Vriling

Vriling

Fri(e)ling bzw. Vriling ist eine alte sächsische Standesbezeichnung. Frielinge waren Freie oder Freigelassene im Gegensatz zu Leibeigenen, Knechten und Sklaven.

Geschichte

Seit dem achten Jahrhundert n. Chr. gliederte sich sächsisches Gebiet in Westfalen, Ostfalen, Engern und Nordalbingien. Neben den Cheruskern schluckten die Sachsen auch die den Römern bekannten Chauken sowie die Stämme der Angrivarier, Brukterer und Marser. Damit war das heutige Nordrhein-Westfalen einstmals Kernland der Sachsen.

Könige oder gar Kaiser waren den Sachsen unbekannt. Ihr Stammesgebiet war in Gaue mit jeweils einem herrschenden Fürsten eingeteilt. In Kriegszeiten wählten diese Gaufürsten aus ihren Reihen einen Oberkommandierenden. Ihre Herkunft leiteten die sächsischen Edelinge (Edelleute, Adelige) von göttlichen Urahnen ab und verkörperten die eigentliche Erobererschicht. Diese selbst ernannten Adeligen schützten ihre Kaste und versuchten, jede Vermischung mit den anderen Ständen zu vermeiden. Vermählung zwischen den Ständen war mit Todesstrafe belegt. Sächsische Edelleute lebten, gemessen am Lebensstandard der anderen Stände, privilegiert, eben fürstlich. Sie waren in erster Linie mächtige Großgrundbesitzer und müssen nach damaligen Maßstäben steinreich gewesen sein.

Abhängig von den Adligen und in einem grundherrlichen Abhängigkeitsverhältnis standen grundhörige Halbfreie (Liten oder auch Laten). Unter den Liten gab es Landarbeiter, Viehhirten und Handwerker. Wahrscheinlich waren sie Nachkommen der unterworfenen Stämme. Sie hatten ebenso wie die vollkommen rechtlosen Unfreien (Knechte, Mägde, Sklaven und Kriegsgefangene) kein Versammlungs- oder Stimmrecht. Demzufolge gelten die unteren Stände als ursprünglich nicht-sächsische Völker.

Den Kern der sächsischen Volksgemeinschaft bildeten „freie Männer“. Das waren die Frilinge. Sie bildeten den tragenden Stamm der sächsischen Gesellschaft. Frilinge hatten Stimmrecht und durften Waffen tragen. Nithard, dessen Werk um die Mitte des neunten Jahrhunderts geschrieben ist, benennt die Bestandteile der Sächsischen Nation. Der Bericht dieses zeitgenössischen Zeugen hat besonderen Wert, weil er als fränkischer Schreiber zum ersten Mal die volkssprachliche Bezeichnungen für alle drei sächsischen Stände, nämlich edhilingui, frilingi und lazzi erwähnt. Die Frilinge waren in der Regel freie Bauern mit Eigenland. Sie waren abgabepflichtig aber frei und genossen auch Freizügigkeit.

Karl der Große versuchte, die Sachsen zu unterwerfen und rückte vom Rhein gen Norden vor. Zweiunddreißig Jahre lang führte er von 772 bis 804 einen Unterwerfungskrieg gegen die „Heiden“. Als „Sachsenkriege“ gingen diese blutigen Schlachten in die Annalen der Geschichte ein. Es ging Karl dem Großen dabei weniger um den wahren Glauben als um Macht, Einflussbereiche und tributpflichtige Vasallen. Sein Expansionsdrang war legendär.

Gleich im ersten Jahr eroberten Karls reitende Truppen die Eresburg und ließen spektakulär die heilige Irminsul fällen. Die bekriegten Sachsen sollten mit der Vernichtung ihres größten Heiligtums demonstrativ an der Wurzel ihres Glaubens erschüttert werden. Sicher erhofften die Sachsen eine wuchtige Reaktion Thors und seiner Götterschar. Diese blieb bekanntlich aus. Zum Christentum wahrten die sächsischen Männer und Frauen dennoch unverändert Abstand und kämpften weiter gegen die Eindringlinge aus dem Süden. Lediglich die sächsischen Edelinge schlugen sich recht bald auf die Seite der Angreifer und paktierten mit ihnen, um ihren Stand zu sichern.

Die Frilinge hingegen leisteten weiterhin erbitterten Widerstand. Widukind, ein adliger westfälischer Heerführer, sammelte tausende tapfere Schwertmänner und führte sie erfolgreich gegen die raffgierigen Missionare. Zwei Eliteeinheiten der Franken wurden 782 im offenen Kampf nieder gemacht. Darauf ließ sich Karl 4.500 Frilinge von den mit ihm verbündeten sächsischen Edelingen ausliefern und enthauptete sie spektakulär in Verden an der Aller. Voltaire bezeichnete Karl für diesen Massenmord später als „Sklavenhalter unter dem Zeichen des Kreuzes, Tod und Verwüstung auf seinen Fahnen“ und Martin Luther schimpfte Karl ob seiner Verbrechen an den Sachsen und anderen Völkern als einen „Knecht Roms“.

Die freien sächsischen Bauern versuchten in einer Art Grabenkrieg, gegen die fränkischen Heere zu kämpfen. Dabei ging es um das eigene Land und die Bewahrung des herkömmlichen Glaubens. Im Ergebnis der blutigen Christianisierung wurden alle Sachsen zwangsgetauft. Die Edelinge erhielten im Rahmen einer Grafschaftsverfassung ihre alten Pfründe zurück und wurden von Karl mit noch mehr Rechten belohnt. Sie zwangen die Frilinge zur Abgabe des „Zehnten“.

Lediglich westfälische Frilinge hielten bis zum Schluss durch und wehrten sich auch dann noch mannhaft, als sich ihr Anführer Widukind unterwarf, den christlichen Glauben annahm, und schließlich von Karls Schwager Gerold von Schwaben ermordet wurde. Karl sah sich erneut gezwungen, gegen die Rebellen durchzugreifen, er reagierte mit Massendeportationen, Orte wie Hohensachsen, Großsachsen, Lützelsachsen oder Sasbach erinnern an die Zwangsumsiedlung der in Westfalen lebenden Sachsen.

Als Gesetzeswerk für sein neues tributpflichtiges Volk ließ Karl seine Rechtsauffassung im Lex Saxonum festschreiben. Dieses galt ab dem Jahre 802/03 n.Chr. verbindlich und half, die Rechte des mit dem Frankenkaiser verbündeten sächsischen Adels zu sichern. Gleich im ersten Paragraphen wird die Rolle der neuen Kirche zweifelsfrei fest geschrieben: „Alle stimmen dem Prinzip zu, dass die Kirchen Christi in Sachsen nicht geringere, sondern erheblich höhere Geltung haben sollen als die Götzenstätten.“ Spätestens damit hieß der offizielle neue Gott der Sachsen nicht länger Thor oder Wotan sondern Jesus Christus. Das Gesetzbuch listet auch genau definierte Strafen für Vergehen auf, die in barem Geld zu leisten waren. Daraus wird das monetäre Interesse der neuen Herren deutlich. Ein Gesetz lautete beispielsweise: „Wer Gelübde nach heidnischem Brauch an Quellen, Bäumen oder Hainen darbringt oder nach heidnischem Brauch opfert und ein Gemeinschaftsmahl zu Ehren der Götzen veranstaltet, zahlt als Edeling 60, als Friling 30, als Late 15 Solidi. Und wenn er das Geld nicht hat, soll er es im Dienste der Kirche abarbeiten.“ Unterlassene Kindstaufe kostete Edelinge 120, Frilinge 60 und Laten 30 Solidi.

Ortschaften

Die Frilinge gaben auch Ortschaften, die sie gründeten, ihren Namen. Alte Urkunden sprechen beispielsweise von Vrilinctorpe, der späteren Bauernschaft Frentrop, deren Name auf die im siebenten Jahrhundert erfolgte Ansiedlung sächsischer Frilinge zurückgeführt wird. Ein 1927 in Frentrop erschlossener Urnenfriedhof liefert einwandfreie Aufschlüsse, dass die hier bereits um 700 v. Chr. ansässigen Kelten von Germanen aus der Umgegend verdrängt wurden. Kurz nach 300, im Verlaufe der dritten Keltenwanderung, breiteten sich die Germanen von Nordosten her, dem Laufe der Lippe folgend, bis zum Rhein hin aus. Es waren die später unter dem Namen Ingäwonen und Istäwonen zusammengefassten germanischen Stämme, die Ortschaften und Einzelgehöfte der Kelten für sich in Besitz nahmen. Zu den Istäwonen gehörten unter anderen die Usipeter an der unteren Lippe, die Brukterer im Münsterland und die Marser zwischen Lippe und Ruhr. Brukterer und Sachsen sind die Stammväter der westfälischen Bevölkerung.

In den Heberegistern der bereits während der Sachsenkriege 789 gegründeten Benediktinerabtei Kloster Werden (Ruhr) ist vermerkt, dass ein gewisser Dagubracht zum Besten seines Seelenheils dem Kloster Besitzungen und Einkünfte aus Meronhlare (heute: Marl) vermacht. Weitere Eintragungen in den Werdener Heberegistern lassen Schlüsse zu auf die späteren Bauernschaften Oelde (Ulithi), Drewer (Threviri), Frentrop (Vrilinctorpe), Herne (Scranni) und Bossendorf (Bodsnippi). Im westfälischen Oelde ist seit Jahrhunderten ein Familienzweig der Frielinge verzeichnet, die dort bis heute ansässig sind.


Literatur

  • Heung-Sik Park: Die Stände der Lex Saxonum [1]
  • Carl von Savigny: Beitrag zur Rechtsgeschichte des Adels [2]
  • Montag: Geschichte der deutschen staatsbürgerlichen Freiheit, 2 Bände, Bamberg 1812/14
  • K. D. Hüllmann: Geschichte des Ursprungs der Stände in Deutschland, 2. Auflage: Berlin 1830
  • Gerhard Schmitz: Die sog. Capitulatio de partibus Saxoniae [3]

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