Walter Schücking

Walter Schücking

Walther Adrian Schücking (* 6. Januar 1875 in Münster (Westfalen); † 25. August 1935 in Den Haag) war liberaler Politiker, Völkerrechtler und erster ständiger Richter aus Deutschland am Ständigen Internationalen Gerichtshof in Den Haag von 1930 bis 1935.

Inhaltsverzeichnis

Familie

Schücking war ein Enkel des in der Literaturgeschichte bekannten Droste-Freundes Levin Schücking (1814–1883) und stammte aus einer seit Jahrhunderten im Münsterland ansässigen Juristen- und Gelehrtenfamilie. Er war der Bruder des Anglistikprofessors und Shakespeareforschers Levin Ludwig Schücking (1878–1964) und des Husumer Bürgermeisters, Rechtsanwaltes und Pazifisten Lothar Engelbert Schücking (1873–1943). Er war verheiratet mit Adelheid Irmgard Auguste C. M. v. Laer (1881–1952).

Ausbildung, Lehre

Nach dem Studium der Staats- und Rechtswissenschaften von 1894 bis 1897 in München und Göttingen promovierte Walther Schücking bei Ludwig von Bar über ein völkerrechtliches Thema und habilitierte sich bereits 1899 an der Georg-August-Universität Göttingen über ein rechtshistorisches Thema „Der Regierungsantritt“. Im Jahre 1900 wurde er als der jüngste außerplanmäßige Professor in Preußen gegen den Willen der Fakultät an die Universität Breslau und 1902 zunächst als außerordentlicher, ein Jahr später als ordentlicher Professor an die Universität Marburg berufen.

Dort lehrte er bis 1920 Staatsrecht, Völkerrecht, Kirchen- und Verwaltungsrecht. In Abgrenzung zu den Professoren der sehr konservativen Marburger juristischen Fakultät knüpfte Schücking Kontakte zu den beiden linksliberalen Führern der neukantischen Schule Hermann Cohen und Paul Natorp sowie zu dem Theologen Martin Rade. Er wurde Vorsitzender der Ortsgruppe der Fortschrittlichen Volkspartei und kandidierte 1908 und 1913 erfolglos für das Preußische Abgeordnetenhaus. Als Schücking gegen die behördliche Enteignung polnischen Grundbesitzes durch das Ansiedlungsgesetz protestierte, kam es zum Konflikt. Das preußische Kultusministerium schloss ihn wegen sittlicher Unwürdigkeit aus der juristischen Prüfungskommission für das Referendarexamen dauerhaft aus.

In einer kurzzeitig lebhaft diskutierten Schrift von 1913 mit dem Titel Neue Ziele der staatlichen Entwicklung fasste Schücking seine politischen Vorstellungen zusammen und wandte sich allgemein gegen die „Verpreußung“ des Geisteslebens und die Anpassung an den preußischen Staat. Er forderte für Preußen den Übergang zu einem parlamentarischen Regierungssystem, die Gleichstellung der Frau, die Trennung von Staat und Kirche, den Ausgleich zwischen Kapitalismus und Sozialismus, die Versöhnung von Nationalismus und Internationalismus und die Integration der Sozialdemokratie in den Staat. In der Rechtspresse wurde sein Werk als „haarsträubender Tertianerschnitzer“ beschimpft, während es in der Fachpresse eher Anerkennung fand.

1907 veröffentlichte Schücking in der Festschrift für Paul Laband einen Beitrag „Die Organisation der Welt“, in der er als Aufgabe der Zukunft die Vereinigung des nationalen Ideals mit dem internationalen formulierte und in der er die Entwicklung der Idee einer Weltorganisation vom römischen Kaiserreich bis zu den Haager Friedenskonferenzen darstellte. Als Pazifist schloss er sich der von Bertha von Suttner gegründeten Deutschen Friedensgesellschaft an und arbeitete eng mit Ludwig Quidde zusammen. Auch während des ersten Weltkrieges blieb Schücking dem Gedanken der internationalen Verständigung verbunden. Als Mitglied der Zentralorganisation für einen dauerhaften Frieden, in der Persönlichkeiten aus allen kriegsführenden Ländern außer aus Frankreich vertreten waren, nahm er an der Haager Konferenz im April 1915 teil und versuchte durch Denkschriften und Unterredungen im Auswärtigen Amt, seinen Vorstellungen von einem Verständigungsfrieden Geltung zu verschaffen, allerdings bis zum militärischen Zusammenbruch des Kaiserreichs ohne Erfolg. Seine Aktivitäten missfielen den Machthabern, so dass ihm 1915 das Generalkommando Kassel untersagte, über diese Probleme mit auswärtigen Kollegen zu korrespondieren, Reisen ins Ausland zu machen und seine Ideen über internationale Organisationen zu vertreten.

1918–1935

Prof. Dr. Walther Schücking in der deutschen Verhandlungdelegation zum Versailler Vertrag, Erster von links

Nach Ausrufung der Republik trat Schücking der neu gegründeten DDP bei, in der er zunächst führend tätig war, und war von 1919 bis 1928 Mitglied des Reichstages für den Wahlkreis Hessen-Nassau. Angesichts seines internationalen Ansehens als Pazifist und als Völkerrechtler war er einer der sechs deutschen Hauptdelegierten bei den Versailler Friedensverhandlungen. Über das Ergebnis, das zum Nachteil Deutschlands so gar nicht zu seiner völkerverbindenden Ideen passte, war Schücking tief enttäuscht. Er riet von der Ratifizierung des Friedensvertrags ab und begründete dies für die Mehrheit seiner Fraktion in der Nationalversammlung. Trotzdem trat er für den Völkerbundgedanken ein und war maßgeblich an der Gründung der Deutschen Liga für Völkerbund beteiligt.

Im November 1918 wurde Schücking zum Vorsitzenden der vom Rat der Volksbeauftragten berufenen Kommission zur Untersuchung der Anklagen wegen völkerrechtswidriger Behandlung der Kriegsgefangenen in Deutschland eingesetzt. Er war Mitglied und seit 1924 Vorsitzender des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der u.a. die Kriegsentstehung, Deutschlands Haltung bei den Haager Friedenskonferenzen, die versäumten Friedensmöglichkeiten und die Verletzungen des Völkerrechts im Weltkrieg untersuchten. Dagegen gelang es ihm trotz seines Rufs als Verfassungsrechtler nicht, in den Verfassungsausschuss der Weimarer Nationalversammlung berufen zu werden. An der Ausarbeitung der Weimarer Reichsverfassung konnte er deshalb nicht in der von ihm gewünschten Form teilnehmen, was er als bittere Zurücksetzung durch seine Partei empfand.

Einige Jahre arbeitete Schücking auch im Präsidium der Deutschen Friedensgesellschaft mit. Er war Mitglied des Rates des Internationalen Friedensbüros in Genf und betätigte sich besonders intensiv in der Interparlamentarischen Union, einer 1888 gegründeten Vereinigung von Parlamentariern verschiedener Regierungssysteme zur Förderung der gegenseitigen Verständigung, deren Tagung in Berlin er im Jahre 1928 leitete.

Schücking strebte nun auch beruflich aus der hessischen Kleinstadt Marburg hinaus. Versuche der Sozialdemokraten und der liberalen Presse, ihm die Leitung des an der Universität Berlin neu gegründeten Instituts für ausländisches öffentliches und Völkerrecht zu übertragen, scheiterten am Widerstand der Fakultät. So nahm Schücking 1921 als Nachfolger von Hugo Preuß einen Ruf an die Berliner Handelshochschule und 1926 an die Universität Kiel an. Zusammen mit Hans Wehberg verfasste er einen zwischen 1921 und 1931 in drei Auflagen erschienenen Kommentar zur Satzung des Völkerbundes.

Schückings beruflichen Höhepunkt stellte seine Berufung als erster ständiger Richter am Weltgerichtshof in Den Haag dar. Dieses Amt behielt er bis zu seinem frühen Tod bei, obwohl der NS-Staat ihn aufforderte, das Amt zurückzugeben und obwohl ihn die nationalsozialistischen Machthaber mit Hilfe des so genannten Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums von 1933 seines Lehrstuhls beraubten.

Ehrungen

Nach Schücking sind unter anderem das Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, ein Platz in Kassel und eine Straße in Marburg benannt.

Literatur

  • Detlev Acker: Walther Schücking (1875–1935). In: Veröffentlichungen der historischen Kommission Westfalens XVIII, Westfälische Biographien VI. Münster 1970. 
  • Klaus Schlichtmann: Walther Schücking (1875–1935), Völkerrechtler, Pazifist und Parlamentarier. In: Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft (HMRG). 15, 2002, ISSN 0936-5796, S. 129–147. 
  • Ulf Morgenstern: Schücking, Kaufmanns- und Gelehrtenfamilie. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 23, Duncker & Humblot, Berlin 2007, S. 629 f.
  • Andreas Thier: Schücking, Walther. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 23, Duncker & Humblot, Berlin 2007, S. 631–633.
  • Frank Bodendiek: Walther Schückings Konzeption der internationalen Ordnung. Dogmatische Strukturen und ideengeschichtliche Bedeutung. In: Veröffentlichungen des Walther-Schückings-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel. Bd. 133, Berlin 2001. 
  • Wolfgang Kohl: Walther Schücking (1875−1935), Staats- und Völkerrechtler − Demokrat und Pazifist. In: Thomas Blanke (Hrsg.): Kritische Justiz. Streitbare Juristen. Eine andere Tradition. 1988, ISBN 3-7890-1580-6, S. 230−241. 

Weblinks


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