Versorgungslücke

Versorgungslücke

Mit Rentenlücke (auch Versorgungslücke) wird in der Regel derjenige Prozentanteil bezeichnet, um den das letzte monatliche Netto-Einkommen vor Renteneintritt die gesetzliche Altersversorgung übersteigt. Neuere Untersuchungen haben dieses Prinzip erweitert und neben der gesetzlichen Altersversorgung auch betriebliche und private Vorsorgemaßnahmen in die Berechnung dieser fiktiven Rentenlücke einbezogen. Da die Höhe des Einkommens zur Deckung der eigenen Versorgung keine absolute und stetig gleichbleibende Größe darstellt, suggeriert der Begriff allerdings einen Finanzmangel, der nicht bei allen Personen mit dem Rentenbeginn und einem damit verbundenen niedrigeren Einkommen tatsächlich eintritt.

In der politischen Diskussion wird damit die Zielgröße des anzustrebenden Rentenniveaus der Gesetzlichen Rentenversicherung gekennzeichnet. Der Begriff wird in der Finanzplanung der Versicherungswirtschaft dazu verwendet, eventuellen langfristigen Sparbedarf zu identifizieren, um die Rentenlücke zu schließen. Finanzdienstleister nutzen den Begriff der Rentenlücke, um Verbraucher (potentielle Kunden) auf die Notwendigkeit einer zusätzlichen und effizienten privaten Vorsorge hinzuweisen.

Inhaltsverzeichnis

Grundlagen

Alterseinkommen

Die Alterseinkommen setzen sich meist aus verschiedenen Teilen zusammen, deren Gewichtung in Abhängigkeit von nationaler Gesetzgebung und Tradition international sehr unterschiedlich ist. Mit Blick auf die Altersvorsorge unterscheidet man in aller Regel drei wesentliche Säulen:

  1. Gesetzliche Rentenversicherung
  2. Betriebliche Altersversorgung
  3. Private Altersvorsorge (inkl. verschiedener Vermögensbestände)

Bedarfseinkommen im Alter

Das in der Rentenphase benötigte Einkommen (Bedarfseinkommen) ist individuell sehr unterschiedlich. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass das Bedarfseinkommen im Alter unter dem letzten Einkommen der Berufstätigkeit liegt. So entfallen nach der Pensionierung

  • Kosten im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit (Fahrtkosten, Kleidung, Beiträge zu Berufsverbänden)
  • Beiträge zur Altersversorgung
  • Es gibt evtl. höhere Freibeträge bei der Besteuerung des Einkommens

Außerdem ist in vielen Haushalten spätestens zu diesem Zeitpunkt auch die Finanzierung selbstgenutzen Wohneigentums sowie die finanzielle Unterstützung der Kinder abgeschlossen. Andererseits steigen durch den erhöhten Freizeitanteil möglicherweise die Kosten für Hobbys, für Reisen oder für die Erfüllung lange gehegter Wünsche. Zu berücksichtigen sind auch Kosten für Leistungen, die zuvor der Arbeitgeber getragen hat (z.B. Firmenwagen, Firmenhandy, Bahncard). Mit der gestiegenen Lebenserwartung steigt zudem das Risiko, im Alter zu erkranken und pflegebedürftig zu werden, was zu zusätzlichen finanziellen Belastungen führen kann.

Ökonomische Sicht

Aus Sicht der Mikroökonomie versucht das Individuum eine intertemporale Optimierung des Konsums zu erreichen. Das bedeutet: Das Sparen für die Altersvorsorge verringert die Konsummöglichkeiten während der Erwerbsphase und erhöht Einkommen und Konsummöglichkeiten während der Rentenphase. Dies ist solange sinnvoll, wie der Grenznutzen des Konsums in der Rentenphase höher liegt als der in der Erwerbsphase. Bei der Bewertung dieses Grenznutzens spielt insbesondere die Erlebenswahrscheinlichkeit des Ruhestandes eine Rolle. Aus diesem Grund würde ein Homo Ökonomicus eine Rentenlücke in Kauf nehmen[1].

In der Praxis entzieht sich aufgrund ihrer Komplexität jedoch die intertemporale Optimierung des Konsums der Umsetzung. Es spielen vielmehr eine Rolle:

  • Die Unkenntnis über tatsächlich zu erwartende und benötigte Zahlungen
  • Fehlende finanzielle Allgemeinbildung, hier bezüglich der Altersvorsorgeinstrumente
  • Eine geringe emotionale Bereitschaft, sich mit dem Thema "Alter und Finanzen" auseinanderzusetzen[2].

Verschiedene Definitionen von "Rentenlücke"

Je nach Zielrichtung der Diskussion wird der Begriff "Rentenlücke" unterschiedlich definiert.

Rentenlücke ist die Differenz aus Rentenlücke Verwendung
Alterseinkommen Bezugsgröße
Gesetzliche Altersversorgung letztes Nettoeinkommen Sehr groß politische Diskussion über das (zu niedrige) Rentenniveau
Gesetzliche + betriebliche Altersversorgung letztes Nettoeinkommen groß Argument zum erhöhten Altersvorsorgesparen
Gesetzliche + betriebliche + private Altersversorgung letztes Nettoeinkommen groß Argument zum erhöhten Altersvorsorgesparen
Gesetzliche + betriebliche Altersversorgung individuelles Bedarfseinkommen neutral Prognose der Altersarmut, Ermittlung des individuell notwendigen Altersvorsorgesparen
Gesetzliche + betriebliche + private Altersversorgung individuelles Bedarfseinkommen gering / Rentenüberschuss politische Diskussion über das (zu hohe) Rentenniveau

In diesem Artikel wird der Begriff Rentenlücke als Differenz zwischen gesetzlicher und betrieblicher Altersversorgung auf der einen und individuellem Bedarfseinkommen auf der anderen Seite verwendet, sofern nichts anderes angegeben wurde.

Die Berechnung der Rentenlücke kann sowohl auf Basis von Netto- als auch von Bruttobeträgen erfolgen. Während mithilfe von Nettozahlen ein aktueller Status Quo der Altersversorgung wiedergegeben werden kann, kommt die Verwendung von Brutto-Zahlen insbesondere dem Umstand entgegen, dass es häufig zu Änderungen in der steuerlichen Gesetzgebung kommt. Dadurch behalten die Zahlen eine längere Gültigkeit.

Verwendung in der Politik

Der Begriff Rentenlücke wird in der politischen Debatte für die wachsende Diskrepanz zwischen dem Nettoeinkommen vor Renteneintritt und den ausgezahlten staatlichen Bezügen bei Eintritt des Rentenalters verwendet. Während ein durchschnittlich verdienender Arbeitnehmer bei einer angenommenen Arbeitsdauer von 45 Jahren mit durchschnittlicher Lohnhöhe (Standardrentner) 2005 noch auf Rentenbezüge aus der Gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von knapp 70 Prozent des Netto-Gehalts kam, soll dieses Netto-Rentenniveau nach Angaben des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIA) bis 2030 auf knapp 59 Prozent sinken. Auf Basis des letzten Bruttoeinkommens verringert sich das gesetzliche Rentenniveau gar von 48,5 Prozent 2005 auf knapp 40 Prozent im Jahr 2030[3].

Gründe für die wachsende Rentenlücke in der Bundesrepublik

Die gesetzliche Rentenversicherung ist eine Errungenschaft aus der wilhelminischen Epoche - sie wurde in den Sozialversicherungsgesetzen zur Zeit von Reichskanzler Bismarck 1889 erlassen. In der noch jungen Bundesrepublik passte Kanzler Adenauer die Rente dem gestiegenen Lebensstandard an und führte 1957 eine umlagefinanzierte Rentenversicherung ein, nach der die Bezüge der Rentner aus den Einkommen der Arbeitnehmer finanziert werden – der sogenannte Generationenvertrag. Doch das System der umlagefinanzierten Rentenversicherung funktioniert realwirtschaftlich nur dann kostenneutral, solange die Bevölkerung wächst oder konstant bleibt. Verringert sich der Anteil der jüngeren Bevölkerung, verschlechtert sich die Anzahl der Beitragszahler im Verhältnis zur Anzahl der Rentenempfänger. Eine Anpassung der Rentenversicherungsbeiträge der Beitragszahler wird erforderlich. Allerdings ist es nur ein Faktor in der Rentenentwicklung. Auch die Entwicklung der Produktivität ist entscheidend für das Umlageverfahren. So können der Rückgang der Erwerbspersonen und die höhere Lebenserwartung der Rentenbezieher nach Meinung von Befürwortern des Umlageverfahrens in der gesetzlichen Rentenversicherung durchaus durch die Steigerung der Produktivität kompensiert werden.[4]

Mit der demografischen Wende in den 70er-Jahren wurde Adenauers flapsige Hypothese "Kinder bekommen die Leute doch immer" widerlegt – die Rente wurde zum Zuschussprojekt. 2005 machten die Pflicht-Leistungen des Staats für die Rentenversicherung mit 77,43 Milliarden Euro rund ein Drittel des gesamten Bundeshaushaltes aus. Da sich in Deutschland das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Beitragsempfängern weiter verschlechtert hat und verschlechtern wird, musste auch die Politik nach jahrzehntelangem Leugnen (Bundessozialminister Norbert Blüm: "Die Rente ist sicher") das Rentenniveau den veränderten Realitäten anpassen. Allerdings hat sich das Einkommensniveau insgesamt erhöht. Entschieden wurde, die Bezüge künftiger Rentenbezieher zu kürzen und das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre hochzusetzen.

Damit ist abzusehen, bedingt durch die Reformen der rot-grünen und schwarz-roten Bundesregierungen, dass die gesetzliche Rente in Deutschland bei der Sicherung des gewohnten Lebensniveaus in den nächsten Jahrzehnten nur noch die Rolle einer Art Grundversorgung einnehmen dürfte. "In Zukunft wird der erworbene Lebensstandard nur erhalten bleiben, wenn die finanziellen Spielräume des Alterseinkünftegesetzes und die staatliche Förderung der privaten Vorsorge genutzt werden, um eine private Vorsorge aufzubauen"' [5], hieß es etwa 2005 mahnend im Rentenversicherungsbericht. Laut Meinung vieler Wissenschaftler und der Versicherungswirtschaft wird der betrieblichen und vor allem der privaten Altersvorsorge damit in den kommenden Jahrzehnten bei vielen eine zunehmend wichtigere Rolle beigemessen.

Ermittlung der Rentenlücke in der Finanzanalyse

Ein wesentlicher Teil der privaten Finanzanalyse ist die Ermittlung der individuellen Rentenlücke. Basis ist eine Analyse des Bedarfseinkommens und der Größe des hierzu nötigen Kapitalstocks. Das Bedarfseinkommen leitet sich von den Konsumwünschen und -zielen des Betreffenden ab.

Selbsteinschätzung der Rentenlücke

Umfragen haben ergeben, dass sich die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung für gut abgesichert hält. Eine Rentenlücke für sich sehen nur weniger als 10 % der Bevölkerung, fast 70 % erwarten dagegen einen individuellen Rentenüberschuss[6].

Rentenlücke als Vertriebsargument

Nahezu alle Anbieter von Altersvorsorgeprodukten werben mit dem Argument der zu schließenden Rentenlücke für ihre Produkte. Neben den Rentenlückenrechnern auf ihren Webseiten kommen vor allem Studien zum Thema Altersvorsorge zur Anwendung.

Zahlreiche Studien haben in der Vergangenheit vorgerechnet, dass bei den meisten Bundesbürgern trotz verstärkter Eigeninitiative noch immer eine eklatante Versorgungslücke klafft. So kommt die Fondsgesellschaft Fidelity etwa in der Erhebung des sogenannten REAL-Index zu der alarmierenden Erkenntnis, dass die erwerbstätigen Deutschen unter Berücksichtung der drei Säulen der Altersvorsorge – also der gesetzlichen, der betrieblichen und privaten Altersvorsorge – nur mit 56 Prozent ihres letzten Bruttohaushaltseinkommens rechnen können [7]. Die Rentenlücke beläuft sich demnach noch immer auf stattliche 44 Prozent.

Quellen

  1. Johannes Leinert: Altersvorsorge: Theorie und Empirie zur Förderung freiwilligen Vorsorgesparens, Diss 2005, Seite 80 ff. Online Fassung
  2. Peter Lunt et al.: Psychological, Social and Economic Determinants of Saving: Comparing Recurrent and Total Savings. In: Journal of Economic Psychology 12 (1991), S. 621-641.)
  3. [1] in: 'ZDF Online, 31. Oktober 2005
  4. Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik MEMORANDUM 2004 - "Beschäftigung, Solidarität und Gerechtigkeit - Reform statt Gegenreform", Seite 6
  5. [2] in: FAZ online, 8. März 2006
  6. Johannes Leinert: Altersvorsorge: Theorie und Empirie zur Förderung freiwilligen Vorsorgesparens, Diss 2005, Seite 175 Online Fassung
  7. [3] in: Handelsblatt.com, 5. April 2007

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