Kalenderreform de facto der erste Leiter der Sternwarte, auch wenn keine offizielle Ernennung bekannt ist. 1612 folgte Christoph Grienberger SJ Clavius auf dem Mathematik-Lehrstuhl am Collegio Romano und auch in dessen Funktion in der Sternwarte. Bereits um 1610, kurz nach der Erfindung des Fernrohrs, entwickelte er dort die Deutsche Montierung.

Im 18. Jahrhundert wurde im Collegio Romano ein höherer und mit besseren Instrumenten ausgestatteter Turm errichtet, der ab 1774 offiziell als päpstliche Sternwarte diente. Dabei erreichte die astronomische Forschung unter Pater Angelo Secchi einen ersten Höhepunkt. Secchi konzentrierte sich dabei auf die Sonnenforschung und er gilt als der Wegbereiter der Spektralanalyse.

In Fortsetzung dieser Tradition veranlasste Leo XIII. am 14. März 1891 mit dem Motu Proprio Ut mysticam einen Observatoriumsneubau auf dem Vatikanhügel hinter der St. Peter-Basilika. Mit Personal aus verschiedenen religiösen Orden (Barnabiter, Oratorianer, Agostinianer, Jesuiten) beteiligte sich die Sternwarte hauptsächlich an einem großen internationalen Programm zur Erstellung einer fotografischen Himmelskarte. Wegen der zunehmenden Lichtverschmutzung wurde das Institut dann aber von Papst Pius XI. nach Castel Gandolfo 25 km südöstlich von Rom verlegt. Dort begann die Forschung 1930 mit zwei neuen Teleskopen und einem astrophysikalischen Labor u.a. mit einer Einrichtung zur Astrospektroskopie. 1957 folgte dort die Installation eines weitwinkligen Schmidt-Teleskops zur Klassifizierung von Sternen und ihren Spektren.

Ab 1981 wurde die Forschungsabteilung des Institutes dann durch deren Leiter George Coyne nach Arizona an die dortige Universität verlegt. Die Vatican Observatory Research Group arbeitet dort in einem der modernsten Zentren der Astronomie, wo 1993 mit dem Aufbau des Vatican Advanced Technology Telescope begonnen wurde. Das Institut ist auch an dem Large Binocular Telescope in direkter Nähe des VATT beteiligt. Der derzeitige Direktor ist José Gabriel Funes.

Forschungsthemen und Sternwartebau

Die Sternwarte und ihre Forschungen haben bis heute – auch im Zeitalter der Großteleskope – einen guten Ruf. Die Hauptarbeitsgebiete liegen in der Astrophysik (u. a. Expansion des Weltalls, Dunkle Materie, Dunkler Energie, Veränderliche, „Neue“ Sterne, Planetologie, Quasare, Kugelsternhaufen, Beschleunigung des Universums). Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf interdisziplinären Forschungen (Astronomie-Physik-Philosophie-Theologie).

Der alte Sternwartenbau von 1930 in Castel Gandolfo hat zwei Kuppeln („Specola“) mit mehreren Teleskopen aus den 1950er-Jahren und einem 60 cm-Schmidtspiegel, die aber heutigen Ansprüchen nur mehr bedingt genügen. Deshalb betreibt das Institut die Vatican Observatory Research Group an der University of Arizona und zusätzliche Kooperationen mit anderen Observatorien, vor allem in den USA. Für die galaktische und die Stellarastronomie bedeutsam sind und waren ein großer Doppelastrograf und ein Speziallabor für Astrophysik (insbes. Spektralanalyse, siehe Angelo Secchi).

Wissenschaftliche Symposien

Zu den vielen geistes- und naturwissenschaftlichen Symposien (u. a. über Evolution, Astrophysik, Urknall und Kosmologie, Wissenschaft und Religion), die von der Vatikanischen Sternwarte veranstaltet wurden, zählte zuletzt 2006 eine internationale Tagung für Physiker über Schwarze Löcher und aktive galaktische Kerne.

Seit 1986 findet alle zwei Jahre eine intensive 4-wöchige Sommerschule für Studenten statt, die Summer School in Astronomy and Astrophysics. Ein guter Teil der Hörer kommt aus Entwicklungsländern, denen der Vatikan auch Fachkontakte vermittelt.

1991 fand ein besonderer 3-wöchiger Sommerkurs in Castel Gandolfo über Kosmologie und den Fall Galilei statt, an dem auch 25 Bischöfe aus verschiedenen Ländern teilnahmen. In täglich vier Vorlesungen wurden die Grundlagen für einen soliden Dialog zwischen Religion und Wissenschaft gelegt und auch die Revision des Galilei-Prozesses vorbereitet.

Die Vatikanische Sternwarte organisiert auch jedes Jahr internationale Kolloquien über mögliche Beziehungen zwischen theologischen und naturwissenschaftlichen Gebieten, beispielsweise

  • 1987, 300 Jahre seit Newtons „Philosophiae Naturalis Principia Mathematica“, über Gotteserkenntnis durch Physik, Philosophie und Theologie. Die Proceedings wurden – zusammen mit einem Begleitschreiben von Papst Johannes Paul II. – als eine Art Handbuch für den Dialog zwischen Theologie und moderner Physik.
  • 1992 trafen sich in Castel Gandolfo 140 Referenten und mit sieben Arbeitsgruppen zum Thema Ursprung des Universums. Die „Europäische Gesellschaft für das Studium von Wissenschaft und Religion“ veranstaltet solche Tagungen im Zwei-Jahres-Rhythmus. Als komprimiertes Fazit von 1992 ergab sich, dass der Urknall nicht identisch mit der Schöpfung ist, aber die Entwicklung des Universums eine Schöpfung voraussetzt. Die kosmologische Entwicklungstheorie stehe also nicht im Gegensatz zum biblischen Schöpfungsbericht.

Bekannte vatikanische Astronomen

Zu den vielen bekannten Wissenschaftlern, die im Vatikan astronomische Forschung betrieben, gehören vor allem naturwissenschaftlich-philosophisch gebildete Jesuiten – beispielsweise

  • Christophorus Clavius, Mathematiker, führend in der Kalenderrechnung und Mondforschung (nach ihm heißt einer der größten Mondkrater),
  • Christoph Grienberger, Mathematiker und Astronom (Deutsche Montierung),
  • Angelo Secchi, bekannter Sonnenforscher, der auch erstmals die Spektralklassen der Fixsterne klassifizierte,
  • Johann Georg Hagen, führend in der Erforschung Veränderlicher Sterne – siehe der neunbändige Atlas Stellarum Variabilium und seine Mitautoren
  • Johan Stein, Matyas Tibor und Walter Miller
  • Aloisius Gatterer aus Wien, Autor des ersten „Spektrochemischen Atlas“ mit allen Linienspektren von 73 chemischen Elementen (1949, drei Bände), sowie der „Spectrochimica Acta“ mit bis heute unentbehrlichen Molekularspektren von 40 Metalloxyden und 45 UV-strahlenden Elementen.
  • Joseph Junkes (München), Mitautor des „Spektrochemischen Atlas“ 1938
  • George Coyne (* 1934), bis 2006 Leiter der Vatikanischen Sternwarte und auch der Außenstelle in Arizona, wo u. a. vor zehn Jahren das Großteleskop VATT entstand.
  • José Gabriel Funes (* 31. Januar 1963), seit 19. August 2006 der Direktor der Vatikanischen Sternwarte.

Weblinks


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