Walerian Wróbel

Walerian Wróbel

Walerian Wróbel, (in den deutschen Nazi-Urkunden Walerjan Wrobel, * 2. April 1925 in Fałków; † 25. August 1942 in Hamburg) war ein polnischer Zwangsarbeiter, der im Alter von nur 17 Jahren von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde.

Inhaltsverzeichnis

Biographie

Kindheit und deutsche Besatzung

Wróbel war das älteste von drei Kindern und wuchs bei seinen Eltern auf einem Bauernhof in Fałków in der heutigen Woiwodschaft Heiligkreuz auf. Er war im Vergleich zu Gleichaltrigen geistig etwas zurückgeblieben und hatte in sieben Jahren des Schulbesuchs lediglich die fünfte Klasse erreicht. Am 6. September 1939 (am sechsten Tag des Polenfeldzuges) wurden zahlreiche Häuser des Dorfes, darunter auch das seiner Eltern, bei einem Bombardement der Luftwaffe zerstört. Die Betroffenen lebten anschließend in den Trümmern oder kamen bei Verwandten unter.

Zwangsarbeit

Kurz nach seinem 16. Geburtstag im April 1941 wurde der Junge von den die deutschen Besatzern festgenommen und als so genannter „landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter“ zur Zwangsarbeit nach Bremen geschickt. Dort wurde er am 19. April einem Hof im nördlichen Ortsteil Lesum zugeordnet. Starkes Heimweh veranlasste ihn bereits nach wenigen Tagen, am 26. April, zur Flucht; er wurde jedoch gefasst und zur Arbeitsstelle zurückgebracht.

Straftat

In der Hoffnung, als Strafe für das Verbrechen in seine Heimat Polen zurückgeschickt zu werden, entzündete er am 29. April das Heulager in der Scheune. Das Feuer – rechtzeitig von der Bäuerin entdeckt – richtete keinen Schaden an und Wróbel selbst half, es zu löschen. Dennoch brachte die Bäuerin den Vorfall bei der Polizei zur Anzeige.

Haft

Nach einer Vernehmung verhaftete ihn die Gestapo am 2. Mai. Die Inhaftierung im Konzentrationslager Neuengamme erfolgte am 28. Juni. Als Mitglied des so genannten Elbkommandos musste er in den folgenden neun Monaten Schwerstarbeit beim Bau des 600 Meter langen Neuengammer Stichkanals vom Lager zur Dove Elbe und der anschließenden Verbreiterung des Flussarmes verrichten. Während dieser Zeit freundete er sich mit dem zwei Jahre älteren Michał Piotrowski an, der nach Kriegsende berichtete:

„Walerek war sehr jung, sehr naiv. Erfahrung hatte der auch keine. So naiv: Wenn Du ihm sagst: Das und das ist wahr oder so und so ist das im KZ – Der glaubt das sofort. Der glaubt alles. Für solche ist das schwer im KZ, sehr schwer. Da musst Du brutal sein, aber nicht naiv, und Walerek war immer naiv, sehr naiv. Von den Eltern hat er immer erzählt, von der Schwester, von der Schule.“[1]

Prozess

Anlässlich des ersten Haftprüfungstermins wurde Wróbel am 8. April 1942 nach Bremen überstellt, wo das beim Landgericht Bremen eingerichtete Sondergericht ein Strafverfahren zur Verhandlung seiner Tat einleitete. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass er zum Tatzeitpunkt zwar noch jugendlich im Sinne des Jugendgerichtsgesetz gewesen, dieses aber ausschließlich für deutsche Bürger gedacht sei und somit auf ihn keine Anwendung fände. Lediglich die 14-Jahr-Grenze der Strafmündigkeit gelte auch für Polen, da sie rechtlich als ein Bestandteil des Strafgesetzbuches als solches anzusehen sei. Die Polenstrafrechtsverordnung sah unter Abschnitt III, 2 vor: „Auf Todesstrafe wird erkannt, wo das Gesetz sie androht.“ Diese Verordnung fände auf Wróbel zum einen deshalb Anwendung, weil er seinen Wohnsitz in Polen gehabt habe (das Gericht verfälschte die Wahrheit durch die Behauptung, er habe sich „freiwillig zur Arbeitsleistung nach Deutschland gemeldet“) und zum anderen, weil die Staatsanwaltschaft auf der Grundlage ebendieser Verordnung Anklage erhoben hatte. Trotz Minderjährigkeit zur Tatzeit verurteilte das Sondergericht Walerian Wróbel am 8. Juli nach § 306 Nr. 2 StGB wegen Brandstiftung und zusätzlich als „Volksschädling“ gemäß der Verordnung gegen Volksschädlinge zum Tode. Am darauf folgenden Tag schrieb der junge Pole heimlich einen Abschiedsbrief an seine Eltern, dem er eine selbst angefertigte Zeichnung eines Pferdekopfes beilegte. Das Schreiben konnte aus dem Gefängnis geschmuggelt und seinen Eltern zugestellt werden.

Ablehnung der Gnadengesuche

Gnadengesuche

Rechtsmittel gegen diese Entscheidung lagen nicht vor, doch gab das Sondergericht nur einen Tag nach der Urteilsverkündung selbst eine Stellungnahme zur Gnadenfrage ab. Auf Grund dessen, dass Wróbel zur Tatzeit erst 16 Jahre alt gewesen sei, noch immer einen jugendlichen Eindruck hinterlasse, keiner Geheimorganisation angehöre und die Tat aus Heimweh begangen habe, befürworteten die Verantwortlichen eine gnadenweise Umwandlung der Todesstrafe in einen Straflageraufenthalt angemessener Dauer. Es könne nicht gesehen werden, dass die Straftat mit der Absicht der Schädigung der Widerstandskraft begangen worden wäre. Wróbels Verteidiger reichte am 20. Juli ein Gnadengesuch ein und verwies auf die geistigen und körperlichen Defizite sowie die nicht vorhandenen Kenntnisse der deutschen Sprache seines Mandanten und ferner darauf, dass die Folgen der Tat unbedeutend gewesen seien. Wróbel hätte mit Sicherheit nicht die vom Sondergericht vermuteten Überlegungen zur Schädigung der Widerstandskraft des deutschen Volkes angestellt. Zudem sei gar keine Schädigung beziehungsweise Schwächung eingetreten. Einen Tag später am 21. Juli empfahl der Oberstaatsanwalt als Leiter der Anklagebehörde beim Sondergericht dem kommissarischen Reichsminister der Justiz Franz Schlegelberger ebenfalls, die verhängte Todesstrafe in eine langjährige verschärfte Straflagerinhaftierung umzuwandeln. Er wies darauf hin, dass die Hauptverhandlung keinen Hinweis darauf ergeben habe, dass Wróbel aus deutschfeindlicher Gesinnung oder als Mitglied einer polnischen Geheimorganisation gehandelt habe. Er sei ferner glaubwürdig in der Erklärung seiner Motive. Das Schreiben des Oberstaatsanwalts schloss mit den Zeilen:

„Der Unterzeichnete ist sich dessen bewußt, daß auf Todesstrafe lautende Urteile gegen Polen in der Regel schonungslos vollstreckt werden müssen. Andererseits hält er es nicht für angängig, ein Todesurteil an einem Knaben zu vollstrecken. Zu berücksichtigen ist dabei ferner das Tatmotiv (das nicht in einer deutschfeindlichen Gesinnung wurzelt) sowie der Umstand, daß der angerichtete Schaden gering ist. Der Unterzeichnete ist überzeugt, daß die Staatspolizeistelle von einer Überstellung des Verurteilten an die StA abgesehen und die Hinrichtung selbst angeordnet haben würde, wenn sie ihn für todeswürdig gehalten haben würde.“[2]

Der letzte Satz weist auf den zugunsten der Untersuchungshaft unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft beendeten Aufenthalt im Konzentrationslager hin. Der damalige Staatssekretär im Justizministerium Roland Freisler lehnte es jedoch am 15. August ab, den Gnadengesuchen nachzukommen.

Hinrichtung

Am Morgen des 25. August 1942 wurde das Urteil um 6:15 Uhr[3] in Hamburg durch das Fallbeil vollstreckt. An über 250 Stellen im bremischen Stadtgebiet hängte man anschließend Plakate auf, die die Hinrichtung Wróbels öffentlich bekannt machten und als Abschreckung dienen sollten.

Aufarbeitung und Gedenken

Das Verfahren gegen Walerian Wróbel ist das heutzutage bekannteste und am häufigsten betrachtete des Sondergerichts Bremen und steht in der Hansestadt stellvertretend und beispielhaft für die Unrechtsjustiz der nationalsozialistischen Herrschaft. Mitte der 1980er Jahre ließ der Rechtsanwalt Heinrich Hannover den Prozess neu aufrollen. Auf Antrag der Schwester Wróbels und der Staatsanwaltschaft Bremen entschied das Landgericht Bremen über die Rechtmäßigkeit des damaligen Urteils und hob es mit Beschluss vom 26. November 1987 auf (Aktenzeichen 16 AR 59/87).

Um exemplarisch an das Schicksal der vielen in Bremen eingesetzten Zwangsarbeiter zu erinnern, gründete sich zu diesem Zeitpunkt auch der „Verein Walerjan Wróbel“.

Die Geschichte Walerian Wróbels wurde 1990 unter der Regie und nach dem Drehbuch von Rolf Schübel verfilmt. Die Redaktion übernahm Ingeborg Janiczek. Der 94 Minuten lange Kinofilm Das Heimweh des Walerjan Wróbel gewann den Preis des niederländischen Jugendfilmfestivals „Cinekid“ und war 1991 für den Deutschen Filmpreis nominiert.

Am 29. August 2007, knapp 65 Jahre nach Wróbels Hinrichtung, wurde in einer feierlichen Zeremonie der Deichweg am südlichen Ufer der Lesum beim Lesumsperrwerk im Bremer Ortsteil Werderland in Walerian-Wróbel-Weg umbenannt.

Anhang

Einzelnachweise

  1. nach: Halina Piotrowska, Warschau
  2. Aufhebung des nationalsozialistischen Urteils durch das Landgericht Bremen auf systemkritik.de. Abgerufen am 18. September 2010
  3. Pressemitteilung der Senatspressestelle Bremen vom 29. November 2007 zur Buchvorstellung von Christoph Schminck-Gustavus’ Das Heimweh des Walerian Wróbel – Ein Knabe vor Gericht. Abgerufen am 18. September 2010

Literatur

Weblinks


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