Becker-Freyseng

Becker-Freyseng
Hermann Becker-Freyseng während der Nürnberger Prozesse

Hermann Becker-Freyseng (* 18. Juli 1910 in Ludwigshafen; † 27. August 1961 in Heidelberg) war ein deutscher Mediziner, Stabsarzt und Referent für luftfahrtmedizinische Fragen im Sanitätswesen der Luftwaffe und Angeklagter im Nürnberger Ärzteprozess.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Becker-Freyseng trat am 1. Mai 1933 der NSDAP (Mitglieds-Nr. 3.052.380) und dem NSFK bei.[1] Nach der ärztlichen Approbation im Januar 1936 arbeitete er als Assistent an der Universitätsklinik Berlin und wechselte 1939 in gleicher Funktion an das Luftfahrmedizinische Forschungsinstitut des Reichsluftfahrtministeriums.

Menschenversuche der Luftwaffe in Konzentrationslagern

Seit 1941 koordinierte Becker-Freyseng die gesamte luftfahrtmedizinische Forschung der Luftwaffe einschließlich der hierzu in Konzentrationslagern durchgeführten Menschenversuche. Im Oktober 1942 war Becker-Freyseng Teilnehmer der Tagung „Seenot“, die die Rettung in Seenot geratener Piloten zum Inhalt hatte. Auf der Tagung wurde über die Ergebnisse von Menschenversuchen berichtet, die an Häftlingen im Konzentrationslager Dachau durchgeführt worden waren. 1943 zum Stabsarzt befördert, übernahm Becker-Freyseng Anfang 1944 die Leitung der Abteilung für Versuchsflug und praktische Fragen am Luftfahrtmedizinischen Institut. Gleichzeitig wurde er Referent für Luftfahrmedizin beim Sanitätsinspekteur der Luftwaffe. Becker-Freysengs Forschungsschwerpunkte waren die Höhenkrankheit und die Sauerstoff-Überdruckbeatmung. 1944 habilitierte er sich mit einer Arbeit über Sauerstoffüberdruck.

Im Auftrag der Luftwaffe wurden seit 1942 Verfahren zur Trinkbarmachung von Meerwasser entwickelt. Hintergrund waren Fälle von in Seenot geratener Angehöriger der Luftwaffe und der Marine. Zu diesem Thema wurde im Mai 1944 im Reichsluftfahrtministerium eine Konferenz unter Leitung von Becker-Freyseng abgehalten. Die Konferenzteilnehmer beschlossen, zwei unterschiedliche Verfahren anhand von Menschenversuchen zu erproben. Becker-Freyseng sah dabei die günstigsten Voraussetzungen für eine Versuchsreihe in einem Konzentrationslager gegeben. Oskar Schröder, Becker-Freysengs Vorgesetzter und ebenfalls Tagungsteilnehmer, beantragte am 7. Juni 1944 beim Reichsinnenminister und Reichsführer-SS Heinrich Himmler Menschenversuche im KZ Dachau.[2] Die Meerwasserversuche wurden zwischen Juli und September 1944 durchgeführt; Leiter war der österreichische Mediziner Wilhelm Beiglböck.

Nürnberger Ärzteprozess

Nach Kriegsende ergaben sich im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher Hinweise auf die Beteiligung von Ärzten der Luftwaffe an den Menschenversuchen in Konzentrationslagern.[3] Angeklagt war hier auch Hermann Göring, der Oberbefehlshaber der Luftwaffe. Die alliierten Ermittlungen gingen nach Ansicht des Medizinhistorikers Udo Benzenhöfer dabei auch von den direkt an den Versuchen Beteiligten aus und stießen „durch Nachvollzug der Verantwortungskette zu den ranghöheren und ranghöchsten Angeklagten“[4] vor. Becker-Freyseng wurde mit sieben weiteren Ärzten der Luftwaffe im Nürnberger Ärzteprozess angeklagt.

Becker-Freyseng wurde vom Nürnberger Gericht schuldig gesprochen, da er an den Versuchen zur Trinkbarkeitsmachung von Meerwasser im KZ Dachau teilgenommen und die Versuche gegenüber gegenüber seinem Vorgesetzten Oskar Schröder angeregt hatte.[5] Bei den Versuchen sei mit Gesundheitsschäden bis hin zum Tod der Versuchspersonen gerechnet worden, deshalb seien sie an KZ-Häftlingen durchgeführt worden. Becker-Freyseng sei für die Versuchsplanung verantwortlich gewesen. Im Gegensatz zur Anklage sah das Gericht keine Verantwortung Becker-Freysengs für 1941 im KZ Dachau durchgeführte Höhenversuche. Becker-Freyseng war zu dieser Zeit beim Referat für Luftfahrtmedizin, das die Verwaltungsaufsicht über die Unterdruckkammer hatte und war so über die Versuche unterrichtet. Weitere Anklagepunkte waren bereits während der Beweisaufnahme von der Anklage fallengelassen worden. Am 19. August 1947 wurde Becker-Freyseng zu 20 Jahren Haft verurteilt.

Der amerikanische Hohe Kommissar John J. McCloy reduzierte Becker-Freysengs Strafe am 31. Januar 1951 auf zehn Jahre.[6] Am 20. November 1952 wurde er aus der Haft im Landsberger Kriegsverbrechergefängnis entlassen. Bereits während der Inhaftierung hatte Becker-Freyseng an dem Sammelwerk „German Aviation Medicine in World War II“[7] des Heidelberger Areo Medical Center mitgearbeitet. Nach seiner Freilassung reiste er auf Einladung der United States Air Force in die USA. 1960 erkrankte er an Multipler Sklerose und starb 1961.[8]

Literatur

Alexander Mitscherlich, Fred Mielke: Medizin ohne Menschlichkeit. Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-596-22003-3.

Einzelnachweise

  1. Zum Lebenslauf siehe: Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-596-16048-0, S. 35; Klaus Dörner (Hrsg.): Der Nürnberger Ärzteprozeß 1946/47. Wortprotokolle, Anklage- und Verteidigungsmaterial, Quellen zum Umfeld. Beiband. Saur, München, 1999, ISBN 3-598-32020-5, S. 77f.
  2. Das Schreiben Schröders an Himmler im Faksimile (Nürnberger Dokument NO-185).
  3. Udo Benzenhöfer: Nürnberger Ärzteprozeß: Die Auswahl der Angeklagten. Deutsches Ärzteblatt 1996; 93: A-2929–2931 (Heft 45) (PDF-Datei, 258KB).
  4. Benzenhöfer, Ärzteprozeß, Seite A-2930 Ebenda ein im Prozess verwandtes Schema zur Position der Angeklagten im deutschen Gesundheitswesen.
  5. Zusammenfassung des Urteils bei Angelika Ebbinghaus: Blicke auf den Nürnberger Ärzteprozeß. In: Dörner, Ärzteprozeß, (Erschließungsband), S. 66.
  6. Zu den Umständen der Strafreduzierungen siehe Thomas Alan Schwarz: „Die Begnadigung deutscher Kriegsverbrecher. John J. McCloy und die Häftlinge von Landsberg.“, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. 38 (1990), S. 250 ff (PDF-Datei, 7,3 MB).
  7. Zur Veröffentlichung siehe die Besprechung von Ebbe Curtis Hoff (englisch, pdf, 231 kB) in: Bulletin of the Medical Library Association, 39(4), Oktober 1951, S. 378–379.
  8. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, S. 35.

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Hermann Becker-Freyseng — während der Nürnberger Prozesse Hermann Becker Freyseng (* 18. Juli 1910 in Ludwigshafen; † 27. August 1961 in Heidelberg) war ein deutscher Mediziner, Stabsarzt und Referent für luftfahrtmedizinische Fragen im Sanitätswesen …   Deutsch Wikipedia

  • Hermann Becker-Freyseng — durante el Juicio de Nuremberg Hermann Becker Freyseng (nacido el 18 de julio de 1910 en Ludwigshafen muerto el 27 de agosto 1961 en Heidelberg) fue un médico alemán y consultor de Medicina de Aviación en la Luftwaffe. Fue reconocido como una… …   Wikipedia Español

  • Ärzteprozess — Karl Brandt bei der Urteilsverkündigung Der Nürnberger Ärzteprozess fand vom 9. Dezember 1946 bis zum 20. August 1947 als erster der zwölf Nürnberger Nachfolgeprozessen gegen Verantwortliche des Deutschen Reichs zur Zeit des Nationalsozialismus… …   Deutsch Wikipedia

  • Nürnberger Ärzteprozess — Karl Brandt bei der Urteilsverkündigung Der Nürnberger Ärzteprozess fand vom 9. Dezember 1946 bis zum 20. August 1947 als erster der zwölf Nürnberger Nachfolgeprozesse gegen Verantwortliche des Deutschen Reichs zur Zeit des Nationalsozialismus im …   Deutsch Wikipedia

  • Liste der Biografien/Bec — Biografien: A B C D E F G H I J K L M N O P Q …   Deutsch Wikipedia

  • Беккер-Фрейзен, Герман — Герман Беккер Фрейзен Hermann Becker Freyseng …   Википедия

  • Doctors' Trial — Not to be confused with Doctors plot. A sentence of death by hanging is pronounced by a U.S. War Crimes Tribunal upon Adolf Hitler s personal physician, 43 year old Karl Brandt. Brandt was also Reich Commissar for Health and Sanitation. The… …   Wikipedia

  • Liste von NS-Ärzten und Beteiligten an NS-Medizin — Die Liste NS Ärzte und Beteiligte an NS Medizin führt Ärzte und andere Personen auf, die während der nationalsozialistischen Zeit in Verbrechen im medizinischen Bereich verwickelt waren. Inhaltsverzeichnis 1 NS Ärzte 1.1 A B 1.2 C D 1.3 E …   Deutsch Wikipedia

  • Liste Ärzte und Beteiligte an NS-Medizin — Die Liste NS Ärzte und Beteiligte an NS Medizin führt Ärzte und andere Personen auf, die während der nationalsozialistischen Zeit in Verbrechen im medizinischen Bereich verwickelt waren. Inhaltsverzeichnis 1 NS Ärzte 1.1 A B 1.2 C D 1.3 E …   Deutsch Wikipedia

  • Oskar Schröder — während der Nürnberger Prozesse Oskar Schröder (* 6. Februar 1891 in Hannover; † 26. Januar 1958 in München) war als nationalsozialistischer deutscher Arzt und Chef des Sanitätswesens der deutschen Luftwaffe an Menschenversuchen …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”