Verwachsung

Verwachsung
Adhäsionen zwischen Leberoberfläche und Zwerchfell nach Fitz-Hugh-Curtis-Syndrom

Verwachsungen oder Verklebungen, medizinisch Adhäsionen, bilden sich zwischen Organen oder Geweben, die normalerweise nicht miteinander verbunden sind. Einen häufig auftretenden Narbenstrang in der Bauchhöhle bezeichnet man auch als Bride, umgangssprachlich wird auch der Begriff „Verwachsungsbauch“ benutzt. Auch der Begriff Synechie findet Anwendung.

Inhaltsverzeichnis

Ursachen

zarte Adhäsionen im Douglas-Raum bei Endometriose

Gelegentlich sind Adhäsionen angeboren, meist sind sie jedoch Folge von Beschädigungen (Läsionen) des Bauchfells (Peritoneum) im Rahmen eines chirurgischen Eingriffs oder nach Entzündungen im Bauchraum. Auch eine Endometriose führt häufig zu solchen Verklebungen.

Bestandteile

Im Wesentlichen bestehen Verwachsungen aus Bindegewebe und sind zum Teil von Blutgefäßen durchzogen. Hierbei handelt es sich meist um Gefäße, die zwar von Endothel ausgekleidet sind, jedoch keine Intima besitzen. Wie das Bauchfell sind Adhäsionen von Mesothelzellen überzogen.

Bedeutung

Viele Adhäsionen bleiben klinisch stumm, das heißt, sie verursachen keine erkennbaren Symptome. Allerdings sind Adhäsionen auch die häufigste Ursache für einen Darmverschluss (Ileus) oder sekundäre Unfruchtbarkeit (Infertilität). Chronische Schmerzen im Bauch und Beckenbereich sind eine Folge, die die Lebensqualität des Betreffenden herabsetzen. Aufgrund ihrer Häufigkeit (Prävalenz) und weitreichender, möglicherweise noch nach Jahrzehnten auftretender Komplikationen stellen sie eine erhebliche Belastung für Patienten, Chirurgen und das Gesundheitswesen dar. Eine vorausgehende Laparatomie stellt einen wesentlichen Risikofaktor für die Entstehung von Adhäsionen dar. In Untersuchungen wurden bei 90 % der Patienten, an denen zuvor ein chirurgischer Eingriff vorgenommen worden war, Verwachsungen festgestellt.

Durch die zunehmende Alterung der Bevölkerung und die Weiterentwicklung der chirurgischen Techniken ist eine größere Zahl von wiederholten Operationen und eine erhöhte Inzidenz adhäsionsbedingter Beschwerden zu erwarten. Eine große medizinische Bedeutung haben Adhäsionen der Bauchorgane und des Bauchfells.

Adhäsionen des Peritoneums

Adhaesionen nach Appendektomie

Normalerweise ermöglicht eine kleine Menge Flüssigkeit von zirka 5 bis 20 Milliliter das reibungsarme Gegeneinandergleiten der vom Bauchfell überzogenen Bauchhöhle und der Organe. In dieser Flüssigkeit befinden sich wenige Leukozyten (weiße Blutzellen), hauptsächlich ortständige Makrophagen, und ein hoher Anteil Fibrinogen. Durch einen chirurgischen Eingriff setzen Mastzellen Histamin frei, die Gefäßpermeabilität nimmt zu und es erhöht sich die Flüssigkeitsmenge, und der Anteil an Plasmaproteinen nimmt zu. Es entsteht ein typisches entzündliches Exsudat.

Auch verändert sich das Verhältnis der weißen Blutkörperchen zueinander in der Peritonealflüssigkeit. Bei Tierversuchen konnte gezeigt werden, dass bereits 6 Stunden nach Schädigung vermehrt polymorphkernige neutrophile Leukozyten in die Bauchhöhle einwandern. Steht bei der Schädigung die Entzündung nicht im Vordergrund, so verschwinden diese Zellen nach 1–2 Tagen relativ schnell aus der Bauchhöhle. Gleichzeitig erhöht sich die Zahl einwandernder Monozyten, die sich binnen kurzer Zeit zu Makrophagen entwickeln. Sie räumen Bakterien, Zellabfälle und Fibrinablagerungen ab.

Von entscheidender Bedeutung für die Entstehung von Adhäsionen ist die Ausbildung der Fibrinmatrix. Im eigentlichen Sinne entspricht der Ablauf dem der normalen Wundheilung. Anfänglich entstehen Fibrinmonomere aus Fibrinogen. Diese vereinen sich zu noch löslichen Fibrinpolymeren, die im Laufe der Zeit die unlösliche Fibrinmatrix bilden. Liegen sich nun zwei Seiten geschädigten Peritoneums gegenüber, so kommt es zur Ausbildung von Adhäsionen.

Nach einem chirurgischen Eingriff oder einer Entzündung im Peritoneum kommt es zu einer Ausschüttung von Tumornekrosefaktor alpha (TNFα), Interleukin 1 und 6 (IL1 und IL6). Dadurch erhöht sich die Konzentration der Plasminogen-Aktivator-Inhibitoren 1 und 2. Diese Enzyme bewirken, dass Proteine wie Urokinase-Plasminogen-Aktivator oder Gewebe-Plasminogen-Aktivator (tPA) daran gehindert werden, die Fibrinmatrix zu abzubauen.

Verklebungen bzw. fibrinöse Adhäsionen, die bei ursprünglicher Lyseaktivität nur kurzzeitig bestehen, unterliegen nun einer Organisation durch einwandernde Granulozyten, Monozyten und Fibroblasten. Im Weiteren kommt es zur Kapillareinsprossung und Kollagenablagerung. Makrophagen locken neue Mesothelzellen zu der geschädigten Oberfläche und aus einer zunächst reversiblen Adhäsion entsteht eine irreversible Bindegewebsstruktur.

Adhäsionen bilden sich schnell. Normalerweise entscheidet sich innerhalb der ersten 5 Tage nach der Läsion, ob eine Adhäsion entsteht oder nicht. Adhäsionen können de novo entstehen oder an Stellen, an denen bereits Adhäsionen gelöst wurden (Wiederbildung). Sie können im Operationsgebiet oder auch weiter entfernt davon entstehen.

Klassifikation

Zur Stadieneinteilung der Adhäsionen hat sich die Klassifikation der American Fertility Society (heute: American Society for Reproductive Medicine) durchgesetzt.[1] Dabei werden die Verwachsungen im Bereich der Eileiter und Eierstöcke nach einem Punkteschema von 0 bis 16 pro Eileiter oder Eierstock beurteilt.

Stadieneinteilung der Adhäsionen nach der American Fertility Society (AFS)

AFS-Kategorie AFS-Score (Summe der Punkte)
„Minimal“ (Minimal) 0–5
„Mild“ (Leicht) 6–10
„Moderate“ (Mittel) 11–20
„Severe“ (Schwer) 21–32

Therapie

Das einzig mögliche Therapieverfahren ist eine operative Durchtrennung der Verwachsungen (Adhäsiolyse). Allerdings wird der Erfolg der Behandlung durch die hohe Wiederbildungsrate nach Adhäsiolyse nahezu aufgezehrt.

Adhäsionsprophylaxe

Effektive flüssige Adhäsionsbarrieren sind Ringer-Laktat-Lösung, oder, weil diese zuckerähnliche Substanz langsamer abgebaut wird, eine 4%ige Icodextrin-Lösung. Diese Lösungen werden als intraoperative Spülflüssigkeit und als postoperatives Instillat in der gynäkologischen und viszeralen Chirurgie eingesetzt. Eine andere wirksame Barrieremethode stellt das Einbringen eines Gels aus Polyethylenoxid und Natriumcarboxymethylcellulose dar.

Verwachsung im weiteren laienmedizinischen Sprachgebrauch

Das Verb verwachsen wird gelegentlich im Sinne von fehlgebildet oder missgestaltet verwendet, oder im Zusammenhang „Das verwächst sich (oder nicht)“ im Zusammenhang mit der Hoffnung einer Änderung einer sich abzeichnenden Fehlstellung im Laufe des weiteren Körperwachstums, beispielsweise bei Deformationen des Kopfes (abgeplatteter Hinterkopf bei Säuglingen oder im Zusammenhang mit X- oder O-Beinen.

Literatur

Einzelnachweise

  1. American Fertility Society: The AFS classification of adnexal adhesions, distal tube occlusions, tube occlusions secondary to tubal ligation, tubal pregnancies, Muellerian anomalies and intrauterine adhesions. Fertil Steril, 1988; 49: 944-955, PMID 3371491
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